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Köppels Wikipedia - Das Magazin
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Das Magazin 07 / 2008

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Köppels Wikipedia

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 Wer sucht, der findet manchmal auch das Falsche. Bild: Thomas Zaugg

Wer sucht, der findet manchmal auch das Falsche.
Bild: Thomas Zaugg

Wie weiter mit der freien Enzyklopädie, bei der Leute mitschreiben, über die geschrieben wird?

Stellen wir uns vor, Roger Köppel, Chefredaktor der «Weltwoche», sitzt vor seinem Computer und klickt sich durchs Internet. Er ist völlig entspannt. Dann gibt er auf Google seinen Namen ein: «Roger Köppel», und klickt auf «Google-Suche».

Im modernen Sprachgebrauch heisst das: «sich selbst googeln». Mindestens einmal im Leben googelt sich jeder Mensch selbst. Manche sehen darin Bauchpinselei oder gar eine narzisstische Unart. Aber warum soll man seine Internetidentität nicht überprüfen dürfen? Warum soll die Neugierde nach dem eigenen Namen narzisstisch sein?

Schliesslich gelangt Roger Köppel auf Wikipedia. Er sucht wieder nach: «Roger Köppel», und wird fündig. Aber er ist nicht mehr so entspannt. Auf Wikipedia stehen Dinge über ihn, die so nicht stimmen, findet er. Köppel beginnt, gewisse Dinge abzuändern.

Die «SonntagsZeitung» berichtete letzte Woche: «Die Änderungen lassen sich Wort für Wort nachvollziehen. Da wird betont, dass Köppel statt für den ‹Tages-Anzeiger› nach New York als Chefredaktor zur ‹Weltwoche› ging. Dass dank ihm ‹die Auflage stieg› und dass die ‹Weltwoche› bisher nicht ein sozial-liberales, sondern ein ‹linkes› Weltbild vertrat. Gar nicht gepasst hat dem Autor der neue ‹rechtsliberale bis rechtskonservative› und ‹amerikafreundliche› Kurs. Die Begriffe wurden durch ein neutrales ‹wirtschaftsliberal› ersetzt. Zudem war dem Urheber wichtig, Christoph Blocher nicht als ‹Rechtspopulisten›, sondern als ‹konservativen Liberalen in der Tradition Thatchers und Reagans› zu charakterisieren.»

Roger Köppel sitzt vor dem Computer und nickt. Gegenüber der «SonntagsZeitung» sagte er: «Ja, ich habe tendenziöse und falsche Angaben korrigiert.» Aber welche das waren, das wisse er nicht genau.

Köppels Aktion ist aus Köppels Sicht verständlich. Er sieht gewisse Dinge halt anders als andere. Und «wirtschaftsliberal» ist tatsächlich das schönere Wort für seinen rechtsliberalen bis rechtskonservativen Kurs. Und warum sollte er auf Wikipedia nicht seine Meinung über sich selbst kundtun dürfen? Auf einer intersubjektiven, sozusagen demokratisierten Enzyklopädie?

Köppels Aktion zeigt vor allem eines: Wikipedias Schwächen. Gewisse Einträge auf dieser Enzyklopädie sind verbotene Zone. Man sollte sie nicht konsultieren; zu ungewiss sind die Hintermänner der Informationen; zu wenig beherrschen manche Wikipedia-Autoren den neutralen, grauen Lexikon-Jargon; zu schnell dringt bei gewissen Themen die persönliche Meinung oder gar das Feuer durch.

Interessant an Wikipedia sind meistens weniger die Einträge, sondern die Diskussionsseiten zu den Einträgen. Da nämlich wird gestritten. Da werden Fronten und Meinungen klarer. Zum Beispiel auf der Diskussionsseite zum Eintrag über den Philosophen Hegel: «Eine freundliche Bitte – an den Herrn Rosenthal nämlich. Das, was Sie, lieber Herr, für Einträge halten, nennen andere Vandalismus. Sie mögen Schopenhauer; meinetwegen. Und Sie sind wütend darüber, daß sich heute kein Mensch für Schopenhauer interessiert; auch gut. Aber bitte lassen Sie ihre Wut nicht an Hegel aus, der ja nichts dafür konnte, daß er mehr vom Leben und der Welt wußte als Schopenhauer. Ich möchte Sie daher bitten, weiteren Vandalismus – etwa wie die Behauptung, Hegels Grundsatz bestünde in dem Satze: ‹Solange mich niemand versteht, habe ich recht.› – zu unterlassen. Und bitte mäßigen Sie auch etwas ihren Ton, wir führen hier nämlich keinen Weltkrieg.»

Gewisse Einträge auf Wikipedia dürfen nur angemeldete Benutzer editieren – zum Beispiel diesen: «Der Artikel George W. Bush wurde für nicht angemeldete und neue Benutzer gesperrt, da er regelmäßig und in größerem Umfang von Vandalismus betroffen war. Änderungen am Artikel können auf dieser Seite vorgeschlagen werden. Eine Entsperrung des Artikels kann bei den Entsperrwünschen diskutiert werden.»

Man sollte jetzt noch eine weitere Kategorie vorschlagen: «Der Artikel Roger Köppel darf vorerst noch nicht geschrieben werden. Nicht nur war der Artikel regelmäßig und in größerem Umfang von Vandalismus betroffen, es scheint ferner eine noch unauflösbare Übermacht an unterschiedlichen Meinungen zu ihm vorzuherrschen.»

Für manche Wikipedia-Einträge ist die Zeit noch nicht reif. Löschen wir sie wieder und warten ein paar Jahrzehnte. Erst dann können wir vielleicht schreiben, was wirklich ist.


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2 Kommentare

Ronnie Grob

Ich verstehe die Aufregung darum, dass auch prominente Leute oder Organisationen an der Wikipedia mitschreiben, nicht ganz. Das Tolle und Schöne an diesem Projekt ist ja, dass Wahrheit, wie es die letzten Jahrzehnte vom Bildungsbürgertum als unumstössliche Grösse angesehen wurde, nun immer wieder von Neuem ausgehandelt werden kann.

Früher gab es einfach nur das Lexikon. Und was da drin stand, das stimmte. Das war die Wahrheit. Und wenn jemand was durchgestrichen hatte und seine Wahrheit hingeschrieben hatte, dann war er ein Schmutzfink, ein Vandale, ein Uneinsichtiger.

Dass es nun Wikipedia gibt und dass jeder sowas machen kann und das vielleicht sogar unbemerkt - macht das wirklich die Welt schlechter? Was ist schlimmer? Wenn man Hegels Geburtsdatum falsch aus dem Brockhaus abschreibt oder wenn man es falsch aus der Wikipedia kopiert? Hätte es Hegel gekratzt?

Sicher ist, dass diese "Wahrheit als Verhandlungssache" in uns die Sehnsucht nach Fixem und Unveränderlichen erhöhen wird.

Köppel und die Konstruktivisten

David Bauer

Ich muss ein wenig ausholen: Köppel versteht es als seine Aufgabe, bzw. die Aufgabe seines Blattes, zu "schreiben, was ist". Er nimmt damit etwas an, was Konstruktivisten, zu denen ich mich ab und zu gerne zähle, das Blut in den Adern gefrieren lässt: Es gibt eine Wahrheit, eine Realität "da draussen" und wer gut und mutig genug ist, kann sie exakt beschreiben. Schreiben, was ist.

Nun ist Wikipedia gewissermassen eine weltumspannende konstruktivistische Orgie. Verschiedene Blickwinkel auf Geschehnisse, Personen und Dinge prallen aufeinander und konkurrieren mit gleichen Grundvoraussetzungen. Es gibt nicht die eine Wahrheit über, sagen wir Roger Köppel, sondern jeder Mitautor bei Wikipedia konstruiert die seinige. Was Konsens findet, hat bessere Chancen, auf Wikipedia zu überdauern.

Roger Köppel will, dass geschrieben ist, was ist. Was er ist. Und was er ist, weiss er selber am besten. Er meint, er kennt die Realität am besten. Dabei nimmt er bloss seine Konstruktion am wichtigsten.

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