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Der Fall Columbus: Wie Amerikas Entdecker ins Desaster segelte - DER SPIEGEL
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Der Fall Columbus Wie Amerikas Entdecker ins Desaster segelte

Mit seiner vierten und letzten großen Reise wollte Christoph Columbus seine verlorene Ehre zurückgewinnen - und endlich den versprochenen Seeweg nach Indien finden. Doch die Fahrt endete in einer Katastrophe.

Sevilla, 1502

Er nennt die vierte Reise "El Alto Viaje", die "Hohe Reise". Es soll die letzte Reise des Christoph Columbus werden.

Dreimal ist er zuvor in Amerika gewesen. 1492 hat er die Neue Welt entdeckt, es begann auf einer winzigen Insel der Bahamas, er nannte sie San Salvador. Nur drei Schiffe hatten die Spanier ihm, dem Fremden und Zugereisten, damals anvertraut, aber nach seiner Heimkehr feierten sie ihn. Zur zweiten Reise brach er 1493 mit einer Flotte auf, und natürlich war er der Kommandant. Die zweite Reise, das war Christoph Columbus auf dem Zenit seines Ruhms und seines Könnens.

Aber er scheiterte, denn seine Leute meuterten, und die Indianer, die er nach Spanien bringen wollte, starben im Bauch seiner Schiffe, und das Gold, das er finden wollte, gab es nicht, jedenfalls nicht dort, wo er suchte. Marco Polo hatte ja von einem Indien erzählt, das wie aus Gold gemacht schien, es glitzerte und funkelte in diesem Indien, doch alles, was Columbus fand, waren Kokosnüsse. Na ja, und die paar Amulette, die er den Eingeborenen stahl, und die paar Körner aus den Flüssen der Karibik.

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Spurensuche in der Karibik: Columbus' letzte Reise

Foto: Karl Vandenhole / DER SPIEGEL

Er brach ein drittes Mal auf und kehrte in Ketten zurück: Der neue Gouverneur von Hispaniola, jener Insel, die 500 Jahre später zur Hälfte Haiti und zur Hälfte Dominikanische Republik heißen wird, ließ den Mann, der sein Vorgänger gewesen war, gefangen nehmen und nach Spanien zurückbringen. Und dort saß der Entdecker Amerikas dann auf dem Trockenen, entrechtet und entehrt.

Deshalb will er die vierte Reise, die heilige, die Hohe Reise. Sie soll den Beweis erbringen für alles, was ihm wichtig ist. Dafür, dass Christoph Columbus ein Visionär, ein großer Admiral, ein Staatsmann ist. Dafür, dass er tatsächlich Marco Polos Indien gefunden hat und nicht irgendwelche wertlosen Sandhaufen; dafür, dass die Eingeborenen willige Sklaven sein würden; vor allem aber für die beiden Dinge, die ihm wirklich wichtig sind, wichtiger als alles andere: Gold will Columbus nach Hause bringen, und einen Durchbruch zwischen Pazifik und Atlantik will er finden, von Kuba nach China, wie Columbus hofft, ein wenig desorientiert fährt er durch die Gegend. Sein Vorbild ist Marco Polo, der hat diese Meeresstraße ja beschrieben, die von China zum Indischen Ozean führt.

Niedlich und komisch wird das 500 Jahre später klingen: so, als spräche der eine Entdecker von der Malakkastraße, dieser Meerenge zwischen Malaysia und Indonesien, und der zweite vom Panamakanal, diesem Monument und Beweis menschlicher Kraft und Phantasie - und als dächte der zweite, sie sprächen über ein und dasselbe Gewässer.

Damals aber gibt es noch keinen Panamakanal, es gibt kein Global Positioning System (GPS), es gibt nur wenige Karten, es gibt dieses ganze, gewaltige Wissen der modernen Seefahrt nicht. Es muss weitergehen hinter dem Festland, das glaubt Columbus, und dass ein weiterer Ozean auf der anderen Seite Panamas liegt und damit zwischen ihm und Asien, das kann er nicht wissen.

Am 26. Februar 1502 bittet er Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien um eine Flotte, am 14. März genehmigt das Königshaus die Expedition. Ferdinand und Isabella weisen Columbus sogar an, so schnell wie möglich nach Westen zu segeln, da "die aktuelle Jahreszeit sehr gut ist für die Navigation".

Das ist Unsinn. In der Karibik bricht bald die Hurrikanzeit an. Der amerikanische Columbus-Experte Samuel Eliot Morison interpretiert den Brief so, dass selbst Isabella, die ihn einst bewunderte für seinen Mut, diesen Columbus jetzt nur noch loswerden will, so schnell wie möglich.

Nach zwei Wochen ist die Flotte bereit. Columbus hat sich Brigantinen gewünscht, das sind Schiffe mit wenig Tiefgang und längs gestellten, so genannten Lateinersegeln, mit denen man erstens Flüsse hinauffahren und zweitens ziemlich gut gegen schräg von vorn blasende Winde ankommen kann. Brigantinen sind sehr schick und modern zu jener Zeit.

Er erhält vier Karavellen, vier dieser kleinen, wendigen Schiffe, diesmal solche mit quer gestelltem Großsegel. Columbus und sein Sohn Fernando segeln auf dem größten, dem 70 Tonnen schweren Flaggschiff, das der Admiral "La Capitana" nennt. Die "Capitana" gehört Mateo Sánchez, der ein Vollbürger von Sevilla ist und ein gutes Geschäft macht: Die Charter beträgt pro Monat 54 000 Maravedís (das lässt sich nicht leicht in Preise von 2004 umrechnen, aber wenn man die Goldpreise von 1502 und 2004 hochrechnet, würde die Charter 7200 Dollar pro Monat kosten).

An Bord ist Diego Tristán, der schon auf der zweiten Reise dabei war. Tristán ist der Kapitän von 2 Offizieren, 14 Seemännern, 20 Schiffsjungen und 7 Schiffshandwerkern. Ein Trompeter ist noch dabei, wahrscheinlich braucht man so einen, wenn man würdevoll vor den Palästen des Kaisers von China ankern will.

Sex und Geld: Lesen Sie im zweiten Teil, mit welcher Mannschaft und welchen Schiffen Columbus seine letzte Reise antrat

Zur Flotte gehört "La Gallega", die Galizierin, ein Schiff, das neben den drei ganz normalen Masten noch einen vierten hat, hinten am Heck ist er an der Fußreling angebracht, und er hält ein Segel, das wenig größer als eine Flagge ist. Eine Kleinigkeit; ein paar hundert Meter bringt dieses Segel in einer Woche, mehr nicht. Aber bei so einer Expedition geht es um Kleinigkeiten - für Tüftler und Denker ist die Entdeckung neuer Welten so etwas wie die Formel 1 des Mittelalters.

Die "Gallega" gehört Alonso Cerrajano, einem Vollbürger von La Coruña, 50 000 Maravedís pro Monat (rund 6800 Dollar im Jahr 2004) kostet die Charter. An Bord der "Gallega" führt Pedro de Terreros das Kommando, der viermal mit Columbus in die Neue Welt aufbrach und deshalb sein treuester Begleiter war. Terreros hat 26 Mann Besatzung, darunter 14 Schiffsjungen.

Zur Flotte gehört die "Santiago de Palos", von Columbus "Bermuda" genannt. Ihr Kapitän ist Francisco de Porras, der zwar ein lausiger und unerfahrener Seemann ist, aber der Bruder der Geliebten des Schatzmeisters von Kastilien - und der Schatzmeister von Kastilien bezahlt die Tour. Es ist eben wie 500 Jahre später: Auch in der Formel 1 des 21. Jahrhunderts werden ja Sex und Geld die Wege zu Posten und Macht öffnen. Francisco de Porras hat seinen Bruder und 31 Mann an Bord, darunter den Schreiber und Notar der Krone, Diego de Porras, und Columbus schickt noch seinen Bruder Bartolomeo dazu, als Aufpasser für die Dilettanten auf der Brücke. Und zur Flotte gehört die "Vizcaína".

Die "Vizcaína" soll drei Masten haben und ein Schiff von 50Tonnen Kapazität sein, mit Sicherheit lässt sich das nicht sagen, bevor man sie gefunden hat. Die "Vizcaína" ist zu Beginn der Reise noch im Besitz von Juan de Orquiva, dieser Herr ist Vollbürger von Guetaria. Die "Vizcaína" kostet im Monat 42 000 Maravedís Charter (etwa 5600 Dollar im Jahr 2004), und sie wird von Bartolomeo Fiesci befehligt, einem Freund des Admirals. Fiesci stammt aus Genua, er ist der Sohn einer vermögenden Familie. Die Fiescis gehören zu den großen Sippen Genuas, seit Jahrzehnten bestimmen sie mit, was in der Stadt passiert - die Familie Columbus ist eine kleine Familie. Hier nun sind die Rollen vertauscht: Columbus ist der erste Mann, und Bartolomeo Fiesci ist die Nummer zwei.

An Bord der "Vizcaína" sind ein Bootsmann, acht Seeleute, zehn Schiffsjungen, der Kaplan Fray Alejandro und drei Privatleute. Bootsführer ist Juan Pérez, Bootsmann ist Martín de Fuenterrabía. Insgesamt sind 25 Männer auf diesem Schiff, hin und wieder wird der Admiral von der "Capitana" herüberkommen und den Zustand der "Vizcaína" kontrollieren. Kapitän Fiesci verdient rund 4000 Maravedís im Monat, das sind, ins Jahr 2004 hochgerechnet, ungefähr 530 Dollar. Alle Seeleute erhalten ihr Geld für sechs Monate im Voraus.

Und dann brechen sie auf. Es ist der 3.April 1502.

Sie halten im Hafen von Casa de Viejo und schrubben die Böden, und dann streichen sie alle vier Schiffe mit Pech. Sie machen das sehr gründlich, sie wissen inzwischen, was in der Neuen Welt passieren kann. Es wird ihnen nichts nutzen. Keines der vier Schiffe wird die Küste Spaniens jemals wieder erreichen.

Nombre de Dios, 7. September 2003

Sie sind die Stars ihrer Welt, jener Welt, die auf dem Meeresgrund liegt. Filipe Castro und Donny Hamilton sind die Koryphäen der Unterwasserarchäologie.

Zehn Jahre lang hat Donny Hamilton in Jamaika gegraben und gewühlt, unter Wasser natürlich, bis er wichtige Teile des versunkenen Port Royal freigelegt hatte, jener Metropole aus dem goldenen Zeitalter der Piraten, jener letzten Heimat von Henry Morgan; Port Royal war eine Stadt, in der die Herrscher der Meere ihr Gold verzockten und versoffen, Port Royal war jene Stadt, in der sie die erbeuteten Frauen vergewaltigten. Und Donny Hamilton will im Grunde nicht arbeiten im Moment, er hat sich freistellen lassen von Texas A&M, weil er sein Buch schreiben will über Port Royal. Aber jetzt ist er hier, in Shorts und T-Shirt, Donny Hamilton hasst Tauchanzüge.

Und neben ihm steht Filipe Castro, gebürtiger Portugiese, der Mann hinter Hamilton bei Texas A&M, und reinigt seine Maske. "Das ist der beste Teil", sagt Castro, "wenn die Aufregung sich legt, wenn man zum ersten Mal taucht." Worum geht es heute?

"Es geht langfristig um zwei Dinge", sagt Castro, "das eine ist die künftige Arbeit mit dem Wrack. Wir überprüfen deshalb sofort, wie die Sicht unter Wasser ist, die Strömung, der Untergrund, wie wir hier also arbeiten können. Wir denken schon beim ersten Tauchgang an die spätere Logistik, denn man redet ja über ein Projekt, das fünf Jahre dauern wird : ein Jahr für die Bergung, vier Jahre für die Konservierung. Man redet über ein Team von 16 Menschen, mindestens 1,5 Millionen Dollar Kosten und über Kräne, Schiffe, Container, wenn man das ganze Wrack nach Texas und irgendwann wieder zurücktransportieren will."

Und was ist das andere? "Das andere ist natürlich eine erste Bewertung des Wracks", sagt Castro. "Schiffe waren ja lange Zeit das Komplexeste, was Menschen hergestellt haben. Wir wollen die Wichtigkeit dieses Wracks einschätzen und sehen, was noch da ist, wie viele Artefakte, wie viel Holz."

Dicke Planken und alte Kanonen: Lesen Sie im dritten Teil, wie Experten nach dem ersten Tauchgang das Wrack bewerten

Und jetzt steigen die beiden ins Wasser, Donny Hamilton, geboren in Levelland, Texas, im Oktober 1942, aufgewachsen auf dem Schrottplatz seines Vaters, und Filipe Castro, geboren im November 1960, aufgewachsen in Santarém bei Lissabon, Sohn eines Veterinärs, der Ägypten liebte und die Rätsel der Menschheit, der immer wissen wollte, was warum wie konstruiert war, der deshalb seinen Sohn Filipe von Museum zu Museum schleppte und irgendwann ansteckte. Mit diesem Fieber. Dieser Neugier.

Die beiden, Hamilton und Castro, bleiben zwei Stunden lang unter Wasser, man muss sie in Ruhe arbeiten lassen. Es gibt keine größeren Experten als diese beiden, ihr Urteil wird Gewicht haben. Und als sie wieder auftauchen, sehen sie aus wie zwei Tauchschüler, die ihren ersten Hai gesehen haben. Oder wie zwei Hippies nach einem guten Joint.

Sie schwimmen an der Oberfläche, sie klettern nicht an Bord, sie liegen auf dem Rücken im Wasser und lassen sich treiben und lachen und erzählen.

"Das ist ein phantastische Stelle", ruft Donny Hamilton, "es gibt große Holzbalken, diese Anker, diese zwei fetten Bombarden. Dieses Schiff ist alt. Sehr alt." Dann ist Hamilton wieder verschwunden. "Die Anker sind außergewöhnlich groß", ruft Castro, "eigentlich zu groß für ein 50-Tonnen-Schiff. Das ist eine unglaubliche Waffensammlung da unten."

Hamilton taucht wieder auf. "Die Kanonen liegen so, als sei zuerst das Schiff auf die Steuerbordseite gekippt und als seien dann die Kanonen hinübergerollt", sagt Hamilton. "Die sind nicht geladen, das sieht man auch durch die Krusten hindurch. Diese Kanonen waren Ladung", sagt Castro.

Dann ist Castro wieder verschwunden. Und Hamilton taucht hinterher. Und wenn man die beiden nun dort unten beobachtet, merkt man, dass sie ungewöhnlich gute Taucher sind. Sie tauchen ruhig, mit sparsamen Bewegungen, das allerdings können andere Taucher auch. Aber diese beiden sehen mehr als andere Taucher. Als sie zum Beispiel zum Bug des Wracks, zu den quer liegenden Ankern tauchen, da brauchen sie ein paar Minuten für ihre Entdeckung, sie sehen drei Ringe, der dritte ist tief eingegraben in all die Krusten und Korallen, er ist kaum zu sehen. Drei Finger hebt Castro, Hamilton macht das Okay-Zeichen.

Alle, die bisher hier unten waren, allesamt keine Anfänger, haben zwei Anker gesehen, nicht drei. Es sind aber drei Anker. Dann messen die beiden das Wrack aus, Länge mal Breite mal Höhe, dann tauchen sie von Kanone zu Kanone, dann befühlen sie vorsichtig das Holz, messen die Dicke der Balken, sechs Zentimeter, das ist dick.

Und als die beiden wieder oben sind, diskutieren sie schon im Wasser, und sie diskutieren, während sie an Bord klettern, sie diskutieren beim Abtrocknen. Die erste Diagnose: Das Schiff ist alt und spanisch, das sehen die beiden am Holz, an den Scherben, an den Waffen. Das Schiff ist phantastisch gut erhalten, drei Wracks aus der Zeit der Entdecker wurden bisher gefunden in der Neuen Welt, dieses hier ist das beste, bei weitem.

"Eine Sensation", sagt Filipe Castro, der jetzt wieder sein rotes Lacoste-Hemd trägt, Jeans, Segelschuhe, der ein spitzes Kinn hat und graue, zurückgekämmte Haare, der sehr breit lachen kann und dann ganz kleine Augen hat.

"Ein Schiff, das man unbedingt mit aller Sorgfalt untersuchen, bergen und konservieren will, ohne einen Fehler zu machen", sagt Donny Hamilton, der Segelohren hat und einen Vollbart und eine Brille mit schmalem, schwarzem Rand, der Nike-Tennisschuhe trägt, Jeans und ein kariertes Hemd und am rechten Handgelenk ein Lederbändchen.

Gentlemen, Sie haben diesen Namen bislang noch nicht einmal ausgesprochen... "Columbus, Columbus, Columbus", sagt Filipe Castro und grinst. ...was also meinen Sie?

"Ich lege mich auf ein Zeitfenster von 50 Jahren fest, dieses Schiff sank in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, eher im ersten als im zweiten Viertel. Es sieht tatsächlich danach aus, als sei dieses Schiff das älteste, das jemals vor Amerikas Küsten gefunden wurde", sagt Filipe Castro. "Die Scherben und die Waffen sehen archaisch aus gemessen am europäischen Standard, spanisch, frühes 16. Jahrhundert. Die Anker wirken zu groß, und die Planken sind dick, es könnte auch ein größeres Schiff gewesen sein.

Aber wir wissen noch nicht genug, wir wissen, dass Columbus nicht viel Geld hatte und sich die Ausrüstung zusammensuchen musste, es ist denkbar, dass er ganz einfach jeden Anker nahm, den er kriegen konnte", sagt Donny Hamilton. "Wir wissen nicht genug, um zu sagen, dass es wahrscheinlich das Schiff des Columbus ist. Wir wissen genug, um zu sagen, dass es möglich ist. Und schlüssig", sagt Filipe Castro. "Wir sind Wissenschaftler.Wir möchten lieber beweisen, dass es sein Schiff ist, als behaupten, dass es sein Schiff ist", sagt Donny Hamilton.

Zu Teil 3 der Serie: C-14-Analyse - die erste Spur und eine nützliche Liebe

Zu Teil 1 der Serie: Die Entdeckung des mysteriösen Wracks