Die Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) beschuldigt die Polizei im Iran, bei Demonstrationen mit scharfer Munition direkt auf Protestierende zu schießen. Mindestens 76 Menschen seien getötet worden, sagte der Direktor der in Oslo ansässigen Organisation, Mahmood Amiry-Moghaddam, unter Berufung auf Videoaufnahmen und Sterbeurkunden. Trotz hunderter Festnahmen und Drohungen seitens der Regierung reißen die Proteste im Iran nach dem Tod der jungen Frau Mahsa Amini nicht ab.

Amiry-Moghaddam rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, entschieden und vereint konkrete Schritte gegen die Tötung und Folter von Demonstranten zu unternehmen. Der Organisation zufolge wurden in 14 Provinzen des Landes Todesfälle gezählt, 25 allein in Masandaran am Kaspischen Meer. In Teheran seien drei Tote zu beklagen, hieß es.

Iranische Behörden meldeten mehr als 1.200 Festnahmen und mindestens 41 Tote, darunter zahlreiche Einsatzkräfte. "Bei den Unruhen in den vergangenen Tagen wurden in Masandaran 450 Randalierer festgenommen", sagte der Generalstaatsanwalt der nordiranischen Provinz, Mohammed Karimi laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna. Am Samstag hatten iranische Behörden bereits 739 Festnahmen gemeldet.

Auch in der südlichen Provinz Hormusgan wurden 88 Menschen festgenommen, wie die Nachrichtenagentur Fars berichtete – außerdem gab es dutzende Festnahmen in den Städten Sandschan im Nordwesten, Kerman im Südosten und Karadsch westlich von Teheran.

Frauen zünden Schleier an

Laut von IHR veröffentlichten Bildern riefen Demonstrantinnen und Demonstranten in Teheran "Tod dem Diktator" und forderten den Sturz von Irans geistlichem Führer Ayatollah Ali Chamenei.

 Studenten zerrissen große Fotos Chameneis und seines Vorgängers Ayatollah Chomeini, berichtet die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Videoaufnahmen.

Protestierende warfen demnach Steine, zündeten Polizeiautos an und setzten öffentliche Gebäude in Brand. Andere Bilder zeigten in mehreren Städten Frauen, die ihre Schleier ablegten und anzündeten oder sich symbolisch die Haare abschnitten. Die Bereitschaftspolizei schlug mit Schlagstöcken auf Demonstrierende ein.

Militär fahndet mit Fotos nach Demonstranten

Die Nachrichtenagentur Tasnim veröffentlichte rund 20 Fotos von Demonstranten, darunter Frauen, in der für Schiiten heiligen Stadt Ghom südlich von Teheran. Das Militär hatte die Einwohner aufgefordert, die "Anführer der Unruhen" auf Bildern zu identifizieren und "die Behörden zu informieren".

Unter den Festgenommenen sind nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) mit Sitz in Washington mindestens 18 Journalisten. Auch zahlreiche Aktivisten wurden verhaftet, darunter der Menschenrechtsaktivist Hossein Ronaghi, der für das Recht auf freie Meinungsäußerung im Iran kämpft.

Bundesregierung bestellt Botschafter ein

Angesichts der Gewalt gegen die Demonstranten bestellte die Bundesregierung den iranischen Botschafter ein. "Wir fordern die iranischen Behörden auf, friedliche Proteste zuzulassen und keine weitere – und erst recht keine tödliche – Gewalt gegen Demonstrierende anzuwenden", teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit. Das sei auch dem iranischen Botschafter direkt mitgeteilt worden.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) habe angekündigt, dass Deutschland die Ereignisse im Iran auf die Tagesordnung des UN-Menschenrechtsrates setzen wolle, sagte ein Sprecher.

Auslöser der landesweiten Proteste war der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei. Amini war am 13. September wegen des Vorwurfs festgenommen worden, das islamische Kopftuch nicht den strikten Vorschriften entsprechend getragen zu haben. Sie brach nach ihrer Festnahme unter ungeklärten Umständen auf der Polizeiwache zusammen und wurde drei Tage später im Krankenhaus für tot erklärt.