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Hochtechnologie für Kreml-Armee Deutsche Elektronik soll weiter nach Russland gelangen

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Der Unternehmensschriftzug von Rohde & Schwarz: Die Firma dementiert Lieferungen nach Russland.

Der Unternehmensschriftzug von Rohde & Schwarz: Die Firma dementiert Lieferungen nach Russland.

(Foto: picture alliance / Schoening)

Kritische Produkte von Rohde & Schwarz sollen laut einem Medienbericht über Tarnfirmen an russische Unternehmen gegangen sein. Mindestens eines davon beliefert ein staatliches Forschungszentrum für Atomwaffen. Das Münchener Unternehmen stellt klar: Es habe diese Tarnfirmen nicht beliefert und wisse nichts über den Vorgang.

Keinesfalls soll Russland mit Hilfe westlicher Technologie weiter aufrüsten. Dennoch ist womöglich hochsensible deutsche Elektronik trotz Sanktionen ins Reich Wladimir Putins gelangt. Nach einem Bericht der tschechischen Zeitung "Deník N" sind unter Exportbeschränkungen fallende Elektronikgeräte des Münchner Technologiekonzerns Rohde & Schwarz über Umwege von einem tschechischen Werk an russische Unternehmen gelangt. Dadurch hätten auch russische Staatsunternehmen und die Armee Zugriff auf die Produkte. Rohde & Schwarz betont: Es gebe keine Beweise, dass tatsächlich Unternehmensprodukte nach Russland gelangt sind. Wenn doch, sei das ohne Zutun des Unternehmens geschehen.

Den tschechischen Journalisten zufolge gilt mindestens ein involvierter Zwischenhändler als Zulieferer für ein russisches Forschungszentrum, das sich unter anderem auf Atomwaffen spezialisiert. Die Elektronikgeräte seien zudem unverzichtbar für Russlands elektronische Kriegsführung. Dem Medienbericht nach haben seit Anfang des Jahres Waren im Wert von bis zu vier Millionen Dollar (3,7 Millionen Euro) über Umwege den Weg von der tschechischen Niederlassung von Rohde & Schwarz nach Russland gefunden. Das gehe aus Daten der Unternehmensdatenbank Export Genius hervor.

Russisches Atomwaffen-Institut als Endkunde?

Das Werk im südböhmischen Vimperk stellt elektronische Geräte für Fabriken und Diagnosegeräte her. Dabei handele es sich hauptsächlich um Oszilloskope oder Signalgeneratoren - also um sehr spezielle Geräte, die bei der Abstimmung elektronischer Schaltkreise, der Fehlerdiagnose oder der Frequenzmessung zum Einsatz kommen.

Damit zählen sie zu den kritischen Produkten, die unter anderem auch für den militärischen Einsatz infrage kommen. Sie stehen auf der Sanktionsliste der Europäischen Union und dürfen nicht nach Russland geliefert werden. Das tschechische Ministerium für Industrie und Handel habe "Deník N" bestätigt, dass die betroffenen Geräte "zu den sanktionierten Waren gehören, die in Anhang VII (Teil B) der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen aufgrund der Aktivitäten Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, aufgeführt sind".

Wie "Deník N" berichtet, sollen chinesische und türkische Unternehmen die Geräte in das kriegsführende Land exportiert haben. Aus den verfügbaren Daten lasse sich aber weder ermitteln, von wem diese Unternehmen die Geräte bezogen haben, noch an wen die russischen Zwischenhändler die Geräte weiterverkaufen. Doch ging laut "Deník N" sanktionierte Ware etwa an die in Russland ansässige Firma Haan. Diese habe über den Umweg China und Türkei in Tschechien hergestellte Geräte im Wert von fast zwei Millionen Dollar (1,85 Millionen Euro) gekauft. Haan beliefert demnach das Allrussische Wissenschaftliche Forschungsinstitut für Automatisierung. Ein Schwerpunkt des Moskauer Instituts: Atomwaffen und die Entwicklung und Modernisierung von Systemen zum Abschuss nuklearer Sprengköpfe.

Rohde & Schwarz findet keine Verbindungen

"Rohde & Schwarz unterhielt als internationaler Technologiekonzern in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen mit Russland", zitiert "Deník N" den Sprecher der tschechischen Niederlassung, Dominik Klement. "Nach Kriegsbeginn wurden die Ausfuhren nach Russland umgehend eingestellt, noch bevor die Sanktionen offiziell bekannt gegeben wurden", schrieb Klement weiter. "Seitdem hat Rohde & Schwarz keine Produkte mehr nach Russland exportiert und alle Sanktionen strikt eingehalten."

Dennoch: In Tschechien drohten dem Unternehmen nun polizeiliche Ermittlungen im Zusammenhang mit Sanktionsumgehung, vermutet "Deník N" unter Verweis auf ähnliche Fälle in der Vergangenheit. Konfrontiert mit den Namen der türkischen und chinesischen Tarnfirmen, über die die Waren nach Russland gelangten, hieß es aus der Münchner Unternehmenszentrale: "Eine interne Überprüfung hat ergeben, dass keine der genannten Firmen Kunde von Rohde & Schwarz ist. Von daher gab es keine Lieferungen von Rohde & Schwarz an eine der genannten Firmen", zitiert "Deník N" die Kommunikationsleiterin des Unternehmens, Katrin Wehle.

Zwar versuche das Unternehmen, unerlaubte Importe in sanktionierte Länder zu verhindern. "Parallelimporte sind jedoch kein Rohde & Schwarz-spezifisches Problem, sondern stellen ganze Branchen vor Herausforderungen, die nicht von einzelnen Marktteilnehmern vollumfänglich gelöst werden können", hieß es weiter.

Elektronik für Drohnen und Stör-Signale

Auch andere Unternehmen hätten große russische Staatsunternehmen und vor allem auch Militärstützpunkte und Militärfabriken seit Anfang des Jahres mit Geräten aus dem Vimperk-Werk beliefert, schreibt "Deník N". Dabei wurde bereits im Januar bekannt, dass ein sanktioniertes russisches Rüstungsunternehmen über eigens geschaffene Tarnfirmen Elektronikkomponenten von Rohde & Schwarz für den Bau von militärischen Systemen beschafft haben soll. So berichtete etwa das "Handelsblatt", dass im Jahr 2023 Produkte von Rohde & Schwarz die russische Rüstungsfirma Special Technological Center (STC) erreicht hätten. Diese produziert unter anderem Orlan-10-Drohnen. Schon damals dementierte Rohde & Schwarz Verbindungen zu Russland.

Über nach Russland gelangte Produkte von Rohde & Schwarz berichtete kürzlich auch das unabhängige russische Nachrichtenportal "The Insider". Ihm zufolge gehöre der Münchner Konzern zu den westlichen Unternehmen, deren Produkte für die elektronische Kriegsführung der russischen Armee eingesetzt werden könnten. Neben Mess- und Diagnosegeräten würden auch Signalgeneratoren für Russlands elektronische Kriegsführung beschafft, mit denen die Kommunikation der ukrainischen Seite gestört werden könne.

Ohne westliche Technik kann Moskau nicht

"The Insider" nennt neben Rohde & Schwarz zwei weitere westliche Elektronikhersteller, deren Waren den Großteil der Importe solcher Geräte nach Russland ausmachen: Das Schweizer Unternehmen AnaPico und das amerikanische Keysight. Russlands Industrie verfüge nur über begrenzte Kapazitäten, um diese Güter im erforderlichen Umfang zu produzieren. So kauften russische Konzerne im Jahr 2023 57 in Russland hergestellte und 669 importierte Spektrumanalysatoren. Dabei zitiert "The Insider" eine Marktanalyse der Informationssicherheitsexperten von NPP Gamma, die für das russische Innenministerium und Russlands Geheimdienst FSB tätig sind.

In einigen Bereichen galten westliche Spektrumanalysatoren als "unersetzlich" - insbesondere im extrem hohen Frequenzbereich. Auf dem russischen Markt für tragbare Spektrumanalysatoren gibt es laut "The Insider" praktisch keine heimischen Optionen: Die Hälfte aller Verkäufe entfalle der zitierten Marktanalyse zufolge auf die westlichen Unternehmen Rohde & Schwarz und Keysight.

Quelle: ntv.de

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