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Auf dem Weg zum Kosmetiker: Jamie Pracanin hat ein Problem: Er ist ein Mann | Berner Zeitung

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AboAuf dem Weg zum Kosmetiker
Jamie Pracanin hat ein Problem: Er ist ein Mann

Ein Lächeln auf dem Gesicht und ein Leuchten in den Augen: Wenn Jamie Pracanin von der Kosmetik redet, taucht er völlig in seine Welt ab.

Wenn Jamie Pracanin über seinen Lehrbetrieb im Oberaargau redet, huscht unvermittelt ein Lächeln über sein Gesicht. Die Augen beginnen zu leuchten, und dann sprudelt es nur so aus ihm heraus. Die meisten hätten von der Schönheitspflege keine Ahnung, erklärt er. Sie wüssten nicht, dass es ungesund sei, dreimal im Tag zu duschen. Und dass die Haare litten, wenn sie mehr als einmal in der Woche mit Shampoo gewaschen würden. An den übrigen Tagen reiche eine Pflege mit Wasser völlig.

«Mir selber war all das ja auch nicht bekannt.» Erst vor zwei Jahren wollte Jamie Pracanin mehr wissen. Das Feuer entfacht hatte seine damalige Freundin. Sie steckte viel Zeit in ihr Aussehen, pflegte ihre langen Nägel, setzte bewusst auf Pink als ihre Lieblingsfarbe. Schliesslich konnte sie ihre Leidenschaft sogar zum Beruf machen, ganz unkompliziert, wie er sagt.

Er selber tauchte ebenfalls immer tiefer in die Welt der Schönheit und der Schönheitsideale ein, und irgendwann wusste er, dass genau dies seine Welt ist. Auch Jamie Pracanin will nun Kosmetiker werden.

Absage um Absage

Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Als sich der 21-Jährige nach einer Lehrstelle umzusehen begann, merkte er nämlich bald, dass er in diesem Beruf ein Problem hat. Er ist ein Mann.

Die damalige Freundin war sein Vorbild: Jamie Pracanin hat die Welt der Schönheit und der Schönheitsideale für sich entdeckt.

Unverdrossen klapperte er Betrieb um Betrieb ab, sicher gegen dreissig Anfragen seien es gewesen, sagt er im Rückblick. In dieser Zeit steckte er nach einer abgebrochenen Lehre als Elektriker, die so gar nicht in seine Welt gepasst hatte, gerade in einem Motivationssemester. «Meist hiess es gleich am Telefon», erzählt er weiter, «dass man nur Frauen nehme.» Ernsthaft Interesse gezeigt hätten nur zwei Kosmetikstudios, geklappt habe es schliesslich bei jenem im Oberaargau. Auf den Sommer 2022 hin.

Für ihn, der noch bei den Eltern in Zollikofen zu Hause ist, hatte dies zwar eine Zugfahrt von je einer Stunde hin und zurück zur Folge. Doch die nahm er gern in Kauf. 

Nackt vor einem Mann

Wieso es Männer als Kosmetiker so schwer haben? Die Frage geht an Eva Lehner, die als erfahrene Kosmetikerin aus dem Raum Bern die Branche von Grund auf kennt. Zu Jamie Pracanin stellt sie gleich klar: «Wir hatten alle wirklich Freude, dass endlich ein Mann die Lehre zum Kosmetiker macht.»

Aber: 98 Prozent der Kundschaft in den Studios seien nach wie vor weiblich. Und Frauen schätzten es nun mal, von einer Frau bedient zu werden. Eva Lehner denkt besonders an die im Alltag recht häufigen Behandlungen im Intimbereich, die bis zu zwei Stunden dauern können. Während dieser Zeit liegen die Kundinnen nackt da, sanfte Musik und duftende Öle sorgen für Stimmung. «Vor einem Mann können sich viele nicht wirklich entspannen», stellt sie fest. Ja, schon das Entfernen der Schnurrbarthaare sei vielen Frauen in Gegenwart eines Mannes peinlich.

Dagegen könnte man einwenden, dass sich Frauen doch auch von Frauenärzten behandeln lassen. Eva Lehner hält entgegen: «Eine medizinische Untersuchung dauert viel weniger lang.» Bei den Kosmetikstudios spiele dazu noch eine ökonomische Überlegung mit. «Viele sind so klein, dass alle Angestellten in allen Bereichen mit anpacken müssen.» Einen Mann nur für die weniger intimen Behandlungen anzustellen, liege meist nicht drin.

Ins Herz geschlossen

Jamie Pracanin setzt wieder seinen begeisterten Blick auf. Jetzt redet er von den Frauen, die er im Lehrbetrieb behandelt hat, und in seinen Erzählungen lösen sich jegliche Befürchtungen im Nichts auf. «Wenn man sich als Mann ganz normal gibt, sind auch die Frauen locker drauf.» Er habe sich, fährt er fort, den Kundinnen stets ausführlich vorgestellt, mit ihnen alles besprochen und dabei mit Bedacht keine Worte gewählt, die zweideutig verstanden werden könnten. Das gehöre gerade bei ihm als Mann zur Professionalität.

Die Fingernägel sind schwarz lackiert, können aber auch mal farbig sein oder glitzern: Jamie Pracanin verbringt normalerweise eine Stunde im Bad.

Wenn schon, ergänzt er, seien nicht die Kundinnen, sondern er selber angespannt gewesen. «Ich hatte Angst, sie könnten mich komisch finden.» Dann versinkt er wieder in seiner Kosmetikwelt, führt im Detail aus, bei welchen Enthaarungen welches Mittel zum Zug kommt, schwärmt dann von der teuren Hightech-Maschine, mit der er die Haut analysieren und jede Pore, jedes Härchen heranzoomen konnte. «Ich hatte bereits meinen Kundinnenstamm», stellt er voller Stolz fest. «Sie hatten mich genauso ins Herz geschlossen wie ich sie. Es war cool.»

Hatte? War? Jamie Pracanin nickt. Nach einem personellen Wechsel habe es im Betrieb mit der Lehrlingsbetreuerin nicht mehr funktioniert, noch vor Ende 2022 sei der Lehrvertrag aufgelöst worden, erklärt er kurz und knapp.

Nun die zweite Chance

Leise Wehmut schwingt in seiner Stimme mit, wenn er weiter in seinen Erinnerungen schwelgt. «Ich vermisse es» – die Leute, die vielen Gespräche, all die Düfte der Öle, der Kerzen, ja, schon nur des Kaffees. Mit ähnlicher Wehmut denkt er an die Gewerbeschule. Erzählt davon, wie er am ersten Schultag ins Klassenzimmer trat und die Kolleginnen meinten, er, der Mann, habe sich in der Tür geirrt. Davon auch, wie später die Unterlagen seinetwegen abgeändert wurden. Statt «Liebe Kosmetikerinnen» hiess es jetzt in der Ansprache «Liebe Kosmetikerinnen, lieber Kosmetiker».

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Blick in seinen Instagramkanal: Jamie Pracanin liebt es, sich in Pose zu werfen. (Quelle: Instagram)

Das sind sie wieder, die Geschlechterrollen, die bei diesem Beruf eine so zentrale Rolle spielen. Wie stark sie verankert sind, weiss Jamie Pracanin von sich selber. Als er das erste Mal seinen Kollegen mit lackierten Fingernägeln sah, lachte er ihn kurz aus. Heute macht er seine Nägel ganz selbstverständlich, zurzeit sind sie schwarz lackiert. Sie können aber auch farbig sein oder gar glitzern, ähnlich wie die Augen übrigens. Der schwarze Augenstrich dagegen ist seine Sache nicht – und ja, fährt er fort, an gewissen Tagen verzichte er gänzlich auf das Make-up. Aus Zeitmangel, denn normalerweise brauche er im Bad eine Stunde.

Noch lässt sich Jamie Pracanin Zeit, seine berufliche Zukunft neu anzupacken. Im Moment jobbt er in einem Restaurant, dann und wann modelt er auch. «Ich zeichne fürs Leben gern, und eigentlich ist Kosmetik zu einem guten Teil nichts anders als Zeichnen im Gesicht», philosophiert er und lacht. Deshalb will er es auf alle Fälle nochmals mit einer Lehrstelle versuchen. Irgendwann, wenn er auch als Mann seine zweite Chance bekommt.