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Krieg in Israel: wie die Hamas zu ihren Waffen kam

«Vor Gaza werden einzelne Waffenkomponenten nachts ins Meer gelassen und mit einem GPS-Sender versehen. Die Hamas fischt sie auf und setzt sie zusammen»

Iran ist der grösste Waffenlieferant der Hamas. Malaysia bildet Terroristen aus, und selbst die alten Kontakte zu Ägypten sind noch nicht ganz eingeschlafen. Wie die Hamas zu ihren Waffen kam.

Ulrich Schmid, Berlin 5 min
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Ein Mitglied der Hamas zeigt an einer Militärparade eine Rakete. Gaza-Stadt, 14. Dezember 2014

Ein Mitglied der Hamas zeigt an einer Militärparade eine Rakete. Gaza-Stadt, 14. Dezember 2014

Suhaib Salem / Reuters

Wie kann es sein, dass das hochgerüstete Israel und seine findigen Geheimdienste den Überfall der Hamas buchstäblich nicht auf dem Radar hatten? Die Armee, der Mossad, das Raketenabwehrsystem Iron Dome und die Cyber-Tech-Abteilungen: alles Weltspitze. Die Überwachung der Hamas schien allumfassend. An der Grenze zu Gaza wurde mit Hunderten Millionen Dollar sogar ein «Underground Iron Dome» erstellt, ein unterirdisches Abwehrsystem, mit dem neue Tunnel der Hamas entdeckt und zerstört werden sollten.

Die Hamas kann da nicht mithalten. In Gaza hat man jahrelang den «Volksarmee»-Charakter der eigenen Streitkräfte betont, das Einfache, Robuste, die hehre revolutionäre Hemdsärmeligkeit. Von Motorrädern schwärmten die Chefs, von Pick-ups, Hängegleitern, Ballonen, von Kalaschnikows und vom amerikanischen M-16-Sturmgewehr, vor allem aber von einer unglaublich motivierten Bevölkerung, deren Kampfeswille und Opferbereitschaft keine Grenzen kenne.

Alles Lüge. Die Bevölkerung Gazas hält wenig von der Hamas, die sie brutal unterdrückt und ihr alle paar Jahre wieder einen Waffengang aufzwingt, den sie nicht will. Und ganz so volkstümlich simpel wie dargestellt ist die Ausrüstung der Terroristen nicht. Das Gros ihrer Waffen ist einfach, keine Frage. Doch die Zeit ist auch an der Hamas nicht spurlos vorübergegangen.

Jonathan Schanzer von der Foundation for Defense of Democracies in Washington hat in den letzten Jahren israelische Kommandozentralen an der Grenze zu Gaza besucht und spricht von einem eigentlichen «Krieg der Signale». Schon vor zwei Jahren hätten Israeli vermutet, dass die Hamas daran arbeite, mit einer «Überwältigungsstrategie» im Internet, mit einer Flut von Signalen also, das Iron-Dome-System ausser Kraft zu setzen.

Israelische Soldaten trainieren mit Virtual Reality einen Einsatz in Tunnels zwischen dem Gazastreifen und Israel. Armeebasis Petach Tikva, Israel, 26. April 2017

Israelische Soldaten trainieren mit Virtual Reality einen Einsatz in Tunnels zwischen dem Gazastreifen und Israel. Armeebasis Petach Tikva, Israel, 26. April 2017

Rina Castelnuovo / Bloomberg

Cyberangriff soll Verwirrung gestiftet haben

Heute zirkulieren laut Schanzer Gerüchte, nach denen es kurz vor dem Sturm zum Grenzzaun einen Cyberangriff gegeben habe mit dem Ziel, die Israeli abzulenken und zu verwirren. Alle israelischen Kommandoposten sind hochgradig computerisiert. Es sei nicht auszuschliessen, sagt Schanzer, dass sie gestört, in ihrer Wirkung beeinträchtigt oder gar blockiert worden seien. «Aber das ist im Einzelnen alles noch unklar.»

Klar ist hingegen, aus welchen Ländern heraus die Hamas unterstützt wird: aus Iran, Ägypten, Malaysia und der Türkei. Iran ist der wichtigste Verbündete. Der Hass auf den Westen ist stärker als jede konfessionelle Divergenz: Die schiitischen Mullahs liefern der sunnitischen Hamas und den anderen islamistischen bewaffneten Gruppen im Gazastreifen seit Jahren Waffen und helfen bei der Ausbildung der Kämpfer.

Wie viel genau die Islamische Republik dafür aufwendet, ist unklar, Israel spricht von 100 Millionen Dollar pro Jahr. Katar leistet humanitäre Hilfe in grossem Stil, bis heute sollen 1,5 Milliarden Dollar geflossen sein. Dass davon auch Gelder für Waffenkäufe abgezweigt werden, kann man vermuten, beweisen lässt es sich schwer.

Auch in der Türkei befinden sich zahlreiche Hamas-Aktivisten, die Abneigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen Israel ist wohldokumentiert. Die regierungsnahe Sicherheitsfirma Sadat soll der Hamas zudem Waffen und Sprengstoff geliefert haben.

Einst gelangten fast alle Waffen durch Tunnels nach Gaza

Ägypten dagegen ist ins dritte Glied zurückgetreten. Bis zur Machtübernahme von Abdelfatah al-Sisi wurden durch über 1200 Tunnel an der Grenze zu Ägypten Waffen und Raketenkomponenten nach Gaza geschmuggelt, zur Blütezeit wurden hier über 90 Prozent des zivilen Handels abgewickelt. Dann liess Sisi die Grenze schliessen, den ägyptischen Teil der Stadt Rafah dem Erdboden gleichmachen und die Tunnel fluten. Der Diktator sieht in der Hamas, einer Gründung der Muslimbrüder, eine existenzielle Gefahr. Sisi will auch heute keine Flüchtlinge – von arabischer Solidarität keine Spur.

Die israelische Armee beschiesst ein Schiff in der Nähe des Hafens von Gaza-Stadt. 10. Oktober 2023

Die israelische Armee beschiesst ein Schiff in der Nähe des Hafens von Gaza-Stadt. 10. Oktober 2023

Ahmed Zakot / Imago

Seither müssen die Waffen auf alternativen Routen herbeigeführt werden, konkret: übers Meer. Dass es den Israeli so schwerfällt, diesen Nachschubweg lahmzulegen, erstaunt. An sich sollte es nicht allzu schwerfallen, einen 40 Kilometer langen Küstenstreifen lückenlos zu überwachen. Und doch ist es kein Kinderspiel. Grössere Boote werden abgefangen, aber die Schmuggler sind clever. Laut Schanzer lassen sie zu unterschiedlichen Zeiten zerlegte Waffenkomponenten zu Wasser, versehen die Ladung mit einem GPS-Sender und verschwinden. Fischer bergen sie und bringen sie der Hamas.

Kleinere Waffen finden ihren Weg in geringeren Mengen auch heute noch über Ägypten nach Gaza. «Alte Netzwerke», sagt Schanzer. «Die Regierung in Kairo schaut weg.» Es sind vermutlich vor allem Dual-Use-Bauteile und Substanzen, die so geschmuggelt werden. Für sich allein genommen sind sie harmlos, zusammengebaut, werden sie zu Waffen.

Eine Spur führt nach Kuala Lumpur

In Malaysia werden seit 2012 Hamas-Kämpfer für den Cyberkrieg gegen den jüdischen Erzfeind vorbereitet. Sie üben den grenzüberschreitenden Angriff ebenso wie das Kidnappen von Soldaten, Überfälle auf Panzer und Sniper-Einsätze. In Malaysia lernen Aktivisten, wie man Nachrichten verschlüsselt und Firewalls hackt.

Der Mossad glaubt, dass Leute der Hamas von Malaysia aus Waffengeschäfte mit Nordkorea einzufädeln versuchten. Sogar den Einsatz von motorisierten Hängegleitern, ein wichtiger Faktor beim Überfall vor einer Woche, haben die Terroristen in Malaysia trainiert.

Kuala Lumpur und Gaza unterhalten diplomatische Kontakte, 2013 besuchte der damalige malaysische Premierminister Najib Razak den Streifen. 2015 wurde ein 34-jähriger malaysischer Ingenieur bei einem Attentat in Kuala Lumpur getötet. Er war Hamas-Mitglied und arbeitete an der Herstellung von Drohnen und Raketen. Der Gedanke, dass hier der Mossad seine Finger im Spiel hatte, liegt nahe.

Die Hamas stellt Waffen in unterirdischen Fabriken her. Abschuss einer Rakete aus Gaza-Stadt am 7. Oktober 2023.

Die Hamas stellt Waffen in unterirdischen Fabriken her. Abschuss einer Rakete aus Gaza-Stadt am 7. Oktober 2023.

Ibraheem Abu Mustafa / Reuters

Wie viele Waffen die Hamas genau besitzt, weiss niemand. Spezialisten sprechen von rund 15 000 Raketen, von denen nun ein beträchtlicher Teil verschossen sein dürfte. Mit dem Arsenal des Hizbullah kann die Hamas nicht mithalten, die schiitische Miliz in Libanon verfügt über zehnmal so viele Raketen.

Das Prunkstück der Hamas sind sicher die Kassem-Boden-Boden-Raketen, benannt nach einem Kleriker, der zur Mandatszeit die Briten bekämpfte. Sie haben eine Reichweite von bis zu 16 Kilometern, sind also vor allem für die Kibbuzim, also die ländlichen Siedlungen in Israel, eine Gefahr. Grad-Raketen, entwickelt noch in der Sowjetunion, haben ebenfalls zuhauf ihren Weg nach Gaza gefunden. Sie fliegen maximal 55 Kilometer, können also Tod und Verderben über die Grossstädte Ashdod und Beer Sheva bringen.

Unterirdische Waffenfabriken

Von entscheidender Bedeutung aber ist die Fajr («Morgendämmerung»), eine aus iranischer Produktion stammende Artillerierakete, die ihrerseits wieder auf eine chinesische Entwicklung zurückgeht. Die grössten Modelle der Fajr haben eine Reichweite von 200 Kilometern, decken also einen Grossteil des israelischen Territoriums ab und können grosse Agglomerationen und Industriezentren wie Tel Aviv und Haifa treffen.

Doch lange nicht alle Waffen der Hamas kommen aus dem Ausland. Der grösste Teil wird in Anlagen im Gazastreifen selber hergestellt, die allesamt mit iranischem Know-how aufgebaut wurden. Diese meist unterirdischen Fabriken und Manufakturen sind genau wie die riesigen unterirdischen Waffenlager seit je ein Hauptziel israelischer Luftangriffe.

Ein Hamas-Mitglied bewacht einen Tunnel im Gaza-Streifen. 18. Mai 2022

Ein Hamas-Mitglied bewacht einen Tunnel im Gaza-Streifen. 18. Mai 2022

Imago/Dawoud Abo Alkas / Imago

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