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Geschichte der Patentinflation in Deutschland
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Geschichte der Patentinflation in Deutschland

Das Patentsystem konnte 1877 in Deutschland nur deshalb gegen eine breite Front der Ablehnung seitens der Volkswirte durchgesetzt werden, weil es damals vorsichtig auf einen Kernbereich eingegrenzt wurde, in dem es wenig Schaden und, zumindest laut Argumentation des Deutschen Patentvereins und seines rührigen Vorsitzenden Werner v. Siemens, einigen volkswirtschaftlichen Nutzen stiftet: Erfindungen mit industrieller Anwendung, wobei nicht nur abstrakte Geistestdtigkeiten sondern auch Landwirtschaft, Bergbau uvm ausgeschlossen wurden. Später wurde präzisiert, die patentierte Problemlösung müsse mit dem Einsastz von Naturkräften stehen und fallen. Zugleich entwickelte sich das Patentwesen schrittweise vom "preußischen Patentverhinderungssystem" zu einer zunehmend verselbstständigten und im allgemeinen Moralbewusstsein verankerten Eigentumsform.
In der fertigenden Industrie arbeiten nur relativ wenige Gewerbetreibende, deren Produktentwicklung mit hohem organisatorischen Aufwand und großen Ausrüstungsinvestitionen verbunden ist. Diese Industriebetriebe halten ihr Wissen geheim, um die Früchte ihrer Entwicklungsarbeit vor Trittbrettfahrern zu schützen. Dauerhafte Geheimhaltung ist noch weniger wünschenswert als Monopole, und zu schnelles Bekanntwerden könnte von manchen großen Investitionen abschrecken. Das Patentwesen hilft hier mit einem Handel zwischen dem Erfinder und der Allgemeinheit ab: man gewährt dem Erfinder ein befristetes Monopol als Belohnung dafür, dass er sein Wissen veröffentlicht. Die Öffentlichkeit bekommt etwas anstelle von nichts. Sie verzichtet zeitweilig auf eine Freiheit, die sie ohne das Patent wahrscheinlich gar nicht gehabt hätte. Mit diesem kühlen wirtschaftspolitischen Kalkül konnte Werner Siemens mit seinem "Deutschen Patentschutzverein" die Regierung in einem Moment der Wirtschaftskrise überzeugen, als die Delbrücksche Freihandelspolitik diskreditiert war und stattdessen Zollschutz und staatlicher Interventionismus angesagt waren.

Um die Skepsis der Gegner zu überwinden, propagierten Siemens und sein Patentschutzverein ein streng auf wirtschaftspolitischer Zweckmäßigkeit aufbauendes Patentkonzept. Das Patentwesen sollte ein Mittel zur Steuerung des Wettbewerbs zwischen großen Industrieunternehmen sein. Von Versuchen naturrechtlicher Begründung eines "geistigen Eigentums" sowie moralisierender "Erfinder-Romantik" wurde abgesehen. Als Patentinhaber waren die wirtschaftlich verantwortlichen Kollektive, nämlich die Industrieunternehmen, vorgesehen. Ein persönlicher Erfinder musste nicht genannt werden. Schon eine hohe Preishürde von 15000 Reichsmark sorgte dafür, dass das deutsche Patentwesen selten von Privatpersonen in Anspruch genommen wurde. Ferner wurde es per Gesetz auf den Bereich der produzierenden Gewerbe eingeengt:

Der Entwurf beschränkt die Patentfähigkeit auf solche Erfindungen, welche eine gewerbliche Verwertung gestatten. Eine derartige Verwendung kann bestehen in der gewerbsmäßigen Herstellung des erfundenen Gegenstandes oder in seinem Gebrauch innerhalb eines gewerblichen Betriebes. Auf diese Weise sind rein wissenschaftliche Entdeckungen, die Auffindung unbekannter Naturprodukte, die Entdeckung unbekannter Produktivkräfte, die Aufstellung neuer Methoden des Ackerbaues oder Bergbaues usw, die Kombination neuer Pläne für Unternehmungen auf dem Gebiete des Handels von dem Patentschutze ausgenommen. Der Entwurf folgt in dieser Hinsicht den in allen Staaten ausdrücklich oder durch die Praxis anerkannten Grundsätzen.[1]

Das preußische Patentsystem, in dessen Erbe W. Siemens mit seinem "Patentkonservativismus" stand, wurde von einigen Kritikern als "Patentverhinderungssystem" kritisiert. Es arbeitete in einer Zeit, in der Deutschland ein spektakulärer Aufstieg zu einer führenden Stellung in Technik und Wissenschaft gelang. Ob hier ein kausaler Nexus besteht und wie er beschaffen ist, soll dahingestellt bleiben. Das deutsche Patentamt verweist durch sinen Patentatlas gelegentlich auf Zusammenhänge zwischen Patentdichte und Wohlstand, aus denen hervorgehen soll, dass die preußischen Stammgebiete weniger reich sind als Schwaben und andere Gebiete mit einer hemmungsloseren Patenttradition.

Nach der Verabschiedung des Patentgesetzes von 1877 verbreitete sich unter den Patentanmeldern erste Unzufriedenheit über die Einschränkungen. Es entstand u.a. eine "erfinder-romantische" Reformbewegung, die den persönlichen Erfinder ins Zentrum der Überlegungen gerückt und damit das Patentwesen aufgewertet wissen wollte. Während des Kaiserreiches und der Weimarer Zeit gelang dieser Bewegung jedoch kein wesentlicher Durchbruch. Sie fand Unterstützung bei den Sozialdemokraten und später insbesondere bei den Nationalsozialisten. Adolf Hitler machte sich in "Mein Kampf" ihre Forderungen zu eigen, und 1936 wurden diese Forderungen schließlich umgesetzt. Die nationalsozialistischen Patentreformen wurdn nach dem zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik gegen einigen Widerstand aus der Großindustrie bestätigt und schlugen sich in dem weltweit einzigartigen und von vielen als vorbildlich betrachteten Arbeitnehmer-Erfindergesetz (ArbErfG) nieder, welches dem angestellten Erfinder starke Druckmittel gegen sein eigenes Unternehmen in die Hand gibt und daher heute von manchen Unternehmervertretern als Standortnachteil im Zeitalter der Globalisierung kritisiert wird.

Zugleich entwickelte sich seit etwa 1900 eine zunehmend systematische Theorie zur Abgrenzung der "technischen Erfindungen" von dem Bereich der Ideen, für den kein patentrechtlicher Monopolschutz zur Verfügung stehen soll, da dort das Freihaltungsbedürfnis gegenüber dem Belohnungsinteresse ein höheres Gewicht hat.

Kohler, Piezcker, Lindenmaier und andere Gelehrte definierten "Technik" als Anwendung von Naturgesetzen. Diese Formel fand auch Eingang in das japanische Patentgesetz. Manche Leute in Japan behaupten, sie sei während der Zeit der Achse Berlin-Rom-Tokio aus Deutschland nach Japan importiert worden. Diese Behauptungen wären noch näher zu überprüfen. Klar ist jedoch, dass die Technikdefinion in Deutschland und Japan expliziter formuliert wurde als in den meisten anderen Ländern. In Frankreich gab es unter dem Namen "industrieller Charakter" (charactère industriel) eine vergleichbare Begriffsbildung.

Zur Erfordernis des technischen Charakters kamen noch die Begriffe "Erfindungshöhe" und "Beitrag zum technischen Fortschritt" (Fortschrittlichkeit) hinzu. Beide wurden in den 70er Jahren im Zuge der Gründung des Europäischen Patentamts der Harmonisierung mit lascheren Patentjurisdiktionen abgeschafft bzw abgeschwächt. In Japan besteht die Forderung nach "Fortschrittlichkeit" (進歩しんぽせい shinposei) zumindest als Worthülse noch heute.

Das frühere Erfordernis nach "Fortschrittlichkeit" hatte einen entscheidenden Vorteil, den man sich gerade im Umfeld der heute verbreiteten untechnischen Patente zurückwünscht: eine Umgehungslösung war früher nicht patentierbar. Es musste gezeigt werden, dass die Lösung im Vergleich zu vorbekannten, auch patentierten, Problemlösungen wesentliche technische Vorteile aufwies. Nur insoweit sie das tat, kam sie als patentierbare technische Lehre in Betracht. So konnte z.T. dafür gesorgt werden, dass das Patentdickicht um ein Problem herum noch etwas durchlässig bleiben konnte.

War die Politik des Dritten Reiches relativ patentfreundlich gewesen, so verstärkte sich nach dem Kriege zeitweilig wieder die patentskeptische Tendenz. Die Freiburger Schule der ordoliberalen Volkswirtschaftslehre (Hayek u.a.) wandte sich ebenso gegen das Patentsystem wie einflussreiche Wirtschaftswissenschaftler in aller Welt, allen voran der amerikanische Österreicher Fritz Machlup, der 1958 in einem Bericht an den US-Kongress eine kenntisreiche und vernichtende Bilanz des Patentwesens zog. Für Machlup war das Patentwesen als Mittel zur Förderung des technischen Fortschrittes auf ganzer Linie gescheitert und er charakterisierte es als eine "Bewegung der Juristen und Protektionisten gegen die Volkswirte".

Diese Well der Kritik am Patentwesen begünstigte eine erneute Verstärkung der Traditionen des "preußischen Patentverhinderungssystems", welche jedoch in den 70er Jahren wieder abebbte und in den 80er Jahren zunächst in den USA durch eine entgegengesetzte, erneut von Patentjuristen und Protektionisten getriebene Welle namens "Pro Patent" getrieben wurde. Diesmal ging es u.a. darum, den kometenhaften Aufstieg von Japan und einigen ostasiatischen "Tigerstaaten" zu bremsen.

Trotz scheibchenweiser Abstriche am "preußischen Patentverhinderungssystem" (etwa bei der "Fortschrittlichkeit") konnte in den 70er Jahren der BGH den Technikbegriff noch einmal zu einem Höhebunkt an Klarheit führen. Man lese dazu die einschlägigen Kapitel in Kraßers Lehrbuch des Patentrechts von 1986 und Benkards PatG-Kommentar von 1988.

Nach Meinung einiger Kritiker der "stockkonservativen" preußisch-deutschen Patenttradition begann mit der Gründung des Europäischen Patentamtes ein heilsamer "frischer Wind" den "deutschen Mief" wegzuwehen. Das europäische Patentamt hat zwar den deutschen Technikbegriff in seine Prüfungsrichtlinien von 1985 übernommen und auch weitgehend angewendet, und dieser Begriff liegt auch dem Europäischen Patentübereinkommen von 1973 zugrunde. Aber die Lehre von der Technischen Erfindung war schon innerhalb der deutschen Patentrechtsgemeinde ein Spezialgebiet gewesen, welches nur eine Minderheit der Rechtsgelehrten voll verstand und würdigte. Viele andere sahen darin nicht mehr als eine altmodisches und geschäftsschädigendes Erbe des 19. Jahrhunderts. Mit der Internationalisierung des Patentwesens nahm diese Sichtweise an Gewicht zu. Soweit man aus Veröffentlichungen von EPA-Richtern unschwer erkennen kann, haben maßgebliche Entscheider den Technikbegriff weder verstanden noch gewürdigt. Der seit 1986 vom EPA bezüglich der Computerprogramme eingeschlagene Schlitterkurs ist weitgehend auf Unverständnis zurückzuführen. Selbstverständlich kam dieses Unverständnis dem EPA nicht ungelegen, erlaubte es doch eine beträchtliche Erweiterung des Bereiches der Patentierbarkeit und damit der Einnahmen des EPA, welches, anders als das Deutsche Patentamt, wie ein Wirtschaftsunternehmen finanziell völlig autonom agiert.

Der Kommentator Benkard und eine Reihe wackerer Patentjuristen äußerten Verwunderung und z.T. herbe Kritik am Kurs des EPA. Doch nicht nur vom EPA sondern auch aus den USA und von internationalen Patentrechtler-Organisationen wie AIPPI wehte ein starker Wind in Richtung Patentinflation. Es entstand ein Klima, in dem Kenner des Gesetzes und des Technikbegriffes wie Benkard, Kraßer, Kolle u.a. zunehmend resignierten und andere ruhig blieben. Stattdessen schlug den (ge)wissenlosen Interessenvertretern ihre Stunde. Patentanwälte, die sich auf Software spezialisiert hatten, gaben in der öffentlichen Diskussion in GRUR und anderen Zeitschriften den Ton an und bestimmten die Position großer Verbände, Kammern und Institute. Unter dem Eindruck dieses Zeitgeistes fanden sich schließlich auch wagemutige BGH-Richter bereit, zunächst unauffällig vom Gesetz wegzuirren und später, unter Berufung auf diese Fehlurteile, eine neue Rechtsdoktrin zu etablieren, die sich nicht mehr im Rahmen des Gesetzes bewegt. Mit den Entscheidungen "Seitenpuffer", "Tauchcomputer" und schließlich "Sprachanalyse" und "Logikverifikation" schlug sich der BGH auf die Seite der Gesetzesverächter, ohne dass die noch geltende Gesetzesregelung in irgendeiner Weise durch Widersprüche oder Unklarheiten dazu Anlass geboten hätte. Die BGH-Richter machten das wahr, wovor ihre Vorgänger 1976 hellsichtig gewarnt hatten:

Stets ist aber die planmäßige Benutzung beherrschbarer Naturkräfte als unabdingbare Voraussetzung für die Bejahung des technischen Charakters einer Erfindung bezeichnet worden. Wie dargelegt, würde die Einbeziehung menschlicher Verstandeskräfte als solcher in den Kreis der Naturkräfte, deren Benutzung zur Schaffung einer Neuerung den technischen Charakter derselben begründen, zur Folge haben, dass schlechthin allen Ergebnissen menschlicher Gedankentätigkeit, sofern sie nur eine Anweisung zum planmäßigen Handeln darstellen und kausal übersehbar sind, technische Bedeutung zugesprochen werden müsste. Damit würde aber der Begriff des Technischen praktisch aufgegeben, würde Leistungen der menschlichen Verstandestätigkeit der Schutz des Patentrechts eröffnet, deren Wesen und Begrenzung nicht zu erkennen und übersehen ist. ... Es ließe sich ferner mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass angesichts der Einhelligkeit, mit der Rechtsprechung und Literatur seit jeher die Beschränkung des Patentschutzes auf technische Erfindungen vertreten haben, von einem gewohnheitsrechtlichen Satz dieses Inhalts gesprochen werden kann. Das mag aber letztlich dahinstehen. Denn der Begriff der Technik erscheint auch sachlich als das einzig brauchbare Abgrenzungskriterium gegenüber andersartigen geistigen Leistungen des Menschen, für die ein Patentschutz weder vorgesehen noch geeignet ist. Würde man diese Grenzziehung aufgeben, dann gäbe es beispielsweise keine sichere Möglichkeit mehr, patentierbare Leistungen von solchen zu unterscheiden, denen nach dem Willen des Gesetzgebers andere Arten des Leistungsschutzes, insbesondere Urheberrechtsschutz, zuteil werden soll. Das System des deutschen gewerblichen und Urheberrechtsschutzes beruht aber wesentlich darauf, dass für bestimmte Arten geistiger Leistungen je unterschiedliche, ihnen besonders angepasste Schutzbestimmungen gelten und dass Überschneidungen zwischen diesen verschiedenen Leistungsschutzrechten nach Möglichkeit ausgeschlossen sein sollten. Das Patentgesetz ist auch nicht als ein Auffangbecken gedacht, in welchem alle etwa sonst nicht gesetzlich begünstigten geistigen Leistungen Schutz finden sollten. Es ist vielmehr als ein Spezialgesetz für den Schutz eines umgrenzten Kreises geistiger Leistungen, eben der technischen, erlassen und stets auch als solches verstanden und angewendet worden. Es verbietet sich demnach, den Schutz von geistigen Leistungen auf dem Weg über eine Erweiterung der Grenzen des Technischen -- die auf deren Aufgabe hinauslaufen würde -- zu erlangen. Es muss vielmehr dabei verbleiben, dass eine reine Organisations- und Rechenregel, deren einzige Beziehung zum Reich der Technik in ihrer Benutzbarkeit für den bestimmungsgemäßen Betrieb einer bekannten Datenverarbeitungsanlage besteht, keinen Patentschutz verdient. Ob ihr auf andere Weise, etwa mit Hilfe des Urheber- oder des Wettbewerbsrechts, Schutz zuteil werden kann, ist hier nicht zu erörtern.

Anmerkungen

[1] Reichstagsdrucksache, 3. Legislatur-Periode, 1. Session 1877, Nr. 8:
[ Politische Ökonomie des Patentwesens: die Mechanismen der Patentinflation | Geschichte der Patentinflation in Deutschland ]
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© 2004/02/05 Arbeitsgruppe
deutsche Version 2003/12/16 von PILCH Hartmut