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Die Jäger und Sammler der Steinzeit assen nicht nur Fleisch

Von wegen Fleischberge in der Paläo-Diät: Auch Jäger und Sammler ernährten sich schon zu einem guten Teil von Pflanzen

Vor 15 000 Jahren waren kohlenhydratreiche Wildpflanzen mehr als gelegentliche Beilage. Diese Erkenntnis haben Archäologen nicht aus Pflanzenresten gewonnen, sondern aus den Skeletten von Menschen.

Esther Widmann 4 min
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In der Höhle von Taforalt in Marokko wurden vor 15 000 Jahren Menschen bestattet, die neben Fleisch auch viel pflanzliche Kost zu sich nahmen.

In der Höhle von Taforalt in Marokko wurden vor 15 000 Jahren Menschen bestattet, die neben Fleisch auch viel pflanzliche Kost zu sich nahmen.

Wikimedia (CC0 1.0)

Sinnvolle Sätze, in denen die Wörter «Ananas» und «Steinzeit» vorkommen, sind rar. Einer wäre: Ananas und Steinzeit haben gemeinsam, dass nach ihnen jeweils eine Diät benannt ist.

Die Ananas-Diät soll wirken, weil die Frucht angeblich schlank machende Enzyme enthält. Während ausschliesslich Ananas zu essen, kein Mensch länger als ein paar Tage durchhält, ist die Steinzeit-Diät eine längerfristige Umstellung. Sie wird auch Paläo-Ernährung genannt und beruht auf der These, dass der menschliche Verdauungstrakt zu einem nicht näher definierten Zeitpunkt in der Altsteinzeit, also irgendwann vor zwischen grob 2 Millionen und 10 000 Jahren, quasi stehengeblieben ist.

Artgerecht soll deshalb nur die Kost sein, die es damals schon gab. In den einschlägigen Anleitungen ist vor allem von viel Fleisch die Rede und keinesfalls von Kohlenhydraten aus Pflanzen. Diese soll die Menschheit nämlich erst mit der Landwirtschaft entdeckt haben. Das habe dann auch in verdauungsapparatlicher Hinsicht das Ende des Paradieses eingeläutet.

Doch nun haben Wissenschafter Hinweise darauf gefunden, dass auch Jäger und Sammler schon in grossem Umfang auf pflanzliche Kohlenhydrate setzten. Zineb Moubtahij vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und eine internationale Gruppe von Kollegen haben etwa 15 000 Jahre alte menschliche Überreste aus Taforalt im heutigen Marokko untersucht. Anhand der chemischen Zusammensetzung der Knochen und Zähne ziehen sie Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten der Menschen, und die waren gar nicht so fleischlastig: Etwa 50 Prozent ihres Kalorienbedarfs deckten die steinzeitlichen Höhlennutzer durch Pflanzen. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschafter in der Zeitschrift «Nature Ecology & Evolution» publiziert.

Pflanzenreste werden auf Ausgrabungen schnell übersehen

Der Fundort Taforalt, auch Grotte des Pigeons genannt, ist eine auf 750 Meter liegende Höhle in Marokko. Ihre archäologische Bedeutung wurde im Jahr 1908 entdeckt; seitdem fanden mehrere Ausgrabungen statt. Der Ort gilt als älteste Begräbnisstätte Nordafrikas: Hier wurden vor etwa 15 000 Jahren mindestens 34 Individuen jeden Alters bestattet.

Zu dieser Zeit lebten die Menschen als Jäger und Sammler. Das Wissen über ihre Ernährung beruhte bis vor kurzem vor allem auf Tierknochen, die in der Höhle gefunden wurden. Im Fall von Taforalt waren das vor allem Mähnenspringer, die aussehen wie eine Mischung aus Schaf und Ziege. Auf Pflanzenreste wurde bei Ausgrabungen früher einfach nicht geachtet. Sie sind viel kleiner als Knochen und leicht zu übersehen; um sie zu sammeln, muss man die Erde sieben oder sogar mit viel Wasser versetzt filtern.

Archäologen wissen zwar, dass das, was sie finden, niemals ein vollständiges Bild der Vergangenheit ist. Trotzdem prägt das vorhandene Fundmaterial die Interpretation. Aus den Tierknochen mit Schnittspuren entstand das Bild einer von Fleisch dominierten Ernährung in der Altsteinzeit.

Zwar sind auch in Taforalt inzwischen Pflanzenreste gefunden worden; unklar war aber, welche Rolle die Pflanze für die Menschen spielte.

Isotopenanalysen geben Auskunft über die Essgewohnheiten

Deshalb nutzten Moubtahij und ihre Kollegen relativ neue naturwissenschaftliche Methoden. Sie bringen Informationen hervor, die im sonstigen Fundmaterial nicht sichtbar sind. Dazu gehört neben DNA-Analysen auch die Untersuchung bestimmter chemischer Merkmale: Isotope, also Varianten eines chemischen Elements, reichern sich über die Nahrung im Laufe des Lebens in Knochen und Zähnen an.

Die Wissenschafter schauten sich die Isotope von Strontium, Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und Zink an. Um Vergleichswerte zu bekommen, analysierten sie auch die Skelette von wilden Tieren, die ebenfalls in Taforalt gefunden wurden. Das Ergebnis: Pflanzen nahmen im Speiseplan eine prominente Rolle ein. Bei einem im Kleinkindalter verstorbenen Individuum liess sich sogar feststellen, dass es schon im Alter von unter einem Jahr abgestillt und statt mit Milch mit Pflanzenkost gefüttert wurde.

Das passt auch dazu, dass Wissenschafter schon vor mehreren Jahren an sehr vielen Zähnen, die in Taforalt gefunden wurden, Karies festgestellt haben – ein sicheres Zeichen für den regelmässigen Konsum kohlenhydratreicher Nahrungsmittel. Infrage kommen hier wohl Eicheln, Pinienkerne und Hülsenfrüchte.

Im Vorderen Orient entstand zur gleichen Zeit die Landwirtschaft

Die Archäologen verglichen ihre Erkenntnisse mit der Entwicklung im Vorderen Orient. Im heutigen Jordanien, Israel und in Nachbargebieten fingen die Menschen vor etwa 14 600 Jahren ebenfalls an, vermehrt Wildpflanzen zu nutzen.

Als Ursache nimmt man an, dass damals aus verschiedenen Gründen die Bestände an potenzieller Jagdbeute stark zurückgingen. Gleichzeitig wurde die Gegend durch die schnelle Erwärmung des Klimas nach dem Ende der Eiszeit grüner, damit gab es auch mehr essbare Pflanzen.

Vor etwa 11 000 Jahren verschlechterte sich das Klima, es waren weniger wilde Pflanzen verfügbar. Und so begannen die Menschen im Vorderen Orient, die Pflanzen bewusst zu kultivieren. Es war der Beginn des Neolithikums, der Jungsteinzeit, in der sich Ackerbau, Viehzucht, Keramik und Sesshaftigkeit etablierten.

In Nordwestafrika hingegen zogen die Menschen von Taforalt trotz ihrer Vorliebe für pflanzliche Kost noch mehrere Jahrtausende länger als Jäger und Sammler umher. Das Neolithikum mit der Landwirtschaft kam erst viel später in dieser Gegend an, vor etwa 7600 Jahren – und zwar durch Einwanderer, wie genetische Studien gezeigt haben. Der letzte Abschnitt der Steinzeit verlief nicht überall gleich – aber ausser in Mittel- und Südamerika immer ohne Ananas.

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