(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Schulddiskurs 1945-1955 : "Krematorium"
 
Schulddiskurs 1945–55
Krematorium
Krematoriumskamin · Krematoriumsofen · Kamin · Ofen · Schornstein
Opferdiskurs

In der Bedeutung 'Anlage zur Verbrennung der Leichen ermordeter KZ-Insassen' ist Krematorium kongruenter Kontextpartner von Gaskammer (Gas): Gaskammer und Krematorium sind in den Kontexten der Opferberichte häufig Partnerwörter und referieren beide auf Vernichtung: kein Krematorium, also auch keine Gaskammern (s. Frankl 1945, S. 76). Wenn die Vernichter auf dieselbe Art vernichtet werden, erhält der Ort willkommene Symbolik (s. Eiden 1946, S. 216).

Jargonal synonym gebraucht werden Kamin, Ofen (auch in der Zusammensetzung Krematoriumsofen) und Schornstein. Es scheint, dass Opfer, statt die neutrale Bezeichnung für den Ort des endgültigen Endes zu gebrauchen, versuchen, mit Ersatzwörtern, die an Tabuwörter erinnern und die ihrerseits zu Begriffen der KZ-Welt wurden, dem Ort Schrecken zu nehmen. Als Kamin, Ofen, Schornstein bezeichnet, wird dem Krematorium gleichsam harmlose und vertraute Häuslichkeit angedichtet, die den sprachlichen Umgang mit den unerträglichen Hypertrophien der KZ-Welt erleichtern. Allerdings sind Kamin, Ofen und Schornstein nicht nur Opfer-, sondern auch Täterwörter. Elie Wiesel zitiert einen SS-Offizier: "'Auschwitz ist kein Erholungsheim, sondern ein Konzentrationslager. Hier wird gearbeitet. Sonst geht ihr in den Schornstein. In die Gaskammer.'" Diese "dürren Worte ließen uns erschauern. Das Wort 'Schornstein' war kein leerer Wahn: er schwebte rauchumwölkt in der Luft. Vielleicht war das das einzige Wort, das hier Sinn hatte" (Wiesel 1958/1996, S. 62). Sinn meint hier die unausweichliche Realität der Vernichtung, deren Schrecken man durch saloppe Redewendungen wie durch den Schornstein gejagt; in den Kamin (s. Bock 1947, S. 66; Klieger 1958, S. 27f.) zu kompensieren versuchte.

Vgl. Winterfeldt 1968, S. 145f.

Belege (12)
 
der buchstäbliche Freudentanz, den die Häftlinge im Gefangenenwaggon aufführten, als sie merkten, der Transport gehe - "nur" nach Dachau. .. keinen "Ofen" .. kein Krematorium, also auch keine Gaskammern .. keinen "Kamin" (Frankl 1945, S. 76)
 
Vernichtung in einem mit Gaskammern und Krematorium ausgestatteten Lager (Frankl 1945, S. 17).
 
Wahrscheinlich haben Sie noch nie eine Gaskammer von innen gesehen, haben niemals vor dem Krematorium in Dachau gestanden, in dem über eine Viertelmillion Menschen verbrannt worden sind: wenn man das sieht, dann vergehen einem die Sinne. (Niemöller 1945a, S. 16)
 
Was machte denn die SS mit den Leichen der Erschlagenen, Erschossenen, Erhängten und sonstwie Ermordeten, die es bald nach Eröffnung des Lagers Buchenwald gab? .. Das Krematorium in Jena wies [sic!] sich den neuen Aufgaben nicht gewachsen. Deshalb begann die SS im Jahre 1940 mit der Errichtung eines Krematoriums im Lager selbst .. Zunächst .. drei Öfen, später kamen drei weitere Öfen hinzu. .. Das Krematorium war aber nicht nur Leichenverbrennungs-, sondern auch Hinrichtungsstätte. (Eiden 1946, S. 222)
 
Koch [der Buchenwald-Kommandant] wurde .. von einem SS-Sondergericht zum Tode verurteilt, sofort erschossen und in einem derselben Krematoriumsöfen verbrannt, in denen einst Zehntausende von ihm und in seinem Geheiß ermordete Menschen in Staub und Asche verwandelt wurden. (Eiden 1946, S. 216)
 
Anfangs wurden die Särge mit den Leichen oder auch die Leichen ohne Sarg aufgestapelt, bis ein Lastauto voll war, das sie zum nächsten Krematorium fuhr. In der echt buchenwaldischen Formlosigkeit hatte man eines Tages in den Straßen der Goethestadt Weimar die nackte Leiche eines jüdischen Häftlings verloren, die nur 37 Kilogramm wog. Derartige "Betriebsunfälle", die doch unliebsames Aufsehen erregten, waren wohl eine Ursache dafür, daß das Lager ein eigenes Krematorium bekam, dessen düstere Rauchwolken bald ständig über die Kuppe des Ettersberges zogen. (Steinwender 1946, S. 70f.)
 
Im ersten Stock .. öffnete sich hinter den Stacheldrähten und dem Krematoriumskamin eine weite Landschaft, durchsetzt von Kiefern, Knicks und Wäldern. Etwas rechts unten lag der See, der erste See der hier beginnenden mecklenburgischen Seenplatte. Um ihn herum lagen herrliche Laubwälder und an seinem gegenüberliegenden Ufer die friedliche kleine Stadtsilhouette von Fürstenberg. Links herüber hatte die Landschaft mehr brandenburgisch-märkische Reize, zerzauste Kiefern, sehr viel Sand und abends oftmals zauberhafte, pastellfarbene Himmel. In gerader Richtung vor uns lag hinter Bäumen eine jener Fabriken, in denen die Häftlinge arbeiten mußten, die abends mit lautem Gesang von dort ins Lager zurückmarschierten. (Vermehren 1946, S. 37f.)
 
Überall in den KL .. waren .. große Tafeln mit der Aufschrift angebracht: 'Es gibt einen Weg zur Freiheit. Seine Meilensteine heißen Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Nüchternheit, Sauberkeit, Opfersinn, Ordnung, Disziplin und Liebe zum Vaterland.' Die Meilensteine des wirklichen Weges, nämlich zum Krematorium, waren: der Bock und der Bunker, Erhängen, Erschießen, Erfrieren, Verhungern, Erschlagenwerden und Foltern jeglicher Art. (Kogon 1946a, S. 124)
 
Was wurden nicht auf dem Appellplatz für Witze über das Krematorium gemacht! .. "Du gehst auch noch über den Rost!" oder "Du wanderst demnächst durch den Kamin!" waren ständige Redensarten im Lager. (Kogon 1946a, S. 182)
 
Am 21. Oktober [1943] sind 43500 Frauen, um den Lagerausdruck zu gebrauchen, "durch den Schornstein gejagt" worden. (Bock 1947, S. 66)
 
Wir lebten nicht nur räumlich, sondern auch geistig im Schatten der Kamine. Der Kamin war das Alpha und Omega aller Gespräche. Er wurde schon beim Frühstück aufs trockne Brot geschmiert und bei jeder Mahlzeit als Dessert aufgetischt. (Adelsberger 1956, S. 54)
 
nach Birkenau in die Gaskammern .. ".. in den Kamin", wie wir kurz dafür sagten. (Klieger 1958, S. 27f.)