Obligatorische Streitschlichtung in der Insolvenz

Die Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Insolvenzgläubiger die Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle betreibt, ist nicht von der vorherigen Durchführung eines Verfahrens der obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung abhängig.

Obligatorische Streitschlichtung in der Insolvenz

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW ist die Erhebung der Klage vor den Amtsgerichten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vermögensrechtlicher Art über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert bei Einreichung der Klage 750 Euro nicht übersteigt, erst zulässig, nachdem von einer Gütestelle im Sinne von § 15a Abs. 1 und 6 EGZPO versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Das Landesgesetz macht damit von der Öffnungsklausel in § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGZPO Gebrauch. Zweck dieser Regelung ist es, bei Streitigkeiten, deren wirtschaftliche Bedeutung in keinem angemessenen Verhältnis zu Kosten und Zeitaufwand eines gerichtlichen Verfahrens steht, die Möglichkeiten einer außergerichtlichen Streitschlichtung zu einer raschen und kostengünstigen konsensualen Konfliktlösung zu nutzen und dadurch die Justiz zu entlasten[1]. Vom Erfordernis einer vorherigen Streitschlichtung ausgenommen sind Klagen, die sich aus verschiedenen Gründen für die Schlichtung sachlich nicht eignen[2].

Klagen nach § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 InsO, mit denen Gläubiger die Feststellung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle betreiben, fallen nicht unter § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW.

Wird der Forderungsanmeldung eines Gläubigers vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger widersprochen, hat der Gläubiger auf die Feststellung der Forderung zur Tabelle im ordentlichen Verfahren Klage zu erheben. Den Streitwert einer solchen Klage kann der anmeldende Gläubiger regelmäßig nicht im Voraus ermessen. Er bestimmt sich nämlich nicht nach dem Nominalbetrag der geltend gemachten Forderung, sondern nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist[3]. Die voraussichtliche Insolvenzquote hängt unter anderem davon ab, in welcher Höhe andere bestrittene Insolvenzforderungen zur Tabelle festgestellt werden, in welchem Umfang Masseschulden entstehen und wie hoch die nach der Verwertung von Massegegenständen und etwaiger Geltendmachung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung zur Verfügung stehende Verteilungsmasse sein wird. Maßgeblich sind mithin Faktoren, die noch nicht feststehen und vom anmeldenden Gläubiger meist auch nicht näherungsweise beurteilt werden können. Nichts anderes gilt für die Wertgrenze des Schlichtungserfordernisses nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW, § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGZPO, die sich nach denselben Kriterien bestimmt[4]. Kann der Gläubiger aber nicht einschätzen, ob die Wertgrenze von 750 Euro überschritten ist, bliebe ihm selbst bei nominal hohen Forderungen nichts anderes übrig, als zunächst eine außergerichtliche Streitschlichtung zu beantragen. Andernfalls riskierte er, dass seine Klage mangels vorangegangener Schlichtung als unzulässig abgewiesen wird, weil das Schlichtungsverfahren nach Klageerhebung nicht mehr nachgeholt werden kann, wenn der Streitwert auf 750 Euro oder weniger festgesetzt wird[5].

Für die Behandlung von nominal hohen Forderungen ist das Verfahren der außergerichtlichen Streitschlichtung nicht konzipiert. Vielfach ist bei höheren Forderungen auch die tatsächliche und rechtliche Beurteilung ihres Bestehens erschwert. Das Schlichtungsverfahren hingegen ist vornehmlich für Bagatellstreitigkeiten vorgesehen[6], die keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufwerfen. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass als Schlichtungsperson nicht nur Juristen in Frage kommen[7].

Feststellungsklagen nach § 180 Abs. 1 InsO können ungeachtet der Streitwertbestimmung nach § 182 InsO für die Beteiligten von beträchtlicher wirtschaftlicher Bedeutung sein. Denn die Feststellung einer Forderung berechtigt den Gläubiger nicht nur zur Teilhabe an der Verteilung der Insolvenzmasse, sondern darüber hinaus nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Maßgabe des § 201 Abs. 2 InsO auch zur Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil, und zwar im vollen noch offenen Umfang der Feststellung.

Die mangelnde Eignung des Schlichtungsverfahrens für die Fallgestaltung einer Feststellungsklage nach § 180 Abs. 1 InsO zeigt sich schließlich auch darin, dass im Schlichtungsverfahren nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – die Rechtsfolgen herbeigeführt werden können, die mit einer gerichtlichen Feststellung verbunden sind. Gegenstand der gerichtlichen Feststellung ist nicht nur das Bestehen der angemeldeten Forderung, sondern auch ihre Eigenschaft als Insolvenzforderung als Voraussetzung ihrer Anmeldbarkeit und ihr Rang, nach anderer Ansicht das aus den genannten Elementen resultierende Insolvenzgläubigerrecht auf Teilhabe an der zu verteilenden Masse[8]. Die über die Feststellung des Bestehens der Forderung hinausreichenden Wirkungen der gerichtlichen Feststellung können nicht Gegenstand einer Einigung der Parteien im Schlichtungsverfahren sein. Verständigen sich die Parteien auf eine bestimmte Forderungshöhe und wird der darauf bezogene Widerspruch zurückgenommen, gilt zwar die Forderung in diesem Umfang nach § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO als festgestellt. Diese einer gerichtlichen Feststellung gleich kommende Feststellungswirkung, die sich auch auf die Anmeldbarkeit und den Rang der Forderung erstreckt, folgt aber unmittelbar aus dem Gesetz und nur mittelbar aus der Einigung der Parteien.

Ist sonach bereits der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW nicht eröffnet, kommt es nicht darauf an, ob eine Ausnahme vom Schlichtungserfordernis vorliegt, sei es nach § 1 Abs. 2 Nr. 6 SchlG BW (Klagen wegen vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen)[9] oder im Hinblick auf § 189 InsO die Ausnahme nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 SchlG BW (Klagen, die binnen einer gesetzlichen oder gerichtlich angeordneten Frist zu erheben sind).

Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 9. Juni 2011 – IX ZR 213/10

  1. vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung, BT-Drucks. 14/980 S. 5 f[]
  2. § 1 Abs. 2 SchlG BW, § 15a Abs. 2 Satz 1 EGZPO[]
  3. § 182 InsO[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 17.03.2005 – III ZR 342/04, NJW-RR 2005, 867, 868[]
  5. BGH, Urteil vom 23.11.2004 – VI ZR 336/03, BGHZ 161, 145, 148 ff[]
  6. BT-Drucks. 14/980 S. 8[]
  7. vgl. etwa § 3 Abs. 4 SchlG BW[]
  8. vgl. etwa MünchKomm-InsO/Schumacher, 2. Aufl., § 179 Rn. 7 f mwN; Eckardt, in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., S. 533 Rn. 1, 52, 53[]
  9. insoweit ablehnend neben dem Berufungsgericht AG Wuppertal, ZInsO 2002, 91 und ihm folgend die einhellige Meinung im Schrifttum, vgl. etwa Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, § 180 Rn. 6 mwN[]