Physik und mehr wurde im ehemaligen Berliner Abwasserpumpwerk „Radialsystem V“ geboten

Sofern es die physikalischen Wissenschaften betrifft, war der letzte Tag der Falling-Walls-Konferenz zunächst einmal der Tag der Quanten. Der in Delft tätige Physiker Simon Gröblacher, der seine Masterarbeit einst in Wien beim heutigen Nobelpreisträger Anton Zeilinger angefertigt hatte, musste kurzfristig seinen Rückflug umbuchen, nachdem seinem Start-up QphoX der Breakthrough-Preis dieser Kategorie zuerkannt worden war. Aber auch der Preis in der Kategorie Physik ging an eine Innovation, welche die Erforschung der gewöhnungsbedürftigen Welt des Allerkleinsten ermöglicht hat. Die französische Physikerin Nathalie Picqué vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München präsentierte ihre prämierte Entwicklung: Sie verspricht die Lösung einer messtechnischen Aufgabe, die sich als Folge des massenhaften anthropogenen Eintrags verschiedenster Gase in die Erdatmosphäre stellt. Gesucht wird eine Sensortechnik, die in der Lage ist, schnell, hochsensitiv für viele verschiedene Spurengase gleichzeitig Gaskonzentrationen zu überwachen, die aber zugleich robust, kompakt und preiswert zu produzieren ist. Dem ersten Teil dieser Anforderung genügt eine existierende Technik namens Fouriertransformations-Spektrometrie. Doch diese Geräte sind komplex, unhandlich und mit mehreren Tausend Euro pro Stück sehr teuer. Frequenzkämme en miniature Picqué und ihr Team haben nun einen Weg gefunden, die Aufgabe mit einer anderen Technik zu lösen. Sie basiert auf der Kombination zweier sogenannter Frequenzkamm-Laser. Das Licht des einen durchquert eine Kammer mit der zu beprobenden Gasmischung, bevor es mit dem des anderen in einem sogenannten Interferometer zusammengeführt wird. Durch einige Tricks lassen sich die Spektren der verschiedenen Gasatome damit extrem hoch auflösen. Vor allem aber ist es möglich, Instrumente, die nach diesem Prinzip arbeiten, zu miniaturisieren: Die Komponenten von Picqués quantenoptischen Sensoren passten auf Halbleiterchips. Den vielleicht überraschendsten Kurzvortrag des letzten Falling-Walls-Tages aber hielt die ukrainische Mathematikerin Maryna Viazovska, die es schaffte, in nur 15 Minuten auf unterhaltsame Weise zu erklären, wofür sie in diesem Jahr die Fields-Medaille gewann, eine dem Nobelpreis mindestens ebenbürtige Auszeichnung auf dem Gebiet der Mathematik. 254 Stunden mit dem James-Webb-Telescope Schließlich aber fehlte unter der Rubrik „Physical Sciences“ auch nicht das auf diesem Feld vielleicht größte Thema des Jahres 2022: das James-Webb-Weltraumteleskop, das nach dem Start am Weihnachtstag des Vorjahres in der Neujahrsnacht aufgefaltet worden war und seit dem Sommer wissenschaftliche Daten liefert. Für die Astronomin Jeyhan Kartaltepe vom Rochester Institute of Technology nahe New York ist das James Webb Space Telescope das neue Arbeitspferd, denn sie interessiert sich insbesondere für die frühesten Galaxien, deren Licht zu uns gelangt und damit zeigt, wie solche Sterneninseln nur wenige Hundert Millionen Jahre nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren ausgesehen haben. Auf diesem Feld hat Webb schon jetzt nicht nur schöne Bilder, sondern auch handfeste wissenschaftliche Überraschungen geliefert: „Wir sehen mehr helle Galaxien im frühen Universum als erwartet“, sagte Kartaltepe. „Und die frühen Galaxien zeigen eine breite Vielfalt an Formen und Strukturen.“ Noch sind solche Befunde etwas kursorisch. Für einen statistisch sauberen Galaxienzensus im frühen Universum hatten Kartaltepe und Caitlin Casey von der Tufts University in Massachusetts es gewagt, sagenhafte 218 Stunden Beobachtungszeit mit dem James Webb Telescope zu beantragen – und am Ende sogar über 254 Stunden erhalten. Der COSMOS-Webb Survey der beiden Forscherinnen – unter Beteiligung etwa hundert weiterer Astronomen – ist damit das größte Programm des ersten Beobachtungszyklus und wird einen Himmelsausschnitt von der 1,4-fachen Größe der Vollmondscheibe im nahen und teilweise auch im mittleren Infrarot nach Galaxien durchmustern. Noch im Dezember wird die Datenaufnahme beginnen. In einem Jahr könnte sich also unser Bild der Epoche kurz nach dem Urknall noch einmal verändert haben.