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Abseits des »Mietenwahnsinns«

Laura Göpfert, Laura Seidel, Christian Stader
Lesezeit 4 Minuten
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30. Januar 2017

Ein kleiner Teil der »Schattenparker«-Wagenburg am Eselswinkel, ganz in der Nähe des Flugplatzes gelegen. ©Laura Seidel

Vier Wände, Badezimmer, Zentralheizung: So sieht das Zuhause der meisten Menschen aus. Wie alternative Wohnformen aussehen können, erzählen die »Schattenparker«, Bewohner einer Wagengruppe im Freiburger Industriegebiet Nord.
 

 In Deutschlands Großstädten herrscht seit geraumer Zeit Wohnungsnot. Das gilt auch für Freiburg. Obwohl ständig neue Häuser und Wohnungen gebaut werden, sind diese wegen der hohen Mieten für viele kaum noch bezahlbar.
So verwundert es nicht, dass sich manche Menschen nach einem anderen Leben sehnen. »Schrotti« zum Beispiel, der mit bürgerlichem Namen Bernhard heißt. Seit vier Jahren gehört der selbstständige Installateur zu den »Schattenparkern«, Bewohnern einer Wagenburg im Industriegebiet Nord. 45 Wägen stehen auf einem Gebiet von 4000 Quadratmetern; das Gelände ist von der Stadt gepachtet. 

Schrotti lebt in einem umgebauten Pferdetransporter. Umzäunt von Draht und Blechwänden wirkt die Wagenburg wie eine eigene Welt. Hunde tollen herum. Asphaltierte Straßen gibt es nicht. Stattdessen matschige Wege, die sich um bunte Wägen schlängeln. Nicht weit vom Gemeinschaftsplatz steht Schrottis Transporter: Küche, Schlaf- und Wohnzimmer befinden sich auf etwa zehn Quadratmetern.  

Auf die Frage, weshalb er sich für ein Leben im Wagen entschieden hat, antwortet Schrotti: »Ich habe keine Lust, drei Viertel meiner Zeit arbeiten zu müssen, um dort wohnen zu dürfen, wo ich arbeite.«  Da er als junger Mann bereits viele Busreisen unternommen hat, war die Alternative für ihn naheliegend: »Im Wagen leben ist einer der wenigen Freiräume außerhalb des normalen Mietenwahnsinns.« Sieben Jahre hat er das alternative Leben in und um Freiburg miterlebt. 

Insgesamt gibt es drei offizielle Wagenplätze in Freiburg. Einer davon befindet sich im Stadtteil Rieselfeld, zwei weitere am Eselswinkel in der Nähe von Ikea. Die Wagenburg der Schattenparker ist als einzige in Freiburg selbstverwaltet – ein Recht, das sich die Gruppe hart erkämpfen musste. Vor einigen Jahren waren die Wägen verschiedener Gruppen von der Stadt beschlagnahmt worden. Vielen Bewohnern hatte dies ihren Lebensraum entzogen.

»Keine Probleme«

Auch die Schattenparker haben sich früher massiv gegen die Stadt gewehrt. Sie forderten weitere Stellplätze, wie Rathaus-Sprecherin Edith Lamersdorf die damaligen Differenzen beschreibt. Zur aktuellen Situation äußert sie sich jedoch positiv: »Wir haben momentan keine Probleme mit den Schattenparkern.«

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So ganz vom Tisch ist das Thema laut Schrotti aber noch nicht. Nach wie vor stünden viele Bauwägen am Straßenrand. Die Bewohner der existierenden Wagenburgen müssten Neuzugänge abweisen, da diesen nicht genug Platz zur Verfügung stehe. Dabei sieht sich Schrotti als Teil der Gesellschaft mit dem gleichen bürgerlichen Recht auf Wohnraum wie jeder andere. Er möchte dies nur anders gestalten.

Die dreifache Mutter Bianca sieht das genauso. Als Teil der Wagengruppe »Sand im Getriebe« ist sie nur vorläufig bei den Schattenparkern am Eselswinkel untergekommen. Ihre neunjährige Tochter Bella findet das Leben im Wagen toll: »Nur den Schulranzen immer so weit schleppen zu müssen ist doof.«  

Der Alltag der Wagenbewohner ist lebhaft, den Großteil des Tages verbringen sie draußen. Das Ganze funktioniert wie ein kleines Dorf: Ein Putzplan sorgt für Ordnung. Entscheidungen werden im Plenum getroffen. Ihre Energie beziehen die Schattenparker über die Solarzellen, die überall auf dem Gelände zu sehen sind – vor allem auf den Dächern der Wägen.

Auch kulturell hätten sie der Stadt und ihren Bewohnern einiges zu bieten, findet Bianca. Sie seien Veranstalter verschiedenster Aktionen, organisierten Lesungen, gemeinsame Koch-Events, Partys und Konzerte.
»Umdenken schaffen«

Wieso die Schattenparker trotzdem eher am Rande der Gesellschaft leben? »Es gibt einfach völlig falsche Stereotype, die auf Unwissenheit basieren«, sagt Schrotti. »Es ist wichtig, ein Umdenken zu schaffen und Interesse zu entwickeln. Wir bewegen uns schließlich in der Gesellschaft, so wie alle anderen auch.« 

Leni, Bellas elfjährige Schwester, ist schon heute stolze Wagenbesitzerin und sichtlich überzeugt vom Lebensstil ihrer Mutter: »Wir haben alle schon einen eigenen Wagen. Mein Bruder hat sich gerade einen schönen blauen ausgebaut. Meiner steht gleich daneben.«

Der Artikel entstand im Rahmen eines Grundlagen-Seminars für Journalismus an der Universität Freiburg. Die Verfasser sind Studierende.

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