Korallen - bedrohte Baumeisterinnen der Ozeane

Sie sind ein Symbol für die Schönheit und Vielfalt der Unterwasserwelt: Korallenriffe. Vor allem die bunt gefärbten Warmwasserkorallen in tropischen Gewässern ziehen Tauchfans und Forschende gleichermaßen an. Doch auch in tieferen, kälteren und dunkleren Regionen der Ozeane bilden sogenannte Kaltwasserkorallen riesige und nicht minder schöne Riffe. Sie alle sind Heimat für eine Vielzahl unterschiedlicher Tierarten und bilden faszinierende Ökosysteme.

Gleichzeitig zeigt sich an den empfindlichen Riff-Konstruktionen und ihren Baumeisterinnen, den Korallen, exemplarisch die Bedrohung der Meere. Steigende Wassertemperaturen, verschmutzte Meere, intensive Nutzung der Küstengewässer und Fischerei setzen ihnen zu. Hinzu kommt, dass die Weltmeere große Mengen Kohlendioxid speichern. So bremsen sie ein Stück weit die globale Erwärmung. Allerdings verursacht das zusätzliche Kohlendioxid eine Kette von Reaktionen im Wasser, die die Ozeane saurer werden lassen. Für Korallen wird es so schwieriger, ihre Kalkskelette zu bilden.

Die Kieler Meeresforschung beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Aspekten von Korallenriffen, von grundlegenden Fragen der Korallenphysiologie über ihre Fähigkeiten, auf Umweltveränderungen zu reagieren bis hin zu Möglichkeiten, aus den Korallen vergangene Klima- und Umweltbedingungen abzulesen.

 

Was macht tropische Korallen widerstandsfähig?

Korallen sind  wertvolle Ökosysteme und natürliche Küstenschutzanlagen. Doch ihre Zukunft ist ungewiss. Sie wird unter anderem von steigenden Wassertemperaturen bedroht, die immer wieder ausgedehnte Korallenbleichen hervorrufen. Eines dieser Ereignisse hat 2010 beispielsweise die Hälfte aller Korallenriffe in Thailand geschädigt. In dem Forschungsbereich Marine Ökologie des GEOMAR beschäftigen sich Dr. Marlene Wall und Dr. Anna Roik mit der Frage, wie tropische Korallen auf solche Ereignisse reagieren und ob sie sich regenerieren und anpassen können. „Wir haben rund um die Inselgruppe der Andamen im Indischen Ozean festgestellt, dass Korallen, die regelmäßig von kaltem Wasser aus der Tiefe überspült werden, widerstandsfähiger sind, als solche, die in konstanten Wassertemperaturen leben“, erklärt Dr. Wall.

Parallel verfolgte Anna Roik, Meeresbiologin am GEOMAR bis 2021, einen weiteren Ansatz: Welche Rolle spielt das Mikrobiom, also die Gesamtheit der an und auf den Korallen lebenden Mikroorganismen, für die Widerstandsfähigkeit und Fitness der Korallen? „Durch Beprobung der Korallen vor Thailand und mit Hilfe von DNA-Analysen möchten wir mehr über die Mikroorganismen-Gemeinschaften der Korallen lernen“, berichtet Roik, „Letztendlich könnte das Wissen über das Mikrobiom dahin führen, dass wir neuartige Strategien entwickeln können, die es ermöglichen Korallenpopulationen zu schützen oder sogar fitter für die Zukunft machen.“

 

Korallen erzählen Umweltgeschichte

Wie haben sich Temperatur und Säuregrad des Meerwassers entwickelt, wie hat der Meeresspiegel geschwankt? Was waren die Folgen? Korallen helfen, viele Fragen zur Klima- und Umweltgeschichte zu beantworten. Ihr Vorteil: Sie bieten eine sehr feine zeitliche Auflösung, die mit anderen Klimaarchiven, zum Beispiel Sedimentkernen, kaum zu erreichen ist. Korallen erreichen oft ein Alter von mehreren hundert Jahren. Ihr jährliches Wachstum wird ähnlich wie bei Bäumen in Dichtebändern dokumentiert und ermöglicht so die Untersuchung geochemischer Parameter in jährlicher, teils saisonaler Auflösung, die bis in Zeiten vor der industriellen Entwicklung des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Selbst einzelne Naturereignisse wie Hurrikane oder Extremniederschläge lassen sich im Korallenarchiv ablesen.

 

Kaltwasserkorallen – Juwelen der Tiefe

Parallel zu den Untersuchungen an tropischen Korallen begannen sich Forschende in Kiel Mitte der 1990er Jahre auch für Kaltwasserkorallen zu interessieren. Da die Riffe in deutlich größerer Tiefe existieren, waren sie lange nur Fischern bekannt, die hin und wieder abgerissene Korallenstöcke in ihren Netzen hatten. Hier galt es also Entdeckerarbeit zu leisten: Wo kommen Kaltwasserkorallenriffe überhaupt vor? Heute sind Riffe von der Küste Mauretaniens entlang der europäischen Schelfkante bis hin nach Nordnorwegen, aber auch im Golf von Mexiko bekannt. An den Schelfkanten bilden sie teilweise gewaltige Strukturen. In der Porcupine Seabight, einer untermeerischen Bucht westlich von Irland, erreichen von Kaltwasserkorallen gebildete Karbonathügel an ihrer Basis einen Durchmesser von 100 bis 1.800 Metern und eine Höhe von bis zu 350 Metern über dem Meeresboden. Das Røst-Riff vor Norwegen bedeckt gar eine Fläche von 130 Quadratkilometern.

Lange war völlig unklar, warum die Kaltwasserkorallen nur an bestimmten Stellen und in bestimmten Tiefen wachsen. Mittlerweile wissen wir, dass sie an einer speziellen Dichteschicht des Wassers siedeln, auf der ihnen genug Nährstoffe zugeführt werden. Über Jahrmillionen entschied das Auf und Ab dieser Wohlfühlzone darüber, ob die Korallen wachsen konnten oder nicht. Da Wassertemperaturen eine Rolle für die Dichte spielen, könnte eine Erwärmung des Meerwassers das Korallenwachstum in Zukunft also deutlich beeinflussen.

 

Schaffen Kaltwasserkorallen die Anpassung?

Janina Büscher, Meeresbiologin am GEOMAR bis 2020 im BIOACID Wissenschaftsporträt über ihre Forschung an Kaltwasserkorallen

Kaltwasserkorallen sind zwar von Korallenbleichen nicht betroffen, aber auch ihre Umwelt verändert sich. In der Forschungseinheit „Biologische Ozeanographie“ am GEOMAR beschäftigte sich Janina Büscher mit Kaltwasserkorallen. Im Fokus stand dabei die Art Lophelia pertusa (Desmophyllum pertusum), die weltweit verbreitet ist und riesige Riffe bilden kann. Mehrmals hatte Janina Büscher dafür Korallen nach Kiel geholt, wo für diesen Zweck ein kleines Kaltwasserkorallen-Habitat angelegt wurde. Daran wurde experimentell getestet, wie die Korallen auf steigende Temperaturen und einen höheren Kohlendioxid-Gehalt reagieren. Dafür wurde unter Laborbedingungen ein Jahr lang die Temperatur und der Kohlendioxid-Gehalt in in kleinen Schritten erhöht. Die Korallen kamen bis circa 15 Grad Wassertemperatur einigermaßen gut zurecht. Eine beachtliche Leistung – normalerweise leben sie am norwegischen Kontinentalschelf bei etwa 6 bis 8 Grad Wassertemperatur.

Zusätzlich untersuchte Janina Büscher Korallen regelmäßig in ihrer natürlichen Umgebung. Dort prüfte sie den Zustand der Korallen, maß ihren Sauerstoffverbrauch und verglich verschiedene Parameter mit den Erkenntnissen aus dem Labor in Kiel. Einige Korallen kamen auch wieder mit ans GEOMAR. „Insgesamt deuten unsere bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass die Kaltwasserkorallen besser mit dem Klimawandel zurechtkommen könnten als erwartet“, fasst Büscher zusammen. Das gilt allerdings nur für lebende Korallen. Die unteren Schichten der Riffe bestehen natürlicherweise aus den Skeletten abgestorbener Korallen. Diese können sich nicht mehr anpassen, ihr Kalkskelett löst sich bei zunehmender Versauerung auf. Dann könnte im schlimmsten Fall das ganze Riff zusammenbrechen. Und auch die lebenden Korallen kostet die Anpassung viel Kraft, die dann möglicherweise für andere Aufgaben wie Fortpflanzung fehlt. Auch bei Kaltwasserkorallen gilt daher: Entwarnung ist nicht in Sicht.

 

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