Vor 50 Jahren fand er den frühen Tod. Die Neue Linke verklärte ihn zur Lichtgestalt. Heute lassen sich Person und Leistung Che Guevaras nüchterner beurteilen.
Es war die Zeit der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt und der Studentenrevolten in Westeuropa und Nordamerika, als ein argentinischer Grossbürgersohn und Genosse Fidel Castros kläglich scheiterte in dem Versuch, in den Anden ein zweites Vietnam zu schaffen. Nach seinem Tod wurde Che Guevara rasch zur Lichtgestalt der Neuen Linken und zum kubanischen Nationalhelden stilisiert. Gleichzeitig verkam er zur Marke ohne urheberrechtlichen Schutz, die nicht nur als Poster in Wohngemeinschaften und Plakat bei Demonstrationen, sondern auch auf T-Shirts, Sportschuhen, Wodka-Reklamen und Bikini-Unterteilen Verwendung fand. So frisst der Kapitalismus selbst seine rebellischsten Kinder, könnte man sagen.
Das 1960 vom kubanischen Fotografen Alberto Korda geschossene Bild des «heroischen Guerilleros» mit dem träumerischen Blick wurde vom italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli nach Guevaras Tod verbreitet. Nicht weniger ikonenhaft war eine Fotografie des Leichnams geraten; sie gleicht Gemälden italienischer Maler des aufgebahrten Christus und förderte Guevaras heiligenähnliche Verehrung in Lateinamerika. Heute freilich sind diese Bilder verblasst, und eine Beurteilung, die sich mehr an Fakten und Taten der Person als an deren Wirkung und Ausbeutung orientiert, ist leichter geworden.
Gerafft vorerst die Lebensgeschichte. Geboren 1928 in Rosario, studiert der asthmatische älteste Sohn einer gebildeten und wohlhabenden Familie in Buenos Aires Medizin. Auf Reisen, die er in Tagebüchern dokumentiert, lernt Guevara das soziale Gefälle in Lateinamerika kennen und radikalisiert sich. Auf der Suche nach revolutionärer Betätigung lernt er in Mexiko den exilierten Fidel Castro kennen und folgt diesem Ende 1956 in den Guerillakrieg nach Kuba. Der Arzt bewährt sich auch als Kämpfer und wird der zweite «Comandante» unter Fidel. Nach dem Sturz des Regimes Batista leitet Guevara die Schnellprozesse gegen tatsächliche und vermeintliche Schergen des geflohenen Diktators, die mit mehreren hundert Erschiessungen enden. Als Industrieminister und Zentralbankchef wird er prominentes Regierungsmitglied und schliesst Handelsabkommen mit den Ostblockstaaten.
Der Dogmatiker Guevara wird bald zur Belastung für den pragmatischeren Machtmenschen Castro und dessen Moskauer Geldgeber. 1965 legt er, kaum freiwillig, alle Ämter nieder und reist heimlich nach Kongo, um dort einen Guerillakrieg anzuzetteln. Doch das Unternehmen scheitert kläglich, und nicht anders verläuft ein weiterer Revolutionsanlauf in Bolivien, wo der verwundete und gefangene Che am 9. Oktober 1967 auf Anweisung des Präsidenten erschossen wird. Erst 1997 wird sein Grab entdeckt, seine Überreste werden nach Kuba gebracht und in Santa Clara beigesetzt.
Was bleibt zum Praktiker und Ideologen Guevara zu sagen? Seine militärischen Leistungen in Kuba darf man, wie jene Fidel Castros, nicht überbewerten. Die grösste waren das Überleben des dezimierten Häufleins in der Anfangsphase und dessen Ausbau zu einer schlagkräftigen Guerillatruppe. Zum Sieg beigetragen haben indes auch die politische Opposition in den Städten, der innere Zerfall des Batista-Regimes und die geschickte Propagierung der bärtigen Revolutionäre im Ausland.
Kuba war für Guevaras Ambitionen zu eng. Sein Plan einer revolutionären Weltguerilla blieb indes ein weltfremder Traum. Seinen unbedarften Versuchen, «zwei, drei, viele Vietnams» zu schaffen (den zum Mantra der damaligen radikalen Linken gewordenen Satz prägte er 1967 in seiner letzten Botschaft aus Bolivien), folgte später das erfolgreiche Eingreifen Castros in afrikanische Bürgerkriege mit regulären Truppen. Auch heute verhält sich Kuba wie die verpönten Imperialisten, indem es mit seinen Militärs und Geheimdienstlern das venezolanische Regime an der Macht hält.
Als Wirtschaftspolitiker ohne Fachkenntnisse war Guevara eine fatale Wahl. Er propagierte umfassende Verstaatlichung, zentrale Planwirtschaft und – vergeblich – den Aufbau einer Schwerindustrie. Das Resultat, chronische Mangelwirtschaft, prägt Kuba bis heute. Sie ist nicht allein eine Folge des Exodus der Wirtschaftselite nach der Revolution und des Embargos der USA, sondern weitgehend hausgemacht.
Guevara war bekennender Stalinist. Er trauerte dem 1953 verstorbenen Diktator nach und brüskierte nach der Entstalinisierung seine Gastgeber in Moskau, als er Blumen am Grab des Idols niederlegte. Das Einschwenken der Sowjetunion nach der Kuba-Krise auf die friedliche Koexistenz missfiel ihm zutiefst. Ein britischer Journalist zitierte ihn mit den Worten, Kuba hätte Atomraketen auf die USA abgefeuert, wenn es Kontrolle über die Waffen gehabt hätte.
Hass und Härte durchziehen Äusserungen und Taten dieses verhinderten Weltbrandstifters. Schon als Guerillaführer vollzog er eigenhändig die Exekution von Verrätern. Vor den Vereinten Nationen rechtfertigte er die Rachejustiz der siegreichen Revolution mit den Worten: «Wir haben füsiliert, wir füsilieren, und wir werden weiter füsilieren, solange dies nötig ist.» Das erste kubanische Arbeitslager für politische und soziale Abweichler war seine Schöpfung. In der erwähnten letzten Botschaft aus Bolivien fordert er, die Guerilla müsse «eine effiziente, gewaltsame, selektive und kalte Tötungsmaschine» sein, und phantasiert vom «Kampf inmitten der massakrierten Bauernbevölkerung und in den von fürchterlichen Bombardementen zerstörten Dörfern und Städten».
Diese Faszination von Krieg und Tod passt schlecht zum romantischen Helden in der Tradition Lord Byrons, zu dem Guevara unter anderem stilisiert wurde. Selbst das Opfer für die Sache, dessen er sich selbst rühmte und dem er als Guerillero und als Mitglied der kubanischen Staatsführung mit bescheidenen persönlichen Ansprüchen auch weitgehend nachlebte, hatte am Ende Grenzen. Es wird berichtet, er habe vor seiner Gefangennahme gerufen: «Nicht schiessen! Ich bin Che Guevara und lebendig mehr wert als tot!»
Das «Time»-Magazin mag nachvollziehbare Gründe dafür gehabt haben, Guevara 1999 zu den hundert einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts zu zählen. Jean-Paul Sartres Satz, Che sei «der vollkommenste Mensch unserer Zeit» gewesen, gehört hingegen nicht zu den profunden Erkenntnissen des Philosophen. Biografien über Che, die weder Hagiografie noch bittere Abrechnung sind, gibt es inzwischen reichlich. Guevaras Entmystifizierung erreichte 2007 auch die deutsche Linke, als die Berliner «Tageszeitung» unter dem Titel «Der Marlboro-Mann der Linken» die Schattenseiten des Mannes und seiner postumen Wirkung beschrieb.
Die ernüchternde Kurzbilanz dieses aussergewöhnlichen Lebens muss lauten: Ernesto Guevara hat niemanden wirklich befreit, aber geholfen, einem Volk eine neue, dauerhafte Diktatur aufzuerlegen. Den von reiner sozialistischer Moral geleiteten «neuen Menschen» konnte er aber auch mit Zwang nicht in Massen hervorbringen.