ZEIT ONLINE: Frau Dommann, macht das Internet das geistige Eigentum kaputt?

Monika Dommann: Nein. In der Geschichte sehen wir immer wieder, wie mit neuen Medien auch neue Formen der Aneignung, Umwandlung und Verbreitung entstehen. Immer heißt es dann, das geistige Eigentum sei bedroht. Die Interessenlagen jener, die rechtlich unter der Kategorie "Autor" oder "Urheber" subsummiert werden, sind allerdings äußerst divers. Prince, der DJ, der Prince remixt und Diedrich Diedrichsen, der über beide schreibt, oder Ausstellungen kuratiert,  haben beispielsweise äußerst divergierende Interessen. Das geistige Eigentum gibt es nicht.

ZEIT ONLINE: Die Spots zum Schutz des Urheberrechts behaupten, wer raubkopiert, könnte genauso gut einer alten Frau die Handtasche klauen.

Dommann: Es ist interessant, dass derzeit überall mit der Moral argumentiert wird. Der Ruf nach der Moral kommt immer dann, wenn das Gesetz vollkommen an den Praktiken der Gegenwart vorbei geschrieben ist. Aber diese Moral funktioniert schon in den sechziger Jahren nicht mehr. Die Tonjäger fragten nämlich in den Musikmagazinen: Das Aufnehmen von Popmusik via Kurzwellenrundfunk oder von Schallplatten ist vielleicht illegal – aber ist es amoralisch?

ZEIT ONLINE: Was haben die Tonbandamateure mit den Magnetbandkassetten angestellt?

Dommann: Sie machten jedenfalls vieles, das nicht in der Gebrauchsanweisung stand: Sie zeichneten Radiosendungen auf, Schallplatten, Töne auf der Straße. Sie schnitten, spulten, löschten.

ZEIT ONLINE: Wie rechtfertigten sie moralisch ihre Kopiererei?

Dommann: Sie fragten, warum sie für etwas bezahlen sollten, das sie nur für sich aufnehmen, abspielen und dann vielleicht wieder löschen. Diese Bastler mixten und spielten rückwärts, sie wollen nicht Bach von vorne bis hinten anhören. Die Lust steckte dabei auch (oder gerade) im Mediengebrauch. 

ZEIT ONLINE: Und wie reagierte die Industrie darauf?

Dommann: Tonbandgeräte, Tonbänder und später Leerkassetten gehörten zu jenen Produkten, die von der Industrie seit den sechziger Jahren massenhaft auf den Markt gebracht wurden. Es war die Zeit des Massenkonsums. Fast alle hatten oder wollten immer mehr. Aber Waren wie Autos oder Kühlschränke, so argumentierte der Ökonom Albert O. Hirschmann, waren für die Konsumenten nur für sehr kurze Zeit aufregend.  Bei den Tonbändern war das anders, weil die Lust im Mediengebrauch stecken konnte. Wer immer etwas neues aufnehmen konnte, konnte diese Lust wiederholen. Record, Rewind, Erase and Record again – das sind die Lieblingsfunktionen von aktiven Konsumenten.

ZEIT ONLINE: Haben sich die Urheber gewehrt?   

Dommann: Die deutsche Verwertergesellschaft Gema verklagte den Gerätehersteller Grundig auf Verletzung des Urheberrechts. Mit Erfolg: Es wurde eine Apparateabgabe eingeführt. Das ist ein entscheidendes Kippmoment in der Geschichte: Nicht mehr die Verwertung eines Musikwerks, sondern der Mediengebrauch an sich muss bezahlt werden. Das wird von den Herstellern an die Konsumenten abgewälzt. Heute zahlen wir nicht bloß Tonträgergebühren, beim Kauf jeder CD, jedes MP3- und  MP4-Players, beim Erwerb von Speicherkarten, Chips und USB Sticks fließen von den Geräteherstellern und Unterhaltungselektronikimporteuren via die Konsumenten Pauschalabgaben an Verwertergesellschaften.  

ZEIT ONLINE: Sie untersuchen, und das ist zum Verständnis heutiger Konflikte zentral, die Geschichte der Musikaufnahme und der Fotokopie.

Dommann: Die Fotokopie hängt mit der Geschichte des Wissens zusammen, die Musikaufnahme mit der Geschichte der Wirtschaft und der Verwertung. Die copyrights wurden so formuliert, dass sie die Verwertbarkeit von Musik günstig beeinflussten. Die Rechtsbereiche, die vor 200 Jahren entstanden sind, regeln viele unterschiedliche Praktiken der Gesellschaft, die wenig miteinander zu tun haben. Deswegen gibt es heute auch so viele Konflikte.

ZEIT ONLINE: Die Geschichte des Rechts und der Technik erzählen Sie auch an Apparaten entlang. Welche Rolle spielt dabei der Urheber? 

Dommann: Die Idee des Urhebers verweist etymologisch auf Gott, den primären Schöpfer, den Erschaffer der Welt. Der Schöpfer wird zu einer Leitfigur der Moderne. Es ist eine Grundannahme der Moderne, dass etwas Neues nicht von Gott oder den Vorfahren übernommen und nicht in Gemeinschaften erzeugt, sondern von einem Individuum geschaffen werde.

ZEIT ONLINE: Und das stimmt nicht?

Dommann: Neue Ideen entstehen durch Austausch, Überlieferung und Imitation, oder in den Worten des Wissenschaftsforschers Ludwik Fleck: durch Denkverkehr. Der einzelne, isolierte schöpferische Autor ist wohl eine Fiktion. Aber verschiedenste Akteure berufen sich immer auf die Figur des schöpferischen Autors: Die Gema, die Lizenzgebühren eintreiben will, selbst die Künstler, die gegen die Rundfunkgebühr argumentieren, betonen, dass sie selbst etwas schaffen. Und gar die Piraten brauchen den Urheber für ihre Argumentation, und zwar als Gegenmodell. Diese Leitfigur Autor, die im 18. Jahrhundert entstand, ist also noch lange nicht tot.  

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: Was bedeutet das für die Wirtschaft?

Dommann: Auch in der produzierenden Industrie gilt: Damit etwas neues entsteht, muss erst einmal imitiert werden. Darauf hat schon Adam Smith im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Entstehung von Mode verwiesen. Erst durch die Nachahmung und die Imitation vieler, etabliert sich ein herrschender Stil und die Mode. Wer mit Musik Geld verdienen will, imitiert oder kopiert auch immer andere, und nimmt sich dann in Acht, dass ihm nicht dasselbe widerfährt. Das ist das Spiel zwischen Autoren und Apparaten, seit mindestens 150 Jahren.