Vom Wahlkampf in Hessen ist dieses Jahr relativ wenig zu hören. Zwar treten derzeit täglich irgendwo in Frankfurt oder Kassel Spitzenpolitiker auf. Aber sie reden dann über Syrien, das Betreuungsgeld oder Spitzensteuersätze, nicht über das hessische Schulsystem oder den Fluglärm. Auch in den bundesweiten Medien findet die Landespolitik wenig Beachtung, was ungewöhnlich ist, lieferte Hessen doch sonst Schlagzeilen wie kaum ein anderes Bundesland im vergangenen Jahrfünft. Schuld daran ist natürlich die Bundestagswahl. Die findet am selben Tag wie die Hessen-Wahl statt und dominiert das Agenda-Setting.

Ein bisschen ungerecht ist das schon. Die Wahl ist nämlich, wie immer in Hessen, überaus spannend. Die beiden Lager liegen in den Umfragen quasi gleichauf. Ein Machtwechsel nach 14 Jahren ist nicht unwahrscheinlich. Für die Union wäre es bereits das sechste Bundesland, das sie in dieser Legislaturperiode verlöre (nach NRW, Hamburg, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen). Die CDU hätte dann in den westdeutschen Bundesländern nur noch eine einzige Regierungschefin, Annegret Kramp-Karrenbauer. So wenig wie noch nie.

Also mal wieder ein knappes Rennen in Hessen. Es ist aber nicht nur die Bundestagswahl ein Grund für die spärliche Medienrezeption: In Hessen geht es diesmal ungewohnt friedlich zu, für hiesige Verhältnisse zumindest. Die Landespolitik ist sonst berüchtigt wegen der erbitterten Feindschaft ihrer politischen Lager. Eben weil es hier immer so knapp war, etablierte sich eine einmalig rüde politische Kultur. Wiesbaden habe den "härtesten Landtag" der Republik, heißt es in Hessen nicht ohne Stolz. Manfred Kanther, Joschka Fischer, Roland Koch – sie alle gingen durch diese Schule.

Kein Vergleich zu Koch und Ypsilanti

Diesmal aber läuft der Wahlkampf in Hessen relativ soft und gesittet ab, was zuvorderst an den beiden Spitzenkandidaten liegt. Vom Naturell her sind sie andere Typen als ihre polarisierenden Vorgänger: Volker Bouffier, seit 2010 Ministerpräsident, ist bedächtiger und glatter als sein Vorgänger Koch. Auf den Wahlplakaten präsentiert er sich als entspannter Landesvater, mal mit Ehefrau, mal beim Basketballspielen. Diesen "Imagewechsel" nehme dem früheren "Hardliner-Innenminister" allerdings niemand ab, spottet die SPD. Tatsächlich hat Bouffier keine guten persönlichen Umfragewerte, zumindest nicht, wenn es um Sympathie und Glaubwürdigkeit geht.

Auch Thorsten Schäfer-Gümbel ist im Vergleich zur aufbrausenden Andrea Ypsilanti eher ein Phlegmatiker. Seit er vor fünf Jahren die hessische SPD in ihrer schweren Krise übernahm, pflegt er einen moderierenden Führungsstil: Er, der einst so Verspottete, befriedete seine gespaltene Partei – und erarbeitete sich Respekt von der politischen Konkurrenz. "Nix unter der Gürtellinie" sei seine Maxime auch im Wahlkampf, sagt ein Vertrauter.

Mit der Strategie der Kanzlerin

Bei beiden steckt hinter der Abrüstung auch politisches Kalkül. Bouffier wie Schäfer-Gümbel propagieren regelrecht das Ende der hessischen Verhältnisse, geleitet von der Erkenntnis, dass die Bürger davon genug haben. In Bouffiers Umfeld zählt man stolz die Projekte auf, auf die man sich in der Legislaturperiode mit der Opposition verständigt hat – wie den "Energiegipfel" oder die "Lärmallianz" zum Flughafen. Auch im Wahlkampf versucht es Bouffier mit der Strategie der Bundeskanzlerin: Kontroversen möglichst vermeiden. Eine Strategie, mit der allerdings auch schon andere CDU-MPs (etwa McAllister oder Rüttgers) gescheitert sind.

Auch Schäfer-Gümbel will keine Ideologisierung im Wahlkampf. Deutlich wird das an dem Thema, das die Hessen laut Umfragen am meisten beschäftigt, der Bildungspolitik. Anders als unter Ypsilanti vermeidet die SPD nun tunlichst eine Grundsatzdebatte über das dreigliedrige Schulsystem. Laut SPD sollen künftig die Kommunen entscheiden, welcher Schultypus für sie der richtige ist.