(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Luftverschmutzung
The Wayback Machine - https://web.archive.org/web/20080607024502/http://www.maxeiner-miersch.de:80/standp2004-03-03a.htm
Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Luftverschmutzung

Hintergrund:
Schwebstäube in der Luft sind ein weithin unterschätztes Umweltproblem.

 

Diesmal hat Trittin recht

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Egal ob Atomkraft oder PVC-Kunststoff, Amalgam oder Mobilfunkantennen, Bratkartoffeln oder Gummibärchen: Alles gilt heutzutage irgendwie und irgendwo als gefährlich. Der Bürger schaltet allmählich ab, denn kein Tag vergeht, ohne dass jemand "Alarm!" schreit. Wie soll er auch unterscheiden, welche Warnung wirklich ernst zu nehmen ist?

Schön deshalb, dass es so pragmatische Leute wie die Harvard-Wissenschaftler David Ropeik und George Gray gibt. Die beiden haben soeben ein Buch mit dem Titel "Risk" (Risiko) herausgebracht haben. Untertitel: "Ein praktischer Ratgeber darüber, was in der Welt um uns herum wirklich sicher und was wirklich gefährlich ist". Von A wie Atomkraft bis Z wie Zucker werden darin alltägliche und weniger alltägliche Risiken untersucht. Am Ende jedes Kapitels gibt ein "Risikometer" Auskunft über die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr ausgesetzt zu sein, so wie über die schwere der Folgen falls sie eintritt. Dabei zerbröseln viele in den Medien hochgejubelte Bedrohungen zum Phantom (beispielsweise Handystrahlen) oder rangieren in der Beurteilung ganz, ganz weit unten (beispielsweise Pestizide).

Bekannte Missetäter wie Alkohol und Zigaretten stellen unverändert hohe Risiken dar, es kommen jedoch auch neue, bislang in der Öffentlichkeit wenig beachtet hinzu. Besonders ein Bereich sticht alarmierend heraus: Feine Partikel in der Luft, auch Schwebstaub genannt. Diese feinsten Partikel sind so klein, dass man sie bisher nur schwer messen konnte. Sie finden sich in Dieselmotor- und Industrieabgasen, werden aber auch (etwa in Form von Ammoniumsulfat oder Nitrat) von landwirtschaftlichen Flächen herangeweht. Die Krux dabei: Gerade weil diese Partikel so winzig sind, werden sie uns so gefährlich. Sie können direkt in die Lunge geraten, vermutlich über das Blut sogar in Herz, Leber und Gehirn. Schwere Erkrankungen der Atemwege bis hin zu Krebs sind die Folge. Dies bestätigen auch die Forschern des Instituts für Epidemiologie am Forschungszentrum GSF in Neuherberg bei München: "An der Gefährlichkeit der Feinstäube gibt es keine wissenschaftlichen Zweifel mehr". Auch hier melden sich Wissenschaftler zu Wort, die sich in der Beurteilung von Risiken immer durch Sachlichkeit und deeskalierende Zurückhaltung ausgezeichnet haben und den Öko-Alarmismus meiden. Und das macht sie jetzt so glaubwürdig. Schätzungen nach denen in Deutschland mehrere Tausend Menschen infolge der neuartigen Luftverschmutzung erkranken und entsprechend früher sterben, muss man ernst nehmen.

Der blaue Himmel über unseren Städten ist eine wunderbare Sache, aber er täuscht. Im Kampf gegen die Luftverschmutzung steht jetzt Teil 2 an. Die Grenzwerte für Schwebestaub werden beispielsweise an viel befahrenen Strassen wie in Berlin an der Frankfurter Allee um ein vielfaches überschritten. Neben dem Abrieb von Reifen und Bremsen tragen hierzu vor allem Dieselfahrzeuge bei. Dabei ist ein typischer "Racheeffekt" des technischen Fortschritts im Spiel, denn die Lösung eines Problems, bringt oft ein neues an anderer Stelle hervor. Ein einfaches Beispiel: Nach der Erfindung moderner Skibindungen und Skistiefel bleiben die Knöchel heil, dafür sind jetzt die Kniegelenke besonders gefährdet. Moderne Dieselmotoren mit perfekter Verbrennung produzieren keine dunklen Russschwaden mehr und sind äußerst sparsam, leider kommen dabei aber auch besonders viele die lange unterschätzten Zwergpartikel heraus. Nun ist die nächste Runde des Wettrüstens schon im Gange: Dieselfilter, wie sie (zur Blamage der deutschen Hersteller) Peugeot als erster angeboten hat, lösen das Partikelproblem zumindest für die Dieselmotoren zu 99,9 Prozent. Umweltminister Trittin möchte sie möglichst schnell steuerlich begünstigen, gut so. Auch schärferen Bestimmungen, die andere Verursacher zum Handeln zwingen, sollten so schnell wie möglich umgesetzt werden. Für den umweltbewussten Verbraucher gibt es ohnehin klaren Rat: Keinen Diesel mehr ohne Filter kaufen.

Zugegeben: Im Falle der Schwebstäube und Diesel-Abgase sind es teilweise die üblichen Verdächtigen, die auch sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit "Alarm!" schreien - von Jürgen Trittin bis hin zu Greenpeace. Dies ändert allerdings nichts daran, dass sie diesmal recht haben.

 

Erschienen in Die Welt vom 03.03.2004