Ettore
Tolomei wird am 16. August 1865 als 2. Kind eines Holzhändlers in
Rovereto geboren, also im Kronland Tirols als österreichischer
Staatsbürger, besucht die Volksschule und das humanistische
Gymnasium in Rovereto und studiert Sprachwissen- schaften/Literatur
in Florenz und später in Rom, wo er die Geschichte der
Markusrepublik Venedig promoviert. Dort kommt er offensichtlich in
Verbindung mit den Geographen Giovanni und Olinto Mavinelli, Leiter
des Istituto Studi Superiori in Florenz , die eine eigene Art Schule
begründet hatten, wonach wissenschaftlich bewiesen werden sollte,
daß die Staatszugehörigkeit gemäß der Wasseischeide und Entwässerung
zu erfolgen habe, eine These, die von der
Dante-Alighieri-Gesellschaft auch in Florenz und ihrem
Mitteilungsblatt
"Politica" stark forciert wurde. 1888-1890 arbeitet
Tolomei an der italienischen Schule in Tunis, wird 1890 zum Militärdienst
nach Wien eingezogen, wo er trotz mehrmonatigen Aufenthaltes kein
Wort Deutsch lernt. Nach dem Tod des Vaters wird er entlassen. Die
Familie zieht nach Rom, Tolomei geht nach Saloniki, Smirne und
Kairo, immer als Italienisch-Lehrer an italienischen Schulen und
kehrt 1901 nach Italien zurück. Er beginnt intensiv mit seinen
Bestrebungen der Einverleibung Tirols ins Italienische Königreich
und geht strategisch vor: er versucht, "wissenschaftlich"
das Gebiet als römisches, vormals italienisches, vor kurzem
eingedeutschtes Gebiet auszuweisen und weiß daß Denkmäler der
Sprache und der Kultur - Namen von Orten und Menschen - Kunstdenkmäler
als Beweise hilfreich sind. Er begründet die führende
expansionistische Zeitschrift "La Nazione Italiana", um
die "italienischen Gebiete zwischen den politischen und natürlichen
Grenzen" (dem Alpenhauptkamm) der italienischen Öffentlichkeit
zur Kenntnis zu bringen. In dieser Wochenzeitschrift formuliert er
bereits in den 90er Jahren des vorigen Jhds. ein expansionistischen
Programm, das die Linie Reschen - Brenner - Toblach als natürliche
geographische wie historische legitime Nordgrenze Italiens
bezeichnet. Bereits in der ersten Nummer der "Nazione Italiana"
veröffentlichte der "historische" Namen für einige Orte
Deutsch - Südtirols: so nannte er den Brenner Pirene, den Reschenpaß
Passo Raseno. Über lange Zeit war sich Tolomei gar nicht klar,
welchen Namen er Deutsch - Südtirol geben sollte, nachdem für das
Welschtirol um etwa 1848 durch die linksintellektuellen Kreise das
Wort Trentino aufgekommen war - ein Begriff, der zuvor nur für
Trient und seine nähere Stadtumgebung volkstümlich gebräuchlich
war, zum ersten Mal übrigens in einem Artikel eines in der
deutschen Nationalversammlung vertretenen Geistlichen. Tolomei
nannte Südtirol einmal Trentino Superiore, dann Valdadige Superiore
und erst 1916, bei der Veröffentlichung des "1. Prontuario dei
nomi locali dell`Alto Adige", bezeichnete er in Anlehnung an
die napoleonische Diktion, Haute Adige, Südtirol mit Alto Adige.
Diesen Begriff kannte natürlich niemand, auch in Italien nicht, außer
die irredentistischen Kreise und darüber beklagte sich Tolomei
mehrfach. Überhaupt war die italienische Öffentlichkeit vollkommen
unwissend: die meisten wußten nicht einmal, ob das Trentino
diesseits oder jenseits des Alpenhauptkammes lag. 1904 besteigt
Tolomei den Klockerkarkopf im hinteren Ahrntal, macht ihn zum nördlichsten
Punkt Italiens, bezeichnetet sich als Erstbesteiger und nennt ihn
als solcher "Vetta d`Italia"; dies, obwohl dieser Berg
seit 1895 von Dipl. Ing. Fritz Koegel bestiegen und der Rundblick in
der Alpenvereinsschrift 1897
publiziert
worden ist.
Tolomei
wußte, daß das zu 99% in den Händen Deutscher liegende Land von
Italienern angekauft werden mußte; er studierte daher die lokalen
anzeigen über Verkäufe von Gasthöfen, Gründen und Höfen - eine
Aktion, die er im Jahre 1915 und während des Krieges ganz
systematisch betrieb.
So
erwarb er 1905 den Thalerhof in Glen bei Montan, wohin er 1906 zog
und gründete im gleichen Jahr das Jahrbuch "Archivio per
l`Alto Adige, con Ampezzo e Livinalongo".
In
seinem Tagebuch schreibt er: "Das düstere Unternehmen
beginnt" und im Vorwort des 1. Bandes des "Archivio":
"Durch das Fördern der Erforschung und der Bestimmung der örtlichen
atesinischen Namen übernimmt das Archivio eine große Aufgabe,
einige Namen zu ersetzen und welche zu schaffen, und kurz und gut,
irgendwie eine volksfindige italienische Namenkltur zu
kreieren." [Zitat
aus: Archivio per L`M, Bd. 1, Gleno 1906]
Mit
Beginn des 1. Weltkrieges 1914 verläßt Tolomei Glen, übersiedelt
nach Rom um dort, finanziert und gefördert durch die "Dante-Alighieri-Gesellschaft",
seine Propaganda fortzusetzen. 1915 bei Kriegserklärung Italiens an
Österreich meldet er sich als Freiwilliger unter dem Kampfnamen
Eugenio Treponti, wird Mitglied des Generalstabes. Die antiösterreichische
Stimmung ausnützend beginnt er seinen Kampf um die Italianisierung
Südtirols über die Ortsnamen: 1915 erarbeitet er als Mitglied des
Genaralstabes "Provvidimenti per L`annessione e adattamento
dell`AA". Bereits 1914 erscheint im Archivio die Idee der
Aussiedelung der Südtiroler in einem Artikel, wonach das Nationalitätenrecht
Vorrang vor allen anderen Rechten habe. Im Mai 1916 - ein Jahr nach
dem Kriegseintritt Italiens - gelingt es Tolomei, in der "Reale
Societá Geografica Italiana" - der Königlich Geografischen
Gesellschaft Italiens - eine Kommission einzusetzen, die sich mit
der Toponomastik des noch zu "erobernden Gebietes", wie es
in den Protokollen über die Einsetzung der Kommission heißt, zu
befassen hatte. Dieser Kommission gehören neben Tolomei noch Ettore
De Togni, Prof. für Botanik und Chemie und Vittorio Baroncelli,
Bibliothekar, an. Innerhalb von 40 Tagen übersetzt diese Kommission
"höchst wissenschaftlich" 12.000 Orts- und Flurnamen,
wobei sie sich wesentlich auf die privaten Studien Tolomeis stützt.
Bereits im Juni 1916 erscheint diese Liste als Band XV, Teil II der
"Memorie" der Reale Societá Geografica Italiana als
"Prontuario die Nomi locali dell`Alto Adige", zeitgleich
mit der Veröffentlichung im Archivio.
Mit
der militärischen Besetzung Deutsch - Südtirols durch italienische
Truppen beginnt für Tolomei die hohe Zeit; bereits im Oktober 1918
wird er mit Förderung des Min. Präs. Orlando zum Leiter der
Kultur-Kommission im Bozner Museum ein; vier Ziele verfolgt er:
-
durch
die italienische Toponomastik den historisch begründeten
Anspruch Italiens auf Deutsch - Südtirol der Entente zu
beweisen.
-
Denkmäler, die auf das Deutschtum hinweisen, zu entfernen und
durch "römische" zu ersetzen.Landeigentum zu
gewinnen, die finanzielle - Ausblutung des Landes durch den
Krieg, insbesondere durch die Zeichnung der wertlos gewordenen
Kriegsanleihen ausnutzend
.
-
Die
Bevölkerung entweder italienisch zu machen, sie mit Menschen
aus den alten Provinzen zu überschwemmen oder sie auszusiedeln.
Er
schreibt in einem Brief an seine Freude: "Bozen ist besetzt -
das Alto Adige ist unser. Jetzt muß die militärische Besetzung in
einen endgültigen Besitz umgewandelt werden."
Die
Italianisierung konnte beginnen. Am 23. November nahm ein
Mitarbeiter Tolomeis, Adriano Colocci-Vespucci, zwei Soldaten und
ein Paar Kübel mit schwarzer Farbe und fuhr die Bahnlinie entlang
und übermalt auf Geheiß Tolomeis die deutschen Stationsnamen mit
italienischen Namen aus dem Prontuario, dies sehr zum Mißfallen der
Militärregierung, die sich geweigert hatte, generell die
italienischen Ortsnamen einzuführen; am 31. Juli 1919 wurde die
Militärverwaltung von einer
Zivilverwaltung für das Gebiet "Venezia Tridentina",
unter dem beide Provinzen, Bozen und Trient, zusammengefaßt waren,
unter der Leitung des ehemaligen Unterrichtsministers Luigi Credaro
abgelöst: zu dieser Zeit führten die meisten deutschen Ortschaften
den deutschen Namen, während die Ortschaften zwischen Bozen und
Salurn mit einem italienischen Bevölkerungsanteil nur mehr die
italienischen Ortsnamen führten. Credano macht sowohl die Übermalung
der Stationsschilder wie die italienischen Ortsnamen bis auf 29 rückgängig,
wobei bei diesen der deutsche Name an erster Stelle stand. Im Zuge
der Friedensverhandlungen, an denen wie alle anderen
Verliererstaaten Österreich nicht teilnahm, weilte Tomolei zwischen
April und Mai in Paris und beriet entsprechend die italienische
Kommission.
Auch
in Sachen Kunst war Tolomei, 1938 zum Grafen (Conte della Vetta)
ernannt, aktiv: beseitigt werden mußte alles, was Zeuge der
Vergangenheit war, die lokale Italianitá mußte gezeigt werden;
einerseits versuchte man dies mit einheimischen Künstlern, die man
zu einer Großausstellung nach Rom einlud und für sich vereinnahmte
- auch Egger Lienz, Durst, Othmar Winkler, die Gebrüder Stolz, Hans
Piffrader, sie alle wurden geblendet vom möglichen Ruhm und von der
Aussicht auf Verkauf ihrer Bilder. Gleichzeitig schliff man deutsche
Denkmäler: einen Tiroler Adler in Eisen auf der Adlerbrücke in
Brixen und das Denkmal des Erzherzog Heinrich auf der Talferbrücker
bereits 1921, das Sissi-Denkmal in Meran 1922; bereits 1926 sollte
das Waltherdenkmal verschwinden und durch ein Drusus - Denkmal
ersetzt werden; Mussolini war 1926 noch gegen die Verlegung, da
Walther von der Vogelweide kein Zeuge der Habsburgerzeit war und
weil Mussolini sich die Zuneigung Deutschlands nicht verscherzen
wollte. 1933 war er sich aber sicher und ließ das Denkmal in einen
kleinen Park gegenüber der Quästur versetzen. Das Katharina - Lanz
- Denkmal (ein "Symbol des Deutschtums gegen die Italianitá
der Dolomitentäler") verschwand ins Kriegsmuseum nach Rovereto.
Gleichzeitig wurden "italienische" Bauten errichtet - die
Drusus-brücke mit den faschistischen Adlern, die Italienallee mit
Gerichtsgebäude und Finanzamt und die Augustastraße -, die heute
noch den italienischen Stadtteil Bozens bilden.
1936
- der Plan Tolomeis, die Südtiroler zu assimilieren, ist
gescheitert - will Tolomei 2000 Südtiroler Bauern nach Abessinien
verfrachten. Es kommt - obwohl erste Auswahlen bereits getroffen
werden - nicht dazu. Der Anschluß Österreichs 1938 entfacht in Südtirol
eine pro-deutsche Euphorie einerseits, andererseits erzeugt sie
Angst bei den Italienern, die nunmehr die Deutschen als unmittelbare
Nachbarn haben. Am 7. Mai 1938 besucht Hitler Mussolini in Rom und
vereinbart, die ganze deutschsprachige Minderheit nach Deutschland
zu verfrachten. Südtirol wird zum Kaufpreis für die Achse
Rom-Berlin. In der Berliner Vereinbarung vom 23. Juni 1939 wird die
Umsiedelung der Südtiroler vereinbart, falls sie sich nicht für
Italien entscheiden. Bis zur endgültigen Vereinbarung, die am 31.
Oktober 1939 unterzeichnet wird, gab es langwierige Verhandlungen über
die Ablöse der Vermögenswerte. Nach der Vereinbarung hatten die Südtiroler
bis 31. Dezember 1939 Zeit zur sogenannten Option., d.h. eindeutig
zu erklären, ob sie nach Deutschland auswandern oder als Italiener
in Italien bleiben wollen. Beide Parteien, die Optionsbefürworter,
wie der VKS und die sog. Dableiber mobilisierten das Volk, das
zerrissen wurde - Wunden davon waren nach dem 2. Weltkrieg und sind
bis heute unverheilt vorhanden. Rund 90% votierten für die
Auswanderung nach Deutschland, nur 10%, hauptsächlich die
Besitzenden in den Städten, votierten für Italien. Die Umsiedlung,
die bis 31. Dezember 1942 abgeschlossen sein sollte, wurde aber ab
1940 sowohl von den Deutschen wie vom italienischen Präfekten
Mastromattei verzögert: von der deutschen Regierung, weil sie ursprünglich
ein geschlossenes Siedlungsgebiet - Himmler dachte an Nordmähren -
angeboten hatte und dieses erst erobern mußte und von Mastomattei,
weil 90% eines Volkes, das sich freiwillig für das Verlassen der
Heimat ausgesprochen hatte, eine internationale Blamage war und
zudem, weil die Vermögensablöse rd. 8-10 Milliarden Lire kostete,
was der italienische Staat kaum aufbringen konnte. Außerdem wäre
die Tolomeische Lüge - die Südtiroler sind ein ethnisches Relikt
und nur verdeutschte Italiener - offenkundig geworden. So waren 1940
nur 52.358 sog. "Volksdeutsche", wie die Südtiroler
bezeichnet wurden ausgesiedelt; 1941 und 1942 ließ das Interesse an
der Aussiedelung deutlich nach, einerseits wegen des immer noch
nicht benannten, geschlossenen Siedlungsgebietes, wegen der
Wohnungsnot im Reich, aber auch wegen wiederholten Bestätigung
Mastromatteis wie Mussolinis, daß die für Italien votierenden Südtiroler
nicht in die alten Provinzen verfrachtet würden, wie vielfach von
den Optionsbefürwortern behauptet worden war.
Am
31. Dezember 1942 waren 74.000 Südtiroler abgewandert: 50% ließen
sich in Nordtirol und Vorarlberg nieder, Innsbruck, Jenbach und das
Rheintal waren die neuen Heimaten, rd. 10.000 siedelten nach Bayern
und Baden-Württemberg aus, 3.700 nach Böhmen, Mähren, Lothringen,
von wo sie nur 3-4 Jahre später grausam vertrieben wurden. Die
Aussiedelung wurde um ein weiteres Jahr verlängert. Aber dazu kam
es nicht mehr. Durch das Umschwenken Italiens zu den Alliierten wird
am 3. September 1943 - Südtirol Operationszone Alpenvorland.
Tolomei
wird verhaftet, 3 Monate in Dachau eingesperrt, kommt auf mysteriöse
Weise 1944 in ein Sanatorium in Friedrichsroda in Thüringen und
wird dort 1945 von den Amerikanern befreit; die Zone wird russische
Besatzungszone, Tolomei flieht mit Hilfe von Freunden. Er stirbt am
25. Mai 1952 in Rom, erhält in Glen/Montan ein Staatsbegräbnis.
Beim
Einmarsch der alliierten Truppen am 5. Mai 1945 verpaßt die Südtiroler
Seite die Gelegenheit, die Alliierten von der "Deutschheit"
dieses Teils zu überzeugen, die Italiener sind wesentlich cleverer;
die Versuche, durch Kontakte über die französische Besatzung im
Norden die Selbstbestimmung zu erreichen, sind zu stümperhaft.
Die
Versuche Südtirols, 1946 und 1947 zu Österreich zurückzukehren,
werden durch das Problem der Optanten - der Rückführung der für
Deutschland votierenden - stark behindert. So bestätigt der
Pariser-Vertrag die 1919 durch den Friedensvertrag besiegelte
Teilung Tirols, das zwischen 1945 und 1963/4 eine zweite Periode
eines postwar - Faschismus erleben muß. Vom Faschismus und vom
Tolomeischen Werk haben die Toponomastik, verschiedene Bauten, wie
Drususbrücke, Siegesdenkmal, die Beinhäuser und der Codice Rocco -
dessen Schmähungsartikel erst heuer im Sommer beseitigt wurde - vor
allem aber die Ideologie der "Heiligkeit der
Brennergrenze" in den Köpfen vieler Italiener überlebt.
Trotz
vergangener 80 Jahre ist das Gesagte von höchster Aktualität: die
in Südtirol praktizierte ethnische Säuberung wird heute mit
denselben Methoden und beseelt von derselben menschenverachtenden
Ideologie in Europa - in Bosnien und im Kosovo - betrieben. Die
italienische Zeitung Panorama hat aus Anlaß der Entsendung der
Carabinieri - Einheit in das Kosovo auf Südtirol verwiesen und die
schwarzen Flecken in Italiens politischem Gewissen aufgezeigt. Daß
dieser Artikel das "alte Italien" betroffen gemacht hat,
in Südtirol bei den Italienern als "Nestbeschmutzung"
empfunden wurde, zeigt, wie sehr die Italiener in Südtirol
"geistig Gefangene" sind.
Offenbar
haben sie, wie viele andere aus der Geschichte nichts gelernt.
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