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Lauschangriff auf Firmennetze | Telepolis

Lauschangriff auf Firmennetze

Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz (TKG)

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Am Donnerstag, dem 30. Oktober wurden mit der Verabschiedung des Begleitgesetzes zum Telekommunikationsgesetz (TKG) im Deutschen Bundestag die Überwachungsmöglichkeiten drastisch erweitert und damit der Ausverkauf der Privatsphäre eingeläutet. Im Zuge der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte wird nun auch das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses auf dem Altar der "Inneren Sicherheit" geopfert.

Nach einer nur halbstündigen Beratung wurde das TK-Begleitgesetz verabschiedet. Dem Überwachungseinsatz in internen Firmennetzen steht damit nichts mehr im Wege.

Das damit geänderte G-10-Gesetz wird künftig alle "geschäftsmäßigen Erbringer von Telekommunikationsdiensten" zur Mitwirkung an Überwachungsmaßnahmen verpflichten. Jeder Verein, jedes kleine Unternehmen, Hotel, Krankenhaus, sogar Kneipen, die Mitarbeitern oder Gästen das Telefonieren gegen Geld erlauben, sind davon betroffen. Der Forschungs- und postpolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Manuel Kiper befürchtet sogar, daß selbst jede Wohngemeinschaft, die am Monatsende ihre Telefonrechnung abrechnet, "geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste" erbringt und somit zur Überwachung verpflichtet werden kann.

Die Betroffenen müssen auf eigene Kosten die technischen Überwachungseinrichtungen einbauen. Überwacht wird die Umsetzung der Gesetzesvorschriften von der Regulierungsbehörde, einer Nachfolgeorganisation der Postbehörde. Sie verfügt über umfassende Vollmachten: Sie kann Geschäfts- und Betriebsräume betreten sowie "geeignete Maßnahmen" treffen. Sie kann den Betrieb einer Anlage oder das Erbringen einer Dienstleistung ganz oder teilweise untersagen. Bis zu drei Millionen Mark Zwangsgelder kann sie festsetzen. Zwar behält sich die Bundesregierung vor, einige Ausnahmen festzulegen, am Grundsatz der Spitzelpflicht ändert das jedoch nichts.

Mit der Liberalisierung der Telekommunikation sahen Strafverfolgungsbehörden die gesetzlich eingeräumten Abhörbefugnisse schwinden. Bis zur Verabschiedung des Telekommunikationsgesetzes im Juni letzten Jahres konnten sie im Bedarfsfall nur auf die Telefonanlagen der Deutschen Telekom, ehemals Deutsche Bundespost, zurückgreifen. Ab Januar 1998 wird dies jedoch anders. Dann müssen auch private Netzbetreiber technische Überwachungsschnittstellen vorhalten. Damit wird jedoch nicht nur die öffentliche Telekommunikation erfaßt, sondern auch die Telekommunikation in privaten Netzen. Dies war bislang auch unter alten Bundespostbedingungen nicht möglich.

Im TKG (§90) war bislang allein die Abrufung von Bestandsdaten aus der Kundendatei der Anbieter möglich gewesen. Auch alle sonstigen Vertragsdaten können laut §89,6 TKG von der Regulierungsbehörde abgerufen werden, ohne daß der Telekommunikationsanbieter von diesen Vorgängen Kenntnis nehmen darf. Die Regulierungsbehörde leitet dann die abgerufenen Daten an die jeweils anfragende Stelle bei den Sicherheitsbehörden weiter. Mit dem Begleitgesetz werden entscheidende Erweiterungen im G10-Gesetz, im Fernmeldeanlagengesetz (FAG §12) als auch in der Strafprozeßordnung (§99, §100) eingeführt. Demnach können nun auch interne Netze nicht nur nach Bestandsdaten, sondern auch nach Verbindungsdaten und in schweren Fällen sogar nach Kommunikatonsinhalten abgefragt werden.

Das eigentliche Ziel der Bundesregierung ist die Bekämpfung der "white-collar"-Kriminalität in Industrie und Handel. Jedoch profitiert nicht das BKA allein von dem Gesetzesupdate. Vor allem Bundesnachrichtendienst und Zollkriminalamt hatten auf eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen gedrängt. Nach dem Zusammenbruch der alten Ost-West-Gegensätze beschäftigen sich die politisch etwas orientierungslosen Agenten der Nachrichtendienste bevorzugt in Wirtschaftskreisen. Jetzt darf das Zollkriminalamt nicht nur dann Telefonanschlüsse anzapfen, wenn es "tatsächliche Anhaltpunkte" für Waffen- oder Nuklearschmuggel gibt, sondern auch beim bloßen Verdachtsmoment. Die so gewonnenen Informationen können auch an den Verfassungsschutz weitergeleitet werden.

Abhörziel der Nachrichtendienste: "corporate networks". Die firmeninterne Netze sollen dem legalen staatlichen Zugriff geöffnet werden. Die offizielle Begründung seitens des Innenministerium, man wolle das "Organisierte Verbrechen" mit einer "flächendeckenden und lückenlosen Überwachung", so der oberste Dienstherr Manfred Kanther, bekämpfen, ist jedoch nicht ganz einleuchtend. Manuel Kiper bezweifelt dies: "Die Bundesregierung will uns also glauben machen, die Mafia würde willig der Aufforderung der Strafverfolger zustimmen, den Verkehr auf diesem Netz abzuhören, ja sogar dafür entsprechende technische Einrichtungen auf eigene Kosten vorhalten". Sein Urteil: "realitätsfern".

Weiterhin gültig bleibt der umstrittene §12 des Fernmeldenanlagengesetzes (FAG). Generell ist es nach §12 FAG erlaubt, in strafgerichtlichen Untersuchungen "Auskunft über die Telekommunikation zu verlangen, wenn die Mitteilungen an den Beschuldigten gerichtet waren" und die Auskunft "für die Untersuchung Bedeutung hat". Damit können Verbindungsdaten der Vergangenheit abgefragt werden, die die Telekommunikationsunternehmen zur Abrechung speichern. Der Gummiparagraph ermöglicht es den Strafverfolgungsbehörden, Telefonverbindungen bis zu 80 Tage zurückzuverfolgen und Kommunikationsprofile zu erstellen. Anders als beim §100a StPO genügt der reine Anfangsverdacht. Verschiedene Rechtsexperten stellten inzwischen die Verfassungsmäßigkeit des Paragraphen in Frage. Die einen halten ihn erst dann für verfassungskonform, wenn nur der Teil der Telefonnummer gespeichert wird, der die Gebührenklasse für Abrechnungszwecke erkennen läßt. Zwar muß der Polizei das Abhören ermöglicht werden, doch muß sich in diesem Fall der Paragraph an den § 100a StPO anpassen. Andere halten den Zugriff auf die Verbindungsdaten erst dann für zulässig, wenn auch eine Telefonüberwachung zulässig wäre. Ein drittes Argument geht dahin, daß Verbindungsdaten solange nicht erhoben werden sollen, solange keine verfassungsgemäße Rechtssprechung existiert.

Das heute verabschiedete Gesetz ist eine Kompromißregelung zwischen Bundestag und Bundesrat, um die Einführung der Regulierungsbehörde ab Januar 1998 nicht zu gefährden. Erst in einer zweiten Stufe soll im April 1998 ein weiteres Abhörgesetz verabschiedet werden, daß die bis jetzt rechtlich noch ungeklärten Fragen regeln soll. Dazu gehört eine Nachfolgeregelung für den §12 FAG, der Einsatz von Mobiltelefonen als Peilsender und das unbehelligte Abhören unbeteiligter Dritter.

Vor allem Handys mit ihren multiplen Möglichkeiten der Datenauswertung haben es den Fahndern angetan. Hier können durch funktechnische Maßnahmen die Rufnummern von Verdächtigen ermittelt werden. In Mobilfunknetzen ist es möglich, den ungefähren Aufenthaltstort eines überwachten Mobilfunkteilnehmers zu erfassen, wenn der Anschluß "aktiv gemeldet" ist. Der Handy-Nutzer muß also nicht einmal ein Telefonat führen, allein die ständig ausgestrahlten Kontaktsignale des Geräts lassen die Erstellung eines "Bewegungsbildes" zu. Für die Strafverfolgungsbehörden eine ergänzende Ermittlungsmethode zur satellitenüberwachten Peilung. Im Fall eines Mordverdächtigen wurde das Bewegungsbild bereits zur Überprüfung seines Alibis verwandt.

Auch der Einsatz der sogenannten "IMSI-Catcher" soll künftig rechtlich abgesichert werden, obwohl die Geräte schon längst im Gebrauch sind. Noch ermitteln die Fahnder also in einer von der Bundesregierung bewußt tolerierten rechtlichen Grauzone. Über abgestrahlte Funkwellen, die von den "IMSI-Catchern" aufgefangen werden, können netzinterne Rufnummern ermittelt und sogar Gesprächsinhalte mitgehört werden. Damit können Fahnder vom Auto aus jedes Handy-Telefonat in der Nähe abhören. Die vom Postministerium noch nicht zugelassenen Geräte, auch "GA 900" genannt, erledigen damit zwei Ermittlungsschritte in einem. Das ist aufgrund der "vielfach gegebenen Eilbedürftigkeit" der Strafverfolgung "zweckmäßig", so die Bundesregierung in einer Stellungnahme. Auch wenn dadurch "technisch unvermeidbar" in das Fernmeldegeheimnis Dritter eingegriffen wird, ist dies "ausdrücklich" zulässig.

Der Einsatz von "IMSI-Catchern" führt auch dann zum Erfolg, wenn durch die Nutzung von Mobilfunkkarten seitens Dritter oder durch Guthabenkarten, sogenannte "Prepaid Cards", der Nutzer anonym bleiben will. Im Fall eines Rauschgifthändlers, der die "Prepaid Card" nur für ankommende Gespräche benutzt und daher das Guthaben nicht verbraucht hat, konnte die Rufnummer durch den Diensteanbieter nicht in Erfahrung gebracht werden, da die Personalien von Käufern der Guthabenkarten nicht festgehalten werden. Auch bei Mailboxen des Scall-Dienstes oder ähnlicher Dienste tappten die Fahnder bislang im Dunklen.

Unklar ist ebenfalls, inwieweit "zeugnisverweigerungsberechtigte Personen" wie Bundestagsabgeordnete, Ärzte, Pfarrer und auch Journalisten von dem Gesetz betroffen sind. Wurde beispielsweise die Kommunikation zwischen einer verdächtigen Person und einem Pfarrer abgehört, so ist unklar, ob das als Beweis in einem Gerichtsverfahren verwendet werden darf. Vorerst bleibt es dem Urteil der Richter überlassen, ob sie derart gewonnene Beweise anerkennen.

Einwände von Datenschützern wurden nicht in das Gesetz eingearbeitet. Das in Artikel 10 Grundgesetz geschützte Fernmeldegeheimnis werde durch das TK-Begleitgesetz weiter ausgehöhlt. Das Grundrecht schrumpfe zur "Dekoration", kritisierte Kiper.