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Bestsellerautorin Val McDermid: „Die Sozialen Medien sind wie eine Eiterbeule“
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Bestsellerautorin Val McDermid: „Die Sozialen Medien sind wie eine Eiterbeule“

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„Man sollte sich selbst nie zu ernst nehmen“, sagt Schriftstellerin Val McDermid.
„Man sollte sich selbst nie zu ernst nehmen“, sagt Schriftstellerin Val McDermid. Charlotte Graham © Charlotte Graham

Die schottische Bestseller-Autorin Val McDermid über ihre kurze Theater-Karriere, die Entwicklung des Krimi-Genres und warum die Menschen Krimis so lieben.

Ms. McDermid, darf ich Sie eine „Queen of Crime“ nennen? Ich habe gelesen, die Erben von Agatha Christie haben das Copyright für den Ausdruck „Queen of Crime“ und Sie quasi verwarnt.

Sie haben das Markenzeichen für „Queen of Crime“. Sie haben meinem Verlag eine Unterlassungserklärung geschickt, sonst würden sie rechtliche Schritte einleiten. Es war einfach lächerlich. Mein Verlag hat mich nicht „Queen of Crime“ genannt, es waren Kritiker und Interviewer. Und also hat es der Verlag auf dem Buchumschlag zitiert. Das Christie Estate hat dann gemerkt, wie dumm und kleinlich das klang, sie haben verstanden, dass es nicht ihr klügster Schritt war. In der Zwischenzeit hatte ich bereits ein paar T-Shirts bedrucken lassen, die ich bei Lesungen trug, auf ihnen stand „quine of crime“, das ist ein schottisches Wort für queen. Nun bin ich die rechtmäßige quine of crime, Sie können mich so nennen.

Wie wurden Sie zur Königin des Krimis? Sie haben mit Theaterstücken angefangen.

Eine Dramatikerin wurde ich durch Zufall. Ich hatte keinerlei Absicht, fürs Theater zu schreiben. Als ich an der Universität war, beschloss ich, dass ich Literatur, dass ich die Great English Novel schreiben würde. Das Ergebnis war furchtbar, wirklich furchtbar, ich glaube, jeder Verlag in London hat das Buch abgelehnt. Ich war jedoch unverzagt, ich habe gleich angefangen, meinen zweiten großen englischen Roman zu schreiben. Ich habe einer Freundin einen Entwurf gezeigt, sie ist Schauspielerin. Und sie sagte: ich verstehe nicht viel von Romanen, aber ich denke, das wäre ein gutes Stück. Und in meiner damaligen Naivität dachte ich: das ist nicht schwer, streich nur die Beschreibungen raus, lass die Dialoge drin. Und das habe ich gemacht. Das Manuskript ins örtliche Theater gebracht und dem Leiter des Theaters gezeigt. Und er sagte, er würde es gern im Studiotheater zeigen. Ich war 23 und hatte durch puren Zufall ein Stück geschrieben.

Aber dann lief es nicht mehr so?

Ich wusste nicht, was ich richtig gemacht hatte, deswegen konnte ich es nicht wiederholen. Ich habe weitere Stücke geschrieben und bin jedes Mal gescheitert. Und mein Agent, den ich seit dem ersten Stück hatte, feuerte mich. So entschied ich mich, zurückzukehren zur Prosa. Aber ich musste mich auf etwas konzentrieren, das ich verstand. Ich war immer eine eifrige Leserin von Kriminalliteratur, schon seit ich neun oder zehn war. Und so dachte ich: Ich weiß, wie ein Kriminalroman funktioniert, ich versuche das. Und dann war der Auslöser, dass ich Sarah Paretskys ersten Roman geschickt bekam. Es war eine Offenbarung, es war, wie wenn ein helles Licht im Kopf angeht. Da war eine Protagonistin, die Grips hatte, einen Sinn für Humor. Und ich mochte auch, dass das Buch sehr in der realen Welt spielte, nicht in einem seltsamen englischen Dorf. Es war eine Welt, die ich verstehen konnte. Das war die Art Buch, die ich schreiben wollte. Es inspirierte mich dazu, anzufangen und ich schrieb meinen ersten Kriminalroman, „Report for Murder“, der vom ersten Verlag angenommen wurde, an den ich ihn geschickt hatte. Diese Veränderung war mir sehr willkommen.

Ihre erste Hauptfigur war eine Journalistin.

Ja, ich war selbst Journalistin, ich war in dieser Welt drin. Ich wusste, was man in dem Beruf tun kann, was man nicht tun kann. Ich dachte, wenn ich eine Welt wähle, die ich verstehe, kann ich mich auf anderes konzentrieren, auf die Details der Handlung, auf die Charaktere. Es war eine Sache weniger, über die ich mir Sorgen machen musste.

Sie haben verschiedene Reihen mit verschiedenen Hauptfiguren, diesmal ist wieder Karen Pirie dran. Wie entscheiden Sie, welche Geschichte zu wem passt?

Die Form der Geschichte entscheidet, diktiert, wessen Geschichte es ist. Es gibt die Art Verbrechen, die Tony Hill und Carol Jordan lösen, cold cases ist Karen Pirie. Ich hatte das Glück, dass ich stets Verleger hatte, die mich ermutigt haben, die Bücher zu schreiben, die ich schreiben wollte. Und nicht immer mit den gleichen Charakteren. Das hat mich, wenn Sie so wollen, vielseitig gemacht, mir die Chance gegeben, über allerlei zu schreiben. Und ich hatte auch Glück, dass ich mit dem Schreiben von Kriminalromanen in einer Zeit begonnen haben, als das Genre sich öffnete, viel stärker in den Gesellschaften wurzelte, in denen wir leben. Ich war auch da eine Nutznießerin.

Aber war der Start in diesem Genre für Sie als Frau trotzdem schwieriger?

Als ich angefangen habe, gab es einige unabhängige Frauenverlage. Damit hatte ich einen Fuß in der Tür. Ich glaube, es wäre sehr schwierig gewesen, von einem traditionellen Verlag veröffentlicht zu werden, wegen der Art von Büchern, die ich schrieb. Aber ich konnte den Leuten nach ein paar Büchern beweisen, dass ich schreiben kann. Ja, ich denke zu dieser Zeit war es vielleicht ein bisschen schwieriger für Frauen. Aber im Allgemeinen sind Frauen in der Kriminalliteratur gut vertreten. Es ist inzwischen für eine Frau viel einfacher, mit Kriminalliteratur Karriere zu machen. Ich glaube nicht, dass Frauen bei den Veröffentlichungen unterrepräsentiert waren, aber ich glaube, sie waren unterrepräsentiert, was die Auszeichnungen betrifft.

In Ihrem neuen Roman „Die Gabe der Lüge“ machen Sie sich schon ein bisschen lustig über die Krimischreiberszene.

Man sollte sich selbst nie zu ernst nehmen. Die Krimiautorenszene ist sehr kameradschaftlich, die Leute sind freundlich, aber es ist auch ein großartiger Ort für Klatsch. Leute sagen: hast du von Soundso gehört, hast du von Diesunddem gehört? Aber im Großen und Ganzen ist da nicht viel Bosheit. Alles in allem bringen wir uns nicht gegenseitig um (lacht). Wir haben all diese Festivals, wo wir zusammenkommen, uns über die Gesellschaft der anderen freuen. Ich glaube, die meisten, die Kriminalromane schreiben, kommen als Fan dazu. Sie haben das Genre jahrelang gelesen, sie lieben es. An der Bar haben sie einen Drink mit Leuten, deren Bücher sie seit Jahren gelesen haben. Es gibt diese Geselligkeit, und wir nehmen uns nicht zu ernst.

Haben Sie in den Jahren Ihres Schreibens versucht, die Grenzen des Genres zu verschieben?

Ja, das kam mit den Verlegern, die mir meinen eigenen Kopf ließen. Das Genre hat sich sehr verändert, seit ich anfing. Es hat sich verändert, weil die Leute verstanden haben, dass die Kriminalliteratur offen und umfassend ist, dass man jede Geschichte erzählen kann. Und einen Scheinwerfer auf die Welt richten, in der wir leben. Sie können sich mit sozialen Fragen beschäftigen, mit politischen Fragen, Genderfragen. Sie können hingehen, wo Sie wollen. Ich habe den Vorteil genutzt von all den Perspektiven, die ich vor der Nase hatte. Aber ich habe nie das Thema vor die Geschichte gestellt. Die Geschichte muss zuerst kommen, andernfalls vergeuden Sie Ihre Zeit, denn wer liest ein Buch, wenn es ihn nicht unterhält. Als Autor müssen Sie in die Figuren investieren, das Buch muss im Herzen Unterhaltung sein. Dann können Sie ziemlich subversiv sein, eben weil Sie den Leser mitnehmen. Als Leserin mag ich Bücher, die mich innehalten und nachdenken lassen. Und deswegen ist das die Art, auf die ich zu schreiben versuche. Damit meine Bücher bis zu einem gewissen Grad diesen Effekt auf meine Leser haben. Aber ich schreibe nicht, um die Welt zu verändern. Denn wenn Sie mit einer solchen Idee im Kopf anfangen, schreiben Sie schlechte Literatur.

Würden Sie Ihre Romane dennoch politisch nennen?

Zur Person:

Val McDermid , geboren 1955 in Kirkaldy, besuchte als erste schottische Studentin das Saint Hilda’s College in Oxford. Nach dem Studium wurde sie zunächst Journalistin. Sie lebt in Edinburgh und ist Unterstützerin eines Referendums für eine Unabhängigkeit Schottlands.

Kriminalromane McDermids sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt und haben sich über 19 Millionen Mal verkauft. Sie schreibt verschiedene Reihen mit unterschiedlichen Hauptfiguren.

Es begann ab 1987 mit der lesbischen Journalistin Lindsay Gordon, es folgte ab 1992 die Privatdetektivin Kate Brannigan. Von 1995 an wurden der Profiler Tony Hill und DI Carol Jordan bekannt. Es gab auch eine Fernsehserie. Die Karen-Pirie-Serie schließlich startete 2003 mit „The Distant Echo“, Echo einer Winternacht“. „Die Gabe der Lüge“ ist der siebte Pirie-Roman.

Ja, insofern, als sie auf der Gesellschaft basieren und zwangsläufig die Anliegen des Autors reflektieren. Und ich habe politische Anliegen, ja.

Ich denke auch daran, wie Sie in den Pirie-Romanen über Flüchtlinge schreiben.

Schottland heißt Flüchtlinge ziemlich gut willkommen, wenn Sie es mit der UK als Ganzes vergleichen. Wie sie Flüchtlinge behandeln, wie sie sie mundtot machen, ist erbärmlich.

Bekommen Sie aufgrund Ihrer Haltung Reaktionen von Leserinnen und Lesern?

Wer meine Romane kennt, wird ziemlich genau wissen, was darin vorkommen kann. Online beschimpft werde ich, wenn ich etwas öffentlich sage, das die Leute nicht mögen. Doch der Grad von Misogynie und Hass, mit dem zum Beispiel Nicola (Sturgeon, Ex-Regierungschefin Schottlands) verfolgt wird, ist erschütternd.

In Ihrem Roman sprechen Sie vom „Gift der Trolle“.

Ich leide nicht sehr darunter. Manche sagen, das liegt daran, dass die Leute Angst vor mir haben (lacht). Aber ich sehe, dass mein Land, mein Schottland sich verändert hat. Es war einladender. Wir hatten die Ehe für alle, wir haben Flüchtlinge willkommen geheißen, es schien, dass wir in eine sehr menschliche Richtung gehen. Aber die sozialen Medien sind wie eine Eiterbeule, gefüllt mit Gift. Pikse in das Geschwür, und es kommt raus. Das Vorhandensein von sozialen Medien ist ein wirkliches Problem, denn Menschen sagen dort Sachen, die sie nicht im Traum ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihren Kindern sagen würden. Oder auch dem Nachbarn. Die sozialen Medien machen es möglich, widerwärtige, schreckliche Dinge auszuspeien. Die Sachen sind rassistisch, frauenfeindlich, homophob. Und ich glaube nicht, dass wir uns im Alltag so verhalten. Heute Morgen habe ich entdeckt, dass Elon Musk mir jetzt auf Twitter folgt, also warte ich nur darauf, dass die Axt fällt.

Wissen Sie, warum er Ihnen folgt?

Nein, keine Ahnung. Ich habe wahrscheinlich etwas gesagt, das er nicht mochte. Oder was auch immer. Wenn Elon Musk dir folgt – oh oh oh.

In „Die Gabe der Lüge“ spielt die Pandemie, der Lockdown eine erhebliche Rolle, es ist der erste derartige Krimi, den ich gelesen habe. Warum haben Sie sich entschieden, von dieser Zeit so ausführlich zu erzählen?

Weil es passiert ist. Während der Pandemie konnte ich nicht darüber schreiben, zu dieser Zeit lebten wir alle in extremer Sorge und Angst. Das Leben jedes Menschen wurde davon berührt. Und weil sich alles täglich änderte, konnte ich nicht darüber schreiben. Aber ich wollte es nicht ignorieren, ich wollte nicht so tun, als sei es nie passiert. Es ist erstaunlich, wie schnell wir die jüngste Geschichte vergessen. Ich habe „The Skeleton Road“ vor zehn Jahren vor dem Hintergrund des Balkan-Konflikts geschrieben – die Leute hatten zu diesem Zeitpunkt den Balkankonflikt vergessen. Ich habe „A Darker Domain“ vor dem Hintergrund des Streiks der britischen Bergleute geschrieben, man sagte mir, das sei doch Geschichte. Ich wollte in Bezug auf die Pandemie nicht plump sein, aber sie war die Kulisse für unser tägliches Leben.

Was glauben Sie, warum gibt es diesen Krimi-Boom? Warum lesen die Menschen so gern von Verbrechen, schauen es sich so gern im Fernsehen an?

Ich glaube, es hat etwas Tröstendes. In der Welt der Kriminalromane und der TV-Filme ist alles Chaos, Gefahr, Angst und Risiko. Und dann gibt es den Ermittler, er kommt daher und bringt Sicherheit mit. Unsere Leben sind im Allgemeinen sehr hektisch, wir haben nicht mehr das Gefühl für Gemeinschaft, Nachbarn in meiner Straße sind mir fremd. Wir sind nicht feindselig, wir interagieren nur nicht mehr. Ich glaube, die Menschen fühlen sich ziemlich isoliert. Im Kriminalroman passieren zwar böse Dinge, aber Leute kommen am Ende auch heil wieder heraus. Außerdem mögen es die Menschen, Rätsel zu lösen. Und dann ist da noch das Element der Läuterung. Jeder von uns hat schon mal gedacht: Ich könnte ihn umbringen, ich könnte ihn umbringen! Sie würden es aus verschiedenen Gründen nicht tun, nicht zuletzt, weil Sie Angst haben, man könnte Sie erwischen. Mit einem Buch können Sie Ihre eigene Erfahrung der Welt auf die Figuren übertragen. Sie kleben die Gesichter Ihrer Freunde auf die Charaktere, die Sie mögen. Sie können jemanden, den Sie in der Arbeit nicht mögen, auf den Bösen, auf den Toten projizieren. So wird man eine Menge Frustration, Ärger und Unmut los.

Sie gehören zu den Erfolgreichsten...

Viele erwarten, dass es eine magische Formel gibt. Aber so ist es nicht, Sie müssen Ihren eigenen Weg hindurch finden. Es ist ein aufregender Moment, wenn Sie das Gefühl haben, jetzt haben Sie die Charaktere, die Geschichte im Griff. Und wenn Sie merken, dass etwas noch nicht gar ist, müssen Sie es zur Seite legen.

In „Die Gabe der Lüge“ gibt es gleich zwei schreibende Hauptfiguren, die auch Workshops geben. Geben Sie auch Kurse für junge Autorinnen und Autoren?

Es ist mir nicht angenehm, Kurse zu geben, ich fühle mich wie eine Hochstaplerin. Es ist, als würde man versuchen, den Arbeitsablauf einzudampfen – aber so funktioniert es nicht. Sie werden ein Schriftsteller, indem Sie lesen und schreiben. Man kann Ihnen helfen, ein besserer Schriftsteller zu werden, aber ich fühle mich nicht wohl bei der Vorstellung, dass ich eine Art von Geheimrezept haben soll, das ich weitergeben kann.

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