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Arbeiten am Orient
29. Jul 07:22

Wird von rechts nach links gelesen: 'Bidoun'
Foto: Bidoun
In «Bidoun» treten Journalisten, deren Familien aus dem Nahen Osten stammen, aber im Westen leben, in Dialog mit Künstlern aus der Region. Die Netzeitung sprach mit der in Berlin lebenden Redakteurin Alia Rayyan über das neue Magazin.

 
Netzeitung: Sie haben ein Magazin gegründet, das nahöstliche Kunst und Kultur fördern soll. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Mehr in der Netzeitung
  • Journalisten diskutieren:
    Zuviele Mythen in Nahost
  • Alia Rayyan: Der Name unseres Magazins wurde mit gutem Grund gewählt, «bidoun» heißt auf Arabisch «ohne». Der Gedanke dahinter ist, dass wir so wenig wie möglich konventionelle Schubladen bedienen möchten. Dazu gehört, dass wir eigentlich mit dem Begriff «Nahost» nicht so viel anfangen können. Wir können gar nicht alle Länder auf dem Cover auflisten, über die wir berichten wollen. Wir beziehen die Türkei mit ein und auch den Iran und hoffentlich bald Marokko und Algerien. Darüber hinaus berichten wir auch über und richten uns an Leute, die in USA oder in Europa leben. Der Begriff Nahost oder Middle East ist also nur der Versuch, eine Richtung anzugeben.

    Auch diejenigen, für die wir dieses Magazin machen, können mit dem Begriff des Mittleren und Nahen Osten meist nicht mehr so viel anfangen. Was heißt es heute, dass man aus dieser Region herkommt? Bedeutet es: arabisch? Wie definierst du dich, was bedeutet der Gegenpol «Westen» und wie weit sind die Einflüsse längst miteinander vermischt worden? Wir geben nicht vor, wie die Leser es zu definieren haben. Eben deswegen heißt das Magazin «Bidoun»: Ohne sich festschreiben zu wollen.

    Netzeitung: Für viele Leute ist Globalisierung eine Horrorvorstellung, egal ob es sich um islamische Fundamentalisten oder deutsche Attac-Aktivisten handelt. Für «Bidoun» hingegen scheint Globalisierung fast eine Voraussetzung zu sein: Es wird in Berlin und Brooklyn produziert und in Dubai gedruckt. Richtet sich das Magazin in erster Linie an Leuten im Nahen Osten, in der Diaspora oder gar an interessierte Leser aus dem Westen?

    Bidoun-Redakteurin Alia Rayyan
    Foto: Ulrich Gutmair/Netzeitung
    Rayyan: Das Magazin sprengt auch in seiner Reichweite den normalen Rahmen. In der traditionellen Magazinlogik würde man vielleicht ein Magazin machen, in dem man nahöstliche Künstler dem Westen präsentiert. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, eine Plattform für ein «internes» Netzwerk für Künstler zu schaffen. Wir haben das Magazin so angelegt, dass wir versuchen, beide Seiten zu bedienen. Die Grundidee ist aber durchaus, ein Netzwerk aufzubauen zwischen den Künstlern, die in der Region leben, und denjenigen, die in der Diaspora leben. Es gibt derzeit kein Medium für einen Austausch zwischen Künstlern aus Iran, der Türkei und der arabischen Welt.

    In Deutschland etwa kann man sich dann Leser vorstellen, die an der Region und ihrer Kultur interessiert sind oder auch generell an Kunst. Es ist also letztendlich ein Schnittmenge von Leserkreisen, die wir ansprechen wollen.

    Netzeitung: Ein wichtiges Thema des ersten Heftes ist der Boom, den Kunst gerade im öffentlichen Raum im Nahen Osten erlebt. Was ist der Kontext für dieses Phänomen, welche Absichten haben die Künstler?

    Rayyan: Einerseits reagiert die Kunst schlicht auf eine Situation, in der es kein ausgereiftes System von Galerien gibt. Es gibt wenige Museen oder überhaupt Räume, in denen man Kunst präsentieren kann. Darüber hinaus gibt es meist keinerlei staatliche Unterstützung. Die Kunst spielt sich also im Bereich des Privaten ab. Aus diesem Grund war Kunst in der Region meist eine Veranstaltung von und für Eliten. Nun aber gibt es immer mehr Künstler, die diesen Rahmen aufbrechen und sich direkt an ein gewöhnliches Publikum auf der Straße richten wollen.

    Es ist paradoxerweise eine Entwicklung, die notwendig ist, um Kunst vielleicht überhaupt erst zu institutionalisieren, allerdings eine andere Kunst, als diejenige, die man bis dahin kannte. Kunst hat im Nahen Osten in den Institutionen und offiziellen Räumen immer einen eher dekorativen Charakter gehabt. Die neue Künstlerszene durchbricht heute also auch die üblichen Vorstellung, was Kunst ist. Man muss dort erst alles in Frage stellen, dann die offiziellen Raume wieder aufbauen oder völlig neue Institutionen schaffen.

    Netzeitung: Sie selbst stammen aus einer palästinensischen Familie und sind in Berlin geboren. Gibt es keinen Unterschied zwischen Leuten, die in der zweiten oder dritten Generation in New York oder Berlin, Paris leben und studiert haben und Künstlern, die in Beirut oder Teheran arbeiten?

    Rayyan: Mein Vater ist Palästinenser und mein Mutter ist deutsch. Lisa Farjam, die Chefredakteurin, ist Iranerin, lebt in New York und ist da auch aufgewachsen, Negar Azimi ist Iranerin, aber in Genf groß geworden. Antonia Carver ist Engländerin, lebt aber in Dubai. Du kannst aus deiner Perspektive nie ganz heraus. Und natürlich ist diese Perspektive, der Habitus und die Sozialisierung anders, wenn du hier oder in Ägypten aufwächst.

    Wir alle sind häufig in der Region. Es muss ein gewisses Potential da sein, um sich überhaupt in die Situation am Ort hinein denken zu können. Man muss sich als Teil des Ganzen fühlen, sonst würde das ganze Heft überhaupt nicht funktionieren.

    Letzten Endes gibt es keine sehr großen Unterschiede darin, wie man Kunst sieht und macht. Die Unterschiede haben viel mehr mit interner Politik zu tun. Weil es für lokale Künstler um Repräsentation und Überleben am Ort geht, ist es viel leichter für Künstler, die hin und her fahren, Kritik zu üben, nicht unbedingt an den lokalen Umständen, aber am Kunstsystem. Wenn man zum Beispiel in Beirut lebt, dann ist man in einem engen Zirkel und muss in diesem Kreis weiter machen, leben, agieren. Man ist dann an die Bedingungen, die dieser Ort bietet und setzt, gebunden. Das wiederum ist ein globales Phänomen.

    Netzeitung: Die meisten Regierungen in Nahost sind Diktaturen oder zumindest autokratische Regimes. Wenn ich an das iranische Kino denke, besonders Anfang der Neunziger, zeigte sich dort eine neue Sprache, die Zensur erfolgreich unterläuft und eben dies zu ihrer eigentlichen Qualität macht. Wird dieser Rahmen in «Bidoun» thematisiert?

    Rayyan: Allein in der Art und Weise, wie Künstler dort arbeiten und wie sie ihre Sprache einsetzen, um das zu sagen, was sie sagen wollen, wird dieses Problem zum wichtigen Thema. Das ist unter Umständen auch gefährlich. Wir wollen die Leute unterstützen, sie sollen «Bidoun» als Plattform nutzen können und über Dinge sprechen, die sie vielleicht in anderen Zeitschrift nicht besprechen können.

    Wenn man sich aber konkret mit diesem Thema befasst, muss man schon aufpassen, dass man nicht zu sehr zur Zielscheibe wird für Leute, die uns daran hindern könnten. Man muss die Waage halten und sich immer fragen, bis zu welchem Punkt man Geschichten entblättert und zur Sprache bringt. Wir wollen das natürlich möglichst vollständig erreichen, man muss sich im Einzelfall aber immer vor Augen halten, wann dies womöglich kontraproduktiv wäre. Mit unüberlegten Veröffentlichungen können wir eine im Entstehen begriffene Bewegung auch zu Fall bringen.

    Ich kann dafür ein Beispiel geben: Internetcafes sind unglaublich wichtig für die Jugend in der arabischen Welt, um sich zu treffen, um aus der sozialen Kontrolle der Familie heraus zu kommen. Wenn man zu explizit thematisiert, was so alles in diesen Cafes passiert, nimmt man ihnen womöglich die Freiheit, die sie dort haben. Man kann Entwicklungen kaputt machen, und hat daher auch eine Verantwortung.

    Netzeitung: Vasif Kortum von der Platform Galerie in Istanbul beschreibt in der ersten Ausgabe die Schwierigkeiten einer Kunstszene, in der es weder staatliche Förderung gibt, die Institutionen ein problematisches Verhältnis zu den «Outsidern» haben und es ein nur sehr kleines Publikum gibt, das außerdem wenig Erfahrung mit moderner Kunst hat. Aus diesem Grund gehen immer wieder Künstler in westliche Metropolen. Ist «Bidoun» Teil dieses Phänomens der Flucht oder versucht es, der Region etwas zurückzugeben?

    Rayyan: Ich würde sagen, eher letzteres. Das Magazin ist gegründet worden von Leuten, die schon im Ausland sind. Ihre Elterngeneration hat bereits die Region verlassen. Ich glaube, dass es wichtig ist, den Austausch zwischen denen, die «außen» sind, und denen, die «innen» sind, wieder zu verstärken. Unter anderem damit die Leute, die geblieben sind, nicht mit Groll auf diejenigen blicken, die weggegangen sind.

    Das heißt nicht, die Bewegung aus der Region heraus nicht kritisch zu betrachten. Es geht umgekehrt auch nicht darum, das Leben in Nahost zu romantisieren und mit exotischem Blick zu sehen. Beide Seiten sollen Kritik aussprechen können.

    Netzeitung: Bidoun kommentiert die Kluft zwischen den Kulturen auch dadurch, dass man es wie Arabisch von rechts nach links lesen muss. Ansonsten aber unterscheidet es sich nicht unbedingt von einem Kunstmagazin wie etwa Frieze. Lässt sich die Kluft zwischen Zentrum und Peripherie, die schließlich immer vom Zentrum definiert wird, einfach überspringen?

    Rayyan: Bidoun wird nicht die Revolution bewirken, es ist ein Kunstmagazin, mehr nicht. Es will aber Stereotypisierungen durchbrechen und bestimmte Verhaltensweisen in Frage stellen. Wenn wir also ein Heft machen, das sich nicht so sehr vom britischen «Frieze» unterscheidet, dann kann es dennoch anders herum gelesen werden. Man kann Ideen mischen, wenn du A sagst, dann musst du nicht B sagen, du kannst auch A sagen und dann C. Gerade die Idee, dass ein Heft, das aus Nahost kommt, nicht so aussehen kann wie «Frieze», ist ja schon eine bestimmte Erwartung, die wir durchbrechen.

    Netzeitung: In einigen Texten wird die Problematik der Repräsentation aufgenommen: Es wird kritisiert, dass man im Westen nicht als individueller Künstler wahrgenommen wird, sondern als bloßer Repräsentant einer Kultur oder Nation. Das ist ein Phänomen, das man auch in der so genannten Frauenliteratur wiederfindet. Wie verhält sich «Bidoun» zu dieser Problematik?

    Rayyan: Was uns vorgeworfen werden könnte und auch teilweise vorgeworfen wird, ist, dass wir selber Orientalismus betreiben, weil wir bestimmte orientalische Formen in unserem Heft in der Grafik haben und damit spielen. Meine Meinung ist aber, dass wir uns völlig autonom dazu verhalten, weil wir diese Formen einfach benutzen. Damit befreien wir uns auch vom Zwang, etwas nicht benutzen zu dürfen, weil es bereits von einer post-kolonialen Theorie kritisiert und geächtet worden ist.

    Wir wollen frei davon sein und versuchen Identität zumindest im Ansatz neu zu formulieren. Das ganze Heft ist ein Prozess, es lebt durch den Kontakt und den Austausch der Leute, die daran mitarbeiten. Ich glaube, dass wir dadurch die Falle, einem Typus oder einer Nische zu entsprechen, entgehen werden, weil wir mit Leuten zusammenarbeiten, die sehr unterschiedlich sind. In Beirut wurde uns das orientalistische Layout dieses Hefts um die Ohren gehauen, dort bevorzugt man puristisches Design. Was wiederum die Frage aufwirft, ob man nicht einfach nur westlichen Standards nachzueifern versucht.

    Zum Teil wurde uns deswegen Naivität vorgeworfen. Ich finde das gar nicht so schlecht, weil das ganze Gebiet so belastet und so schwer ist, dass es manchmal ganz gut ist, ein bisschen leichter zu sein und sich selbst nicht so ernst zu nehmen.

    «Bidoun» ist seit einigen Tagen am Kiosk erhältlich. Es wird in den Vereinigten Arabischen Emiraten herausgegeben und im Nahen Osten, der Türkei, den USA und Europa verkauft.

    Mit Alia Rayyan sprach Tal Sterngast.


     


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