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Selbstbestimmungsgesetz: Bundestag stimmt für freie Geschlechtswahl im Pass

Geschlecht im Pass wählbar :
Bundestag stimmt für Selbstbestimmungsgesetz

Lesezeit: 4 Min.
Abgeordnete der Grünen freuen sich nach der Abstimmung
Künftig wird es leichter, vor dem Standesamt seinen Geschlechtseintrag zu ändern. Der Abstimmung im Bundestag ging eine emotionale Debatte voraus.

Als Sahra Wagenknecht das Rednerpult verlässt, wird es laut im Bundestag. Die Abgeordneten der Ampelfraktionen sind empört. Wagenknecht hatte gerade gegen das von der Regierung auf den Weg gebrachte Selbstbestimmungsgesetz polemisiert. „Einmal im Jahr sein Geschlecht frei wählen zu können, diesen grandiosen Freiheitsgewinn haben Millionen Bürgerinnen und Bürger sicher seit Jahren sehnlichst erwartet“, sagte Wagenknecht. Und wenig später: „Ihr Gesetz ist frauenfeindlich. Und Ihr Gesetz macht Eltern und Kinder zu Versuchskaninchen einer Ideologie, von der nur die Pharmalobby und die Pharmaindustrie profitieren. Das BSW sagt Nein zu diesem gefährlichen Irrsinn.“

Wagenknecht ging wieder zu ihrem Platz, es wurde laut und ihre ehemalige Parteikollegin Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, sah sich genötigt, die Klingel zu läuten, um für Ruhe zu sorgen und um Würde zu bitten.

Keine lange Überprüfung mehr

Nach der namentlichen Abstimmung herrscht große Freude bei SPD, Grünen und FDP. Der Bundestag hat das Selbstbestimmungsgesetz angenommen. Es ersetzt künftig das 1981 in Kraft getretene Transsexuellengesetz.

Das neue Selbstbestimmungsgesetz wird im November in Kraft treten. Wer seinen Geschlechtseintrag und Vornamen ändern möchte, kann dann eine entsprechende Erklärung vor dem Standesamt abgeben. Bislang setzt die Änderung eine langwierige und teure psychiatrische Überprüfung voraus; diese Voraussetzung entfällt künftig. Unerheblich ist, ob die Entscheidung für eine Änderung auf einer empfundenen Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht, auf biologisch uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen oder auf einem fehlenden Zugehörigkeitsgefühl zu beiden Geschlechtern beruht. Die Änderung muss drei Monate vorher beim Standesamt angemeldet werden. Wenn die Erklärung sechs Monate nach der Anmeldung noch nicht abgegeben wurde, wird sie gegenstandslos. Ist eine Erklärung einmal gemacht worden, kann frühestens nach einem Jahr eine neue abgegeben werden.

Gegner verweisen auf Risiken für Kinder und Jugendliche

Schon im Voraus hatte die Reform für viele Diskussionen gesorgt, denn sie betrifft auch Kinder und Jugendliche. Geschlechtsangleichende Maßnahmen regelt das Gesetz allerdings nicht.

Für Kinder unter 14 Jahren darf die Erklärung zu Geschlecht und Namen nur der gesetzliche Vertreter abgeben. Jugendliche ab 14 Jahren geben sie selbst ab, brauchen aber die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters. Weigert der sich, wird das Familiengericht zuständig. Es erteilt die Zustimmung, sofern die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vorname dem Kindeswohl nicht widersprechen. Anders als Erwachsene sind Kinder und Jugendliche nicht ein Jahr lang an die Erklärung gebunden, können sie also auch früher rückgängig machen.

Nyke Slawik sprach im Bundestag über ihre Erfahrungen.
Nyke Slawik sprach im Bundestag über ihre Erfahrungen.dpa

Gegner der Reform hatten nicht nur auf Risiken für Kinder und Jugendliche verwiesen. Sie warnten auch vor Gefahren an Orten, wo Frauen unter sich sind, etwa im Fitnessstudio, in der Sauna oder in Umkleidekabinen. Hier verweist das Gesetz inzwischen ausdrücklich auf das Hausrecht. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass es möglich bleibe, „im Einzelfall zu differenzieren“, um dem „Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung zu tragen“. Eine weitere Sorge war vor allem vom Bundesinnenministerium geäußert worden. Dort befürchtete man, dass Kriminelle untertauchen könnten, indem sie Namen und Geschlechtseintrag ändern.

Hierzu sah der Gesetzentwurf zunächst vor, dass die Meldebehörden Polizei, Verfassungsschutz und andere Behörden automatisch über den Neueintrag informieren. Nach Kritik daran sieht der nun beschlossen Entwurf die automatisierte Weitergabe der Daten nicht mehr vor. Er stellt aber klar, dass das sogenannte Offenbarungsverbot nicht gilt, wenn öffentliche Interessen dagegensprechen. Dazu heißt es: „Besondere Gründe des öffentlichen Interesses ... sind insbesondere dann gegeben, wenn die Offenbarung der Daten zur Erfüllung der Aufgaben von Strafverfolgungs- oder Sicherheitsbehörden sowie amtlichen Stellen mit Sicherheitsaufgaben erforderlich ist.“ *

Die nun beschlossene Reform war nötig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht das Transsexuellengesetz in mehreren Punkten für verfassungswidrig erklärt hatte. Dort und im Personenstandsgesetz waren Namensänderungen und Änderungen des Geschlechtseintrages bislang geregelt. Das Transsexuellengesetz, dem laut Gesetzesbegründung ein „medizinisch veraltetes, pathologisierendes Verständnis von Transgeschlechtlichkeit“ zugrunde liegt, wird durch die Reform aufgehoben.

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Grünen-Abgeordnete erzählt von ihrer Erfahrung

Im neuen Selbstbestimmungsgesetz sollen die Regeln nun „vereinheitlicht und entbürokratisiert“ werden. Es gehe darum, eine selbstbestimmte Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen „zur Wahrung und zum Schutz der verfassungsrechtlich geschützten Geschlechtsidentität zu regeln“, heißt es.

Nicht nur Wagenknecht kritisiert das neue Selbstbestimmungsgesetz. Auch die Union ist dagegen. Susanne Hierl (CSU) kritisiert im Bundestag, dass auch bei Kindern der Geschlechtseintrag geändert werden kann. „Ein Kind im Alter von fünf Jahren ist nicht in der Lage, die Tragweite einer solchen Entscheidung für sein Leben zu überblicken. Kinder wollen in diesem Alter ihren Eltern gefallen.“ Katrin Helling-Plahr (FDP) verteidigt das Selbstbestimmungsgesetz. „Wenn ich gendern müsste, fiele mir die Zunge ab“, und auch sei sie nicht „woke“. Aber: „Wer bin ich, dass ich dem Lebensglück dieser Menschen entgegenstehe?“

Auch Nyke Slawik (Grüne) spricht. Sie selbst habe vor einigen Jahren ihren Namen geändert und dafür 2000 Euro zahlen müssen. Die Gutachten, die sie dafür brauchte, bezeichnet sie als unnötig. „Ich hätte mir als Jugendliche sehr gewünscht, dass es ein solches Gesetz gibt.“

* In einer früheren Version des Textes hatten wir übersehen, dass die automatisierte Weitergabe der Daten im Gesetz nicht länger vorgesehen ist. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.