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„Pietro Locatelli“ – Versionsunterschied

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== Leben ==
== Leben ==
=== Bergamo ===
=== Bergamo ===
Über Locatellis Kindheit ist wenig bekannt. In seiner frühen Jugend war er dritter [[Violinist]] mit dem Titel ''[[Virtuose|virtuoso]]'' in der ''[[Musikkapelle|cappella musicale]]'' der Kirche ''[[Santa Maria Maggiore (Bergamo)|Santa Maria Maggiore]]'' zu Bergamo.<ref>[[Albert Dunning]], Buren 1981, Band I, S.&nbsp;22</ref> Seine ersten Geigenlehrer waren vermutlich [[Ludovico Ferronati]] und [[Carlo Antonio Marino]], beide Mitglieder der Kapelle und anerkannte Musiker. [[Komposition (Musik)|Kompositionslehre]] könnte ihm der ''[[Kapellmeister|Maestro di Cappella]]'', [[Francesco Ballarotti]] (1660–1712), erteilt haben.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;26</ref> Im Herbst 1711 entließ ihn die bergamaskische Behörde auf sein Gesuch hin mit der Bemerkung, er gehe „con bona Ligenza [...] a Roma per aprofitare nella sua professione“.<ref>''„mit einem guten Zeugnis [...] nach Rom, um (dort) in seinem Beruf daraus Nutzen zu ziehen.“''</ref><ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;26–27</ref>
Über Locatellis Kindheit ist wenig bekannt. In seiner frühen Jugend war er dritter [[Violinist]] mit dem Titel ''[[Virtuose|virtuoso]]'' in der ''[[Musikkapelle|cappella musicale]]'' der Kirche ''[[Santa Maria Maggiore (Bergamo)|Santa Maria Maggiore]]'' zu Bergamo.<ref>[[Albert Dunning]], Buren 1981, Band I, S.&nbsp;22</ref> Seine ersten Geigenlehrer waren vermutlich [[Ludovico Ferronati]] und [[Carlo Antonio Marino]], beide Mitglieder der Kapelle und anerkannte Musiker. [[Komposition (Musik)|Kompositionslehre]] könnte ihm der ''[[Kapellmeister|Maestro di Cappella]]'', [[Francesco Ballarotti]] (1660–1712), erteilt haben.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;26.</ref> Im Herbst 1711 entließ ihn die bergamaskische Behörde auf sein Gesuch hin mit der Bemerkung, er gehe „con bona Ligenza [...] a Roma per aprofitare nella sua professione“.<ref>''„mit einem guten Zeugnis [...] nach Rom, um (dort) in seinem Beruf daraus Nutzen zu ziehen.“''</ref><ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;26f.</ref>


=== Rom ===
=== Rom ===
Ab dem Herbst 1711 studierte Locatelli in [[Rom]], wahrscheinlich bei [[Giuseppe Valentini]], vielleicht auch kurz bei [[Arcangelo Corelli]], der im Januar 1713 starb.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;38 ff.</ref> Ein Brief Locatellis vom 17. März 1714 an seinen „Carissimo signor Padre“ in Bergamo beweist, dass Locatelli zu dieser Zeit fest in der ''compita accademia di varj instrumenti'', der Hauskapelle des Fürsten Michelangelo I. Caetani (1685–1759), angestellt war, bei dem auch Valentini spätestens seit 1710 als ''Suonator di Violino, e Compositore di Musica'' wirkte.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;48 f.</ref><ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;209</ref> Zwischen 1716 und 1722 war Locatelli außerdem Mitglied der ''[[Accademia Nazionale di Santa Cecilia|Congregazione generale dei musici di S. Cecilia]]'' und wurde damit von dem adligen Prälaten und späteren Kardinal [[Camillo Cibo|Camillo Cybo]] protegiert.<ref>Fulvia Morabito: ''Pietro Antonio Locatelli''. In MGG Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte&nbsp;357</ref> Darüber hinaus gibt es Belege dafür, dass Locatelli Aushilfsdienste für andere römische Adelshäuser erfüllte, so beispielsweise des Öfteren für den Kardinal [[Pietro Ottoboni (Kardinal)|Pietro Ottoboni]] in der Kirche ''[[San Lorenzo in Damaso]]'' – letztmals bezeugt für den 7. Februar 1723.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;56 f.</ref>
Ab dem Herbst 1711 studierte Locatelli in [[Rom]], wahrscheinlich bei [[Giuseppe Valentini]], vielleicht auch kurz bei [[Arcangelo Corelli]], der im Januar 1713 starb.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;38ff.</ref> Ein Brief Locatellis vom 17. März 1714 an seinen „Carissimo signor Padre“ in Bergamo beweist, dass Locatelli zu dieser Zeit fest in der ''compita accademia di varj instrumenti'', der Hauskapelle des Fürsten Michelangelo I. Caetani (1685–1759), angestellt war, bei dem auch Valentini spätestens seit 1710 als ''Suonator di Violino, e Compositore di Musica'' wirkte.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;48f sowie 209.</ref> Zwischen 1716 und 1722 war Locatelli außerdem Mitglied der ''[[Accademia Nazionale di Santa Cecilia|Congregazione generale dei musici di S. Cecilia]]'' und wurde damit von dem adligen Prälaten und späteren Kardinal [[Camillo Cibo|Camillo Cybo]] protegiert.<ref>Fulvia Morabito: ''Pietro Antonio Locatelli''. In MGG Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte&nbsp;357.</ref> Darüber hinaus gibt es Belege dafür, dass Locatelli Aushilfsdienste für andere römische Adelshäuser erfüllte, so beispielsweise des Öfteren für den Kardinal [[Pietro Ottoboni (Kardinal)|Pietro Ottoboni]] in der Kirche ''[[San Lorenzo in Damaso]]'' – letztmals bezeugt für den 7. Februar 1723.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;56f.</ref>


In seine römische Zeit fiel Locatellis Debüt als Komponist. 1721 erschienen in Amsterdam seine ''MONSIGNORE/ D. CAMILLO CYBO/ DE DUCHI DI MASSA, È CARRARA &/ PATRIARCA DI CONSTANTINOPOLI'' gewidmeten ''XII Concerti grossi'' op.&nbsp;1.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;58</ref><ref>Albert Dunning (Hrsg.): ''Pietro Antonio Locatelli, Catalogo tematico, lettere, documenti & iconografia'' (= Supplementband der ''Kritischen Gesamtausgabe''), Mainz 2001, S. 7.</ref>
In seine römische Zeit fiel Locatellis Debüt als Komponist. 1721 erschienen in Amsterdam seine ''MONSIGNORE/ D. CAMILLO CYBO/ DE DUCHI DI MASSA, È CARRARA &/ PATRIARCA DI CONSTANTINOPOLI'' gewidmeten ''XII Concerti grossi'' op.&nbsp;1.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;58.</ref><ref>Albert Dunning (Hrsg.): ''Pietro Antonio Locatelli, Catalogo tematico, lettere, documenti & iconografia'' (= Supplementband der ''Kritischen Gesamtausgabe''), Mainz 2001, S. 7.</ref>


=== Reisen durch Italien und Deutschland ===
=== Reisen durch Italien und Deutschland ===
Von 1723 bis 1728 bereiste Locatelli [[Italien]] und [[Deutschland]]. Nur [[Mantua]], [[Venedig]], [[München]], [[Dresden]], [[Berlin]], [[Frankfurt am Main]] und [[Kassel]] sind als Stationen bekannt. Vermutlich stammen die meisten seiner für den Konzertgebrauch geschriebenen und später in Amsterdam verlegten Werke, zumal die ''Violinkonzerte'' mitsamt den ''Capricci'', aus dieser Zeit der Künstlerreisen. Ihr Vortrag konnte seinen Ruhm begründen. Ob das so war, ist unbekannt; denn es fanden sich kaum Berichte über seine Auftritte, die belegen können, wie er zu seinem Ruf, ein hochvirtuoser Violinist zu sein, gekommen ist.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;103</ref>
Von 1723 bis 1728 bereiste Locatelli [[Italien]] und [[Deutschland]]. Nur [[Mantua]], [[Venedig]], [[München]], [[Dresden]], [[Berlin]], [[Frankfurt am Main]] und [[Kassel]] sind als Stationen bekannt. Vermutlich stammen die meisten seiner für den Konzertgebrauch geschriebenen und später in Amsterdam verlegten Werke, zumal die ''Violinkonzerte'' mitsamt den ''Capricci'', aus dieser Zeit der Künstlerreisen. Ihr Vortrag konnte seinen Ruhm begründen. Ob das so war, ist unbekannt; denn es fanden sich kaum Berichte über seine Auftritte, die belegen können, wie er zu seinem Ruf, ein hochvirtuoser Violinist zu sein, gekommen ist.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;103.</ref>


Locatellis Wirken am Hof des Regenten von Mantua, des Landgrafen [[Philipp von Hessen-Darmstadt]], ist durch eine Urkunde von 1725 verbürgt, in welcher der Landgraf Locatelli als „Nostro Virtuoso“ bezeichnete. Wie oft und in welcher Eigenschaft Locatelli am Mantuaner Hof als Musiker aufgetreten ist, lässt sich allerdings nicht nachweisen.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;104–107</ref>
Locatellis Wirken am Hof des Regenten von Mantua, des Landgrafen [[Philipp von Hessen-Darmstadt]], ist durch eine Urkunde von 1725 verbürgt, in welcher der Landgraf Locatelli als „Nostro Virtuoso“ bezeichnete. Wie oft und in welcher Eigenschaft Locatelli am Mantuaner Hof als Musiker aufgetreten ist, lässt sich allerdings nicht nachweisen.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;104–107.</ref>


Ähnlich ist es in Bezug auf Venedig. Sicher war Locatelli dort, aber auch in diesem Fall ist weder der genaue Zeitpunkt noch etwas über seine dortigen Tätigkeiten bekannt.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;107</ref>
Ähnlich ist es in Bezug auf Venedig. Sicher war Locatelli dort, aber auch in diesem Fall ist weder der genaue Zeitpunkt noch etwas über seine dortigen Tätigkeiten bekannt.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;107.</ref>


Von Locatellis Besuch in München gibt es lediglich eine Notiz: Am 26. Juni 1727 wurde „der fremde Virtuos Locatelli“ durch den „Directeur de la Music“ des Kurfürsten für einen Auftritt mit zwölf doppelten [[Gulden|Goldgulden]] bezahlt.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;109 f.</ref>
Von Locatellis Besuch in München gibt es lediglich eine Notiz: Am 26. Juni 1727 wurde „der fremde Virtuos Locatelli“ durch den „Directeur de la Music“ des Kurfürsten für einen Auftritt mit zwölf doppelten [[Gulden|Goldgulden]] bezahlt.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;109f.</ref>


Ein knappes Jahr später, im Mai 1728, gastierte Locatelli am preußischen Hof zu Berlin. Wahrscheinlich war er zusammen mit [[August II. (Polen)|August dem Starken]] und dessen Geleit von etwa 500 Personen – darunter [[Johann Georg Pisendel]], [[Johann Joachim Quantz]] und [[Silvius Leopold Weiss]] – von Dresden nach [[Potsdam]] gekommen.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;111</ref> Ein Bericht über Locatellis Auftreten vor [[Friedrich Wilhelm I. (Preußen)|König Friedrich Wilhelm I.]] hat [[Anekdote|anekdotische]] Züge und schildert Locatelli als einen selbstbewussten und eitlen Musiker in prunkvoller, diamantenverzierter Kleidung. Das adelige Publikum soll freilich das Geigenspiel [[Johann Gottlieb Graun]]s dem Locatellis vorgezogen haben.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;111–116</ref>
Ein knappes Jahr später, im Mai 1728, gastierte Locatelli am preußischen Hof zu Berlin. Wahrscheinlich war er zusammen mit [[August II. (Polen)|August dem Starken]] und dessen Geleit von etwa 500 Personen – darunter [[Johann Georg Pisendel]], [[Johann Joachim Quantz]] und [[Silvius Leopold Weiss]] – von Dresden nach [[Potsdam]] gekommen.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;111.</ref> Ein Bericht über Locatellis Auftreten vor [[Friedrich Wilhelm I. (Preußen)|König Friedrich Wilhelm I.]] hat [[Anekdote|anekdotische]] Züge und schildert Locatelli als einen selbstbewussten und eitlen Musiker in prunkvoller, diamantenverzierter Kleidung. Das adelige Publikum soll freilich das Geigenspiel [[Johann Gottlieb Graun]]s dem Locatellis vorgezogen haben.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;111–116.</ref>


Ein Eintrag Locatellis in das Stammbuch eines reichen Autographensammlers dokumentiert, dass Locatelli am 20. Oktober 1728 in Frankfurt am Main weilte. Der Eintrag enthält eine Miniaturfassung des ''Andante'' der ''Sonata III'' aus ''Opus 2'' für ein Tasteninstrument.<ref>Fulvia Morabito: ''Pietro Antonio Locatelli''. In MGG Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte&nbsp;358</ref><ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;116 f.</ref>
Ein Eintrag Locatellis in das Stammbuch eines reichen Autographensammlers dokumentiert, dass Locatelli am 20. Oktober 1728 in Frankfurt am Main weilte. Der Eintrag enthält eine Miniaturfassung des ''Andante'' der ''Sonata III'' aus ''Opus 2'' für ein Tasteninstrument.<ref>Fulvia Morabito: ''Pietro Antonio Locatelli''. In MGG Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte&nbsp;358.</ref><ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;116f.</ref>


Letzte bekannte Station der Reisejahre war Kassel. Wegen „gethaner Auffwartung“ am Hofe des Landgrafen [[Karl (Hessen-Kassel)|Karl von Hessen-Kassel]] am 7. Dezember 1728 erhielt Locatelli die sehr hohe Vergütung von 80 [[Reichstaler]]n. Der [[Organist]] [[Jacob Wilhelm Lustig]] berichtete 1786 von diesem Auftritt. Locatelli habe „große Schwierigkeiten krächzend“ aus seiner Violine herausgeholt, um die „Zuhörer zum Verwundern zu bringen.“<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;118 f.</ref>
Letzte bekannte Station der Reisejahre war Kassel. Wegen „gethaner Auffwartung“ am Hofe des Landgrafen [[Karl (Hessen-Kassel)|Karl von Hessen-Kassel]] am 7. Dezember 1728 erhielt Locatelli die sehr hohe Vergütung von 80 [[Reichstaler]]n. Der [[Organist]] [[Jacob Wilhelm Lustig]] berichtete 1786 von diesem Auftritt. Locatelli habe „große Schwierigkeiten krächzend“ aus seiner Violine herausgeholt, um die „Zuhörer zum Verwundern zu bringen.“<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;118f.</ref>


=== Amsterdam ===
=== Amsterdam ===
[[Datei:Prinsengracht 506 plaque.JPG|mini|Gedenktafel Prinsengracht 506, Amsterdam]]
[[Datei:Prinsengracht 506 plaque.JPG|mini|Gedenktafel Prinsengracht 506, Amsterdam]]
1729 zog Locatelli nach Amsterdam, wo er sesshaft wurde und bis zu seinem Lebensende wirkte. Er komponierte wenig, gab [[Dilettant]]en Violinunterricht und edierte seine [[Opus (Werk)|Opera]] 1 bis 9 und Werke anderer Musiker. Aus einem Briefwechsel zwischen Locatelli und [[Giovanni Battista Martini]] weiß man, dass er Martinis op.&nbsp;2 druckfertig machte.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;283–304</ref> Seine wenig belegten öffentlichen und halböffentlichen Auftritte waren nur Musikliebhabern, nicht aber professionellen Musikern zugänglich. “[...] he is so afraid of People Learning from him, that He won’t admit a Professed Musician into his Concert”<ref>Aus einem Brief von Benjamin Tate vom 11. April 1741. In: Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S. 204. Deutsch: „[...] er fürchtet so sehr, dass Leute von ihm lernen, dass er keinem professionellen Musiker Zutritt zu seinem Konzert erlaubt.“</ref>, schrieb ein Engländer, der ihn 1741 hören durfte.<ref>Locatellis Sorge, jemand könne seine Spielweise übernehmen, bestand zu Recht. So ist beispielsweise [[Heinrich Wilhelm Ernst]] seinem Vorbild Niccolò Paganini nachgereist, hat ihn mehrfach gehört und hat die Stücke danach in Paganinis Manier aus der Erinnerung gespielt.</ref> Wohlhabende Musikliebhaber ermöglichten dem in Amsterdam unüberbotenen Virtuosen ein überdurchschnittlich gut situiertes Leben. Die Gesellschaftsschicht reicher Kaufleute und städtischer Beamter bildete ein neues [[Mäzen]]atentum. Anders als der europäische Adel waren diese Bürger nicht interessiert, ein prunkvolles, repräsentatives Hofleben zu schaffen und dazu Musiker in Dauerstellung zu beschäftigen. Sie verlangten auch nicht nach sich jeweils spektakulär überbietenden neuen Kompositionen, sondern begnügten sich mit Anerkanntem, beispielsweise mit dem verhältnismäßig kleinen Œuvre Locatellis, an dessen Aufführungen sie als begeisterte Dilettanten mitwirkten. Im Salonleben des gehobenen städtischen Bürgertums war Locatelli als Virtuose und Komponist eine anerkannte, bewunderte und geförderte Größe.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;315</ref> 1741 richtete er in seinem Haus einen Betrieb für den Verkauf von Saiten ein.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;310 u. 320 f.</ref> 1742 wurde sein Einkommen in einer Schätzung der Personalsteuern mit 1500 Gulden jährlich eingestuft. Es war das höchste Einkommen aller Amsterdamer Musiker.<ref name="Dunning306">Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;306</ref> Warum sich über ihn von 1744, als er op. 8 veröffentlichte, bis 1762, als er op. 9 veröffentlichte, keinerlei Berichte von Lexigraphen und Zuhörern sowie von einheimischen und internationalen Musikjournalisten fanden, ist bisher nicht zu erklären.<ref name="Dunning306" />
1729 zog Locatelli nach Amsterdam, wo er sesshaft wurde und bis zu seinem Lebensende wirkte. Er komponierte wenig, gab [[Dilettant]]en Violinunterricht und edierte seine [[Opus (Werk)|Opera]] 1 bis 9 und Werke anderer Musiker. Aus einem Briefwechsel zwischen Locatelli und [[Giovanni Battista Martini]] weiß man, dass er Martinis op.&nbsp;2 druckfertig machte.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;283–304.</ref> Seine wenig belegten öffentlichen und halböffentlichen Auftritte waren nur Musikliebhabern, nicht aber professionellen Musikern zugänglich. “[...] he is so afraid of People Learning from him, that He won’t admit a Professed Musician into his Concert”<ref>Aus einem Brief von Benjamin Tate vom 11. April 1741. In: Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;204. Deutsch: „[...] er fürchtet so sehr, dass Leute von ihm lernen, dass er keinem professionellen Musiker Zutritt zu seinem Konzert erlaubt.“</ref>, schrieb ein Engländer, der ihn 1741 hören durfte.<ref>Locatellis Sorge, jemand könne seine Spielweise übernehmen, bestand zu Recht. So ist beispielsweise [[Heinrich Wilhelm Ernst]] seinem Vorbild Niccolò Paganini nachgereist, hat ihn mehrfach gehört und hat die Stücke danach in Paganinis Manier aus der Erinnerung gespielt.</ref> Wohlhabende Musikliebhaber ermöglichten dem in Amsterdam unüberbotenen Virtuosen ein überdurchschnittlich gut situiertes Leben. Die Gesellschaftsschicht reicher Kaufleute und städtischer Beamter bildete ein neues [[Mäzen]]atentum. Anders als der europäische Adel waren diese Bürger nicht interessiert, ein prunkvolles, repräsentatives Hofleben zu schaffen und dazu Musiker in Dauerstellung zu beschäftigen. Sie verlangten auch nicht nach sich jeweils spektakulär überbietenden neuen Kompositionen, sondern begnügten sich mit Anerkanntem, beispielsweise mit dem verhältnismäßig kleinen Œuvre Locatellis, an dessen Aufführungen sie als begeisterte Dilettanten mitwirkten. Im Salonleben des gehobenen städtischen Bürgertums war Locatelli als Virtuose und Komponist eine anerkannte, bewunderte und geförderte Größe.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;315.</ref> 1741 richtete er in seinem Haus einen Betrieb für den Verkauf von Saiten ein.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;310 sowie 320f.</ref> 1742 wurde sein Einkommen in einer Schätzung der Personalsteuern mit 1500 Gulden jährlich eingestuft. Es war das höchste Einkommen aller Amsterdamer Musiker. Warum sich über ihn von 1744, als er op. 8 veröffentlichte, bis 1762, als er op. 9 veröffentlichte, keinerlei Berichte von Lexigraphen und Zuhörern sowie von einheimischen und internationalen Musikjournalisten fanden, ist bisher nicht zu erklären.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;306.</ref>


Am 30. März 1764 starb Locatelli in seinem Haus in der [[Prinsengracht]].
Am 30. März 1764 starb Locatelli in seinem Haus in der [[Prinsengracht]].


=== Der Nachlass ===
=== Der Nachlass ===
Das amtliche [[Nachlass]]-[[Inventar]] Locatellis ergänzt das Bild, das die wenigen Dokumente über sein Leben nur andeuten. Eine Bibliothek mit über eintausend Titeln zeigt Locatellis Interesse an [[Literatur]] und [[Wissenschaft]]. Es finden sich auch [[Ornithologie|ornithologische]], [[Theologie|theologische]], [[Kirchengeschichte|kirchengeschichtliche]], [[Politik|politische]], [[Geographie|geografische]], [[Theorie der Kunst|kunsttheoretische]] und [[Mathematik|mathematische Werke]]. Die musiktheoretische Literatur reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert. Ab [[Dante Alighieri|Dante]] sind alle wichtigen literarischen Autoren mit Gesamtausgaben vertreten. Aus den vielen gedruckten und ungebundenen [[Musikalien]] ragt eine Gesamtausgabe der Werke Corellis hervor. Eine große Sammlung von Bildern vor allem niederländischer, italienischer und französischer Meister zeugen von Locatellis Kennerschaft auch auf diesem Gebiet. Insgesamt spiegelt sich in Locatellis Nachlass ein Mann von umfassender Geistesbildung. All das Genannte, auch seine Instrumente und vieles darüber hinaus, wurde schließlich im August 1765 versteigert.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;325 ff.</ref><ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band II, S.&nbsp;141–195</ref>
Das amtliche [[Nachlass]]-[[Inventar]] Locatellis ergänzt das Bild, das die wenigen Dokumente über sein Leben nur andeuten. Eine Bibliothek mit über eintausend Titeln zeigt Locatellis Interesse an [[Literatur]] und [[Wissenschaft]]. Es finden sich auch [[Ornithologie|ornithologische]], [[Theologie|theologische]], [[Kirchengeschichte|kirchengeschichtliche]], [[Politik|politische]], [[Geographie|geografische]], [[Theorie der Kunst|kunsttheoretische]] und [[Mathematik|mathematische Werke]]. Die musiktheoretische Literatur reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert. Ab [[Dante Alighieri|Dante]] sind alle wichtigen literarischen Autoren mit Gesamtausgaben vertreten. Aus den vielen gedruckten und ungebundenen [[Musikalien]] ragt eine Gesamtausgabe der Werke Corellis hervor. Eine große Sammlung von Bildern vor allem niederländischer, italienischer und französischer Meister zeugen von Locatellis Kennerschaft auch auf diesem Gebiet. Insgesamt spiegelt sich in Locatellis Nachlass ein Mann von umfassender Geistesbildung. All das Genannte, auch seine Instrumente und vieles darüber hinaus, wurde schließlich im August 1765 versteigert.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;325ff.</ref><ref> Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band II.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;141–195</ref>


== Musik ==
== Musik ==
=== Drucke und Datierung ===
Als sich Locatelli 1729 nach Amsterdam wandte, fand er dort das Zentrum des europäischen [[Musikverlag]]swesens vor. Seine Opera 2 bis 6, 8 und 9 sowie eine Neuauflage von op.&nbsp;1 brachte er in Amsterdam heraus, op.&nbsp;7 im benachbarten [[Leiden (Stadt)|Leiden]]. Sehr sorgsam kümmerte er sich persönlich um fehlerlose Ausgaben. Die groß [[Besetzung (Musik)|besetzten]] Werke übergab er verschiedenen Verlagen, die kleiner besetzten [[Edition|edierte]] und [[vertrieb]] er selbst.
Als sich Locatelli 1729 nach Amsterdam wandte, fand er dort das Zentrum des europäischen [[Musikverlag]]swesens vor. Seine Opera 2 bis 6, 8 und 9 sowie eine Neuauflage von op.&nbsp;1 brachte er in Amsterdam heraus, op.&nbsp;7 im benachbarten [[Leiden (Stadt)|Leiden]]. Sehr sorgsam kümmerte er sich persönlich um fehlerlose Ausgaben. Die groß [[Besetzung (Musik)|besetzten]] Werke übergab er verschiedenen Verlagen, die kleiner besetzten [[Edition|edierte]] und [[vertrieb]] er selbst.


Nicht nur op.&nbsp;1 stammte aus früheren Zeiten, sondern auch op. 3, und zumindest für Teile der Opera 2 und 4 bis 8 ist das anzunehmen. In Amsterdam konnte Locatelli ein [[Privileg|Druckprivileg]] erwerben, das die dort oder in Leiden verlegten Opera 1 bis 8 in Holland und Westfriesland vor unerlaubten Nachdrucken bewahrte und Importe von Nachdrucken verhinderte. Im Antrag zu diesem Privileg bezeichnete er sich als „Italiaanisch Muziekmeester woonende te Amsterdam“.<ref>deutsch: „Italienischer Musikmeister, wohnhaft in Amsterdam“</ref><ref>Arend Koole: ''Pietro Antonio Locatelli.'' In: ''Die Musik in Geschichte und Gegenwart''. Erste Ausgabe, Band 8, Kassel et altera 1960, Spalte 1076</ref> Eine Bedingung dieses Schutzes war, dass Locatelli von jedem Werk ein kostenloses Exemplar an die Leidener Universitätsbibliothek abgab. Dadurch konnten sich Erstdrucke bis heute sicher erhalten. Op.&nbsp;9 dagegen, das nach Ablauf der Verlängerungsperiode dieses Rechtsschutzes veröffentlicht wurde, ist verschollen.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;358</ref>
Nicht nur op.&nbsp;1 stammte aus früheren Zeiten, sondern auch op. 3, und zumindest für Teile der Opera 2 und 4 bis 8 ist das anzunehmen. In Amsterdam konnte Locatelli ein [[Privileg|Druckprivileg]] erwerben, das die dort oder in Leiden verlegten Opera 1 bis 8 in Holland und Westfriesland vor unerlaubten Nachdrucken bewahrte und Importe von Nachdrucken verhinderte. Im Antrag zu diesem Privileg bezeichnete er sich als „Italiaanisch Muziekmeester woonende te Amsterdam“.<ref>Deutsch: „Italienischer Musikmeister, wohnhaft in Amsterdam“.</ref><ref>Arend Koole: ''Pietro Antonio Locatelli.'' In: ''Die Musik in Geschichte und Gegenwart''. Erste Ausgabe, Band 8, Kassel et altera 1960, Spalte 1076.</ref> Eine Bedingung dieses Schutzes war, dass Locatelli von jedem Werk ein kostenloses Exemplar an die Leidener Universitätsbibliothek abgab. Dadurch konnten sich Erstdrucke bis heute sicher erhalten. Op.&nbsp;9 dagegen, das nach Ablauf der Verlängerungsperiode dieses Rechtsschutzes veröffentlicht wurde, ist verschollen.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;358.</ref>
=== Triosonaten ===
Locatellis Triosonaten orientieren sich wie diejenigen von [[Giuseppe Tartini]] am Muster der Kirchensonate,<ref name="rampe181">Siegbert Rampe: ''Kammermusik.'' In: Ders. (Hrsg): ''Instrumentalmusik des Barock.'' Laaber-Verlag, Laaber 2018 (= ''Handbuch der Musik des Barock,'' Band 3), ISBN 978-3-89007-873-1, S.&nbsp;111–217, hier 181.</ref> der Unterschied zwischen Kirchen- und Kammersonate verliert bei Locatelli jedoch durch individuell gestaltete Satzfolgen an Bedeutung.<ref name="maerker267">Michael Märker: ''Pietro Antonio Locatelli.'' In: Ingeborg Allihn (Hrsg.): ''Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550–1770.'' Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3, S.&nbsp;266–270, hier 267.</ref> Wie die Gattungsbeiträge von Tartini und [[Giovanni Battista Sammartini]] weisen Locatellis Triosonaten bereits galante Einflüsse auf.<ref name="rampe181" /> Entgegen dem Ideal der Gleichwertigkeit der drei Hauptstimmen liegt das Hauptgewicht auf einer der beiden Oberstimmen, wobei oft nach anfänglichem Abwechseln die zweite Stimme zur Füllstimme degeneriert.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;229ff.</ref> In den vier Triosonaten aus op.&nbsp;8, veröffentlicht 1744, tritt wiederum der Bass aus seiner Rolle, den Bass des [[Cembalo]]s zu unterstützen, hervor und wird als eigenständiges Instrument etabliert.<ref>John Hendrick Calmeyer: ''The Life, Times and Works of Pietro Antonio Locatelli.'' University of North Carolina at Chapel Hill, 1969, Dissertation, S.&nbsp;369.</ref>


=== Solosonaten ===
Locatellis Werke lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:
Die Sätze der Flötensonaten op.&nbsp;2, veröffentlicht 1732, verlaufen im zweiteiligen Ritornell-Schema, zukunftsweisend ist jedoch nach dem Ritornell eine „keimhaft modulierende Durchführung“, sodass mit der darauf folgenden Reprise implizite Dreiteiligkeit entsteht.<ref name="MGG2">Fulvia Morabito: ''Locatelli, Pietro Antonio'' In: Laurenz Lütteken (Hrsg.): ''MGG online'', Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a., Version: November 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/13502.</ref> Das Material nach dem markanten Hauptthemen hat meist noch nicht genug „Eigengesicht“ um im Sinne des klassischen [[Sonatensatzform|Sonatenhauptsatzes]] von einem kontrastierenden Nebengedanken zu sprechen, es wird auch nicht zwingend in weiterer Folge berücksichtigt. Die Flötenstimme besticht durch lieblich singende Melodik mit „milden Konturen“ und „weichem Ausdruck“,<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;227f sowie 216.</ref> reich verziert mit lombardischen Rhythmen, Seufzermotiven, [[Appoggiatura]]s, [[Synkope (Musik)|Synkopen]] und abwechslungsreichen Rhythmuswerten und von der harmonischen Stützstimme klar abgesetzt.<ref name="grove">Albert Dunning: ''Locatelli, Pietro Antonio'' In: ''Grove Music Online. Oxford Music Online.'' Oxford University Press, Version: 20. Januar 2001. https://www.oxfordmusiconline.com.</ref>
* Werke für den eigenen Auftritt als Virtuose

* repräsentative Werke für größere Ensembles
Die Violinsonaten opp.&nbsp;6 und 8, veröffentlicht 1737 und 1744, weisen mit nur zwei Sätzen der Folge langsam – schnell eine „erstaunliche“ Abweichung vom Da chiesa-Schema auf.<ref name="rampe135">Siegbert Rampe: ''Kammermusik.'' In: Ders. (Hrsg): ''Instrumentalmusik des Barock.'' Laaber-Verlag, Laaber 2018 (= ''Handbuch der Musik des Barock,'' Band 3), ISBN 978-3-89007-873-1, S.&nbsp;111–217, hier 135.</ref> Sie sind „spieltechnisch mindestens so anspruchsvoll“ wie diejenigen von [[Giuseppe Tartini]]<ref name="rampe135" /> und verlangen „vollentwickeltes Doppelgriffspiel, wie es manche Zeitgenossen nicht einmal in Konzertwerken kompositorisch einsetzten“.<ref name="kolneder325">Walter Kolneder: ''Das Buch der Violine. Bau – Geschichte – Spiel – Pädagogik – Komposition.'' Atlantis Verlag, Zürich und Freiburg i.&nbsp;Br. 1972, S.&nbsp;325.</ref> Der abschließende Variationssatz von op.&nbsp;6 Nr.&nbsp;1 wartet mit Kombinationen von Extravaganzen auf, sodass die Satzbezeichnung ''Cantabile'' „ad absurdum geführt wird“.<ref name="maerker268">Michael Märker: ''Pietro Antonio Locatelli.'' In: Ingeborg Allihn (Hrsg.): ''Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550–1770.'' Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3, S.&nbsp;266–270, hier 268.</ref>
* Kammermusik und klein besetzte Werke für das Musizieren im kleinen Kreis

=== Capricci ===
[[Datei:Locatelli-Paganini.png|mini|Vergleich von<br />Locatelli op. 3, Capriccio 7 und<br />Paganini op. 1, Capriccio 1]]
[[Datei:Locatelli-Paganini.png|mini|Vergleich von<br />Locatelli op. 3, Capriccio 7 und<br />Paganini op. 1, Capriccio 1]]
[[Datei:Trillo del diavolo.png|mini|„Trillo del Diavolo“ aus op.&nbsp;3, Capriccio 16]]
[[Datei:Trillo del diavolo.png|mini|„Trillo del Diavolo“ aus op.&nbsp;3, Capriccio 16]]
Die in die Konzerte op.&nbsp;3 integrierten ''Capricci'' unterscheiden sich von ausnotierten solistischen Kadenzen dadurch, dass sie nicht während sondern nach einer harmonischen Kadenz zu stehen kommen, nur am Ende von Ecksätzen auftreten, oft sehr lange und frei modulierend sind und zum umgebenden Material einen Kontrast bilden, sowie metrisch weniger frei sind.<ref>Philip Whitmore: ''Towards an Understanding of the Capriccio.'' In: Journal of the Royal Musical Association, 113/1 (1988), S.&nbsp;47–56, hier 54f.</ref> Die linke Hand steigt bis zur 22.&nbsp;Lage, Mehrfachgriffe, polyphone Passagen, Triller und Doppeltriller werden fast systematisch erprobt.<ref name="grove" /> Für die Entwicklung der Violintechnik von Corelli und Vivaldi zu [[Pierre Gaviniès]] und [[Niccolò Paganini]] spielen Locatellis Capricci eine große Rolle, sodass er als „Schlüsselfigur“ angesehen werden kann.<ref name="kolneder325" /> Paganinis erstes ''Capriccio'' weist mit Locatellis siebentem „erstaunliche Ähnlichkeit“ auf.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;188.</ref> Für [[Carl Ditters von Dittersdorf]] taugten die Stücke allerdings nur mehr zum Üben, nicht mehr zum Vortrag“.<ref name="kolneder325" />
Zu den virtuosen Werken gehören die ''Violinkonzerte'' op.&nbsp;3 mit den dazugehörigen ''Capricci'' und die Violinsonaten op.&nbsp;6 mit einem Capriccio. Beide Werke, vor allem aber op.&nbsp;3, verbreiteten – unter anderem durch Raubdrucke, Nachdrucke und Abschriften – in ganz Europa Locatellis Ruhm als ultimative Standards setzender Virtuose. Die ''Capricci'' galten nach seinem Tode als wichtige Werke fürs „Exerzieren“, nicht aber fürs „Produzieren“, d.&nbsp;h., sie dienten professionellen Musikern hauptsächlich als Studien- und Übungsstücke, kaum aber als Vortragsstücke.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;178</ref> Wahrscheinlich eher über die französische Violinistenschule als durch italienische Traditionen gelangten Locatellis Errungenschaften auch zu [[Niccolò Paganini]]. Dessen ''Capriccio'' op.&nbsp;1, Nr.&nbsp;1 zeigt eine deutliche Ähnlichkeit mit Locatellis ''Capriccio'' Nr.&nbsp;7.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;172 ff., 180 ff., 186–189, 304</ref>


=== Konzerte ===
In den ''Capricci'' spiegelt sich Locatellis Virtuosität, die sich auszeichnete durch ein Spiel in den höchsten Lagen, durch [[Doppelgriff]]e, akkordisches Spiel und [[Arpeggio|Arpeggien]] in weiten Griffen und mit einem Überstrecken der linken Hand, durch [[Flageolettton|Flageoletts]], Triller im zweistimmigen Spielen ''(Trillo del Diavolo)'' und Doppeltriller sowie durch mannigfaltige Stricharten und variable Bogenführung.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;134–146, 304</ref>
Locatellis Concerti grossi op.&nbsp;1 „tragen deutlich den Stempel Corellis” mit kraftvollem Streicherduktus und kleingliedrigem Wechsel von Tutti und Solo, beide Sammlungen werden durch ein Weihnachtskonzert abgeschlossen.<ref name="maerker269">Michael Märker: ''Pietro Antonio Locatelli.'' In: Ingeborg Allihn (Hrsg.): ''Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550–1770.'' Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3, S.&nbsp;266–270, hier 269.</ref> Locatelli geht in der Tonartendisposition weiter als sein Vorbild und erweitert die Besetzung um eine Solo-Bratsche.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;69.</ref> Während im op.&nbsp;1 die „Dynamik noch überwiegend aus dem Concertino-Tutti-Kontrast resultiert“, tritt diese Gestaltungsweise in den späteren Konzerten zugunsten konzertierender und virtuoser Passagen der ersten und zweiten Solovioline zurück.<ref>Michael Philipp: ''Läppische Schildereyen? Untersuchungen zur Konzeption von Programmusik im 18.&nbsp;Jahrhundert.'' Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33337-4, S&nbsp;189f.</ref> Die Genauigkeit von Locatellis Klangvorstellung wird etwa im zehnten Konzert aus op.&nbsp;4 deutlich, wenn er den pathetischen Ton der Solo-Violine in hoher Lage mit Pizzicato und Dämpfer in den anderen Stimmen kombiniert. Witz beweist der Abschied der vier Solisten in Locatellis op.&nbsp;4 Nr.&nbsp;12.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;260 sowie 266.</ref> In den Konzerten op.&nbsp;3 weist das Aufgreifen des Tuttithemas in der Solo-Violine eine Oktave höher sowie um Verzierungen bereichert auf spätere Entwicklungen voraus.<ref name="maerker267" />


Neben Konzerten veröffentlichte Locatelli in op.&nbsp;4 sechs ''Introduzioni'' für das Theater, orientiert an der dreisätzigen Sinfonia der neapolitanischen Oper. Die Orchestrierung als Concerto grosso dient einem „suggestive[n] Wechselspiel aus ‚Hell‘ und ‚Dunkel‘“.<ref name="MGG2" />
Deutlich angelehnt an Corellis op.&nbsp;6 sind Locatellis ''Concerti'' op.&nbsp;1 und op.&nbsp;7 sowie diejenigen aus op.&nbsp;4. Mit diesen Werken geriet die barocke Ensemblekunst in eine manieristische Spätphase. Die ''Introduttioni teatrali'' op.&nbsp;4 folgen dem Typus der [[Ouvertüre|neapolitanischen Opernsinfonie]].<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;233 ff.</ref>


Das Konzert op.&nbsp;7 Nr.&nbsp;6 mit dem Beinamen ''„Il pianto d’Arianna“'' ist im Anschluss an das Beispiel der Vokalmusik als „ästhetische Neuorientierung des Virtuosen und gewandten Kontrapunktikers [...] in der Richtung der expressiven Qualitäten” von Musik und insbesondere der Violine zu sehen.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;274.</ref> Ungewöhnliche Satzfolge, kühne Harmonik, chromatisierte Melodieführung und „chromatisch durchsetzte Polyphonie“,<ref>Michael Philipp: ''Läppische Schildereyen? Untersuchungen zur Konzeption von Programmusik im 18.&nbsp;Jahrhundert.'' Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33337-4, S&nbsp;192.</ref> sowie die „vorherrschende[n] rasche[n] Wechsel prononcierter Stimmungen” sind innerhalb von Locatellis Werk einzigartig.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;277ff.</ref> Kurze, meist unmittelbar anschließende Sätze sind weniger durch musikalische Gesetzlichkeit als durch „psychologische“ Vorstellungen verbunden.<ref>Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I.'' Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S.&nbsp;271.</ref> Die typischen [[Lamento]]-Ausdrucksmittel wie [[Konsonanz und Dissonanz|Dissonanzen]], übergreifender tonaler Zusammenhang, klare harmonische Entwicklung, stufenweise Melodieführung, unartikulierter Rhythmus, langsames Tempo und Molltonart treten dabei nie alle gemeinsam auf. Im vorbildlichen ''Lamento d’Arianna'' (Uraufführung ''[[L’Arianna]]'' 1608 in Mantua) von [[Claudio Monteverdi]] wurden die „tradierten musikalischen Mittel“ zugunsten des Ausdrucks aufgebrochen, nicht nur Kontrapunktregeln traten außer Kraft, „eine vollständige Kongruenz des kompositorisch-praktischen und des musiktheoretischen Diskurs erscheint nicht mehr möglich“. Dementsprechend wird bei Locatelli die „Wirkungskategorie des Ausdrucks“ zum „verbindliche[n] konstitutive[n] Prinzip für eine Form“.<ref>Michael Philipp: ''Läppische Schildereyen? Untersuchungen zur Konzeption von Programmusik im 18.&nbsp;Jahrhundert.'' Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33337-4, S&nbsp;185 sowie 195f.</ref>
Die ''Flötensonaten'' op.&nbsp;2, die ''Triosonaten'' op.&nbsp;5 sowie die ''Violinsonaten'' und ''Triosonaten'' op.&nbsp;8 bedienten in ihrem gefälligen Ton die musikalische Welt der Amsterdamer Bürger und entsprachen mit ihrem teilweise schon galant wirkenden Habitus den damals neuesten Entwicklungen des Musikgeschmackes.<ref>Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S.&nbsp;207, 210 f. u. 229</ref>


== Werke ==
== Werke ==
* Opus 1: ''XII Concerti grossi à Quatro è à Cinque''. Amsterdam 1721
* Opus 1: ''XII Concerti grossi à Quatro è à Cinque''. Amsterdam 1721
* Opus 2: ''XII Sonate à Flauto traversiere solo è Basso''. Amsterdam 1732
* Opus 2: ''XII Sonate à Flauto traversiere solo è Basso''. Amsterdam 1732
* Opus 3: ''L’Arte del Violino; XII Concerti Cioè, Violino solo, con XXIV Capricci ad libitum''. Amsterdam 1733<ref>vermutlich sein wichtigstes Werk, eine Sammlung von 12 Violinkonzerten, die 24 technisch anspruchsvolle ''„Capricci“'' (ausgeschriebene [[Kadenz (Solokonzert)|Solokadenzen]]) enthalten</ref>
* Opus 3: ''L’Arte del Violino; XII Concerti Cioè, Violino solo, con XXIV Capricci ad libitum''. Amsterdam 1733<ref>Vermutlich sein wichtigstes Werk, eine Sammlung von 12 Violinkonzerten, die 24 technisch anspruchsvolle ''„Capricci“'' (ausgeschriebene [[Kadenz (Solokonzert)|Solokadenzen]]) enthalten.</ref>
* Opus 4: ''VI Introduttioni teatrali è VI Concerti''. Amsterdam 1735
* Opus 4: ''VI Introduttioni teatrali è VI Concerti''. Amsterdam 1735
* Opus 5: ''VI Sonate à Trè''. Amsterdam 1736<ref>Triosonaten, dem Amsterdamer Stadtsekretär Mattheus Lestevenon (1715–1797), einem seiner Schüler und Gönner, gewidmet</ref>
* Opus 5: ''VI Sonate à Trè''. Amsterdam 1736<ref>Triosonaten, dem Amsterdamer Stadtsekretär Mattheus Lestevenon (1715–1797), einem seiner Schüler und Gönner, gewidmet.</ref>
* Opus 6: ''XII Sonate à Violino solo è Basso da Camera''. Amsterdam 1737
* Opus 6: ''XII Sonate à Violino solo è Basso da Camera''. Amsterdam 1737
* Opus 7: ''VI Concerti à quattro''. Leiden 1741
* Opus 7: ''VI Concerti à quattro''. Leiden 1741
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== Literatur ==
== Literatur ==
* {{BLKÖ|Locatelli, Peter|15|357|358|}}
* {{BLKÖ|Locatelli, Peter|15|357|358|}}
* Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt.'' Buren 1981, ISBN 90-6027-380-X
* John Hendrick Calmeyer: ''The Life, Times and Works of Pietro Antonio Locatelli.'' University of North Carolina at Chapel Hill, 1969, Dissertation.
* Walter Kolneder: ''Das italienische Violinspiel im Anschluss an Vivaldi. Geminiani, Somis, Veracini, Locatelli.'' In: Ders.: ''Das Buch der Violine. Bau – Geschichte – Spiel – Pädagogik – Komposition.'' Atlantis Verlag, Zürich und Freiburg i.&nbsp;Br. 1972, S.&nbsp;321–326.
* Albert Dunning (Hrsg.): ''Pietro Antonio Locatelli, Opera omnia'', Kritische Gesamtausgabe in 10 Bänden, London/Mainz 1994, ISBN 978-0-946535-49-1
* Albert Dunning (Hrsg.): ''Pietro Antonio Locatelli, Catalogo tematico, lettere, documenti & iconografia'' (= Supplementband der ''Kritischen Gesamtausgabe''), Mainz 2001, ISBN 978-0-946535-40-8
* Albert Dunning: ''Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt.'' Buren 1981, ISBN 90-6027-380-X.
* Philip Whitmore: ''Towards an Understanding of the Capriccio.'' In: Journal of the Royal Musical Association, 113/1 (1988), S.&nbsp;47–56.
* Fulvia Morabito: ''Pietro Antonio Locatelli''. In: ''[[Die Musik in Geschichte und Gegenwart]]''. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte 357–362
* Albert Dunning (Hrsg.): ''Pietro Antonio Locatelli, Opera omnia'', Kritische Gesamtausgabe in 10 Bänden, London/Mainz 1994, ISBN 978-0-946535-49-1.
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* Michael Philipp: ''Ein Genre als Programm: Pietro Locatellis Concerto op.&nbsp;7, Nr.&nbsp;6 „Il Pianto d’Arianna” (1741)'' In: Ders.: ''Läppische Schildereyen? Untersuchungen zur Konzeption von Programmusik im 18.&nbsp;Jahrhundert.'' Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33337-4, S.&nbsp;162–196.
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* Michael Märker: ''Pietro Antonio Locatelli.'' In: Ingeborg Allihn (Hrsg.): ''Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550–1770.'' Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3, S.&nbsp;266–270.
* Albert Dunning: ''Locatelli, Pietro Antonio'' In: ''Grove Music Online. Oxford Music Online.'' Oxford University Press, Version: 20. Januar 2001. https://www.oxfordmusiconline.com.
* Albert Dunning (Hrsg.): ''Pietro Antonio Locatelli, Catalogo tematico, lettere, documenti & iconografia'' (= Supplementband der ''Kritischen Gesamtausgabe''), Mainz 2001, ISBN 978-0-946535-40-8.
* Fulvia Morabito: ''Pietro Antonio Locatelli''. In: ''[[Die Musik in Geschichte und Gegenwart]]''. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte 357–362.
* {{DBI|Autor=Agnese Pavanello|ID=pietro-antonio-locatelli_(Dizionario-Biografico)|Lemma=LOCATELLI, Pietro Antonio|Band=65|SeiteVon=|SeiteBis=|Kommentar=}}


== Weblinks ==
== Weblinks ==

Version vom 20. Juni 2024, 19:32 Uhr

Pietro Locatelli ca. 1733
Schabkunstblatt von Cornelis Troost (1696–1750)

Pietro Antonio Locatelli (* 3. September 1695 in Bergamo; † 30. März 1764 in Amsterdam) war ein italienischer Violinist und Komponist.

Leben

Bergamo

Über Locatellis Kindheit ist wenig bekannt. In seiner frühen Jugend war er dritter Violinist mit dem Titel virtuoso in der cappella musicale der Kirche Santa Maria Maggiore zu Bergamo.[1] Seine ersten Geigenlehrer waren vermutlich Ludovico Ferronati und Carlo Antonio Marino, beide Mitglieder der Kapelle und anerkannte Musiker. Kompositionslehre könnte ihm der Maestro di Cappella, Francesco Ballarotti (1660–1712), erteilt haben.[2] Im Herbst 1711 entließ ihn die bergamaskische Behörde auf sein Gesuch hin mit der Bemerkung, er gehe „con bona Ligenza [...] a Roma per aprofitare nella sua professione“.[3][4]

Rom

Ab dem Herbst 1711 studierte Locatelli in Rom, wahrscheinlich bei Giuseppe Valentini, vielleicht auch kurz bei Arcangelo Corelli, der im Januar 1713 starb.[5] Ein Brief Locatellis vom 17. März 1714 an seinen „Carissimo signor Padre“ in Bergamo beweist, dass Locatelli zu dieser Zeit fest in der compita accademia di varj instrumenti, der Hauskapelle des Fürsten Michelangelo I. Caetani (1685–1759), angestellt war, bei dem auch Valentini spätestens seit 1710 als Suonator di Violino, e Compositore di Musica wirkte.[6] Zwischen 1716 und 1722 war Locatelli außerdem Mitglied der Congregazione generale dei musici di S. Cecilia und wurde damit von dem adligen Prälaten und späteren Kardinal Camillo Cybo protegiert.[7] Darüber hinaus gibt es Belege dafür, dass Locatelli Aushilfsdienste für andere römische Adelshäuser erfüllte, so beispielsweise des Öfteren für den Kardinal Pietro Ottoboni in der Kirche San Lorenzo in Damaso – letztmals bezeugt für den 7. Februar 1723.[8]

In seine römische Zeit fiel Locatellis Debüt als Komponist. 1721 erschienen in Amsterdam seine MONSIGNORE/ D. CAMILLO CYBO/ DE DUCHI DI MASSA, È CARRARA &/ PATRIARCA DI CONSTANTINOPOLI gewidmeten XII Concerti grossi op. 1.[9][10]

Reisen durch Italien und Deutschland

Von 1723 bis 1728 bereiste Locatelli Italien und Deutschland. Nur Mantua, Venedig, München, Dresden, Berlin, Frankfurt am Main und Kassel sind als Stationen bekannt. Vermutlich stammen die meisten seiner für den Konzertgebrauch geschriebenen und später in Amsterdam verlegten Werke, zumal die Violinkonzerte mitsamt den Capricci, aus dieser Zeit der Künstlerreisen. Ihr Vortrag konnte seinen Ruhm begründen. Ob das so war, ist unbekannt; denn es fanden sich kaum Berichte über seine Auftritte, die belegen können, wie er zu seinem Ruf, ein hochvirtuoser Violinist zu sein, gekommen ist.[11]

Locatellis Wirken am Hof des Regenten von Mantua, des Landgrafen Philipp von Hessen-Darmstadt, ist durch eine Urkunde von 1725 verbürgt, in welcher der Landgraf Locatelli als „Nostro Virtuoso“ bezeichnete. Wie oft und in welcher Eigenschaft Locatelli am Mantuaner Hof als Musiker aufgetreten ist, lässt sich allerdings nicht nachweisen.[12]

Ähnlich ist es in Bezug auf Venedig. Sicher war Locatelli dort, aber auch in diesem Fall ist weder der genaue Zeitpunkt noch etwas über seine dortigen Tätigkeiten bekannt.[13]

Von Locatellis Besuch in München gibt es lediglich eine Notiz: Am 26. Juni 1727 wurde „der fremde Virtuos Locatelli“ durch den „Directeur de la Music“ des Kurfürsten für einen Auftritt mit zwölf doppelten Goldgulden bezahlt.[14]

Ein knappes Jahr später, im Mai 1728, gastierte Locatelli am preußischen Hof zu Berlin. Wahrscheinlich war er zusammen mit August dem Starken und dessen Geleit von etwa 500 Personen – darunter Johann Georg Pisendel, Johann Joachim Quantz und Silvius Leopold Weiss – von Dresden nach Potsdam gekommen.[15] Ein Bericht über Locatellis Auftreten vor König Friedrich Wilhelm I. hat anekdotische Züge und schildert Locatelli als einen selbstbewussten und eitlen Musiker in prunkvoller, diamantenverzierter Kleidung. Das adelige Publikum soll freilich das Geigenspiel Johann Gottlieb Grauns dem Locatellis vorgezogen haben.[16]

Ein Eintrag Locatellis in das Stammbuch eines reichen Autographensammlers dokumentiert, dass Locatelli am 20. Oktober 1728 in Frankfurt am Main weilte. Der Eintrag enthält eine Miniaturfassung des Andante der Sonata III aus Opus 2 für ein Tasteninstrument.[17][18]

Letzte bekannte Station der Reisejahre war Kassel. Wegen „gethaner Auffwartung“ am Hofe des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel am 7. Dezember 1728 erhielt Locatelli die sehr hohe Vergütung von 80 Reichstalern. Der Organist Jacob Wilhelm Lustig berichtete 1786 von diesem Auftritt. Locatelli habe „große Schwierigkeiten krächzend“ aus seiner Violine herausgeholt, um die „Zuhörer zum Verwundern zu bringen.“[19]

Amsterdam

Gedenktafel Prinsengracht 506, Amsterdam

1729 zog Locatelli nach Amsterdam, wo er sesshaft wurde und bis zu seinem Lebensende wirkte. Er komponierte wenig, gab Dilettanten Violinunterricht und edierte seine Opera 1 bis 9 und Werke anderer Musiker. Aus einem Briefwechsel zwischen Locatelli und Giovanni Battista Martini weiß man, dass er Martinis op. 2 druckfertig machte.[20] Seine wenig belegten öffentlichen und halböffentlichen Auftritte waren nur Musikliebhabern, nicht aber professionellen Musikern zugänglich. “[...] he is so afraid of People Learning from him, that He won’t admit a Professed Musician into his Concert”[21], schrieb ein Engländer, der ihn 1741 hören durfte.[22] Wohlhabende Musikliebhaber ermöglichten dem in Amsterdam unüberbotenen Virtuosen ein überdurchschnittlich gut situiertes Leben. Die Gesellschaftsschicht reicher Kaufleute und städtischer Beamter bildete ein neues Mäzenatentum. Anders als der europäische Adel waren diese Bürger nicht interessiert, ein prunkvolles, repräsentatives Hofleben zu schaffen und dazu Musiker in Dauerstellung zu beschäftigen. Sie verlangten auch nicht nach sich jeweils spektakulär überbietenden neuen Kompositionen, sondern begnügten sich mit Anerkanntem, beispielsweise mit dem verhältnismäßig kleinen Œuvre Locatellis, an dessen Aufführungen sie als begeisterte Dilettanten mitwirkten. Im Salonleben des gehobenen städtischen Bürgertums war Locatelli als Virtuose und Komponist eine anerkannte, bewunderte und geförderte Größe.[23] 1741 richtete er in seinem Haus einen Betrieb für den Verkauf von Saiten ein.[24] 1742 wurde sein Einkommen in einer Schätzung der Personalsteuern mit 1500 Gulden jährlich eingestuft. Es war das höchste Einkommen aller Amsterdamer Musiker. Warum sich über ihn von 1744, als er op. 8 veröffentlichte, bis 1762, als er op. 9 veröffentlichte, keinerlei Berichte von Lexigraphen und Zuhörern sowie von einheimischen und internationalen Musikjournalisten fanden, ist bisher nicht zu erklären.[25]

Am 30. März 1764 starb Locatelli in seinem Haus in der Prinsengracht.

Der Nachlass

Das amtliche Nachlass-Inventar Locatellis ergänzt das Bild, das die wenigen Dokumente über sein Leben nur andeuten. Eine Bibliothek mit über eintausend Titeln zeigt Locatellis Interesse an Literatur und Wissenschaft. Es finden sich auch ornithologische, theologische, kirchengeschichtliche, politische, geografische, kunsttheoretische und mathematische Werke. Die musiktheoretische Literatur reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert. Ab Dante sind alle wichtigen literarischen Autoren mit Gesamtausgaben vertreten. Aus den vielen gedruckten und ungebundenen Musikalien ragt eine Gesamtausgabe der Werke Corellis hervor. Eine große Sammlung von Bildern vor allem niederländischer, italienischer und französischer Meister zeugen von Locatellis Kennerschaft auch auf diesem Gebiet. Insgesamt spiegelt sich in Locatellis Nachlass ein Mann von umfassender Geistesbildung. All das Genannte, auch seine Instrumente und vieles darüber hinaus, wurde schließlich im August 1765 versteigert.[26][27]

Musik

Drucke und Datierung

Als sich Locatelli 1729 nach Amsterdam wandte, fand er dort das Zentrum des europäischen Musikverlagswesens vor. Seine Opera 2 bis 6, 8 und 9 sowie eine Neuauflage von op. 1 brachte er in Amsterdam heraus, op. 7 im benachbarten Leiden. Sehr sorgsam kümmerte er sich persönlich um fehlerlose Ausgaben. Die groß besetzten Werke übergab er verschiedenen Verlagen, die kleiner besetzten edierte und vertrieb er selbst.

Nicht nur op. 1 stammte aus früheren Zeiten, sondern auch op. 3, und zumindest für Teile der Opera 2 und 4 bis 8 ist das anzunehmen. In Amsterdam konnte Locatelli ein Druckprivileg erwerben, das die dort oder in Leiden verlegten Opera 1 bis 8 in Holland und Westfriesland vor unerlaubten Nachdrucken bewahrte und Importe von Nachdrucken verhinderte. Im Antrag zu diesem Privileg bezeichnete er sich als „Italiaanisch Muziekmeester woonende te Amsterdam“.[28][29] Eine Bedingung dieses Schutzes war, dass Locatelli von jedem Werk ein kostenloses Exemplar an die Leidener Universitätsbibliothek abgab. Dadurch konnten sich Erstdrucke bis heute sicher erhalten. Op. 9 dagegen, das nach Ablauf der Verlängerungsperiode dieses Rechtsschutzes veröffentlicht wurde, ist verschollen.[30]

Triosonaten

Locatellis Triosonaten orientieren sich wie diejenigen von Giuseppe Tartini am Muster der Kirchensonate,[31] der Unterschied zwischen Kirchen- und Kammersonate verliert bei Locatelli jedoch durch individuell gestaltete Satzfolgen an Bedeutung.[32] Wie die Gattungsbeiträge von Tartini und Giovanni Battista Sammartini weisen Locatellis Triosonaten bereits galante Einflüsse auf.[31] Entgegen dem Ideal der Gleichwertigkeit der drei Hauptstimmen liegt das Hauptgewicht auf einer der beiden Oberstimmen, wobei oft nach anfänglichem Abwechseln die zweite Stimme zur Füllstimme degeneriert.[33] In den vier Triosonaten aus op. 8, veröffentlicht 1744, tritt wiederum der Bass aus seiner Rolle, den Bass des Cembalos zu unterstützen, hervor und wird als eigenständiges Instrument etabliert.[34]

Solosonaten

Die Sätze der Flötensonaten op. 2, veröffentlicht 1732, verlaufen im zweiteiligen Ritornell-Schema, zukunftsweisend ist jedoch nach dem Ritornell eine „keimhaft modulierende Durchführung“, sodass mit der darauf folgenden Reprise implizite Dreiteiligkeit entsteht.[35] Das Material nach dem markanten Hauptthemen hat meist noch nicht genug „Eigengesicht“ um im Sinne des klassischen Sonatenhauptsatzes von einem kontrastierenden Nebengedanken zu sprechen, es wird auch nicht zwingend in weiterer Folge berücksichtigt. Die Flötenstimme besticht durch lieblich singende Melodik mit „milden Konturen“ und „weichem Ausdruck“,[36] reich verziert mit lombardischen Rhythmen, Seufzermotiven, Appoggiaturas, Synkopen und abwechslungsreichen Rhythmuswerten und von der harmonischen Stützstimme klar abgesetzt.[37]

Die Violinsonaten opp. 6 und 8, veröffentlicht 1737 und 1744, weisen mit nur zwei Sätzen der Folge langsam – schnell eine „erstaunliche“ Abweichung vom Da chiesa-Schema auf.[38] Sie sind „spieltechnisch mindestens so anspruchsvoll“ wie diejenigen von Giuseppe Tartini[38] und verlangen „vollentwickeltes Doppelgriffspiel, wie es manche Zeitgenossen nicht einmal in Konzertwerken kompositorisch einsetzten“.[39] Der abschließende Variationssatz von op. 6 Nr. 1 wartet mit Kombinationen von Extravaganzen auf, sodass die Satzbezeichnung Cantabile „ad absurdum geführt wird“.[40]

Capricci

Vergleich von
Locatelli op. 3, Capriccio 7 und
Paganini op. 1, Capriccio 1
„Trillo del Diavolo“ aus op. 3, Capriccio 16

Die in die Konzerte op. 3 integrierten Capricci unterscheiden sich von ausnotierten solistischen Kadenzen dadurch, dass sie nicht während sondern nach einer harmonischen Kadenz zu stehen kommen, nur am Ende von Ecksätzen auftreten, oft sehr lange und frei modulierend sind und zum umgebenden Material einen Kontrast bilden, sowie metrisch weniger frei sind.[41] Die linke Hand steigt bis zur 22. Lage, Mehrfachgriffe, polyphone Passagen, Triller und Doppeltriller werden fast systematisch erprobt.[37] Für die Entwicklung der Violintechnik von Corelli und Vivaldi zu Pierre Gaviniès und Niccolò Paganini spielen Locatellis Capricci eine große Rolle, sodass er als „Schlüsselfigur“ angesehen werden kann.[39] Paganinis erstes Capriccio weist mit Locatellis siebentem „erstaunliche Ähnlichkeit“ auf.[42] Für Carl Ditters von Dittersdorf taugten die Stücke allerdings nur mehr zum Üben, nicht mehr zum Vortrag“.[39]

Konzerte

Locatellis Concerti grossi op. 1 „tragen deutlich den Stempel Corellis” mit kraftvollem Streicherduktus und kleingliedrigem Wechsel von Tutti und Solo, beide Sammlungen werden durch ein Weihnachtskonzert abgeschlossen.[43] Locatelli geht in der Tonartendisposition weiter als sein Vorbild und erweitert die Besetzung um eine Solo-Bratsche.[44] Während im op. 1 die „Dynamik noch überwiegend aus dem Concertino-Tutti-Kontrast resultiert“, tritt diese Gestaltungsweise in den späteren Konzerten zugunsten konzertierender und virtuoser Passagen der ersten und zweiten Solovioline zurück.[45] Die Genauigkeit von Locatellis Klangvorstellung wird etwa im zehnten Konzert aus op. 4 deutlich, wenn er den pathetischen Ton der Solo-Violine in hoher Lage mit Pizzicato und Dämpfer in den anderen Stimmen kombiniert. Witz beweist der Abschied der vier Solisten in Locatellis op. 4 Nr. 12.[46] In den Konzerten op. 3 weist das Aufgreifen des Tuttithemas in der Solo-Violine eine Oktave höher sowie um Verzierungen bereichert auf spätere Entwicklungen voraus.[32]

Neben Konzerten veröffentlichte Locatelli in op. 4 sechs Introduzioni für das Theater, orientiert an der dreisätzigen Sinfonia der neapolitanischen Oper. Die Orchestrierung als Concerto grosso dient einem „suggestive[n] Wechselspiel aus ‚Hell‘ und ‚Dunkel‘“.[35]

Das Konzert op. 7 Nr. 6 mit dem Beinamen „Il pianto d’Arianna“ ist im Anschluss an das Beispiel der Vokalmusik als „ästhetische Neuorientierung des Virtuosen und gewandten Kontrapunktikers [...] in der Richtung der expressiven Qualitäten” von Musik und insbesondere der Violine zu sehen.[47] Ungewöhnliche Satzfolge, kühne Harmonik, chromatisierte Melodieführung und „chromatisch durchsetzte Polyphonie“,[48] sowie die „vorherrschende[n] rasche[n] Wechsel prononcierter Stimmungen” sind innerhalb von Locatellis Werk einzigartig.[49] Kurze, meist unmittelbar anschließende Sätze sind weniger durch musikalische Gesetzlichkeit als durch „psychologische“ Vorstellungen verbunden.[50] Die typischen Lamento-Ausdrucksmittel wie Dissonanzen, übergreifender tonaler Zusammenhang, klare harmonische Entwicklung, stufenweise Melodieführung, unartikulierter Rhythmus, langsames Tempo und Molltonart treten dabei nie alle gemeinsam auf. Im vorbildlichen Lamento d’Arianna (Uraufführung L’Arianna 1608 in Mantua) von Claudio Monteverdi wurden die „tradierten musikalischen Mittel“ zugunsten des Ausdrucks aufgebrochen, nicht nur Kontrapunktregeln traten außer Kraft, „eine vollständige Kongruenz des kompositorisch-praktischen und des musiktheoretischen Diskurs erscheint nicht mehr möglich“. Dementsprechend wird bei Locatelli die „Wirkungskategorie des Ausdrucks“ zum „verbindliche[n] konstitutive[n] Prinzip für eine Form“.[51]

Werke

  • Opus 1: XII Concerti grossi à Quatro è à Cinque. Amsterdam 1721
  • Opus 2: XII Sonate à Flauto traversiere solo è Basso. Amsterdam 1732
  • Opus 3: L’Arte del Violino; XII Concerti Cioè, Violino solo, con XXIV Capricci ad libitum. Amsterdam 1733[52]
  • Opus 4: VI Introduttioni teatrali è VI Concerti. Amsterdam 1735
  • Opus 5: VI Sonate à Trè. Amsterdam 1736[53]
  • Opus 6: XII Sonate à Violino solo è Basso da Camera. Amsterdam 1737
  • Opus 7: VI Concerti à quattro. Leiden 1741
  • Opus 8: X Sonate, VI à Violino solo è Basso è IV à Trè. Amsterdam 1744
  • Opus 9: VI Concerti a quattro. Amsterdam 1762
  • Opera ohne Opuszahl:
    • Sonata g-Moll für Violine und Bc.
    • Sinfonia [...] composta per l'esequie della sua Donna che si celebrarono in Roma f-Moll für 2 Violinen, Viola und Bc.
    • Concerto A-Dur für Violine, 2 Violinen, Viola und Bc.
    • Concerto E-Dur für Violine, 2 Violinen, Viola und Bc.
  • Opera dubia (zweifelhafte Werke): Violinkonzerte, Sinfonien, Triosonaten, Flötenduette, Violinsonaten, eine Oboensonate, ein Capriccio in E für Violine allein.
  • Etliche weitere Werke aus unterschiedlichen Gattungen sind verschollen.

Literatur

  • Constantin von Wurzbach: Locatelli, Peter. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 15. Theil. Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1866, S. 357 f. (Digitalisat).
  • John Hendrick Calmeyer: The Life, Times and Works of Pietro Antonio Locatelli. University of North Carolina at Chapel Hill, 1969, Dissertation.
  • Walter Kolneder: Das italienische Violinspiel im Anschluss an Vivaldi. Geminiani, Somis, Veracini, Locatelli. In: Ders.: Das Buch der Violine. Bau – Geschichte – Spiel – Pädagogik – Komposition. Atlantis Verlag, Zürich und Freiburg i. Br. 1972, S. 321–326.
  • Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Buren 1981, ISBN 90-6027-380-X.
  • Philip Whitmore: Towards an Understanding of the Capriccio. In: Journal of the Royal Musical Association, 113/1 (1988), S. 47–56.
  • Albert Dunning (Hrsg.): Pietro Antonio Locatelli, Opera omnia, Kritische Gesamtausgabe in 10 Bänden, London/Mainz 1994, ISBN 978-0-946535-49-1.
  • Michael Philipp: Ein Genre als Programm: Pietro Locatellis Concerto op. 7, Nr. 6 „Il Pianto d’Arianna” (1741) In: Ders.: Läppische Schildereyen? Untersuchungen zur Konzeption von Programmusik im 18. Jahrhundert. Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33337-4, S. 162–196.
  • Michael Märker: Pietro Antonio Locatelli. In: Ingeborg Allihn (Hrsg.): Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550–1770. Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3, S. 266–270.
  • Albert Dunning: Locatelli, Pietro Antonio In: Grove Music Online. Oxford Music Online. Oxford University Press, Version: 20. Januar 2001. https://www.oxfordmusiconline.com.
  • Albert Dunning (Hrsg.): Pietro Antonio Locatelli, Catalogo tematico, lettere, documenti & iconografia (= Supplementband der Kritischen Gesamtausgabe), Mainz 2001, ISBN 978-0-946535-40-8.
  • Fulvia Morabito: Pietro Antonio Locatelli. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte 357–362.
  • Agnese Pavanello: LOCATELLI, Pietro Antonio. In: Mario Caravale (Hrsg.): Dizionario Biografico degli Italiani (DBI). Band 65: Levis–Lorenzetti. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 2005.
Commons: Pietro Locatelli – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Albert Dunning, Buren 1981, Band I, S. 22
  2. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 26.
  3. „mit einem guten Zeugnis [...] nach Rom, um (dort) in seinem Beruf daraus Nutzen zu ziehen.“
  4. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 26f.
  5. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 38ff.
  6. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 48f sowie 209.
  7. Fulvia Morabito: Pietro Antonio Locatelli. In MGG Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte 357.
  8. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 56f.
  9. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 58.
  10. Albert Dunning (Hrsg.): Pietro Antonio Locatelli, Catalogo tematico, lettere, documenti & iconografia (= Supplementband der Kritischen Gesamtausgabe), Mainz 2001, S. 7.
  11. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 103.
  12. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 104–107.
  13. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 107.
  14. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 109f.
  15. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 111.
  16. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 111–116.
  17. Fulvia Morabito: Pietro Antonio Locatelli. In MGG Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 11, Kassel et altera 2004, Spalte 358.
  18. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 116f.
  19. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 118f.
  20. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 283–304.
  21. Aus einem Brief von Benjamin Tate vom 11. April 1741. In: Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 204. Deutsch: „[...] er fürchtet so sehr, dass Leute von ihm lernen, dass er keinem professionellen Musiker Zutritt zu seinem Konzert erlaubt.“
  22. Locatellis Sorge, jemand könne seine Spielweise übernehmen, bestand zu Recht. So ist beispielsweise Heinrich Wilhelm Ernst seinem Vorbild Niccolò Paganini nachgereist, hat ihn mehrfach gehört und hat die Stücke danach in Paganinis Manier aus der Erinnerung gespielt.
  23. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 315.
  24. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 310 sowie 320f.
  25. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 306.
  26. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 325ff.
  27. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band II. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 141–195
  28. Deutsch: „Italienischer Musikmeister, wohnhaft in Amsterdam“.
  29. Arend Koole: Pietro Antonio Locatelli. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Erste Ausgabe, Band 8, Kassel et altera 1960, Spalte 1076.
  30. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 358.
  31. a b Siegbert Rampe: Kammermusik. In: Ders. (Hrsg): Instrumentalmusik des Barock. Laaber-Verlag, Laaber 2018 (= Handbuch der Musik des Barock, Band 3), ISBN 978-3-89007-873-1, S. 111–217, hier 181.
  32. a b Michael Märker: Pietro Antonio Locatelli. In: Ingeborg Allihn (Hrsg.): Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550–1770. Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3, S. 266–270, hier 267.
  33. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 229ff.
  34. John Hendrick Calmeyer: The Life, Times and Works of Pietro Antonio Locatelli. University of North Carolina at Chapel Hill, 1969, Dissertation, S. 369.
  35. a b Fulvia Morabito: Locatelli, Pietro Antonio In: Laurenz Lütteken (Hrsg.): MGG online, Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a., Version: November 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/13502.
  36. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 227f sowie 216.
  37. a b Albert Dunning: Locatelli, Pietro Antonio In: Grove Music Online. Oxford Music Online. Oxford University Press, Version: 20. Januar 2001. https://www.oxfordmusiconline.com.
  38. a b Siegbert Rampe: Kammermusik. In: Ders. (Hrsg): Instrumentalmusik des Barock. Laaber-Verlag, Laaber 2018 (= Handbuch der Musik des Barock, Band 3), ISBN 978-3-89007-873-1, S. 111–217, hier 135.
  39. a b c Walter Kolneder: Das Buch der Violine. Bau – Geschichte – Spiel – Pädagogik – Komposition. Atlantis Verlag, Zürich und Freiburg i. Br. 1972, S. 325.
  40. Michael Märker: Pietro Antonio Locatelli. In: Ingeborg Allihn (Hrsg.): Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550–1770. Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3, S. 266–270, hier 268.
  41. Philip Whitmore: Towards an Understanding of the Capriccio. In: Journal of the Royal Musical Association, 113/1 (1988), S. 47–56, hier 54f.
  42. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 188.
  43. Michael Märker: Pietro Antonio Locatelli. In: Ingeborg Allihn (Hrsg.): Barockmusikführer. Instrumentalmusik 1550–1770. Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-00979-3, S. 266–270, hier 269.
  44. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 69.
  45. Michael Philipp: Läppische Schildereyen? Untersuchungen zur Konzeption von Programmusik im 18. Jahrhundert. Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33337-4, S 189f.
  46. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 260 sowie 266.
  47. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 274.
  48. Michael Philipp: Läppische Schildereyen? Untersuchungen zur Konzeption von Programmusik im 18. Jahrhundert. Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33337-4, S 192.
  49. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 277ff.
  50. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. Band I. Uitgeverij Frits Knuf b.v., Buren 1981, S. 271.
  51. Michael Philipp: Läppische Schildereyen? Untersuchungen zur Konzeption von Programmusik im 18. Jahrhundert. Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-33337-4, S 185 sowie 195f.
  52. Vermutlich sein wichtigstes Werk, eine Sammlung von 12 Violinkonzerten, die 24 technisch anspruchsvolle „Capricci“ (ausgeschriebene Solokadenzen) enthalten.
  53. Triosonaten, dem Amsterdamer Stadtsekretär Mattheus Lestevenon (1715–1797), einem seiner Schüler und Gönner, gewidmet.