Drüben studieren: Ost-Unis auf Werbewalz
Im Osten liegt das Hochschulglück, mit neuen Gebäuden und weniger überfüllten Studiengängen - so trommelt eine Werbekampagne für Ost-Hochschulen. Junge Westdeutsche aber gehen nur zögerlich nach drüben. Besuch bei einem Anwerbeversuch in Bremen.
Was machen denn diese Besucher hier? In der Bremer Innenstadt ist eigentlich normaler Wochenmarkt mit Obst- und Gemüseständen, Metzgern, Käseverkäufern und Blumenhändlern. Zwischen Rathaus und Dom aber steht ein sonderbarer Stand. Ein umgebauter Aluminium-Wohnwagen in grün und silber parkt wie ein Fremdkörper zwischen den Buden und Ständen. Neben dem schrillen Anhänger stehen diverse Bambusstauden und eine grüne Rikscha und davor ein kleines Abiturienten-Grüppchen.
Rebecca Kalisch trägt eine schwarze Weste mit der Aufschrift "Studieren in Fernost". Nur ist der Osten, den Rebecca anpreist, nicht wirklich fern. Sie studiert Medienwissenschaft an der Uni Halle-Wittenberg, und dorthin sind es von Bremen nur drei Autostunden. München, Heidelberg, Freiburg und Frankfurt sind weiter weg.
Rebecca wirbt in der Hansestadt dafür, dass die Schulabgänger im kommenden Herbst ein Studium in einem östlichen Bundesland beginnen. Energisch referiert sie die Vorteile eines Studiums im Osten. Trotzdem bleiben die Abiturienten skeptisch: "Was soll ich da, wenn meine besten Freunde nicht mitkommen?", fragt einer.
Sonja Erdenberger arbeitet für die Werbeagentur Scholz & Friends und hat sich die Kampagne "Studieren in Fernost" ausgedacht. Insgesamt stellen Bund und Länder 16 Millionen Euro bis 2012 zur Verfügung, um das Image der Ost-Hochschulen aufzumöbeln. Vor zwei Jahren mit den krawalligen Werbefiguren Gang & Dong, über die sich dann gleich die Hochschulen beschwerten, für die eigentlich getrommelt werden sollte. Dieses Jahr nun reisen ehrenamtliche Studenten mit, die sich Campus-Spezialisten nennen. "Wende, Mauer, Teilung. Das sind die Stichworte, die häufig als Erstes genannt werden, wenn wir die Schüler zu ihren Gedanken zum Osten befragen", sagt Erdenberger. Sie wundert das, denn die Schüler, die hier in Bremen vor ihr stehen, haben die deutsche Teilung selbst gar nicht mehr erlebt.
Zwischen Familie, Freunden und der Studienwahl
Maren hat gerade ihr Fachabitur in Bremen gemacht und wurde von ihrem ehemaligen Lehrer auf die Informationsveranstaltung hingewiesen. "Ich wollte mich jetzt erst mal generell über das Studium Maschinenbau informieren", sagt Maren. Zwei Argumente für das Studium in den neuen Bundesländern sind noch immer: Es gibt keine Studiengebühren, und Lebenshaltungskosten sind gering. "Allerdings würde ich ungern aus Bremen fortgehen. Hier sind meine Freunde und meine Familie. Eben mein gesamter Lebensmittelpunkt."
Rangfolge der Hochschulstädte nach der Höhe der monatlichen Ausgaben für Miete und Nebenkosten | ||
Rang | Standort | Ausgaben für Miete* |
1 | Köln | 359 |
2 | München | 358 |
3 | Hamburg (ohne Uni Hamburg) | 351 |
4 | Düsseldorf | 338 |
5 | Frankfurt-a.M. | 337 |
6 | Mainz | 327 |
7 | Konstanz | 327 |
8 | Darmstadt | 322 |
9 | Berlin | 321 |
10 | Wuppertal | 318 |
11 | Heidelberg | 314 |
12 | Ulm | 313 |
13 | Duisburg | 311 |
14 | Bonn | 309 |
15 | Bremen | 308 |
16 | Freiburg | 307 |
17 | Stuttgart | 306 |
18 | Münster | 305 |
19 | Tübingen | 304 |
20 | Aachen | 304 |
21 | Mannheim | 302 |
22 | Braunschweig | 302 |
23 | Potsdam | 301 |
24 | Karlsruhe | 300 |
25 | Hannover | 299 |
26 | Regensburg | 295 |
27 | Marburg | 294 |
Gilt für Standorte, für die Angaben von mindestens 50 Studierenden vorliegen; *einschließlich Nebenkosten (Bezugsgruppe "Normalstudent", arithm. Mittelwert in Euro) Quelle: DSW/HIS 20. Sozialerhebung |
Rangfolge der Hochschulstädte nach der Höhe der monatlichen Ausgaben für Miete und Nebenkosten | ||
Rang | Standort | Ausgaben für Miete* |
28 | Oldenburg | 292 |
29 | Bochum | 290 |
30 | Kiel | 290 |
31 | Siegen | 289 |
32 | Augsburg | 289 |
33 | Trier | 289 |
34 | Saarbrücken | 288 |
35 | Passau | 288 |
36 | Bamberg | 286 |
37 | Rostock | 282 |
38 | Greifswald | 281 |
39 | Osnabrück | 280 |
40 | Gießen | 279 |
41 | Göttingen | 277 |
42 | Würzburg | 277 |
43 | Kassel | 277 |
44 | Bayreuth | 275 |
45 | Bielefeld | 274 |
46 | Kaiserslautern | 268 |
47 | Hildesheim | 262 |
48 | Jena | 260 |
49 | Magdeburg | 253 |
50 | Leipzig | 251 |
51 | Halle | 249 |
52 | Erfurt | 248 |
53 | Dresden | 247 |
54 | Chemnitz | 211 |
Gilt für Standorte, für die Angaben von mindestens 50 Studierenden vorliegen; *einschließlich Nebenkosten (Bezugsgruppe "Normalstudent", arithm. Mittelwert in Euro) Quelle: DSW/HIS 20. Sozialerhebung |
Nach der Studienfachberatung bekommen sie von Werberin Erdenberger Reishüte, Schirme und eine winkende Katze in die Hand gedrückt. Dann schiebt sie die Jungen in Richtung der Tapete mit fernöstlichem Motiv im Anhänger, um sich fotografieren zu lassen. "Ein kleines Andenken aus dem fernen Osten", sagt Erdenberger mit einem breiten Grinsen, während die beiden Jungs eher verwirrt und überrannt dreinschauen. Abschließend gibt es noch einen Glückskeks. "Vielleicht sieht man sich ja schon bald wieder", ruft Johann zum Abschied den Campus-Spezialisten zu.
Der Zustrom schwillt an - langsam
Während in den alten Bundesländern von Jahr zu Jahr mehr Abiturienten an die Hochschulen strömen, bleiben in den oft ziemlich gut ausgestatteten Unis und FHs der neuen Bundesländer immer wieder Studienplätze frei. Mit dem Hochschulpakt 2020 wollen Bund und Länder erreichen, auch in den kommenden zehn Jahren allen Hochschulzugangsberechtigten einen Studienplatz anbieten zu können. Darum haben sich die ostdeutschen Bundesländer trotz vieler frei bleibender Plätze verpflichtet, deren Anzahl der auf dem Niveau des Jahres 2005 zu halten.
Die Wahl der Haltestellen der Werber für ihre Städtetour ist genau geplant. "Wir haben sie vor allem nach ihrer demografischen Entwicklung und den doppelten Abiturjahrgängen ausgewählt", sagt Erdenberger. Der silbern-grüne Hänger mit Rikscha und Topfpflanzen macht dort halt, wo die Enge in den westdeutschen Hörsälen bald am größten ist. Erdenberger und ihre Entourage fahren daher hauptsächlich Städte in Niedersachsen und Bayern an, die in diesem Jahr beide doppelte Abiturjahrgänge in die Studienplatzsuche entlassen.
Ob es nun an der Kampagne liegt oder nicht - Ost-Hochschulen hatten in den vergangen Jahren verstärkten Zulauf aus dem Westen. Nach Angaben der statistischen Landesämter stieg der Anteil der Studienanfänger aus Westdeutschland in den neuen Bundesländern seit 2009 um rund vier Prozent. Sachsen-Anhalt kommt hierbei sogar von circa 20 Prozent im Wintersemester 2009/2010 auf rund 30 Prozent im Wintersemester 2010/2011. Den größten Anteil an westdeutschen Studenten hat Brandenburg mit knapp 41 Prozent der 49.633 Studierenden (Stand 2009). Laut der Hochschulinitiative Neue Bundesländer haben diese auch in 2010 die Zielvorgaben des Hochschulpakts 2020 übertroffen.
"Wir wehren uns alle dagegen, die Begriffe Ost- und Westdeutschland in einem Gespräch zu verwenden. Mich nerven diese Bezeichnungen zum Beispiel sehr", sagt Campus-Spezialistin Rebecca Kalisch und verdreht die Augen. "Sonst gibt es ja auch keine Vorbehalte auf dem Campus. Jeder Neuankömmling wird sofort integriert. Egal ob er aus den neuen oder alten Bundesländern kommt."
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