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Israel schaltet Al Jazeera ab: Wer steht hinter dem arabischen Fernsehsender? | STERN.de
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Nahost-Krieg Israel schaltet Al Jazeera ab: Wer steht hinter dem arabischen Fernsehsender?

Al-Jazeera berichtet häufig aus dem Gazastreifen – nun hat Israel den Sender im eigenen Land geschlossen
Al Jazeera berichtet häufig aus dem Gazastreifen – nun hat Israel den Sender im eigenen Land geschlossen
© NurPhoto / Imago Images
Al Jazeera wurde das "CNN des Nahen Ostens" genannt: Der arabische Sender ist mit vielen Reportern vor Ort und nah am Geschehen. Auch in Israel und im Gazastreifen. Doch immer wieder wird Kritik an der Berichterstattung laut.

Mitten im Gaza-Krieg hat die israelische Regierung eine Stimme der arabischen Region aus- und den Sender Al Jazeera abgeschaltet. Das Medium hat seinen Sitz in Katar und ist eines der wenigen Medienhäuser, das noch eigene Reporterinnen und Reporter vor Ort im Gazastreifen hat. 

Israel wirft dem Sender Hetze vor: "Al-Jazeera-Korrespondenten haben der Sicherheit Israels geschadet und gegen israelische Soldaten gehetzt", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Es sei an der Zeit, "das Sprachrohr der Hamas aus dem Land zu werfen". Der Sender verurteilte die Entscheidung und kündigte an, gegen den Schritt vorzugehen.

Wer steckt hinter Al Jazeera?

Al Jazeera wurde 1996 in der katarischen Hauptstadt Doha gegründet und galt als einer der ersten arabischen TV-Sender, der auch kritische Beiträge über die Region veröffentlichte. Berichtet wird auf englisch und arabisch, die dazugehörigen Redaktionen sind getrennt und arbeiten unabhängig voneinander. Bis heute befindet sich der Fernsehsender im Privatbesitz der Herrscherfamilie Al Thani.

Trotzdem waren unabhängige Berichte möglich, Journalistinnen und Journalisten sind vielfach preisgekrönt. Al Jazeera ist dort, wo es brennt. Die Nähe und die kritischen Beiträge sorgten für eine schnell wachsende Beliebtheit in der arabischen Welt. Auch füllte der Sender damals eine Lücke, die westliche Medien hinterlassen haben, so Kommunikationswissenschaftlerin Carola Richter. Richter lehrt an der Freien Universität in Berlin und sagte im Januar dem Deutschlandfunk: "Al Jazeera steht auch für eine informationelle Selbstbestimmung. Wenn wir vom globalen Süden hören, geht es meist um Kriege, Katastrophen und Krankheiten. Wir wissen viel zu wenig darüber und es sind auch kaum Korrespondentinnen und Korrespondenten dort stationiert."

Doch die Kritik scheint Grenzen zu haben, sobald es an die Financiers geht. "Bei Al Jazeera kann man vieles machen, aber sicher nicht die Herrscher­familie kritisieren", sagt der Politikwissenschaftler Asiem El Difraoui der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Katar selbst ist einer der wichtigsten finanziellen Unterstützer der Hamas, in Doha leben mehrere Spitzenvertreter. Gleichzeitig ist Katar ein wichtiger Vermittler zwischen Israel und der Hamas.

Israels Regierung diskutiert seit Monaten über den Sender

Kontrovers ist deshalb auch die Berichterstattung zum aktuellen Konflikt. "Das Prinzip Meinung und Gegenmeinung wird (bei Al Jazeera. d.Red.) stark herausgestellt", sagte Richter dem Deutschlandfunk. Al Jazeera zeigt eindrückliche Bilder aus dem Gazastreifen, die im israelischen Fernsehen weniger präsent sind. Live werden aber auch Hamas-Führer interviewt, die Terroristen des Massakers am 7. Oktober teils als "Befreiungskämpfer" bezeichnet. Auch die Muslimbruderschaft – deren Ableger hierzulande vom Verfassungsschutz beobachtet werden – hat eine eigene Fraktion im Sender.

Wenn die israelische Armee es zulässt, sprechen Journalisten jedoch auch mit Armeeangehörigen. Zudem war Al Jazeera Ende der 90er Jahre der erste arabische Sender, der über Israel berichtet hat – auf hebräisch.

Die Schließung von Al Jazeera war in Israel seit Wochen im Gespräch. Die Grundlage ist ein Gesetz, dass die Knesset bereits Anfang April mit breiter Mehrheit verabschiedet hat. Es ermöglicht nicht nur ein Sendeverbot für Inhalte ausländischer Sender, wenn diese als Risiko für die Staatssicherheit eingestuft werden, sondern auch die Schließung ihrer Büros in Israel. So traf es Al Jazeera nun. Die Polizei durchsuchte das Büro im Hotel Ambassador in Ost-Jerusalem; die verbliebene Ausrüstung wurde israelischen Medienberichten zufolge beschlagnahmt. Am selben Tag wurde der Sender in Israel abgeschaltet. 

Die Vorwürfe der Voreingenommenheit wies der Sender zurück. "Das Al-Jazeera-Medien-Netzwerk verurteilt diesen kriminellen Akt aufs Schärfste, der die Menschenrechte und das grundlegende Recht auf Zugang zu Informationen verletzt", teilte der Sender mit. Man werde mit allen Mitteln gegen den Schritt vorgehen und die Rechte des Senders sowie der Mitarbeiter verteidigen.

Die Entscheidung sorgt für breite Kritik. Die Foreign Press Association erklärte, Israel habe sich "einem zweifelhaften Club autoritärer Regierungen" angeschlossen, die den Sender verboten haben. Auch die USA, ein enger Verbündeter Israels, äußerten sich kritisch. Ein Sprecher des Washingtoner Außenministeriums sagte, man unterstütze die freie Presse überall auf der Welt. Und ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte bereits im April: "Eine freie und vielfältige Presselandschaft ist Grundpfeiler einer liberalen Demokratie."

Andere Stimmen in Israel kritisierten nicht die grundsätzliche Entscheidung, jedoch den Zeitpunkt. Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz sprach als Mitglied des Kriegskabinetts von einem "schrecklichen Timing", das einen möglichen Geisel-Deal und die Waffenruhe im Gazastreifen gefährden könnte.

Quellen:Al Jazeera, Deutschlandfunk, Amnesty International, FAZ, mit DPA und AFP

mkb

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