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Die Gärten von Annevoie im Maastal

Landschaftskunst in Belgien :
Fließende Gärten

Von Paul Stänner
Lesezeit: 4 Min.
Perspektivwechsel: Aus der Luft sind die  Wassergärten von Annevoie fast genauso schön wie  am Boden.
Das Paradies gurgelt, wispert und rauscht: Im Maastal liegen die Gärten von Annevoie und verzücken mit einer ausgeklügelten Pracht, die ihresgleichen sucht.

Die Landschaft an der Maas glänzt in verregnetem Grün. Eine hüfthohe Hecke führt die Besucher im Bogen zum Kassenhäuschen, das einst eine Schmiede war und noch aus jener Zeit stammt, als um Annevoie herum Eisen abgebaut wurde. Die Montanindustrie machte im 18. Jahrhundert die Herren de Montpellier reich. Sie konnten sich einen Traum erfüllen: einen großen, weitläufigen Park. Man muss sich das Dorf zur damaligen Zeit staubig, verqualmt, rußig und laut vorstellen. Der Park könnte für den viel­gereisten Charles-Alexis de Montpellier eine Art Gegenleben verkörpert haben.

Der Dreck ist längst Vergangenheit. Aus dem grauen Kassenhäuschen heraus tritt man ins Grüne und über­blickt rechts und links die Wege, die Pflanzungen und die spiegelnden Wasser­flächen, gebannt von so viel Schönheit.

Hoch hinaus: kreiert eine meterhohe Fontäne.  La Grand Cracheur
Hoch hinaus: kreiert eine meterhohe Fontäne. La Grand CracheurPicture Alliance

Die Topographie meint es gut mit Annevoie. Der Park ist umgeben von aufragenden, stark bewaldeten Hügeln, die das Gelände schützen wie ein massiver Holzrahmen ein impres­sionistisches Gemälde. Hier oben liegen vier Quellen, die den Park das gesamte Jahr über bewässern. Es sind keine Pumpen erforderlich. Die Kaskaden, Überläufe, die Wassertreppen und Fon­tänen erreichen ihre Fließgeschwindigkeit und ihre Höhen allein durch den Druck in den kommuni­zierenden Röhren.

Bis 2000 blieb der Park im Besitz von drei Generationen der Familie Montpellier, dann ging die Kunstlandschaft in den Besitz der Wallonie über. Die suchte nach einem Nachfolger und fand ihn in der Gestalt der privaten Stiftung von Ernest-Tom Loumaye. Der Belgier hatte sein Geld als Gynäkologe und Pharmakologe gemacht, in der Schweiz Medikamente produziert und schließlich sein Unternehmen verkauft, um sich anderen Dingen zu widmen. Er kannte Annevoie und fand hier sein neues Ziel, den einzigen Wassergarten Belgiens.

Vor dem weißen Schloss, das von der Familie bewohnt wird und nicht zu besichtigen ist, treiben Schwäne in derart großer Gelassenheit, als seien sie sich ihrer ästhetischen Wirkung bewusst.

Sechsjährige Renovierung

Drei Gärten umfasst der Park auf 48 Hektar Fläche, jeweils gestaltet nach italienischem, französischem und englischem Vorbild. Ein Gemüse­garten, ein Weinberg von 18 Hektar und noch eine Jagd gehören zum En­sem­ble.

Ein Garten, selbst wenn er der Öffentlichkeit gegen Eintritt zur Verfügung gestellt wird, ist kein kommerzielles Objekt. Mehrere Gärtner sind tätig, immer wieder müssen Dinge ausgetauscht, gerichtet, nachgebessert werden. Das Wasser ist beharrlich in Bewegung, der Garten ist es auch.

Nach sechsjähriger Bauzeit sind die Renovierungsarbeiten im vergangenen Jahr zu Ende gegangen, die darauf abzielten, den Gärten ihre Gestalt und die Pflanzendekoration aus dem 18. Jahrhundert zurückzugeben. Dabei wurde nach alten Stichen und Öl­­ge­mälden gearbeitet, um zum ur­sprüng­lichen Masterplan zurückzukehren. Dazu gehörte auch die Restaurierung der Kunstwerke im Park. Ernest Tom Loumaye, der seit 2017 den Garten besitzt, hat viel Geld investiert. Er en­gagiert sich seit Jahren für den Erhalt historischer Gebäude und Landschaften.

Neben dem Schloss liegt der Gemüsegarten, der von der Besitzerin gestaltet und genutzt wird. Auch hier gibt es keine Chemie, dafür viel Handarbeit der eifrigen Gärtner. Der Garten bietet aber nicht allein Nahrung, sondern auch die Schönheit des Nützlichen: leuchtende Sonnenblumen und blau funkelnde Artischocken.

Liebeslaube mit Springbrunnen

Wir schlendern weiter durch die Allee der Seufzer. Sie führt in eine kleine Liebeslaube mit einem Springbrunnen, aus dessen Mitte die sogenannte Liebes-Fontäne aufsteigt. Der Brunnen stellt den Verliebten die Aufgabe, gemeinsam mit ihren verschlungenen Händen den kraftvollen Fontänenstrahl herunterzudrücken. Schaffen sie das, dürfen sie einen Wunsch äußern. Aber wie schaffen sie das, ohne klatschnass zu werden? Der Wunschbrunnen lehrt Basiswissen der Beziehungskunst: Geschenkt gibt’s nichts. Man muss schon zusammen mutig und geschickt sein.

Nebenan wird ein von Hecken umgebener Salon beherrscht von einem zen­tral platzierten Wildschwein. Was immer der Eber uns lehren mag, es geht wohl über die Gefühle von Verliebten hinaus.

Vorbei am Kabinett der Minerva und dem Kleinen Kanal führt der Weg auf die andere Seite des Tals. Es ist still in den Gärten von Annevoie. Das Rouillontal lässt kaum Geräusche eindringen, und das scheint auch die Besucher dazu zu verführen, sich leise zu unterhalten.

Überall hört man in der Stille die Geräusche des Wassers. Es plätschert an den Wassertreppen, pladdert schwer von der sieben Meter hohen Fontäne des Grand Cracheur, des großen Wasserspeiers, herunter, es murmelt an der französischen Kaskade. Es wispert, wenn es über kleine Steine hüpft, es gurgelt durch die Engführungen am kleinen Kanal, es flüstert über eine kleine Kaskade, deren Stufen leicht aufwärts gerichtet sind, um den Strom zu verlangsamen.

Insgesamt fünfzig Wasserspiele komponieren die Laute von Annevoie. Dramatisch überragt der Rocher de Lion, der Löwenfelsen, die Spaziergänger. Solche Felsen waren beliebte Elemente in den Garteninszenierungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Am Fuß des Massivs liegt eine schwarzgähnende Höhle. Doch sollte sich der Spaziergänger in der Wildnis des Parks gruseln wollen, müsste er reichlich Phantasie mitbringen. Mit den drei Wasserfällen, die über Steine und Pflanzen zischelnd den Felsen hinuntereilen, sowie dem Bach davor dürfte sich hier allenfalls ein Seelöwe und kein Löwe wohlfühlen.

Weiß lackierter Neptun

Der Bach führt uns nun, an der Triton-Fontäne vorbei, die Anhöhe hinauf zum großen Kanal. Sieben Meter breit, 365 Meter lang, von 52 Linden an den Ufern beschützt, zieht er sich über die gesamte Anhöhe gegenüber vom Schloss. Von hier aus hat man den schönsten Blick über den Garten und die Gebäude.

Und hier erkennt man, dass der weiß lackierte Neptun, wie auch andere Figuren des Parks, nach der Mode des damaligen Kunstgeschmacks kein voluminöser Manneskörper ist, sondern lediglich eine brettflache Metallform.

Von diesem gradlinigen, nach all den romantischen und naturnahen Gestaltungen jetzt wie neuzeitlich-industriell wirkenden Kanal führen verdeckte Röhren den Hang hinunter und speisen die kleinen Springbrunnen, die auf mehreren grasbewachsenen Ebenen zu einer Wassertreppe angeordnet sind. Seit 1760 erfreuen sie die Besucher mit einem nicht endenden Gluckern. Keine Mechanik, keine Reparaturen.

Durch den Blumengarten, der in einer kreativen Phase 1952 angelegt wurde, spazieren wir zur Schafsweide, dann vorbei an der Mühle, in der man auch übernachten kann. Ein Blick geht zurück ins Tal, verbunden mit den frischen Erinnerungen an die Wasserflächen und -läufe, französisch rechteckig oder englisch mäandernd, wie sie alle plaudernd einem großen Becken entgegenstreben, von dem aus sie in die Maas ablaufen.

Mehr Informationen unter: www.annevoie.be