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SC Freiburg: Christian Streich – In drei Monaten zum Kulttrainer - DIE WELT
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02.04.12

Christian Streich – In drei Monaten zum Kulttrainer

Im Winter kannte fast niemand in Fußball-Deutschland den 46-jährigen Christian Streich. Seitdem führte der etwas andere Trainertyp den SC Freiburg von den Abstiegsrängen.

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Wer Christian Streich, 46, verstehen will, muss seine Zerrissenheit kennen. Wenn der Trainer des SC Freiburg an der Seitenlinie tobt, mit wildem Blick und ebensolcher Frisur, dann wird nicht nur den gegnerischen Spielern angst und bange. "Streich versucht auch, den gegnerischen Trainer fertigzumachen. Der funkt ständig auch in deine Richtung", sagt ein ehemaliger Kontrahent, der lieber anonym bleiben möchte. Wenn Streich hingegen zum Interview Platz nimmt, wägt er jeden Satz ab, besonnen und fast zurückhaltend.

Nach dem Sieg in Leverkusen holte der SC Freiburg unter seiner Regie 18 Punkte in elf Spielen – fünf mehr als in der gesamten Vorrunde. Der ehemalige Germanistik-Student Streich ist zum großen Lehrer geworden. "Seid mutig und spielt mit Herz, auch wenn ihr Fehler macht", predigt er seinen Spielern. Und die folgen ihm – heute wie damals. Neun Spieler, die er selbst ausgebildet hat, stehen im Profikader der Freiburger. "Eine reine Qualitätsfrage", sagt Streich.

"Mut, die Jungen spielen zu lassen"

Als Nachwuchstrainer wurde er 2008 Deutscher Meister mit der U19, gewann dreimal den DFB-Junioren-Vereinspokal. Sportdirektor Dirk Dufner sagt: "Er hat den Mut, die Jungs spielen zu lassen. Und sie glauben an das, was er ihnen vermittelt." Streich selbst findet das nicht besonders mutig. Schließlich habe er bei den Spielern, die er ausgebildet hat, einen Wissensvorsprung, sagt er.

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Vor drei Monaten musste Streich einen schweren inneren Konflikt lösen, und der erzählt viel über den Menschen Streich. 17 Jahre lang arbeitete er schon beim Sportclub. Ein perfekter Mann für die zweite Reihe. Mit Akribie und Feuer bildete er den Nachwuchs aus. Spieler wie Dennis Aogo (heute HSV) oder Ömer Toprak (Leverkusen) liefen durch seine Schule. Aogo sagt heute über seinen Jugendtrainer: "Ich war ein Chaot, aber Streich hat mir die Augen geöffnet. Er hat viel mit mir gesprochen. Wenn es sein musste, auch schonungslos offen."

Als Robin Dutt kündigte und den Verein im Sommer 2011 Richtung Leverkusen verließ, wandelte sich Streichs kleine Welt zur großen Bühne. Er wurde Assistent von Dutts Nachfolger Marcus Sorg, und als der zur Winterpause auf dem letzten Platz stand, fünf Punkte hinter den Nichtabstiegsrängen, und gehen musste, da wurde es ernst. Präsident Fritz Keller bot Streich an, Chef zu werden. Dem wurde mulmig bei dem Gedanken, Verantwortung für all die Mitarbeiter des Vereins zu tragen, die ihm in all den Jahren so sehr ans Herz gewachsen waren: den Busfahrer, die Sekretärin, die Putzfrau. Was passiert mit ihnen, wenn es schiefgeht? Würde er sich schuldig fühlen?

"Es war die richtige Entscheidung"

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"Oh, das ist meine Frau. Die will fragen, ob ich morgen noch eine Arbeit habe."

(Trainer Stale Solbakken vom 1. FC Köln, nachdem in der Pressekonferenz im Anschluss an das 1:2 beim FC Augsburg sein Handy geklingelt hatte)

 

"Hebt auf, ihr Lutscher!"

(Fans des 1. FC Köln, die den Spielern am Sonntagmorgen auf dem Trainingsplatz Lollis entgegenwarfen)

 

"Kann sein."

(Kölns Trainer Stale Solbakken am Sonntagmittag während des Trainings auf die Frage eines Fans, ob er denn nun erlöst werde)

"Er hat versucht, bei Mourinho anzurufen, aber der hat den Hörer nicht abgehoben."

 (Kölns Trainer Stale Solbakken im Scherz über die angebliche Suche von Geschäftsführer Claus Horstmann nach einem neuen Trainer)

 

"Ich kann das Gelaber der Spieler nicht mehr hören."

(Kölns Geschäftsführer Claus Horstmann über die FC-Profis)

"Für unsere Leistung gibt es einen Verantwortlichen, und der bin ich. Ich werde mich deshalb mal wieder hinterfragen müssen, was da schief läuft, warum sich meine Mannschaft so präsentiert."

(Leverkusens Trainer Robin Dutt nach dem 0:2 gegen den SC Freiburg)

 

"Das ist für mich enttäuschend, dass ich es nicht schaffe, die Mannschaft besser Fußballspielen zu lassen."

(Leverkusens Trainer Robin Dutt)

"Ich weiß ja nicht, wie Leverkusen sonst spielt, aber das war nicht so gut heute."

(Freiburgs Profi Johannes Flum nach dem 2:0-Sieg in Leverkusen)

 

"Man sollte überlegen, ob man so mit einem Menschen umgehen kann. Das macht einen betroffen und traurig."

(Freiburgs Trainer Christian Streich zu den Hohngesängen gegen seinen Kollegen Robin Dutt)

"Jetzt wissen wieder alle, warum sie so viel für die TV-Rechte blechen müssen."

 (Dortmunds Trainer Jürgen Klopp nach dem 4:4 seines Teams gegen den VfB Stuttgart)

 

"Total verrückt. Das ist Fußball, das ist Leben."

(BVB-Trainer Jürgen Klopp nach dem 4:4 gegen Stuttgart)

 

"Für solche Spiele lohnt es sich, Trainer zu sein."

(Klopps Stuttgarter Kollege Bruno Labbadia)

"Es kann uns positiv stimmen, dass wir diese Verbissenheit, diese Gier noch in uns haben."

(Dortmunds Torschütze Shinji Kagawa mit Blick auf den restlichen Saisonverlauf)

 

"Von diesem Spiel werden wir noch unseren Kindern erzählen. Einfach geil."

(VfB-Torhüter Sven Ulreich)

 

"Da geht dir das Zäpfchen ab!"

(Stuttgarts Sportdirektor Fredi Bobic am Sky-Mikrofon über das 4:4 bei Borussia Dortmund)

"Das war erstligareif mit Sternchen."

(Augsburgs Manager Andreas Rettig nach dem 2:1 gegen Köln zur Leistung seiner Mannschaft)

 

"Jetzt stehen wir hier wie letzte Woche Sonntag und haben wieder die gleiche Scheiße, wenn man so will." (Nürnbergs Innenverteidiger Philipp Wollscheid nach dem 0:1 gegen Bayern)

"Vom Trend wird man kein Meister."

(Bayerns Thomas Müller nach dem 1:0 und einer möglichen Wende im Titelkampf)

 

"Ich hab' bei der Rezeption angerufen und hab' nach drei Wasser still, drei Wasser medium und zwei Bananen gefragt. Auf meine Kosten."

(Bayern-Profi Thomas Müller auf die Frage, ob er nach dem 4:4 der Dortmunder eine Runde gegeben habe)

"Wenn sich zwei streiten, freut sich Choupo."

 

(Stürmer Eric Maxim Choupo-Moting von Mainz 05 zum Abstimmungsfehler zwischen Werder Bremens Schlussmann Tim Wiese und Verteidiger Clemens Fritz vor seinem Treffer zum 3:0-Endstand am Samstag)

Andererseits sah er sich gegenüber dem SC in der Pflicht: "Ich hatte beim Präsident eigentlich schon abgesagt. Aber wenige Minuten vor der endgültigen Entscheidung spürte ich, dass ich es doch machen muss." Er sagte Ja und resümiert heute: "Es war die richtige Entscheidung." Das sagen sie überall in Freiburg, immerhin führte Streich den SC vom letzten auf einen Nichtabstiegs-Platz.

Er kann es sich sogar leisten, nicht dem Bild des perfekten Trainers zu entsprechen. Streich legt auf Äußerlichkeiten keinen großen Wert. Morgens fährt er mit dem Rad zum Training – welchem anderen Erstliga-Trainer würde man das zutrauen? "Ich wohne 300 Meter vom Stadion entfernt", sagt Streich, "da wäre es doch verrückt, mit dem Auto hinzufahren." Die unkonventionelle Anreise fordert ihren Tribut. Streichs zerzauste Haare sind mittlerweile fast so etwas wie ein Markenzeichen geworden. Er kommentiert das mit einem Achselzucken: "Ich kämme mich jeden Morgen."

Im Gegensatz zu vielen Kollegen trägt er bei den Spielen Trainingsanzug. "Früher habe ich sonntags bei den Spielen immer ein Sakko angezogen, weil der Sonntag für mich ein Feiertag ist. Als dann in der Champions League alle Trainer Anzug und Sakko getragen haben, habe ich es sein lassen. Damit keiner sagt: Der Streich macht jetzt einen auf Champions-League-Trainer."

Internes muss intern bleiben

Besonders am Herzen liegt ihm das Gemeinschaftsgefühl. Jeder Spieler soll sich als Teil des Ganzen verstehen. "Wir wollen ins Bewusstsein rücken, dass wir uns alle auf eine gemeinsame Aufgabe verpflichten", sagt er. Internes muss intern bleiben, das ist oberste Pflicht. Wer dagegen verstößt, muss mit drastischen Strafen rechnen.

Präsident Keller jedenfalls ist voll des Lobes über seinen Trainer: "Er verkörpert unseren Laden und ist jetzt schon Kult in der Bundesliga, weil er erfrischend anders ist." Und dieses Anderssein will sich Streich auch bewahren: "Wenn ich merken sollte, dass ich fremdbestimmt bin, ist sofort Schluss."