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Neue Dimension islamistischer Gewalt in Bangladesh | NZZ

Neue Dimension islamistischer Gewalt in Bangladesh

Sicherheitskräfte beenden die Geiselnahme in Dhaka mit Gewalt. 20 ausländische Geiseln sind tot, ausserdem zwei Polizisten und sechs Terroristen. Die Frage nach der Präsenz des IS in Bangladesh stellt sich mit neuer Dringlichkeit.

Volker Pabst, Delhi
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Die Geiselnahme ereignete sich im Diplomatenviertel von Dhaka. (Bild: Keystone)

Die Geiselnahme ereignete sich im Diplomatenviertel von Dhaka. (Bild: Keystone)

Nach zwölfstündigem Zuwarten und erfolglosen Verhandlungsversuchen haben Sondereinheiten der bangalischen Sicherheitskräfte am Samstagmorgen den Befehl erhalten, die Geiselnahme im Diplomatenviertel von Dhaka gewaltsam zu beenden. Nach einem halbstündigen Schusswechsel gelang es, 13 Geiseln aus der «Holey Artisan Bakery», einem Café im wohlhabenden Viertel Gulshan, zu befreien. 20 Geiseln wurden getötet, wie ein Militärsprecher am Samstagmittag (Ortszeit) mitteilte. Alle getöteten Geiseln seien Ausländer. In Gulshan haben viele Botschaften und internationale Organisationen ihren Sitz.

Italienische Opfer

Unter den Todesopfern sind neun Italiener, ein weiterer wird noch vermisst. Ausserdem wurden auch sieben Japaner und ein Amerikaner getötet. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi sagte, ein Flugzeug der Regierung sei auf dem Weg nach Dhaka. Die indische Regierung teilte mit, unter den Opfern sei ein indisches Mädchen. Zudem wurden laut den bangalischen Behörden mindestens sechs Terroristen und zwei Polizisten getötet. Mehr als 20 Personen sollen verletzt worden sein. Unter den Gästen befanden sich laut den entsprechenden Behörden auch Japaner und Sri Lanker.

Am Freitagabend waren acht bis neun bewaffnete Angreifer in das Café eingedrungen und hatten bis zu 20 Personen als Geiseln genommen. Die selbsternannte Nachrichtenagentur Amaq, ein offiziöser Kommunikationskanal des Islamischen Staates, (IS) erklärte, der IS stehe hinter dem Anschlag.

Angriff im Diplomatenviertel Dhakas

Welle der Gewalt

Bangladesh wird seit Monaten von extremistischer Gewalt erschüttert. Mittlerweile wird fast wöchentlich irgendwo im Land ein Mord an Menschen verübt, die aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugung oder ihrer sexuellen Ausrichtung von radikalen Islamisten als Feinde betrachtet werden. Anfangs richtete sich die Gewalt gegen Schriftsteller und Blogger, die sich für den Erhalt von Bangladeshs säkularer Staatsordnung einsetzten und auch öffentlich gegen die Islamisten agitierten. Zuletzt mehrten sich aber Übergriffe auf weniger bekannte Personen, unter ihnen Universitätsprofessoren, ausländische Hilfsarbeiter und Vertreter der hinduistischen Minderheit im Land. Der letzte Mord geschah am Freitag an einem Hindu-Priester, nur wenige Stunden vor dem Beginn der Geiselnahme.

Umstrittene Rolle des IS

Zwar tauchen nach den Taten im Internet meist auch Verweise auf den IS auf, jedoch ist umstritten, inwiefern der Islamische Staat tatsächlich involviert ist. Die Regierung von Premierministern Sheikh Hasina stellt sich auf den Standpunkt, dass es keine Präsenz des IS im Land gibt und die Taten keinen internationalen Hintergrund haben, womit sie implizit der Opposition die Verantwortung für die Gewalt zuschreibt.

Die Bangladesh National Party der ehemaligen Premierministerin Zia Khaleda, Hasinas Erzfeindin, hat eine weniger klare säkulare Ausrichtung wie die regierende Awami League und hat in der Vergangenheit auch mit der Jamaat-e Islami, der wichtigsten islamischen Partei im Land, zusammengearbeitet. Regierungsgegner wiederum behaupten, der immer repressivere Kurs der Regierung leiste einer Radikalisierung islamistischer Kreise Vorschub. Im vergangenen Monat sollen bis zu 10 000 Personen festgenommen worden sein. Feststeht, dass es im Land tatsächlich eine grosse Zahl islamistischer Gruppierungen gibt, die kaum alle in direkten Kontakt mit dem IS stehen, sich von einer Bezugnahmen zur Terrororganisation aber einen Gewinn an Aufmerksamkeit erhoffen.

Koordinierter Angriff

Die Diskussion um die Präsenz des IS im Land wird durch die Geiselnahme vom Freitag nun aber auf eine neue Ebene gestellt. Anders als die Attacken der letzten Monate, die meist mit Macheten ausgeführt wurden und keiner grossen Vorbereitung bedurften, stellt der Angriff auf das Café in Gulshan eine weit komplexere und streng koordinierte Aktion dar. Die islamistische Gewalt im Land hat ein neues Niveau erreicht.