2018 steht das Grimme Lab unter der Überschrift „Globales Leben“. Wir werfen einen Blick in die Welt, um herauszufinden, wie Medienlandschaften anderorts aussehen – und ob und wie das mediale Leben dort mit dem unseren zusammenhängt.
Bereits 2017 haben wir in unserer Berichterstattung über gesellschaftliche Vielfalt, Wahlen und den Zustand der Presse immer wieder einmal Beispiele aus anderen Ländern herangezogen. Diesmal stehen diese im Fokus, damit wir einen Eindruck davon bekommen können, wie Menschen aus anderen Teilen der Erde Nachrichten verbreiten und konsumieren, online kommunizieren, Kultur produzieren, Bildung vermitteln und Gesellschaft mitgestalten.
Im Jahr 2016 war das Grimme Lab zum Beispiel auf dem Global Media Forum in Bonn unterwegs. 2017 beim News Impact Summit in Paris.
In unseren Recherchen zu den bisherigen Dossierthemen sind wir immer wieder auf Berichte gestoßen, die uns neu und fremd waren oder die uns für einen Moment aus unserer eingefahrenen Betrachtungsweise aufgeschreckt haben. Nach dem Besuch einer internationalen Konferenz haben wir aus bloßem Interesse englischsprachige Onlinezeitungen von anderen Kontinenten angesehen, zum Beispiel die Times of India. Die englische Sprache war nicht das Problem; es waren die Inhalte, denen wir nicht folgen konnten. Indische Innenpolitik war für uns nicht einzuordnen. Wir hatten schlicht keine Ahnung, worum es geht. Dies machte uns noch einmal deutlich bewusst, wie sehr wir von der Auswahl abhängen, die andere für uns treffen: Redaktionen unserer Tageszeitungen und Nachrichtensendungen können uns tagtäglich nur einen kleinen Teil dessen präsentieren, was sich in der Welt tut.
Die Vielfalt dessen, worüber berichtet werden könnte, zeigt sich etwa bei einem Blick auf die Seite der Nachrichtenagentur Reuters. Bei unserem zweiten Beispiel wollten wir vor einiger Zeit für ein anderes Projekt erfahren, wie die Situation im Jemen ist. In den großen Tageszeitungen und Hauptnachrichten in Deutschland war nichts zu finden. Auf der Seite von Reuters waren in der Kategorie Middle East Dutzende von Nachrichten aus der Region zusammengetragen, die nie ihren Weg in unsere Nachrichten gefunden hatten.
Diese und andere Fälle verdeutlichten uns, wie sehr unser Blick auf die Welt von unserem (auch geografischen und kulturellen) Standpunkt abhängt: Als Europäer sind wir halbwegs gut informiert über unseren Kontinent (wahrscheinlich auch hier mit einem relativ starken Fokus auf den Westen) sowie über die Vereinigten Staaten von Amerika. Nachrichten aus anderen, ferneren Ländern erreichen uns überwiegend dann, wenn sie einen Bezug zu uns darstellen – oder wenn sich Katastrophen ereignen, die wir nicht ignorieren können. Wir sind „total vernetzt“ – und kennen doch nur einen Ausschnitt der Welt.
Unser aller Bedürfnis, dies zu ändern, scheint zu wachsen, denn wir verstehen zunehmend, in welchem Maße die Globalisierung selbst das Leben vor unserer Haustür berührt. Gerhard Vowe, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, schreibt zum Thema „Globalisierung der Räume der Wahlkampfkommunikation“:
„So wird etwa die deutsche Wahlkampfagenda in stärkerem Maße als früher bestimmt durch globale Themen wie Finanzmarkt, Europa, Migration, Klima oder Terrorismus. Die politischen Akteure und die Wähler verfolgen genauer, was woanders passiert. […] Wahlkämpfe werden globaler. Die nationalen politisch-kulturellen Grenzen werden zunehmend durch Kommunikationsströme überwölbt. Das erfordert von professionellen Kommunikatoren, dass sie ihren Horizont weiten und auf neue Weise globales Denken und lokales Handeln verknüpfen.“ (Gerhard Vowe)
Mit unserem Jahresmotto werden wir den „Ausschnitt der Welt“ kaum vergrößern. Unser Interesse an anderen Ländern ist groß, unsere Kapazitäten, einen vollständigen Überblick zu schaffen, nicht vorhanden. Und allein, was die Sprachen der Welt angeht, sind wir in unseren Fähigkeiten, Beiträge im Original zu lesen, eingeschränkt. Aber wir möchten zum Bewusstsein beitragen, dass es eine „Welt da draußen“ gibt. Deshalb werden wir ausgewählte Fälle vorstellen, um einen Eindruck von dem zu liefern, was sich tagtäglich „woanders“ abspielt – ohne dass wir es in unserem täglichen Nachrichtenkonsum miterleben.
Die Tatsache, dass wir nur über begrenztes Wissen zu den Lebenssituationen anderer verfügen, sollte uns nicht dazu verführen, unseren eigenen Blickwinkel mit einer gewissen Ausschließlichkeit zu behandeln. Unser Verständnis für die Situation und die Bedürfnisse anderer sollte global(er) sein, damit wir auch lokal die richtigen Einschätzungen vornehmen und Entscheidungen treffen können, sprich: solche, die die Anliegen anderer prinzipiell mitdenken.
Wir sind auf die Vermittlung von Experten, Korrespondenten, Dolmetschern und Übersetzern angewiesen, sobald wir unseren Sprach- und Kulturraum verlassen. Sich selbst über das zu informieren, was andernorts passiert, ist nicht so einfach; auch weil uns aus manchen Regionen der Welt schlicht keine unabhängigen Informationen erreichen. Deswegen wollen wir einige der unterschiedlichen Informationsströme rund um den Globus beleuchten; fragen, wer sie antreibt und was sie zum Erliegen bringt. In einigen Kapiteln widmen wir uns zwei „Agenten“ der Weltvermittlung: Netzwerken der Auslandskorrespondenten auf der einen Seite, Nachrichtenagenturen auf der anderen.
Auch wenn Medien uns – in der Theorie – über den ganzen Globus hin verbinden könnten, ist ihre Nutzung dennoch fest in lokalen Kulturen, Gesellschaften und politischen Systemen verankert. Diese unterschiedlichen Medienkulturen mögen uns fremd sein, aber der Versuch, sie zu verstehen, lehrt uns viel über unseren eigenen Umgang mit Medien. Deswegen werfen wir etwa einen Blick in die Medienkultur Chinas, ein Land, in dem viele US-amerikanische Medienriesen keine Rolle spielen und die lokalen Äquivalente zu ihren Angeboten an die unterschiedlichen Lebensrealitäten und Bedürfnisse der Menschen vor Ort angepasst sind.
Die Situation der Presse in den USA und die möglichen Auswirkungen auf die demokratische Gesellschaft sind Gegenstand einer weiteren Artikelsammlung, die wir im Dossier „Medien in den USA“ zusammenfügen.
Auch in einigen osteuropäischen Ländern ist die Pressefreiheit ein Stichwort, das „Reporter ohne Grenzen“ mit Sorge erfüllt. Die Visegrád-Staaten werden im Artikel „Pressefreiheit in Gefahr“ beleuchtet.