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Mitarbeiter als Eigentümer: Das neue Macht-Quintett im „Spiegel“ - HORIZONT

Mitarbeiter als Eigentümer

Das neue Macht-Quintett im „Spiegel“

Die Mitarbeiter KG des "Spiegel" stellt sich neu auf
Jürgen Herschelmann
Die Mitarbeiter KG des "Spiegel" stellt sich neu auf
In Amt und Bürde: Der „Spiegel“ startet mit neuen Hauptgesellschafter-Entscheidern in die geschäftspolitisch schwierigste Phase seiner fast 70-jährigen Geschichte. An diesem Freitag wurden nach wochenlangem Wahlkampf nun die Stimmen ausgezählt. Wer sind die fünf Mitarbeiter, von denen es nun mit abhängt, ob und wie lange der „Spiegel“ unabhängig bleibt?
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Zur Erinnerung: Seit 1974 gehört über die Hälfte (50,5 Prozent) des Spiegel-Verlags den Print-Redakteuren, Dokumentaren und Verlagsangestellten – über die sogenannte Mitarbeiter KG. Jeder, der drei Jahre beim „Spiegel“ arbeitet, kann sich als stiller Gesellschafter beteiligen. Derzeit sind es rund 730 Personen; diese wählen alle drei Jahre eine 5-köpfige ehrenamtliche Geschäftsführung. Dabei entsenden Verlag und Redaktion je zwei Vertreter, die Dokumentation einen. Das Quintett entscheidet – neben G+J (25,5 Prozent) – maßgeblich über die Strategie, den Etat sowie die Posten der Chefredakteure und des Geschäftsführers.


So hat die bisherige KG-Spitze Ende November auch das erste regelrechte Sparprogramm des „Spiegel“ abgesegnet, welches den Verlag bis Ende 2017 rund 150 und damit jede fünfte Vollzeitstelle kosten dürfte. Unter anderem damit will man dauerhaft 15 Millionen Euro einsparen. Wegen markttypisch meist sinkender Erlöse, aber „Spiegel“-typisch bislang fast konstanter Kosten könnte das Haus sonst in wenigen Jahren ins Defizit rutschen. Damit würde es mangels ausreichender Rücklagen bald als Übernahmekandidat seine Unabhängigkeit riskieren. Gruner + Jahr mit Bertelsmann im Rücken stünde wohl allzu gerne parat.

Das künftige KG-Quintett steht nun vor der Aufgabe, den „Spiegel“-Geschäftsführer Thomas Hass bei der Umsetzung des Sparprogramms kritisch-konstruktiv zu begleiten, ebenso wie bei den weiteren Teilen der „Agenda 2018“: Die Organisation soll innovationsfördernder werden, und bis 2019 sollen elf neue meist digitale journalistische Projekte rund 20 Millionen Euro Zusatzumsatz bringen. Außerdem könnte auf die neue KG-Führung die Frage zukommen, ob vielleicht ab 2018 ein zweites Sparprogramm nötig werden müsste, das dann – anders als das aktuelle – vor allem die Redaktion treffen könnte. Auch die teure Hausmiete an der Hamburger Ericusspitze (Untervermietung leerstehender Räume? Umzug?) könnte ein Thema werden, oder die Einstellung kaum rentabler kleiner Projekte und Objekte.

Oder auch die Frage aller Fragen: Müssen, sollen oder wollen die stillen Gesellschafter ihre Anteile verkaufen? Dann wäre diese neue KG-Führung vielleicht die letzte in der 40-jährigen Mitarbeiterbeteiligung beim „Spiegel“. Es gibt Mitarbeiter, die dieses Szenario ernsthaft (besorgt oder erwartungsvoll) diskutieren. Wie sehr solche Schicksalsfragen von wenigen Köpfen abhängen können, zeigte im vergangenen Jahr die Abstimmung der bisherigen KG-Spitze über die „Agenda 2018“: Dem Vernehmen nach hatte diese den Sparplänen nur knapp, mit drei zu zwei Voten, zugestimmt. Daher lohnt nun ein Blick auf das neue Führungsteam.

Nach Informationen von HORIZONT Online haben sich auf Redaktionsseite gegen fünf weitere Kandidaten durchgesetzt: Susanne Amann (Vize-Ressortleiterin Wirtschaft) und Martin Doerry (Autor im Kulturressort, bis Sommer 2014 zuvor 16 Jahre lang Vize-Chefredakteur). Beide sind neu in der KG-Spitze. Die Verlagsseite schickt Carsten Türke (Vize-Personalchef) und Johannes Varvakis (Verkaufsleiter in der Vermarktungssparte Spiegel QC) in das Gremium. Hier gab es zwei weitere Bewerber. Türke amtierte schon einmal vor über zehn Jahren als KG-Geschäftsführer, Varvakis seit April 2015. Keinen Gegenkandidaten gab es bei den Dokumentaren, die Thomas Riedel, den amtierenden Sprecher des Quintetts, wiederwählten. Damit hat sich die KG-Führung mehrheitlich erneuert: Drei der fünf bisherigen Entscheider werden nun ersetzt.

Was wollen die künftigen fünf KG-Köpfe? Darüber geben die Bewerbungsschreiben der Kandidaten vage Auskunft. Die Briefe, die HORIZONT Online vorliegen, waren während der Wahlkampf-Wochen im Intranet des Verlages zu lesen.

Susanne Amann (Jahrgang 1976, seit 2007 bei Spiegel Online, seit 2010 beim „Spiegel“): Sie präsentiert sich als Antreiberin eines weiteren Veränderungsprozesses zum Erhalt der wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Es gebe „keine Zeit mehr zu verlieren“. Dazu gehöre auch eine „gemeinsame Strategie“ für die Redaktionen von „Spiegel“ und Spiegel Online. Amann will das Haus zur „Ideenschmiede der deutschen Medienbranche“ machen und nimmt für sich in Anspruch, für das KG-Amt Integrität, Wirtschaftskompetenz, Kommunikationsfähigkeit und „genügend Rückgrat“ mitzubringen, sich „gegen falsche Entscheidungen zu wehren“.

Martin Doerry (Jahrgang 1955, seit 1987 beim „Spiegel“): Er begrüßt vor dem Hintergrund der „fundamentalen Medienkrise“ auch das aktuelle Sparprogramm. „Endlich bewegt sich etwas in unserem Unternehmen“, sagt er, der zuvor 16 Jahre lang Vize-Chefredakteur war. Doerry fordert eine engere Zusammenarbeit von Print und Online – den Begriff Redaktions-Zusammenlegung vermeiden Amann und er – sowie „schnell und umfassend“ digitale Vertriebserlöse. Das klingt nach harter Paywall. Und die bisher diskutierten Neugeschäft-Projekte reichten noch nicht aus. Das alles müsse unterstützt, gar beschleunigt werden.

Thomas Riedel (Jahrgang 1967, seit 1998 beim „Spiegel“): Er nimmt alle in die Pflicht, explizit die Redaktionsarbeit. Der „Spiegel“ müsse publizistisch relevanter, die ganze Gruppe „kooperativer, flexibler und innovativer“ werden. Der Verlag müsse mehr ausprobieren, auch Bezahlinhalte – „jetzt“. Riedel verteidigt den „schmerzlichen Personalabbau“ unter seiner bisherigen KG-Führung mit Versäumnissen der Vor-Vergangenheit. Nun müsse man die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen kontrollieren und weitere Arbeits- und Führungsstrukturen hinterfragen, „um dem Haus eine erneute derartige Zäsur“ zu ersparen.

Carsten Türke (Jahrgang 1967, seit 1997 beim „Spiegel“): Seine Schwerpunkte sind andere. In „Kernbereichen des Verlags“ müsse die „Hoheit über strategische und teils auch operative Entscheidungen in den Händen unserer kompetenten Kollegen“ bleiben – eine Absage ans Outsourcing. Zudem mahnt Türke einen „behutsamen Umgang“ mit Mitarbeitern an. Er verspricht, die Interessen der Verlagsbereiche „mit Nachdruck zu vertreten“. Und der Verlag brauche dringend neue Erlöse durch innovative journalistische Produkte, die eine „längst überfällige inhaltliche Zusammenarbeit“ der Print- und Onlineredaktion befördern sollte.

Johannes Varvakis (Jahrgang 1965, seit 1996 beim „Spiegel“): Deutlicher als Türke beklagt er, dass Sparen in den letzten Monaten „eine höhere Priorität hatte als Innovation“ – und dass auch Outsourcing „kein Tabu mehr war“. Doch selbst wenn das Einsparziel erreicht werde, verschaffe das nur eine kurze Atempause: „Sparen ersetzt keine Strategie.“ Auch er fordert neue Produkte, und dass sich der „Spiegel“ den „Leserwünschen anpassen“ möge, um den Absatz zu stärken. Doch innovativ zu sein, sei für Mitarbeiter schwer und „möglicherweise sogar eine Zumutung“, wenn zugleich die „eigene wirtschaftliche Existenz“ bedroht sei.

Fazit: Die von der „Agenda 2018“ so gebeutelte Verlagsseite hat zwei Vertreter in die Gesellschafterspitze gewählt, die sich – zumindest ihren Wahlbriefen nach – eher als Interessenvertreter ihrer Wählerklientel in deren Mitarbeiterrollen sehen, fast als zweiter Betriebsrat. Und weniger als Vertreter der Kollegen in deren Rollen als Kapitaleigner, die am langfristigen Verlagswohl interessiert sind. Bei den drei Kandidaten von Redaktion und Dokumentation scheint es anders zu sein – aber ihre Wählerklientel ist aktuell auch nicht so betroffen. Um das für die Zukunft zu verhindern, halten diese Drei wohl eher am aktuellen Sparkurs fest und wollen hier schon viel erreichen. Wobei keinem der fünf Gewählten der Wille abgesprochen werden darf und soll, auch „Verantwortung für das Ganze“ (Riedel) übernehmen zu wollen.

Unterm Strich haben die „Spiegel“-Mitarbeiter eine verständliche Wahl getroffen. Ob es auch eine gute Wahl ist, wird sich zeigen. Für „Spiegel“-Chef Thomas Hass wird es nicht einfacher. Und doch sollte es ihm möglich sein, seine Agenda weiterzuverfolgen, mit Ausgleichszahlungen oder zur Not auch nur mit knappen Drei-Fünftel-Mehrheiten im Gesellschafterquintett.

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