Strommasten stellen für grosse Vögel wie dem Uhu eine tödliche Gefahr dar. Dabei kann das Problem mit einfachen Mitteln gelöst werden, wie Projekte in Graubünden und im Wallis zeigen.
Der Uhu ist die weltweit grösste Eulenart. Mit einer Flügelspannweite von bis zu 170 Zentimetern haben ausgewachsene Vögel dieser Art nur wenige natürliche Feinde. In freier Wildbahn können die Tiere bis zu 27 Jahre alt werden. Bei den Schweizer Uhus dürfte dies jedoch die Ausnahme sein. Denn zur natürlichen Sterblichkeit kommen Verluste hinzu, die von der Natur nicht vorgesehen sind. Neben Unfällen im Strassen- und Schienenverkehr sind es vor allem Stromtode an Leitungsmasten, die den einheimischen Uhus zu schaffen machen. Als Wartenjäger, der seine Beute von erhöhter Position im Gelände erspäht, nutzt die Eulenart solche Masten gerne für die Ansitzjagd. Dabei wird ihr oftmals ihre Körpergrösse zum Verhängnis. Beim An- oder Abflug kommt es nicht selten vor, dass ein Uhu mit den elektrischen Oberleitungen in Berührung kommt und einen tödlichen Stromschlag erleidet.
Gemäss Untersuchungen der Universität Bern kam von 228 in der Schweiz tot aufgefundenen Uhus rund ein Drittel durch Stromschläge ums Leben. In der Schweiz ist Stromschlag für den Uhu damit die häufigste nicht natürliche Todesursache, wie es in einem Bericht der Schweizerischen Vogelwarte Sempach heisst. Die hohe Unfallmortalität stellt für die Schweizer Uhu-Population eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Wie David Jenny von der Vogelwarte sagt, dürfte sie der Hauptgrund dafür sein, dass der Uhu-Bestand im Schweizer Alpenraum stagniert oder gebietsweise sogar rückläufig ist. Zu diesem Schluss kommt auch eine wissenschaftliche Studie aus dem Kanton Wallis. In den letzten Jahren belief sich der Schweizer Bestand gemäss Vogelwarte auf 100 bis 140 Brutpaare. Die Rote Liste führt die Art als «stark gefährdet» auf.
Prekär ist die Lage für den Uhu im Kanton Wallis. Gemäss dem Magazin «Die Umwelt», das vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) herausgegeben wird, stirbt jeder vierte im Wallis geschlüpfte Uhu frühzeitig. Ähnlich ist die Situation in den Kantonen Tessin und Graubünden. So zeigt eine Studie für das Engadin, dass die Uhu-Bestände dort seit den 1970er Jahren um einen Drittel zurückgegangen sind.
Gemäss dem Bafu wären die Netzbetreiber gesetzlich dazu verpflichtet, Freileitungen «vogelsicher» zu machen. Die eidgenössische Verordnung über elektrische Leitungen schreibt vor, dass, sofern es die örtlichen Gegebenheiten erfordern, auf den Tragwerken von Freileitungen Vorkehrungen getroffen werden, damit Vögel möglichst keine Erd- und Kurzschlüsse einleiten. Bei neu erstellten Freileitungen wird dies auch angewandt. Dort sind ausschliesslich vogelsichere Konstruktionen zulässig. Hingegen ist eine Sanierung bei bereits bestehenden Strommasten nur dann erforderlich, wenn von ihnen «für Mensch und Umwelt eine Gefahr» ausgeht. In der gegenwärtigen Praxis wird allerdings nur dann gehandelt, wenn dem Eidgenössischen Strominspektorat der Fund eines Stromopfers gemeldet wird. Der betroffene Netzbetreiber ist dann aufgefordert, den fraglichen Mast vogelsicher zu machen.
Beim Bafu hält man dieses punktuelle Vorgehen für wenig zielführend. Es hält flächendeckende Sanierungen nach sachlich begründbaren Prioritäten für die bessere Vorgehensweise. Im Auftrag des Bafu hat die Schweizerische Vogelwarte Sempach 2007 deshalb zwölf Regionen identifiziert, in denen mit der Entschärfung von gefährlichen Mittelspannungsmasten begonnen werden soll. Es handelt sich um Gebiete, wo die Stromschlag-gefährdeten Arten Uhu und Weissstorch häufig brüten oder Störche in grosser Zahl durchziehen.
In einigen dieser Regionen ist seither auch etwas geschehen. Im Engadin erstellte die Vogelwarte 2013 in Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern der Engadiner Kraftwerke und Repower ein Inventar der für Vögel gefährlichen Strommasten. Je nach Distanz zu bekannten Uhu-Brutplätzen wurden die Masten in verschiedene Gefährdungskategorien unterteilt. Je näher sie bei einem Nistplatz liegen, desto höhere Priorität haben Sanierungsmassnahmen. Insgesamt 253 Masten führt das Inventar auf. Knapp ein Fünftel wurde inzwischen saniert. Gemäss David Jenny hat sich die Zahl der Stromopfer seither verringert. Mittelfristig werden aber ohnehin rund 1200 Strommasten zwischen Scuol und Zernez im Boden verschwinden. Die Mittelspannungsleitungen auf dieser Strecke werden als Ersatzmassnahme für den Ausbau der Hochspannungsleitung zwischen Scuol und La Punt verkabelt. Ein ähnliches Inventar wie im Engadin wurde 2017 vom Ökobüro Pro Valladas für das Churer Rheintal erstellt. Im Engadin ist die Vogelwarte zudem in Zusammenarbeit mit der Rhätischen Bahn dabei, für den Uhu gefährliche Fahrbahnmasten entlang der RhB-Linien mittels Fotofallen zu identifizieren. Laut Jenny sollen die Aufnahmen Aufschluss darüber geben, wo die Uhus auf den Masten landen. «So können wir die für die Vögel gefährlichen Stellen identifizieren und diese dann gezielt sicherer machen.» Der Bericht dazu wird gegenwärtig erstellt. Danach sollen Sanierungsmassnahmen die ausgewählten Masten vogelsicher machen.
Im Wallis hat die dortige Aussenstelle der Vogelwarte gar ein Inventar gefährlicher Mittelspannungsmasten für den ganzen Kanton erstellt. Gemäss Emmanuel Revaz von der Walliser Aussenstelle umfasst das Inventar rund 1500 Mittelspannungsmasten. Die Karte wurde letztes Jahr von der kantonalen Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere den Netzbetreibern zur Verfügung gestellt. Revaz hofft, dass in Zukunft alle inventarisierten Masten vogelsicher saniert werden. Einige Betreiber seien bereits aktiv geworden.
Gemäss Elisa Salaorni von der Sektion Landschaftsmanagement im Bafu zeigen die Pilotprojekte in Graubünden und im Wallis, «dass eine grossflächige Sanierung der gefährlichen Mittelspannungsmasten für den Vogelschutz möglich ist». Geht es nach dem Bafu, sollen entsprechende Projekte nun auch landesweit in Angriff genommen werden. Konkret sind dazu zwei Pilotprojekte im Rahmen des Aktionsplans zur Strategie Biodiversität Schweiz geplant, der im September 2017 vom Bundesrat verabschiedet wurde. Während das erste Projekt auf die Sanierung von Mittelspannungsmasten zielt, stehen beim zweiten Projekt die Trägermasten der SBB-Fahrleitungen im Fokus. Der Start der Pilotprojekte ist laut Salaorni für das Jahr 2019 vorgesehen.