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Vail Resorts: Andermatt und Crans-Montana sollen nicht amerikanisiert werden
Interview

«Eine Amerikanisierung der Skigebiete wäre ein Scheitern»: Für Vail Resorts muss die Schweiz Heidiland bleiben

Mike Goar treibt für den amerikanischen Skigiganten die Entwicklung von Andermatt und Crans-Montana voran. Vail Resorts möchte in den Alpen weitere Gebiete kaufen – die Schweiz soll nur der Anfang sein.

Andri Nay, Benjamin Triebe, Andermatt 7 min
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Andermatt und Crans-Montana könnten hochprofitabel sein, sagt Mike Goar.

Andermatt und Crans-Montana könnten hochprofitabel sein, sagt Mike Goar.

Jean-Christophe Bott / Keystone

Herr Goar, Sie haben einige Jahrzehnte in den grössten Skigebieten der USA gearbeitet. Jetzt leben Sie hier in Andermatt, einem der abgelegensten Orte der Schweiz. Fragen Sie sich nicht manchmal, was schiefgelaufen ist?

Im Gegenteil. Ich habe mir nie träumen lassen, dass ein amerikanischer Manager einmal die Chance erhält, ein Schweizer Skigebiet zu leiten. Das hat mich immer fasziniert, denn Europa war der herausragendste Ort, an dem ich je Ski gefahren bin. In der Schweiz stand ich sogar zum allerersten Mal auf Ski in Europa, deshalb habe ich daran die besten Erinnerungen. Das war in Saas-Fee. Und nebenbei: Andermatt ist die am zentralsten gelegene Destination der grossen Schweizer Bergregionen.

Durften Sie mitreden, als Vail Resorts entschied, im Jahr 2022 als erste Bergbahn in Europa jene in Andermatt zu kaufen, also in der Schweiz?

Nein. Aber es war auch nicht das Ziel, dezidiert in der Schweiz zu kaufen. Viele Jahre lang hatten wir die Absicht, in Europa zu expandieren. Aber das hätte auch in Frankreich, Österreich oder Italien sein können. Es hat sich halt so ergeben. Das Gleiche gilt für Crans-Montana. Die Möglichkeit war da. Und so wird es auch beim dritten oder vierten Zukauf sein. Das Land ist kein primäres Kriterium.

Wie wichtig ist die Expansion in Europa für Vail Resorts?

Im Moment geniesst sie eine sehr hohe Priorität. Für die Strategie, die Zukunft und das Wachstum der Firma ist Europa zentral.

Nachdem jetzt der Kauf von Crans-Montana vollzogen ist, welche Übernahmeziele schauen Sie sich als Nächstes an?

Es wird Sie nicht überraschen, dass ich das nicht sagen werde.

Einen möglichen Hinweis haben Sie uns gegeben: Saas-Fee.

Dazu kann ich nur sagen, dass dieses Gebiet meines Wissens nicht zum Verkauf steht.

Anders gefragt: Welche Art von Skigebiet passt zu Vail Resorts?

Allgemein gesagt sollte es ein mittelgrosses oder grosses Gebiet sein, von dem wir glauben, dass es Wachstumspotenzial hat. Bei Crans-Montana sehen wir zum Beispiel die Chancen, an den Glanz vergangener Tage anzuknüpfen. Kleine Gebiete schauen wir uns eigentlich nicht oft an. Oder wenn, dann müssen dort die Wachstumschancen besonders gross sein.

Welches Potenzial sehen Sie überhaupt in Europa? Skifahren ist ein schrumpfender Markt, aber Sie steigen ein.

Wir sehen es gar nicht als schrumpfenden Markt. Man hört ähnliche Klagen aus Nordamerika, aber dort werden wir in diesem Geschäftsjahr (Anm.: per Ende Juli) einen Besucherrekord verzeichnen. Wichtig ist, dass Skifahren zugänglich und bezahlbar ist. Auch für junge Menschen und Familien, sonst wird es langfristig nicht funktionieren. In unseren Gebieten haben wir gezeigt, dass das gelingen kann.

Sie spielen auf den Epic Pass an, den Saisonpass von Vail Resorts.

Der Epic Pass ist das Fundament unseres Unternehmens. Mit ihm hat man vollen Zugang zu unseren 42 Skigebieten und begrenzten Zugang zu anderen Resorts in Japan und Europa. Er kostet derzeit unter 1000 Dollar und bietet auch Nachlässe in Restaurants, Geschäften und beim Verleih. Wir verkaufen weltweit pro Jahr fast 2,5 Millionen dieser Pässe. Er ist auch in Europa erhältlich.

Um die Saisonpässe attraktiv zu machen, ist der Preis für Tagespässe in den USA extrem hoch. Werden Sie dieses amerikanische System in der Schweiz etablieren?

Nein. Tageskarten zu ähnlichen Preisen würden hier nicht funktionieren. Preise hängen immer vom lokalen Umfeld ab. Unser Tagesskipass muss gegenüber den Tickets anderer Skigebiete in der Schweiz wettbewerbsfähig sein. In Andermatt werden wir kommenden Winter den Preis von unserem teuersten Tagesticket bei 89 Franken konstant halten. Bei Crans-Montana laufen noch die Gespräche.

Hat der Epic Pass mehr amerikanische Gäste nach Andermatt gebracht?

Viel mehr. Amerikanische Skifahrer träumen von Ferien in den Alpen. Die Berge hier sind sehr besonders. Natürlich gibt es in Nordamerika ähnliche Gebiete mit grossen Bergen, etwa Whistler in British Columbia. Mit echten Gipfeln und Gletschern. Aber das kann man nicht mit den Schweizer Alpen vergleichen. Ausserdem ist das Fahren oberhalb der Baumgrenze einzigartig. In den USA bleibt man immer unter der Baumgrenze. Hinzu kommt die Gastronomie. Es geht amerikanischen Gästen um die Gesamterfahrung.

Winterszene in Andermatt: Die amerikanischen Gäste möchten die Vielfalt der alpinen Dörfer erleben, sagt Goar.

Winterszene in Andermatt: Die amerikanischen Gäste möchten die Vielfalt der alpinen Dörfer erleben, sagt Goar.

Urs Flüeler / Keystone

Möchten Sie deswegen das ganze Paket am Berg anbieten, inklusive Restaurants?

Ja. Es geht darum, dieses Erlebnis für die Gäste bestmöglich garantieren zu können. Man muss aber das Gleichgewicht wahren. Die Gäste wollen auch Abwechslung, Unterschiede, kleine Geschäfte, andere Restaurants. Sie möchten die Vielfalt der alpinen Dörfer erleben.

Es soll weiterhin Wettbewerb am Berg geben?

Natürlich. Unser Geschäftsmodell basiert auf der vertikalen Integration, auf Besitz und Betrieb von Detailhandel, Skiverleih, Restaurants, Skischulen und eben den Bergbahnen. Wir wollen davon so viel betreiben, dass sich damit gut wirtschaften lässt. Aber wir sind nicht daran interessiert, alles zu besitzen. Das reduziert die Vielfalt und damit das Erlebnis für den Gast.

Ihr Ziel war, dass Andermatt im vergangenen Winter zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Gewinn erwirtschaftet. Hat das geklappt?

Wir hatten einen kleinen Gewinn. Unser Geschäftsjahr ist noch nicht vorbei, deshalb kann ich keine Details nennen. Aber wir haben das durch die gestiegene Zahl an Gästen erreicht, auch aus Amerika. Und auch die neuen Appartements bringen uns mehr Gäste.

Crans-Montana verbuchte noch einen Verlust?

Ja. Ich bin optimistisch, dass wir auch in Crans-Montana bald schwarze Zahlen schreiben. Aber wahrscheinlich noch nicht nächsten Winter. Doch das Gebiet ist an der Schwelle, profitabel zu werden. Wenn wir wie erwartet wachsen, werden Andermatt und auch Crans-Montana hochprofitabel sein.

Wie viel hat Vail Resorts bereits in Andermatt investiert, und wie viel kommt noch?

In Andermatt werden wir insgesamt 110 Millionen Franken investieren. Davon sind bereits 20 Millionen Franken ausgegeben. Das meiste floss in die künstliche Beschneiung, die Technik und die Gastronomie. Wir werden auch zwei alte Sessellifte ersetzen. Insgesamt sind die Lifte aber recht modern.

Was ist in Crans-Montana geplant?

Dort werden wir 30 Millionen Franken investieren. Hauptsächlich ebenfalls in die Beschneiungsanlagen. Auch müssen ein paar Gebäude und Restaurants aufgefrischt werden. Dort sind die Skilifte auch älter als in Andermatt. Möglicherweise werden wir später für die Lifte mehr tun müssen. Die jetzigen Summen sind sicher nicht das Ende.

Wie wichtig ist für Sie das Sommergeschäft?

Unser Fokus liegt hauptsächlich auf dem Winter. In der Sommersaison zu wachsen, ist sehr schwierig, übrigens auch in den USA. Crans-Montana ist bereits besser für den Sommer aufgestellt als Andermatt. Zum Beispiel durch grosse Veranstaltungen. Das Niveau wollen wir halten und ausbauen. In Andermatt arbeiten wir an einem Masterplan für den Sommer. Das braucht aber Zeit.

Wieso dauert das?

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Ich habe in Andermatt Meinungen eingeholt zum Ausbau von unserem Mountainbiking-Angebot. Das Feedback war eher indifferent. Einige Bauern wollen keine Mountainbiker. Und wir arbeiten mit den Bauern zusammen, weil wir auf ihrem Land Ski fahren und sie ihre Kühe auf unserem Land weiden lassen. Da gilt es, Kompromisse zu finden.

Solche Probleme haben Sie in den USA wohl nicht.

Haben wir sehr wohl. Sie sind sogar sehr ähnlich. Als ich das Park City Mountain Resort in Utah führte, war einer unserer wichtigsten Partner ein Hirte, der seine Schafe auf einem grossen Teil des Berges weiden liess. Manchmal konnten wir die Strassen nicht nutzen oder nicht mit der Beschneiung anfangen, weil er seine Schafe noch nicht abziehen wollte.

Wie gehen Sie in der Schweiz auf die Dorfbevölkerung zu?

Als wir herkamen, nahmen wir uns vor, zuzuhören und zu lernen. Wir treiben Veränderungen nur langsam voran, weil wir verstehen möchten, wie das Geschäft hier in der Schweiz funktioniert. Danach wollen wir uns richten. Auch wenn das bedeutet, dass wir langsamer vorankommen, als wir es sonst anstreben würden.

Also müssen die Schweizer keine Amerikanisierung ihrer Skigebiete fürchten?

Nein. Wir arbeiten sehr hart, um genau das nicht zu tun. Das wäre ein Scheitern. Wir möchten nichts anbieten, was wie eine nordamerikanische Erfahrung am Berg wahrgenommen werden könnte – was immer das sein mag. Wir möchten auch nicht, dass die Menschen denken, wir wollten ihre Kultur oder ihren Lebensstil verändern. Wir wollen die Vielfalt beibehalten.

Herr Goar, Sie zählen jetzt 65 Jahre und könnten sich pensionieren lassen. Wie lange werden Sie diesen Job denn machen?

In einem Monat werde ich 66 Jahre alt. Aber ich habe nicht vor, in den Ruhestand zu gehen. Meiner Frau Heidi und mir gefällt es sehr gut in der Schweiz. Sie ist übrigens Amerikanerin, der Vorname ist Zufall. Vor vielen Jahren, als wir die Schweiz besuchten, fuhren wir an einem Schild vorbei, auf dem «Heidiland» stand – das war nahe Maienfeld in Graubünden. Als ich Heidi dann später fragte, ob sie mit mir in die Schweiz ziehen wolle, sagte sie: «Wirklich? Ich kann endlich im Heidiland wohnen?»

Ein Leben für die Berge

bet. · Der Amerikaner Mike Goar ist der Statthalter von Vail Resorts in der Schweiz und jetzt auch für die Entwicklung der Bergbahnen von Crans-Montana zuständig. Nach Abschluss der Übernahme Anfang Mai hält Vail Resorts 84 Prozent an der Gesellschaft. Schon im Sommer 2022 erwarb der weltgrösste Skigebietsbetreiber 55 Prozent an den Bergbahnen in Andermatt-Sedrun vom ägyptischen Investor Samih Sawiris. Goar blickt auf mehr als vierzig Jahre Berufserfahrung in der Branche zurück und leitete unter anderem Park City Mountain in Utah, das grösste Skigebiet der USA.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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