Nach einem Bericht der Bild-Zeitung hat sich Bundeskanzler Scholz regierungsintern festgelegt, der Ukraine keine Marschflugkörper vom Typ Taurus zu liefern. Dabei bemüht er auch rechtliche Argumente. Zu Unrecht, meint Patrick Heinemann.
Die Taurus-Marschflugkörper könnten für die Ukraine zu einem Game-Changer werden, doch genau deswegen scheut offenbar die Bundesregierung deren Lieferung. So berichtet die BILD-Zeitung, deutsche Regierungsvertreter fürchteten, die Ukrainer könnten mit ihnen die strategisch wichtige Brücke von Kertsch zerstören. Das würde der russischen Invasion voraussichtlich logistisch den Stecker ziehen. Was für diejenigen, die ein möglichst schnelles Ende der russischen Aggression anstreben, wie ein guter Grund für die Lieferung klingt, wird so in ein Gegenargument verdreht.
Bundeskanzler Olaf-Scholz (SPD) soll sich nach einem Bild-Bericht mehr oder weniger festgelegt haben, die Taurus-Marschflügkörper nicht zu liefern. Warum er nicht alles für einen Sieg der Ukraine tut, bleibt sein Geheimnis. Seine Haltung, dass Deutschland keine Marschflugkörper liefern soll, stützte Scholz nach BILD-Informationen in vertraulicher Sitzung des Auswärtigen Ausschusses aber auch auf ein vermeintlich rechtliches Argument, nämlich dass das Vereinigte Königreich und Frankreich "etwas können, was wir nicht dürfen", weshalb sich die Frage nach einer Taurus-Lieferung nicht stelle.
Kein Bundestag-Mandat nötig
Scholz spielt offenbar auf den Umstand an, dass Großbritannien und Frankreich Geodaten für die von ihnen gelieferten Marschflugkörper direkt selbst beisteuern sollen, die Briten auch mit eigenem Personal in der Ukraine. Nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG) darf der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes aber nur mit Zustimmung des Bundestages erfolgen (§ 1 Abs. 2 ParlBG). Eine solche Regelung hatte das Bundesverfassungsgericht gefordert. Darin unterscheidet sich die Wehrverfassung Deutschlands durchaus von Frankreich und dem Vereinigten Königreich.
Von dieser Argumenation hatte ZDF-Hauptstadtstudioleiter Theo Koll – mutmaßlich aufgrund von Informationen aus Regierungskreisen – bereits in der abendlichen heute-Sendung vom 22. September 2023 berichtet, was den Mainzer Sender nach Zuschauerbeschwerden zu der Klarstellung veranlasste dass die Zustimmung des Bundestags für die Lieferung nicht zwingend notwendig sei.
Rechtliche Nebelkerzen
Denn das Argument des fehlenden Bundestagsmandats ist eine doppelte Nebelkerze: Politisch, weil die regierende Ampelkoalition einen solchen Beschluss ja auch herbeiführen könnte. Juristisch, weil die Taurus-Lieferung an die Ukraine kein Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb Deutschlands ist.
Für den Einsatz von Taurus ist zunächst nicht erforderlich, dass deutsche Programmierer oder gar Soldaten die Ziele für die Ukraine in das System einprogrammieren, wie gelegentlich befürchtet wurde. Richtig ist, dass der Westen der Ukraine Zieldaten liefert – aber das seit Langem und völlig unabhängig von konkreten Waffensystemen. Ob und womit die Ukraine russische Ziele angreift, entscheidet sie allein.
Was der Taurus-Marschflugkörper aber benötigt, sind Geodaten, um im Gelände-Kontur-Abgleichsverfahren (Terrain Contour Matching, kurz TERCOM) unabhängig von GPS, das von den Russen teilweise gestört wird, ins Ziel navigieren zu können.Dabei gleicht der Marschflugkörper das Oberflächenprofil des Geländes mithilfe eines Höhenmessradars mit dem Kartenmaterial ab, wie Marschflugkörperexperte Fabian Hoffmann (Universität Oslo) jüngst in einem SPIEGEL-Gastbeitrag erläuterte. Diese Geodaten sind völlig neutral und gewiss kein Staatsgeheimnis. Über sie dürfte die Ukraine längst verfügen, da sie auch für die technisch eng verwandten Systeme Storm Shadow (Großbritannien) sowie SCALP-EG (Frankreich) benötigt werden und wohl auch von privaten Satellitenanbietern beschafft werden können.
Ukraine-Unterstützung mit angezogener Handbremse
Ohnehin ist schlicht nicht glaubwürdig, dass das Waffensystem die Programmierhilfe deutscher Soldaten oder Ingenieure in der Ukraine benötigt: Immerhin wurden die Marschflugkörper auch nach Spanien und Südkorea exportiert. Doch selbst wenn das so wäre, würden noch immer die ukrainischen Streitkräfte allein über Einsatz und Zielauswahl entscheiden. Ein bewaffneter Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland wäre auch das nicht.
Rechtlich spricht daher nichts gegen die Lieferung, anderslautende Argumente des Kanzlers sind vorgeschoben – Scholz fährt also bei der militärischen Unterstützung der Ukraine weiterhin nur mit angezogener Handbremse.
Keine Taurus-Waffen für die Ukraine: . In: Legal Tribune Online, 05.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52846 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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