Die belarussische Olympiasprinterin Kristina Timanowskaja hat sich in einem weiteren Interview zu ihrem Fall geäußert. Der Bild-Zeitung sagte die Leichtathletin, der Cheftrainer von Belarus sei zu ihr ins Zimmer gekommen und habe ihr gesagt, dass sie am 200-Meter-Sprint am Montag nicht mehr teilnehmen werde. "Der Trainer sagte mir, dass ich 40 Minuten habe, um meine Sachen zu packen und zum Flughafen zu fahren", ergänzte die 24-Jährige.

Bereits am Abend zuvor habe der Trainer ihr gedroht. "Ich wollte nicht nach Belarus, weil er mir schon am Abend gesagt hatte, dass ich Probleme bekommen könnte, wenn ich zurückkehre", sagte Timanowskaja. "Wenn ich die Anweisungen nicht befolge und den Staffellauf nicht mitlaufe, dann würden mich ernsthafte Probleme erwarten: die Entlassung aus dem Nationalteam, womöglich noch mehr." 

Sie habe ihre Verwandten zu Hause angerufen, ihren Mann und ihre Großmutter. "Ich habe sie gefragt, was ich tun soll, und versucht, dabei so viel Zeit wie möglich zu schinden", sagte sie in dem Interview. "Auf dem Weg zum Flughafen traf ich die Entscheidung: Ich wende mich an die Polizei, sobald ich am Flughafen bin." 

Die belarussische Athletin hatte sich am Flughafen Haneda an die japanische Polizei gewandt, als sie mutmaßlich zur Heimreise nach Minsk gezwungen werden sollte. Timanowskaja sagte, es sei ihr nicht um Politik gegangen. "Ich habe nur kritisiert, dass unsere Cheftrainer über das Staffellaufteam entschieden haben, ohne sich mit den Sportlern zu beraten", erklärte sie. "Dass das solche Ausmaße annehmen und zu einem politischen Skandal werden kann, hätte ich nie gedacht."

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) leitete inzwischen eine Untersuchung in dem Fall ein. "Wir müssen alle Tatsachen feststellen und alle Beteiligten anhören, bevor wir weitere Maßnahmen ergreifen", sagte IOC-Sprecher Mark Adams. Wann das IOC seine Ermittlungen abschließen werde, wollte er nicht sagen. "Diese Dinge brauchen Zeit. Wir müssen der Sache auf den Grund gehen." Athletenvertreter forderten eine sofortige Sperre für das belarussische Nationale Olympische Komitee.    

Timanowskaja unterwegs nach Wien

In der Nacht ist Timanowskaja vom Flughafen der japanischen Hauptstadt Tokio nach Wien geflogen. Die 24-Jährige sollte eigentlich vom Airport Narita einen Direktflug nach Polen nehmen, stieg aber in letzter Minute in eine Maschine nach Österreich, wie ein Flughafenbeamter mitteilte. Es wird erwartet, dass sie von Wien nach Warschau weiterreisen wird. Konsulatsmitarbeiter hätten ihre Flugroute aufgrund von Sicherheitsbedenken geändert, sagte ein Vertrauter Timanowskajas am frühen Morgen.

"Sie ist erschöpft, verängstigt, aber sehr dankbar für unsere Hilfe in dieser extrem schweren Zeit in ihrer Sportkarriere", sagte der polnische Botschafter in Japan, Paweł Milewski. Milewski hatte zuvor ein gemeinsames Bild gepostet und schrieb: "Ihr geht es gut."

Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) kritisierte die Regierung von Belarus. "Die Machthaber in Minsk haben mit der versuchten Verschleppung von Kristina Timanowskaja gezeigt, dass sie ihre eigenen Sportlerinnen und Sportler – und damit auch die olympischen Prinzipien – verachten", sagte Maas der Rheinischen Post. Die Regierung von Alexander Lukaschenko sei politisch und moralisch bankrott.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki attackierte die belarussische Spitze und forderte, die "Aggression der belarussischen Sicherheitsdienste auf japanischem Gebiet" müsse auf "entschiedenen Widerspruch der internationalen Gemeinschaft stoßen". Das humanitäre Visum für die Leichtathletin will er als Signal verstanden wissen. Polen werde weiter verfolgte belarussische Oppositionelle und das gesamte belarussische Volk unterstützen. "Wir lassen euch nicht allein", sagte Morawiecki.