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Ungewollte Schwangerschaften in Deutschland: Viele Barrieren, kritische Hilfen
ArchivDeutsches Ärzteblatt8/2024Ungewollte Schwangerschaften in Deutschland: Viele Barrieren, kritische Hilfen

POLITIK

Ungewollte Schwangerschaften in Deutschland: Viele Barrieren, kritische Hilfen

Martin, Mirjam; Richter-Kuhlmann, Eva

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Die erste umfassende und fundierte Erhebung zur Lebens- und Versorgungslage ungewollt schwangerer Frauen in Deutschland zeigt Defizite bezüglich Informationen und Hilfen, besonders in südlichen und westlichen Bundesländern. Auch Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen durchführen, sind von Stigmata betroffen.

Ungewollt schwangere Frauen, die über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken, stoßen in Deutschland nach wie vor auf viele Barrieren, beispielsweise bei der Suche nach Informationen oder beim Zugang zu einem Versorgungsangebot, der regional sehr unterschiedlich ist. Zudem sind sie – ähnlich wie Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen – Stigmata ausgesetzt. Dies sind die Ergebnisse der vom Bundesgesundheitsministerium geförderten ELSA-Studie („Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung“), die jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.

„Die gewonnenen Erkenntnisse zum Erleben und Verarbeiten ungewollter Schwangerschaften, zu den psychosozialen Beratungs- und Unterstützungsangeboten sowie zur medizinischen Versorgungssituation können sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene dafür genutzt werden, um diese Unterstützungs- und Versorgungsleistungen passfähiger auf die Bedarfe der Frauen hin zu entwickeln“, sagte Projektleiterin Prof. Dr. Daphne Hahn, Gesundheitswissenschaftlerin der Hochschule Fulda. Mit einem multidisziplinären Forschungsverbund von sechs Hochschulen und Universitäten untersuchte sie in den vergangenen dreieinhalb Jahren die Lebenslagen und Bedürfnisse Schwangerer sowie die Versorgungsstrukturen. Befragt wurden mehr als 5 000 Frauen mit gewollten oder ungewollten Schwangerschaften, von denen etwa 600 die Schwangerschaft abgebrochen hatten, sowie Fachkräfte aus Ärzteschaft und Beratung.

Auffällig war dabei, dass die Lebenslagen von Frauen, die ungewollt schwanger wurden, sehr heterogen waren. Es gibt offensichtlich nicht die „typische“ Lebenslage ungewollt Schwangerer. Typisch ist der Studie zufolge jedoch, dass ein oder mehrere Lebensumstände unpassend sind, um ein Kind zu bekommen. Bei gewollten Schwangerschaften waren ungünstige Lebensumstände dagegen die Ausnahme.

Ein weiteres wesentliches Ergebnis der ELSA-Studie: Ob eine ungewollte Schwangerschaft ausgetragen oder abgebrochen wird, hat längerfristig keinen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der betroffenen Frau. Dieser Befund decke sich mit internationalen Forschungsergebnissen, so die Autorinnen und Autoren.

Dennoch stehen den ungewollt Schwangeren viele Barrieren im Weg: Sei es die Terminfindung, eine weite Anreise oder die Beschaffung von Informationen. So überwiegen in einer Google-Suche journalistische Inhalte – medizinische und rechtliche Informationen sind dabei selten aufbereitet. Auch die Auffindbarkeit von Anbieterinnen und Anbietern sei schwierig: Nicht immer sind diese in der Liste der Bundesärztekammer aufgeführt und haben die Informationen über das Angebot auch nicht auf ihrer Website vermerkt. Ein Grund dafür ist die Sorge vor Anzeigen und Belästigungen, wie die Befragung von 309 Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, belegt. Tatsächlich erlebten auch viele Befragte Stigmatisierungen, Bedrohungen und Gehsteigbelästigungen. Allerdings gaben nur wenige von den 401 befragten Nichtanbieterinnen und -anbietern eine mögliche Stigmatisierung als Grund an, weshalb sie keine Abbrüche durchführen. Zentrale Ursachen waren ein fehlendes Angebot und Räumlichkeiten in der Einrichtung, in der sie arbeiten, sowie eine als belastend erlebte Durchführung. Auch die Weiterbildung habe einen Einfluss: Wurden Schwangerschaftsabbrüche nicht gelehrt, boten Ärztinnen und Ärzte einen Abbruch seltener und auch zu einem späteren Zeitpunkt an. Grundsätzlich ablehnend gegenüber Abtreibungen waren jedoch nur wenige – der Großteil unterstützt fachpolitische Veränderungen.

Dr. med. Mirjam Martin,

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

Abtreibung in Deutschland

Der ELSA-Studie zufolge

  • stießen fast 60 Prozent der befragten Frauen auf Schwierigkeiten bei der Organisation eines Schwangerschaftsabbruchs sowie auch bei der Beschaffung von Informationen dazu
  • musste etwa jede vierte Frau mehr als eine Einrichtung kontaktieren, um einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen
  • leben 4,5 Millionen Menschen außerhalb einer angemessenen Erreichbarkeit (40 Autominuten) zum nächsten Angebot für einen Schwangerschaftsabbruch
  • werden in 85 von 400 Landkreisen (die meisten davon liegen in Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen) nicht die Kriterien für eine angemessene Erreichbarkeit erfüllt
  • sind 65 Prozent der befragten durchführenden Ärztinnen und Ärzte Stigmatisierungen und Anfeindungen ausgesetzt
  • haben 91 Prozent der durchführenden Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche in der Weiterbildung gelernt; von den Nichtdurchführenden nur 65 Prozent
  • befürworten 75 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte, die keine Abtreibungen durchführen, die Streichung von § 218

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