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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Terror-Versteher
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Terror-Versteher

Hintergrund:
Deutsche Geiseln, die im Irak und im Jemen entführt wurden, äußeren sich nach der Befreiung auffallend freundlich über ihre Kidnapper.

 

Verständnis für alles und jeden

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Erschienen am 06.01.2006 in DIE WELT

Tookie Williams war ein "Kinderbuchautor" und Clarence Ray ist ein "kranker Greis". So werden der kürzlich Hingerichtete und der nächste Todeskandidat in Kaliforniens Gefängnissen den Lesern eines Internetportals für Kinder vorgestellt. Warum die beiden verurteilt wurden wird nur am Rande erwähnt. Auch von ihren Opfern und deren Hinterbliebenen ist keine Rede. Ausführlich wird dagegen erklärt, dass Kaliforniens Gouverneur Schwarzenegger ein ziemlich mieser Typ ist.

Wenn Mörder ihrem Tun obendrein ein politisches oder religiöses Mäntelchen überstülpen, können sie sich vor Verständnis kaum noch retten. Das war schon in den siebziger Jahren so, als sich die Intellektuellen heftige Sorgen um deutsche Terroristen machten. Die meisten ihrer Opfer, darunter etliche Menschen die zufällig im Weg standen, blieben anonym.
Anfang dieser Woche reihte sich der Schriftsteller John Le Carré in den Chor derer ein, das terroristischen Übel mitfühlend betrachten. "Versetzen sie sich zum Beispiel in die Lage eines palästinensischen Kindes, das sich einem israelischen Panzer gegenübersieht," sagte Le Carré. "Dieses Gefühl von Ohnmacht und Erniedrigung führt doch letztendlich zu einer Psychose, die nur noch eines kennt: Töten." Dass Extremismus derzeit hauptsächlich im Islam zu finden sei, vermag er nicht zu erkennen: "Das stimmt doch so nicht. Die gibt es genauso bei der religiösen Rechten wie im Zionismus." Irgendwie sind wir doch alle ein bisschen Osama.

Auch bei freigelassenen Geiseln gehört es mittlerweile zum guten Ton, Freundlichkeiten über die Kidnapper zu äußern. Susanne Osthoff gab in ihren schwer verständlichen Statements allen möglichen Faktoren Schuld und Mitschuld an ihrer Entführung - außer den Entführern selbst. Manfred Chrobog berichtete zwar, die Entführung hätte begonnen "mit einer schweren Schießerei, bei der unser Fahrer um ein Haar ums Leben gekommen wäre." Aber - Schwamm drüber - im Grunde seien er und die anderen Geiseln "anständig" behandelt worden. Er lobte die Gastfreundschaft der Banditen und schildert die Entführung als "sehr interessante Erfahrung". Alles halb so schlimm, und wer wird denn diesen edlen Wilden einen Vorwurf machen, wenn sie sich nicht an bürgerliche Gesetze halten.

Ist es das "Stockholm-Syndrom", wie Psychologen die Identifikation von Opfern mit ihren Peinigern nennen (benannt nach einem spektakulären Geiselraub in Schweden)? Es sind jedoch nicht allein Betroffene, die diesen beklemmend milden Blick auf die Täter werfen. Die sozialpädagogische Sicht auf Gewaltverbrecher, die in den siebziger Jahren aufkam, scheint nun endgültig allgemeinverbindlich geworden zu sein. "Denn wir sind die Guten, die Allesversteher," bringt es der Publizist Richard Herzinger diese Haltung auf den Punkt.

Wenn eine Geisel mal aus der Rolle fällt, wird sie öffentlich zurechtgewiesen. So geschah es dem im Irak entführten Australier Douglas Wood, der nach der Befreiung auf seine Kidnapper schimpfte. In einem Teil der australischen Presse wurde er dafür als übler Rüpel dargestellt.

Auch Judea Pearl, der Vater von Daniel Pearl, dem 2002 von pakistanischen Islamisten der Kopf abgeschnitten wurde, weigert sich in den Verständnis-Chor einzustimmen. Er kritisiert den moralischen Relativismus, der sich in den westlichen Gesellschaften breit macht. Der Unterschied zwischen Terroristen und Freiheitskämpfern sei nur eine Frage der Betrachtung, lautet das populäre Mantra dieses Relativismus. Pearl wirft Steven Spielberg vor, diese Denkart in seinem Film "München" zu verbreiten. Spielberg verkenne, dass es eine zivilisatorische Notwendigkeit sei, dass Übeltäter mit Konsequenzen rechen müssen.

Stattdessen können sie in der westlichen Welt heute auf jeder Menge Verständnis zählen. Mit Ausnahme von Vergewaltigung, Kindesmord und Kindesmissbrauch spielt die öffentliche Begleitmusik das Lied vom bedauernswerten Täter, der das eigentliche Opfer sei, weil er schlechte Eltern hatte, im Sandkasten gehänselt wurde oder sich gegen die Überlegenheit der Ungläubige, Christen und Juden wehren muss. So wird Tookie Williams zum Kinderbuchautor und islamistische Kopfabschneider zu Widerstandkämpfern. Öffnen wir also unser weites Herz: Mao war ein sensibler Dichter, Radovan Karadzic Schriftsteller und der Ex-Koch Idi Amin war der verkannte Witzigmann Ugandas. Tja und hätte die Wiener Kunstakademie den jungen Adolf Hitler nicht abgewiesen, hätte der auch nicht so schlechte Laune bekommen.