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Che Guevara – der gescheiterte Messias der Weltrevolution | NZZ

Che Guevara – der gescheiterte Messias der Weltrevolution

Vor 50 Jahren fand er den frühen Tod. Die Neue Linke verklärte ihn zur Lichtgestalt. Heute lassen sich Person und Leistung Che Guevaras nüchterner beurteilen.

Peter Gaupp, San José de Costa Rica
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Che Guevara-Anhänger in Kuba halten Bilder des vor 50 Jahren gestorbenen Revolutionärs in die Höhe. (Bild: Alejandro Ernesto / EPA)

Che Guevara-Anhänger in Kuba halten Bilder des vor 50 Jahren gestorbenen Revolutionärs in die Höhe. (Bild: Alejandro Ernesto / EPA)

Es war die Zeit der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt und der Studentenrevolten in Westeuropa und Nordamerika, als ein argentinischer Grossbürgersohn und Genosse Fidel Castros kläglich scheiterte in dem Versuch, in den Anden ein zweites Vietnam zu schaffen. Nach seinem Tod wurde Che Guevara rasch zur Lichtgestalt der Neuen Linken und zum kubanischen Nationalhelden stilisiert. Gleichzeitig verkam er zur Marke ohne urheberrechtlichen Schutz, die nicht nur als Poster in Wohngemeinschaften und Plakat bei Demonstrationen, sondern auch auf T-Shirts, Sportschuhen, Wodka-Reklamen und Bikini-Unterteilen Verwendung fand. So frisst der Kapitalismus selbst seine rebellischsten Kinder, könnte man sagen.

Verblasste Ikone

Das 1960 vom kubanischen Fotografen Alberto Korda geschossene Bild des «heroischen Guerilleros» mit dem träumerischen Blick wurde vom italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli nach Guevaras Tod verbreitet. Nicht weniger ikonenhaft war eine Fotografie des Leichnams geraten; sie gleicht Gemälden italienischer Maler des aufgebahrten Christus und förderte Guevaras heiligenähnliche Verehrung in Lateinamerika. Heute freilich sind diese Bilder verblasst, und eine Beurteilung, die sich mehr an Fakten und Taten der Person als an deren Wirkung und Ausbeutung orientiert, ist leichter geworden.

Gerafft vorerst die Lebensgeschichte. Geboren 1928 in Rosario, studiert der asthmatische älteste Sohn einer gebildeten und wohlhabenden Familie in Buenos Aires Medizin. Auf Reisen, die er in Tagebüchern dokumentiert, lernt Guevara das soziale Gefälle in Lateinamerika kennen und radikalisiert sich. Auf der Suche nach revolutionärer Betätigung lernt er in Mexiko den exilierten Fidel Castro kennen und folgt diesem Ende 1956 in den Guerillakrieg nach Kuba. Der Arzt bewährt sich auch als Kämpfer und wird der zweite «Comandante» unter Fidel. Nach dem Sturz des Regimes Batista leitet Guevara die Schnellprozesse gegen tatsächliche und vermeintliche Schergen des geflohenen Diktators, die mit mehreren hundert Erschiessungen enden. Als Industrieminister und Zentralbankchef wird er prominentes Regierungsmitglied und schliesst Handelsabkommen mit den Ostblockstaaten.

Dilettant und Scharfrichter

Der Dogmatiker Guevara wird bald zur Belastung für den pragmatischeren Machtmenschen Castro und dessen Moskauer Geldgeber. 1965 legt er, kaum freiwillig, alle Ämter nieder und reist heimlich nach Kongo, um dort einen Guerillakrieg anzuzetteln. Doch das Unternehmen scheitert kläglich, und nicht anders verläuft ein weiterer Revolutionsanlauf in Bolivien, wo der verwundete und gefangene Che am 9. Oktober 1967 auf Anweisung des Präsidenten erschossen wird. Erst 1997 wird sein Grab entdeckt, seine Überreste werden nach Kuba gebracht und in Santa Clara beigesetzt.

Was bleibt zum Praktiker und Ideologen Guevara zu sagen? Seine militärischen Leistungen in Kuba darf man, wie jene Fidel Castros, nicht überbewerten. Die grösste waren das Überleben des dezimierten Häufleins in der Anfangsphase und dessen Ausbau zu einer schlagkräftigen Guerillatruppe. Zum Sieg beigetragen haben indes auch die politische Opposition in den Städten, der innere Zerfall des Batista-Regimes und die geschickte Propagierung der bärtigen Revolutionäre im Ausland.

Ernesto Che Guevaras Konterfei ist in Kuba noch immer omnipräsent. Auf der Wand ein Abbild der legendären Fotografie von René Burri. (Bild: Alejandro Ernesto / EPA)
21 Bilder
Ernesto Guevara de la Serna aus dem argentinischen Rosario bereiste als Medizinstudent weite Teile Lateinamerikas. 1954 erlebt Fidel Castro in Guatemala einen von den USA unterstützten Putsch gegen den linksorientierten Präsidenten Jacobo Arbenz Guzmán. Guevara wird dadurch geprägt und sagt dem US-Imperialismus den Kampf an. Das Bild zeigt ihn als etwa 22-jährigen Mann in Argentinien. (Bild: Museo Che Guevara)
1955 lernt er in Mexiko Fidel Castro kennen, der sich auf den Kampf gegen den kubanischen Diktator Fulgencio Batista vorbereitete. ( Bild: Imago)
Zusammen mit Fidel Castro und achtzig weiteren Revolutionären schifft Che Guevara von Mexiko aus nach Kuba, um das Land zu revolutionieren. Fidel Castro (hinten, 2. v. r.) zusammen mit Che (2. v. l.) und weiteren Kampfgenossen im Juni 1957 in Kuba. (Bild: Imago)
Der Anführer der Revolution, Fidel Castro, ernennt Che zum «Commandante»; es ist der höchste Rang in der Truppe. (Bild: EPA).
Die Bewegung wird immer grösser, die Pläne für eine Machtübernahme immer konkreter. Fidel Castro (stehend) und Ernesto Che Guevara besprechen im Herbst 1958 das weitere Vorgehen. (Bild: Keystone)
Am 2. Juni 1959 heiratet Guevara Aleida March. Mit einer amerikanischen Limousine kurven sie am Hochzeitstag vergnügt durch Havanna. (Bild: Familienarchiv / EPA)
Neben Sohn Ernesto (hinten im Bild aus dem Jahr 1965) und Töchterchen Celia gehen aus der Ehe noch zwei weitere Kinder hervor. (Bild: Keystone)
1959 ziehen Castros Truppen in Havanna ein und entmachten den damaligen kubanischen Regierungschef Fulgencio Batista y Zaldívar. Castro ruft eine sozialistische Republik nach sowjetischem Vorbild aus. Mit einer Landreform und der Verstaatlichung von Unternehmen macht er sich die USA zum Feind. (Bild: Imago)
Zusammen mit Fidel Castro (links) formt Che Guevara eine totalitäre Diktatur, Todesurteile werden gefällt und vollstreckt. Oft wurde die Beziehung von Fidel Castro und Che mit der einer Beziehung zwischen Vater und Sohn verglichen. (Bild: EPA)
Im November 1959 wird Che Guevara als Wirtschaftsberater und eigentlicher Ideologe der neuen Regierung zum Leiter der Nationalbank von Kuba ernannt. Das Bild zeigt ihn (3. v. l) neben dem Präsidenten von Kuba, Osvaldo Dorticós, und Fidel Castro (l.) 1960 an einer Parade in Havanna. (Bild: Imago)
Dieses Bild von Che Guevara ging in die Geschichte der Fotografie ein und wurde millionenfach reproduziert. Das Bild entstand am 5. März 1960 in Kubas Hauptstadt Havanna, ein Zufallstreffer des kubanischen Fotografen Alberto Korda. (Bild: Alberto Korda / AP)
1961 wird Guevara zum Wirtschaftsminister ernannt. Unter seiner Führung geht es mit der kubanischen Wirtschaft rasch bergab. Am 11. August 1961 hält er an einer Wirtschaftskonferenz in Uruguay eine Rede. (Bild: Keystone)
Am 11. Dezember 1964 spricht Guevara vor den Vereinten Nationen über die Aussenpolitik der USA und äussert sich zur Frage atomarer Bewaffnung der Nato-Länder und zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. (Bild: AP)
Vertreter aus 122 Ländern beteiligen sich vom 23. März bis 16. Juni 1964 in Genf an der ersten Welthandelskonferenz, um über die Weltwirtschaftsordnung und Probleme der internationalen Märkte und des Handels zu diskutieren. Auch die Delegation von Kuba mit Ernesto Che Guevara diskutierte mit. (Bild: Keystone)
Das Verhältnis zu Fidel Castro kühlt sich zunehmend ab. Anfang 1965 tritt Che aus ungeklärten Gründen von all seinen Ämtern zurück und verzichtet auf die kubanische Staatsbürgerschaft. Das Bild zeigt die beiden im selbigen Jahr noch vereint. (Bild: Imago)
1965 verlässt Che Kuba, um in Kongo eine neue Revolution anzuzetteln. Die Mission scheitert. Nach einem halben Jahr müssen Guevaras Truppen demoralisiert und geschlagen das Land verlassen. (Bild: Imago)
Zusammen mit anderen Guerillakämpfern lässt sich Guevara nach Bolivien einschleusen. Im bolivianischen Dschungel beginnt er mit dem Aufbau eines Guerillalagers. Sowohl die Kommunistische Partei Boliviens als auch die Landbevölkerung verweigert ihm die Unterstützung. – Che posiert im Jahr 1967 mit zwei Kleinkindern auf dem Arm und einem bolivianischen Bauern für eine Foto. (Bild: AP)
In der Nacht des 8. Oktobers 1967 wird Che Guevara bei einem Gefecht mit der bolivianischen Armee bei Higueras verwundet und gefangen genommen. Kurze Zeit später wird er erschossen. (Bild: Felix Rodriguez / AP)
Schliesslich wird der Leichnam am 16. Oktober 1967 in der bolivianischen Kleinstadt Vallegrande aufgebahrt und neugierigen Journalisten präsentiert. Die Bilder gehen um die Welt. (Bild: AP)
50 Jahre später strecken zahlreiche Personen in Santa Clara, Kuba, das bekannte Bild des Fotografen Alberto Korda in die Luft, als Geste der Erinnerung an Che. (Bild: Alejandro Ernesto / EPA) Zum Artikel

Ernesto Che Guevaras Konterfei ist in Kuba noch immer omnipräsent. Auf der Wand ein Abbild der legendären Fotografie von René Burri. (Bild: Alejandro Ernesto / EPA)

Kuba war für Guevaras Ambitionen zu eng. Sein Plan einer revolutionären Weltguerilla blieb indes ein weltfremder Traum. Seinen unbedarften Versuchen, «zwei, drei, viele Vietnams» zu schaffen (den zum Mantra der damaligen radikalen Linken gewordenen Satz prägte er 1967 in seiner letzten Botschaft aus Bolivien), folgte später das erfolgreiche Eingreifen Castros in afrikanische Bürgerkriege mit regulären Truppen. Auch heute verhält sich Kuba wie die verpönten Imperialisten, indem es mit seinen Militärs und Geheimdienstlern das venezolanische Regime an der Macht hält.

Als Wirtschaftspolitiker ohne Fachkenntnisse war Guevara eine fatale Wahl. Er propagierte umfassende Verstaatlichung, zentrale Planwirtschaft und – vergeblich – den Aufbau einer Schwerindustrie. Das Resultat, chronische Mangelwirtschaft, prägt Kuba bis heute. Sie ist nicht allein eine Folge des Exodus der Wirtschaftselite nach der Revolution und des Embargos der USA, sondern weitgehend hausgemacht.

Bekennender Stalinist

Guevara war bekennender Stalinist. Er trauerte dem 1953 verstorbenen Diktator nach und brüskierte nach der Entstalinisierung seine Gastgeber in Moskau, als er Blumen am Grab des Idols niederlegte. Das Einschwenken der Sowjetunion nach der Kuba-Krise auf die friedliche Koexistenz missfiel ihm zutiefst. Ein britischer Journalist zitierte ihn mit den Worten, Kuba hätte Atomraketen auf die USA abgefeuert, wenn es Kontrolle über die Waffen gehabt hätte.

Hass und Härte durchziehen Äusserungen und Taten dieses verhinderten Weltbrandstifters. Schon als Guerillaführer vollzog er eigenhändig die Exekution von Verrätern. Vor den Vereinten Nationen rechtfertigte er die Rachejustiz der siegreichen Revolution mit den Worten: «Wir haben füsiliert, wir füsilieren, und wir werden weiter füsilieren, solange dies nötig ist.» Das erste kubanische Arbeitslager für politische und soziale Abweichler war seine Schöpfung. In der erwähnten letzten Botschaft aus Bolivien fordert er, die Guerilla müsse «eine effiziente, gewaltsame, selektive und kalte Tötungsmaschine» sein, und phantasiert vom «Kampf inmitten der massakrierten Bauernbevölkerung und in den von fürchterlichen Bombardementen zerstörten Dörfern und Städten».

Diese Faszination von Krieg und Tod passt schlecht zum romantischen Helden in der Tradition Lord Byrons, zu dem Guevara unter anderem stilisiert wurde. Selbst das Opfer für die Sache, dessen er sich selbst rühmte und dem er als Guerillero und als Mitglied der kubanischen Staatsführung mit bescheidenen persönlichen Ansprüchen auch weitgehend nachlebte, hatte am Ende Grenzen. Es wird berichtet, er habe vor seiner Gefangennahme gerufen: «Nicht schiessen! Ich bin Che Guevara und lebendig mehr wert als tot!»

Niemandes Befreier

Das «Time»-Magazin mag nachvollziehbare Gründe dafür gehabt haben, Guevara 1999 zu den hundert einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts zu zählen. Jean-Paul Sartres Satz, Che sei «der vollkommenste Mensch unserer Zeit» gewesen, gehört hingegen nicht zu den profunden Erkenntnissen des Philosophen. Biografien über Che, die weder Hagiografie noch bittere Abrechnung sind, gibt es inzwischen reichlich. Guevaras Entmystifizierung erreichte 2007 auch die deutsche Linke, als die Berliner «Tageszeitung» unter dem Titel «Der Marlboro-Mann der Linken» die Schattenseiten des Mannes und seiner postumen Wirkung beschrieb.

Die ernüchternde Kurzbilanz dieses aussergewöhnlichen Lebens muss lauten: Ernesto Guevara hat niemanden wirklich befreit, aber geholfen, einem Volk eine neue, dauerhafte Diktatur aufzuerlegen. Den von reiner sozialistischer Moral geleiteten «neuen Menschen» konnte er aber auch mit Zwang nicht in Massen hervorbringen.