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Kein Ende der Ethno-Politik in Mazedonien | NZZ

Kein Ende der Ethno-Politik in Mazedonien

Inspiriert von Tirana, haben die albanischstämmigen Parteien Mazedoniens den Schulterschluss vollzogen. Das ist ein Rückschlag für die entstehende Bürgergesellschaft.

Andreas Ernst, Belgrad
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Ist der Moment wirklich schon vorbei? Ein paar Monate schien es, als ob Mazedonien sich wenigstens teilweise von der tief verwurzelten Ethno-Politik befreien könnte. Doch die Regierungsbildung nach den Novemberwahlen droht dem ein Ende zu bereiten. Die ethnisch-albanischen Parteien haben sich in Tirana auf ein gemeinsames Programm verpflichtet. Die Volkszugehörigkeit soll die erste politische Kategorie bleiben.

Die Mobilisierung vor den Wahlen hatte einen neuen Trend gezeigt. Man sprach von Recht, Gerechtigkeit und Anstand, auf die der Bürger, egal, ob Mazedonier oder Albaner, einen Anspruch habe. Viele stellten sich die politische Landschaft anders vor: nicht mehr horizontal geschieden in eine mazedonische und eine albanische Sphäre, sondern getrennt in die herrschende Klasse oben und die Bürger unten. Für das Wohlergehen war es entscheidend, ob man zur Klientel der politischen Elite gehörte oder nicht.

Die Voraussetzung für diese neue Konfiguration ist eine tiefe Krise des Systems. Die beiden führenden Parteien – die nationalkonservative mazedonische VMRO und ihr albanischer Juniorpartner DUI – schienen während fast zehn Jahren unangreifbar. Sie kontrollierten die Wirtschaft, die Justiz und die Medien und gewannen jede Wahl. Frustration vieler Bürger über die Arroganz der Mächtigen und kaum spürbare Wohlstandsgewinne verschafften sich vor zwei Jahren Luft, als ein riesiger Abhörskandal aufflog. Er enthüllte, dass die Koalition unter Regierungschef Nikola Gruevski während Jahren Medien und Richter manipulierte, Wahlen fälschte und den Staat zur eigenen Bereicherung und zur Versorgung der Anhänger missbrauchte.

Der Protest dagegen war multiethnisch. Erstmals in der Geschichte des unabhängigen Mazedonien bildeten sich Bewegungen, in denen Mazedonier und Albaner gemeinsam gegen die herrschende Elite kämpften. Die vorgezogenen Neuwahlen führten zu einer kleinen Sensation. Dass die herrschenden Parteien Verluste einfahren würden, war erwartet worden. Aber erstmals gab eine grosse Anzahl albanischer Wähler ihre Stimme den mazedonisch geprägten Sozialdemokraten (SDS) und nicht der DUI, «ihrer» Vertretung in der Regierung. Sie verlor die Hälfte ihrer Wähler. Zwar wurde die VMRO mit 51 Sitzen knapp vor der SDS (49 Sitze) stärkste Partei. Doch die drei albanischen Parteien sind jetzt «Königsmacher». Die Versuchung, diese Position zu nutzen, um auf einen Schlag alle Probleme der albanischen Volksgruppe (zirka 25 Prozent) zu lösen, ist gross. Doch damit könnten die vielversprechenden Experimente mit einer nicht-ethnischen Politik zu einem schnellen Ende kommen.

Der mazedonische Regierungschef Nikola Gruevski: Der Protest gegen ihn war multiethnisch, die Ethnopolitik kehrte jedoch bald darauf zurück. (Bild: Georgi Licovski / EPA)

Der mazedonische Regierungschef Nikola Gruevski: Der Protest gegen ihn war multiethnisch, die Ethnopolitik kehrte jedoch bald darauf zurück. (Bild: Georgi Licovski / EPA)

Es war Edi Rama, der albanische Regierungschef, der Anfang Januar den ethno-politischen Schulterschluss initiierte. Die drei beteiligten Parteien verpflichten sich, nur dann an einer Regierung teilzunehmen, wenn der mazedonische Koalitionspartner einem Forderungskatalog zustimmt und bereit ist, die Verfassung zu ändern. Die albanische Sprache soll als zweite Landessprache anerkannt werden, die Albaner wollen im Namensstreit mit den Griechen mitreden, die wirtschaftliche Gleichberechtigung albanischer Gebiete muss gewährleistet werden, und eine Diskussion um die staatlichen Symbole soll beginnen. Zudem muss die Sonderstaatsanwaltschaft, die gegen die jetzige Regierung ermittelt, unbefristet weiterarbeiten können.

Es ist eine problematische Tradition auf dem Balkan, dass die Minderheiten Rückhalt beim «Mutterland» suchen und dieses sich als Schutzmacht der «Volksgenossen» jenseits der Grenzen gebärdet. Aus demselben Grund pilgern auch die bosnischen Serben und die bosnischen Kroaten nach Belgrad und Zagreb. Doch damit untergraben sie die schwache Legitimität dieser multiethnischen Staaten und ihre eigene Rolle als Staatsbürger. Für die Politiker der Mutterländer aber sind diese Einmischungen willkommen, um sich als Schutzpatrons der Nation aufzuspielen.

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