Die AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt hat einen neuen Fraktionschef: Die 22 Abgeordneten wählten den bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Oliver Kirchner zum Nachfolger von André Poggenburg. Den Vize-Posten übernimmt der 27 Jahre alte Ulrich Siegmund aus der Altmark, wie eine Fraktionssprecherin mitteilte. Kirchner und Siegmund wurden laut Fraktionskreisen in geheimer Abstimmung zwar nicht einstimmig, aber mit einem "sehr guten Ergebnis" gewählt.

Poggenburg hatte vor drei Wochen seinen Rückzug angekündigt. Offiziell rechtfertigte er das damit, "Druck von Partei und Fraktion" nehmen zu wollen. Er geht allerdings nicht ganz freiwillig: In einer Sitzung hatte ihm die Mehrheit der Fraktion faktisch das Vertrauen entzogen, indem die Abgeordneten über seine Rede zum politischen Aschermittwoch abstimmten. Dabei kam Poggenburg laut einer Sprecherin auf drei Stimmen, er selbst habe sich enthalten.

Bei einer AfD-Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch im sächsischen Nentmannsdorf hatte Poggenburg die in Deutschland lebenden Türken verunglimpft. Er nannte sie "Kümmelhändler" und "Kameltreiber", die in Deutschland "nichts zu suchen und nichts zu melden" hätten. Das brachte ihm bundesweite und auch parteiinterne Kritik ein. Der Bundesvorstand mahnte Poggenburg ab, ohne sich jedoch bei den Türken in Deutschland zu entschuldigen. Poggenburg erklärte, er habe in seiner Rede nicht die "Türken als Volksgruppe" gemeint habe, sondern die Türkische Gemeinde in Deutschland. 

Poggenburg, der wie der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke zum rechtsnationalen Parteiflügel gehört, hatte den 51 Jahre alten Fraktionsvize Kirchner als seinen Nachfolger ins Gespräch gebracht. Der Magdeburger Autohändler gilt als Vertrauter des scheidenden Chefs.

Kirchner trat zuweilen auch mit markigen Worten auf und kann zu den verbalen Hardlinern der Partei gezählt werden. Die Grünen bezeichnete er öffentlich als "Gesinnungsfaschisten". Ausweislich des Protokolls einer Mitgliederversammlung von 2016 gehört er zur AfD-nahen rechtsnationalen Patriotischen Plattform. Dort sprach er sich – entgegen anderen Anwesenden – zwar für eine klare Abgrenzung zur NPD aus. Doch zugleich griff er die AfD-interne Reformergruppe um den später abgewählten Parlamentarischen Geschäftsführer Daniel Roi an. Roi hatte im Sommer 2016 gemeinsam mit zahlreichen weiteren Parteifunktionären Sachsen-Anhalts unter dem Titel "Ruf der Vernunft" ein Diskussionspapier veröffentlicht, das parteiinterne Verwerfungen offenlegte und für eine Abgrenzung von Extremisten warb.

Es ist wahrscheinlich, dass Kirchner künftig leiser auftritt als Poggenburg. "Die öffentliche Wirksamkeit wird zurückgehen", sagt einer der Abgeordneten. "Denn Poggenburg hat das Scheinwerferlicht stärker gesucht." Auch in der Fraktion ist man sich dessen bewusst. "Wir müssen weg von der bissigen Wortwahl", sagt ein Abgeordneter, der seit 2016 im Landtag sitzt. "Das brauchten wir mal in der Anfangsphase, um schnell auf uns aufmerksam zu machen." 

Anfang März hatte Poggenburg angekündigt, sich auch von der Parteispitze zurückzuziehen. Den zerstrittenen Landesverband übernimmt zunächst kommissarisch Vizechef Ronny Kumpf, wie Poggenburg ankündigte. Ein regulärer Nachfolger soll erst im Sommer gekürt werden, wenn auch reguläre Vorstandswahlen anstehen.

Ergänzung: André Poggenburg legt Wert auf die Feststellung, er habe in seiner Rede Türken nicht pauschal verunglimpfen wollen. Ergänzt wurde zudem das jetzt offiziell mitgeteilte fraktionsinterne Abstimmungsergebnis über Poggenburgs Aschermittwochsrede.