laut.de-Biographie
Fad Gadget
Als einer der Vorreiter elektronischer Musik ist Fad Gadget streng genommen schon 1986 in die Geschichte eingegangen. In jenem Jahr legt der britische Verwandlungskünstler sein Pseudonym ab, um fortan unter seinem bürgerlichen Namen Frank Tovey weiter zu arbeiten. Erst 2001, ein Jahr vor seinem Tod, nimmt Tovey sein Alter Ego wieder an, um nach langer Auszeit ins Bühnengeschehen zurück zu kehren.
Ein Blick zurück: Erste musikalische Schritte wagt der am 8. September 1956 geborene Tovey bereits Anfang der 70er Jahre, als der gebürtige Londoner seine erste Rockband mit Schulkumpels gründet. Fehlende Versiertheit am Instrument zwingen Tovey zur Aufgabe seines Hobbys. 1974 besucht er eine Londoner Kunstschule, an der er sich vor allem in Fotografie-, Film- und Performance-Kursen weiter bildet. Ein Jahr später schreibt sich Tovey am Fine Arts Polytechnic in Leeds ein, wo sich auch Marc Almond und Dave Ball in der Ausbildung befinden, die bald Soft Cell gründen. Dort reift seine Vision, mittels Einsatz von Synthesizern, Tape-Recordern und sonstigen Geräuschkonserven erneut vor Publikum aufzutreten.
In den Jahren 1976-78 hält sich der Fan von Can, Kraftwerk und Marc Bolan tagsüber mit Gelegenheitsjobs über Wasser und fummelt nachts an seinen ersten Songs herum. Über einen WG-Mitbewohner kommt der Kontakt zum späteren Mute Records-Label-Boss Daniel Miller zustande. Miller hat zu der Zeit bei Rough Trade eine lose Anstellung als Talent Scout inne, die ihm der Erfolg seiner unter dem Pseudonym The Normal veröffentlichten Single "Warm Leatherette" bescherte. Miller hört das Tape und ist von Toveys Minimalsound begeistert (diese frühen Demos erscheinen 2006 auf der Tovey-CD/DVD-Hommage "Fad Gadget By Frank Tovey"). Miller beschließt, sein eigenes Label zu gründen und nimmt Fad Gadget, wie sich Tovey von nun an nennt, als ersten Mute-Act unter Vertrag.
Im Oktober 1979 erscheint die Single "Back To Nature", die Gadgets Vorlieben für schräge, rhythmische Synthie-Sounds und dunkle Stimmungen vorzeichnet. Es folgen die Singles "Ricky's Hand" und "Fireside Favourites", von denen Ende 1980 nur letzterer auf das gleichnamige Debütalbum kommt. Die Bühnenshow des Pantomime-Liebhabers Gadget ist geprägt von theatralischen Posen à la Bowie und Gestiken in düsterer bedrohlicher Ausleuchtung. Auch reibt er seinen Oberkörper beim Song "Lady Shave" gerne mit Unmengen Rasierschaum ein, und zupft sich anschließend Haare aus dem Intimbereich aus.
Bei einem Auftritt im Londoner Bridgehouse spielen die Newcomer von Depeche Mode in Toveys Vorprogramm, die schon bald zu den finanziellen Zugpferden auf Millers Label gedeihen sollten. Durch Tourneen in Europa und an der amerikanischen Ostküste bildet sich in den folgenden Jahren eine Fad Gadget-Kultfangemeinde, die es dem Meister auch nicht übel nimmt, dass er sich zusehends vom Elektronik-Sound verabschiedet. Seine Performance nimmt dafür - lange vor Trent Reznor, Marilyn Manson & Co. - rigide Formen der Selbstzerstümmelung an: vom Haare ausreißen bis hin zu Blutvergießen ist so ziemlich alles dabei.
"Incontinent" ist dank größerem Budget komplexer arrangiert, aber noch immer sehr düster. Das unter den Eindrücken des Falkland-Krieges und der Geburt seines ersten Kindes entstandene "Under The Flag" offenbart erste Soul- und Dance-Anleihen. Am Saxophon und Mikro dabei: Alison Moyet von Yazoo. 1984 feiert Gadget mit "Collapsing New People" seinen einzigen Charteinstieg in Deutschland. Der mit Industrial-Sounds gespickte Song erfährt bei Peter Illmanns "Formel Eins"-Sendung eine kuriose Darbietung: Fad Gadget tritt geteert und vollständig mit Federn bedeckt in den Bavaria-Kulissen auf. Ob der Titel von Wave-Liebhaber DJ Hells späterem Debütalbum wohl auf diesem TV-Ereignis fußt?
Das dazugehörige Album "Gag" entsteht parallel zu Depeche Modes "Some Great Reward"-Platte in den Berliner Hansa Studios nahe der Berliner Mauer. "Collapsing New People", das den damals populären siechenden Verfallslook Berliner Szenegänger thematisiert, ist deutlich vom Industrial-Trend der Zeit gezeichnet, den die Hansa-Kollegen der Einstürzenden Neubauten populär machten. Im selben Jahr erscheint mit "Easy Listening For The Hard Of Hearing" das bereits 1981 mit Boyd Rice aufgenommene Experimentalalbum.
Um 1985 belastet es Gadget zunehmend, dass er nicht imstande ist, ein Instrument abseits des Synthesizers zu spielen. Der Entschluss, sein Pseudonym gegen Frank Tovey einzutauschen geht einher mit der Zuwendung zu folkigen Klängen. Die Underground-Ikone Fad Gadget war begraben. Dennoch klingt die Yuppie-Anklage "Snake And Ladders" von 1986 noch recht elektronisch. Mit den folgenden Alben "Civilian" (1988) und "Tyranny & The Hired Hand (1989) entwickelt sich Tovey dann zu einem amtlichen Folksänger.
1991 taucht sein Name noch einmal auf, als Mute die alten Fad Gadget-Alben wieder veröffentlicht. Tovey bleibt seiner Linie trotzdem treu und veröffentlicht mit seiner neuen Band, den irischen Musikern der Pyros, die Alben "Grand Union" (1991) und "Worried Men In Second Hand Suits" (1993). Nach einer Europa-Tournee im selben Jahr verschwindet er von der Bildfläche.
In der nun folgenden, siebenjährigen Auszeit bleibt der Familienvater trotzdem nicht untätig. Tovey schreibt weiter Songs im stillen Kämmerlein, probiert sich auch an Theatermusik, studiert neue Produktionsmethoden und produziert die österreichische Band Temple X. Dennoch gibt er später unumwunden zu, es sehr genossen zu haben, eine Weile aus dem Musikbusiness auszusteigen.
Im April 2001 tritt Tovey in London völlig unvermittelt zum ersten Mal seit 1984 wieder unter dem alten Namen Fad Gadget auf. Mit den neuen Kollegen der Band Temple X spielt er sich - rasierschaumbeschmiert - durch ein Greatest Hits-Set, das die teilweise weit angereisten Wave-Fans zu Jubelstürmen verleitet. Auch Daniel Miller und Depeche Mode-Mitglied Andy Fletcher sind vor Ort. Deren Überredungskunst ist es wohl in erster Linie zu verdanken, dass die Elektro-Ikone im Herbst 2001 als Vorgruppe die Depeche Mode-Tour begleitet und sich damit nach 21 Jahren ein Kreis schließt. Im Herbst erscheint dazu eine "Best Of"-Scheibe, die die alten Gassenhauer des Briten noch einmal vorstellt. Ein neues Album, das Gadget im laut.de-Interview für 2002 ankündigt, erscheint leider nicht mehr.
Völlig überraschend verstirbt Frank Tovey am 3. April 2002 in seinem Haus in London. Die Todesursache wird erst wenige Tage später bekannt: Herzversagen. Nach Angaben von Mute Records litt Tovey seit seiner Kindheit an einem Herzfehler. Er wurde 45 Jahre alt. Sein '84er Hit "Collapsing New People" kommt Ende 2003 nochmals ins Gespräch, als Leander Haussmann ihn für den Soundtrack der Sven Regener-Romanverfilmung "Herr Lehmann" auswählt. Eine Maxi des Songs wird ebenfalls wieder veröffentlicht, auf der Westbam und John Aquaviva einen Remix beisteuern.
Am 8. September 2006 wäre Frank Tovey 50 Jahre alt geworden. Grund genug für Mute Records, mal so richtig die Archive zu plündern, um pünktlich zu seinem Ehrentag eine 2CD/2DVD zu veröffentlichen. Selbst aus dem Nachlass des Künstlers gelangt Filmmaterial an die Öffentlichkeit. Insgesamt erwarten den Fan auf "Fad Gadget By Frank Tovey" seine allerersten Demos, Filmaufnahmen von seiner Depeche Mode-Support Tour 2001, eine ausführliche Dokumentation inklusive Interviews mit Familienangehörigen und Musikern sowie der Kurzfilm "Grand Union" von 1991.
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