Frau von Stein wird seine Besänftigerin, sie bringt ihm höfische Manieren bei, sie gewöhnt ihm das Laute, Trotzige, das Geniegebaren des Stürmers und Drängers ab, sie hält ihn auf Distanz. Die Rolle einer ratenden, helfenden, tadelnden und zuweilen schimpfenden Schwester ist bei dieser Erziehungsaufgabe eine hilfreiche Konstruktion, mit der sich Charlotte auch lange Zeit selbst zu beruhigen versucht. Denn Goethe schreibt ihr schon bald zärtliche, leidenschaftliche Briefe, in denen er sie um ihre Liebe anfleht und ihr unverhohlen seine Zuneigung gesteht: Liebste, ich habe gestern abend bemerkt, daß ich nichts lieber sehe in der Welt als Ihre Augen und daß ich nicht lieber sein mag als bei Ihnen.