Politik

Vorwurf steht weiter im Raum Lügt Yanis Varoufakis?

Yanis Varoufakis steht als Lügner da

Yanis Varoufakis steht als Lügner da

(Foto: imago/ZUMA Press)

Nach der gelungenen Satire auf den Medienrummel um einen Stinkefinger geht die Varoufake-Debatte weiter. Noch immer ist vom "Lügenminister" die Rede. Was ist da dran?

Normalerweise werden in Deutschland Zitate in journalistischen Texten geglättet. Übersetztes wird auf Deutsch so wiedergegeben, dass man den Sinn versteht und nicht so, dass jedes einzelne Wort wiederzufinden ist. Simultandolmetscher haben eine schwierige Aufgabe: Sie müssen live Gehörtes übersetzen, während sie schon auf den nächsten Satz achten. Dabei kommen manchmal Fehler und häufig Ungenauigkeiten vor. Manches lässt sich auch gar nicht so genau übersetzen, dass der Sinn exakt wiedergegeben wird.

Selten hat das gravierende Auswirkungen, im Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland spielten Übersetzungsfehler aber bereits eine Rolle und nun könnte es sein, dass es auf eine Feinheit ankommt. Es geht um das englische Wort "doctored". Von seiner Bedeutung hängt ab, ob der griechische Finanzminister die Wahrheit sagt oder nicht.

Denn "doctored" ist das Wort, das Yanis Varoufakis am vergangenen Sonntag in der Sendung "Günther Jauch" drei Mal benutzte. Moderator Jauch hatte ihn mit einem Video konfrontiert, in dem Varoufakis den Stinkefinger zeigt. "Der Stinkefinger für Deutschland, Herr Minister", sagte Jauch dazu. "Die Deutschen zahlen am meisten, und werden dafür mit Abstand am meisten kritisiert. Wie passt das zusammen?" Varoufakis antwortete auf die Frage nicht, sondern machte Jauch einen heftigen Vorwurf: "That video was doctored!" Der Simultandolmetscher übersetzte: "Dieses Video ist falsch. Das ist montiert worden."

Entscheidendes weggelassen

Was der Übersetzer mit "montiert" meinte, ist klar: Er verstand Varoufakis' Aussage so, dass es den ausgestreckten Mittelfinger in echt nie gegeben habe. Und so mussten es auch die Zuschauer verstehen. Jemand hätte das Video demnach mit einem Computerprogramm bearbeitet und grafisch einen Mittelfinger eingefügt, wo keiner war. Vielleicht meinte Varoufakis genau das. Ein Hinweis darauf ist, dass Varoufakis das Video mit einer anderen Aufnahme verglich: In Griechenland kursiere ein Video, das zeigt, wie Varoufakis dem Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbleom die Hand ausstreckt und sie dann zurückzieht. Leider ist die Sequenz im Internet nicht so leicht zu finden. Varoufakis' Beschreibung handelt aber eindeutig von einem Video, dessen Bilder per Computer manipuliert wurden.

"Doctored" könnte aber noch etwas anderes heißen als "montiert". Es könnte auch heißen, dass die Szene falsch verwendet wird. Und das ist tatsächlich so. Unterbrochen von einem Sprecher sagt Varoufakis in der deutschen Übersetzung des Videos: "Griechenland sollte einfach verkünden, dass es nicht mehr zahlen kann …" Dann folgt die Unterbrechung. Und weiter: "… und Deutschland den Finger zeigen und sagen: Jetzt könnt ihr das Problem alleine lösen." Dieser Satz funktioniert aber nur, wenn man den entscheidenden Teil in der Mitte weglässt. Sonst müsste man die Sequenz so übersetzen: "Mein Vorschlag war, dass Griechenland einfach hätte verkünden sollen, dass es seine Schulen nicht bezahlen kann – wie Argentinien es auch gemacht hat –, innerhalb des Euro, im Januar 2010, und Deutschland den Finger hätte zeigen sollen und sagen: 'Gut, jetzt könnt ihr dieses Problem alleine lösen.'"

Bild: "Varoufakis lügt rotzfrech"

Die Zitate wurden also aus dem Zusammenhang gerissen und so zusammengesetzt, dass sie eine andere Bedeutung erhielten: Varoufakis wollte nicht 2013, als Griechenland schon bei Deutschland verschuldet war, den Finger zeigen. Er meint, Griechenland hätte 2010, als es nicht verschuldet war, den Finger zeigen sollen. Ersteres kostet deutsche Steuerzahler Milliarden, Letzteres wäre erst einmal nur für den Bankensektor riskant gewesen.

Auch das könnte es sein, was Varoufakis mit dem Verb "doctored" meinte. Dafür spricht, dass er selbst bei Twitter das Originalvideo verlinkte, in dem der Finger deutlich zu sehen ist. Außerdem verwies er auf ein Interview bei faz.net, in dem der Veranstalter des "Subversive Festivals" Folgendes sagt: "Varoufakis reckte nicht 'den Mittelfinger gegen die Deutschen'. […] Der Finger wurde also aus dem Zusammenhang gerissen und absichtlich so interpretiert, als hätte sich der griechische Finanzminister gegen die Rückzahlung der Schulden an Deutschland ausgesprochen und Deutschland den Finger gezeigt."

Doch die Redaktion von "Günther Jauch" und die "Bild"-Zeitung verstiegen sich auf die andere Übersetzung des Wortes "doctored". Sie deuteten Varoufakis Aussage so, als spreche er eindeutig von einer Bildmontage – so, wie es auch der Simultandolmetscher verstanden hatte. "Günther Jauch" setzte "verschiedene Medienexperten und Netzanalysten" auf das Video an. Und die fanden keine Spuren von Montagen, wie "Günther Jauch" mitteilte. Darauf, dass das Video auf andere Weise manipuliert, nämlich falsch zusammengeschnitten wurde, geht die Redaktion in ihrer Mitteilung nicht ein. "Bild" ging noch weiter. "Er zeigte uns den Stinkefinger", behauptete die Boulevardzeitung, "und log rotzfrech". Sie nahm das zum Anlass, einen hämischen "Nachruf" auf Varoufakis zu schreiben.

Der Minister ist verwirrt

Dann kam Jan Böhmermann ins Spiel, der den Medienrummel um Varoufakis schon mehrfach veralbert hatte. Er befeuerte die erste Version, das Videomaterial sei durch eine Montage verfälscht worden. In seiner Sendung "Neo Magazin Royale" stellte er es so dar, als hätten er und sein Team die Manipulation vorgenommen und als wäre Günther Jauch darauf hereingefallen. Das war zwar nur eine weitere Satire auf den Varoufakis-Kult, löste am Donnerstag aber einige Verwirrung aus und brachte das Thema wieder auf die Agenda. Die "Bild"-Zeitung sah sich genötigt, Böhmermanns Witz zu dementieren und "exklusiv" zu vermelden, dass der Stinkefinger doch echt sei.

Auch Varoufakis sah das kuriose Video von der angeblichen Fälschung durch das "Neo Magazin Royale". Offenbar konnte er aber wohl nicht die ganze Debatte dazu verfolgen. Als er von einem Kamerateam befragt wurde, sagte er, er habe die Geste "noch nie in seinem Leben" gemacht – es müsse sich also um eine Fälschung handeln. Erinnert er sich wirklich nicht an die Szene und glaubt nun selbst, es habe sie nie gegeben? Das kann passieren. Wer erinnert sich schon an jede Geste, die er vor drei Jahren gemacht hat? Dann meint Varoufakis vielleicht doch, es habe eine Bildmanipulation gegeben. Ganz klar ist das immer noch nicht.

Die "Bild" ist allerdings in ihrer Deutung schon umgeschwenkt: "Varoufakis fällt auf Böhmermann rein", schreibt sie. Auf etwas hereinzufallen ist zwar keine Lüge – die "Bild" nennt Varoufakis dennoch weiter "Lügenminister".

Quelle: ntv.de

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