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Nikolai Prschewalski - NATIONAL GEOGRAPHIC
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Nikolai Prschewalski

Ein rastloser Russe entdeckt in Innerasien ein Labyrinth von Bergketten, eine wilde Pferderasse und einen wandernden See. Doch sein ganz großer Traum geht nicht in Erfüllung: Tibets Hauptstadt Lhasa bleibt Nikolai Prschewalski verschlossen.

Als junger Mensch wird Nikolai Prschewalski des Lebens nicht recht froh. Mathematik, Latein, das ewige Auswendiglernen in der Schule – das alles ist für ihn ein ziemlicher Horror. Ein Tag auf der Pirsch mit dem Vater ist zehnmal schöner als mit den verhassten Lehrern, die züchtigend die Stöcke schwingen und dabei zuweilen nicht mal ganz nüchtern sind. Vom Militärdienst, zu dem Nikolai Prschewalski sich mit 16 Jahren meldet, ist er genauso angewidert. Seine Kameraden auf der Stube haben nur Saufen und Spielen im Kopf. Prschewalski, Sohn eines Kosaken, empfindet sich als „Diamant im Misthaufen“.

Das Schöne im Leben, findet Nikolai Prschewalski, sind weniger die Menschen als die Natur. An der Generalstabsakademie von St. Petersburg, die ihn 1861 aufnimmt, ist er ein Eigenbrötler. Vorschriften ignoriert er souverän, Ein- oder gar Unterordnung kommt nicht in Frage. Ein Prschewalski tut nur das, was er will. Eingeschlossen in seiner Studierstube stellt er auf eigene Faust eine „Militärische und statistische Übersicht über das Amur-Land“ zusammen. Da ziehen sie zum ersten Mal angetan die Augenbrauen hoch, sowohl in der Akademie als auch bei der Russischen Geographischen Gesellschaft. Dieser Trotzkopf, Einzelgänger und Menschenverächter hat offensichtlich Talente, die es freizulegen gilt.

Das Gebiet am Amur, das China laut Verträgen von 1858 und 1860 an Russland abgetreten hat, ist nur eine von vielen Regionen, für die sich der russische Zar ganz besonders interessiert. Seit 1864 sind seine Truppen dabei, auch Turkestan, Taschkent und Samarkand dem Großreich einzuverleiben. Aber die weiten Steppen und Wüsten, in die er seine Macht ausbreitet, sind auf den Militärkarten meist nur große, weiße Flächen mit wenigen Konturen. Es fehlen an allen Ecken und Enden präzise Daten. Prschewalski wird weit in den Osten an den Ussuri geschickt, den Grenzfluss zur Mandschurei und Korea. Er soll Land- und Wasserrouten erkunden, Karten berichtigen, botanische und zoologische Sammlungen anlegen. Endlich mal ein sinnvoller Einsatz! Prschewalski ist voller Tatendrang. Am Ende will er seinen Reisebericht nicht nur den Behörden, sondern auch der Öffentlichkeit vorlegen. Das Geld für den Druck gewinnt er beim Kartenspiel, 12000 Rubel in nicht mal einem Jahr – da bleibt sogar noch eine hübsche Summe übrig.

Nun hat Nikolai Prschewalski nicht nur die Geographische Gesellschaft, sondern auch den Kriegsminister hinter sich. Prschewalski ist einer mit Wissen und Mumm, finden sie in St. Petersburg, auch wenn mit ihm wohl nicht leicht auszukommen ist. «Wer mit mir losmarschieren will, muss wissen, dass er allein dazu da ist, meine Befehle auszuführen», sagt er in kompromissloser Offenheit.

Im Jahr 1870 beginnt Nikolai Prschewalski erste große Expedition. Vom Grenzort Kiachta südlich des Baikalsees zieht er durch die Wüste Gobi nach China. Prschewalski stößt zum See Kuku Nur vor, einem tiefblauen, salzhaltigen Gewässer auf 3315 Meter Höhe im Westen des Landes. Für die Umrundung, sagen die Einheimischen, braucht man sieben bis acht Tage zu Pferd und 14 Tage zu Fuß. Prschewalski rammt Stangen in den Uferschlamm und stellt auf diese Weise fest, dass sich der Wasserspiegel nicht hebt und senkt – einer der vielen Irrtümer, die er von nun an dem französischen Missionar Evariste Régis Huc posthum nachweisen wird, der diese Gegend vor gut 30 Jahren bereist und beschrieben hat.

Der Russe dringt über Berge und Flugsanddünen bis ins Qaidam-Becken vor – keine dürre Steppe, wie bei Huc zu lesen, sondern ein Salzsumpf. Nikolai Prschewalski macht sich Mongolenführer und die Mönche im buddhistischen Kloster Tscheibsen zu Freunden und sammelt kistenweise ein, was er an Neuem findet. Nach fast drei Jahren Marsch durch die Einöden Innerasiens ist er so verschmutzt und verwildert, dass die Einheimischen sagen, er sehe schon ganz wie ein Mongole aus. Prschewalski bringt außer einem Stapel neuer Karten 130 Felle, 40 große und 100 kleinere Tiere, 1000 Vögel, 3000 Insekten und 4000 Pflanzen mit nach Hause. Die hohen Herren in St. Petersburg haben sich in ihm nicht getäuscht.

Die zweite Expedition von 1876 bis 1877 führt den Russen von Westen her in unbekanntes Land. Nach Durchquerung der Wüste Taklamakan gelangt Nikolai Prschewalski auf dem Tarim an Salzmoore und Schilf. Die Einheimischen erzählen von einem seltsamen See namens Lop Nur, der seine Lage immer wieder verändere, dessen Wasserspiegel ein paar Jahre lang steige und dann wieder sinke. Seit Marco Polo vor 600 Jahren ist kein Europäer mehr in diese Gegend gekommen. Die Entdeckung des wandernden Gewässers wird noch Scharen von Forschern mobilisieren, ehe der Schwede Sven Hedin das Rätsel endgültig lösen wird.
Auf seiner dritten Expedition von 1879 bis 1880 steigt Prschewalski über hohe, einsame Pässe. Er kartiert die vielen parallel verlaufenden und dennoch verwirrenden Bergketten, die Tibet nach Nordosten abschließen. Prschewalski hat ein ganzes Arsenal von Namen, auf die er die unbekannten Höhenzüge tauft. Einen benennt er nach Marco Polo, einen nach Zar Alexander II., einen nach Christoph Kolumbus . Der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt kommt ebenso zu der Ehre wie der Geograph Carl Ritter.

Seine Begleiter mähen mit ihren Feuerwaffen räuberische Tanguten nieder, die hier die Gegend unsicher machen. Tanguten, notiert der Russe, nehmen Kamele mit Proviant auf ihre ausgedehnten Beutezüge mit. Sie bestechen den chinesischen Statthalter, damit er sie in Ruhe rauben lässt. Und nach der Rückkehr bringen sie am See Kuku Nur ihrem Gott ein Sühneopfer dar, indem sie bei Fischern einkaufen und die von ihnen erworbenen Fische in den See zurückwerfen.

Die armen, ungebildeten Mongolen, schreibt Prschewalski, haben unter diesem Räubervolk besonders zu leiden. «Ihre Augen sind matt, geistlos, ihr Charakter düster, melancholisch.» In einem Mongolen stecke keine Energie, «er hat keinen Wunsch und verhält sich mit viehischer Gleichgültigkeit gegen Alles in der Welt, außer gegen das Essen». Seine mongolischen Führer, die ihm an Mut und Zähigkeit nicht das Wasser reichen können, haben es entsprechend schwer mit ihm. Mal droht Nikolai Prschewalski ihnen mit Erschießung, wenn sie nicht weitergehen, mal jagt er sie einfach davon.

Legenden beginnen sich um den Russen zu ranken. Prschewalski sei ein Wunderheiler, sagen die einen; in einem Dorf knien 200 Menschen vor ihm und bitten darum, dass er die Kranken segne und die Zukunft vorhersage. Er sei ein Heiliger, sagen andere, der sich auf dem Weg zum Dalai Lama befinde. Mit dem letzten Teil dieser Aussage liegen sie gar nicht so falsch. Denn wie so viele Forscher vor und nach ihm hat auch Prschewalski einen großen Traum, mit dem er all sein Schaffen krönen möchte: Er will Lhasa sehen, die verbotene Stadt, wo Tibets fremdenfeindliche Mönche regieren.
Prschewalski kommt bis auf 250 Kilometer an sein Ziel heran. Dann wird seine Expedition von tibetischen Truppen gestoppt. Der Russe schwenkt seinen Pass mit dem Visum der Chinesen. Die Tibeter antworten ihm, sie bekämen ihre Anweisungen nicht von China, sondern vom Dalai Lama. Prschewalski diskutiert, gestikuliert, protestiert – doch schließlich muss sogar einer wie er vor diesem Gegner kapitulieren. Deprimiert kehrt er über die Wüste Gobi nach Russland zurück.

Ein viertes Mal bricht Nikolai Prschewalski auf in die glitzernden Salzebenen und trostlosen Steppen. Er gelangt an die Seen Gjaring Hu und Ngoring Hu, denen der Hwangho, der „Gelbe Fluss“ entspringt. Chinesischen Kartographen war dieses Gebiet schon bekannt, Europäer hingegen sind vor ihm dort noch nie gewesen. Am 1. Juni, bei minus 23 Grad, kämpft Prschewalski sich durch einen Schneesturm. Vom Oberlauf des Jangtsekiang zieht er am Nordhang des Gebirges Altun Shan entlang. Mit astronomischen Mitteln bestimmt er Dutzende von Bergketten, die sich wie Wellen einer steinernen Brandung vor ihm ausbreiten. Am See von Lop Nur schlägt er zu Studienzwecken noch einmal für 50 Tage ein Lager auf.

Auf dieser Reise sind es 7815 Kilometer gewesen. Mit den drei vorangegangenen Expeditionen summiert sich das auf insgesamt 30000 Kilometer, deren Verlauf Prschewalski fein säuberlich zu Papier gebracht hat. Zurück im kirgisischen Karakol, am Ufer des Sees Issyk-Kul, überzieht er 1885 seine geschlauchte Truppe mit einer schwungvollen Lobeshymne: «Ruhm und Ehre euch allen, Kameraden! Die ganze Welt soll eure Taten kennen lernen. Ich umarme euch und danke jedem von euch im Namen Seiner Majestät des Zaren, der uns ausgesandt hat, im Namen der Wissenschaft, der wir gedient, und im Namen des Vaterlandes, dem wir Ehre gemacht haben.»

Der rastlose Russe hat auf seinen Reisen riesige Gebiete entschleiert. Er hat das asiatische Wildkamel und eine wilde Pferderasse entdeckt, die den wissenschaftlichen Namen Equus przewalskii erhalten wird. Nur ein Gedanke wühlt noch in ihm: Lhasa. Die Expedition dorthin ist schon für 1888 geplant. Doch auf dem Weg von St. Petersburg zum Ausgangspunkt Karakol trinkt Nikolai Prschewalski trotz Warnungen von einem Wasser, das verseucht ist. Ende Oktober stirbt Russlands größter Asienforscher am Fuß der kirgisischen Berge. Die Stadt Karakol, so befiehlt der Zar, wird ihm zu Ehren in „Prschewalsk“ umbenannt.

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