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Schulddiskurs 1945-1955 : "Nummer"
 
Schulddiskurs 1945–55
Nummer
Opferdiskurs

Im Sinn von 'an der Kleidung angebrachte oder in den Unterarm eintätowierte Kennzahl eines KZ-Häftlings' repräsentiert Nummer gleichsam das Gegenteil von Name und Person. Die entpersönlichende Nummerierung ist eine der Stationen im "Prozeß tiefster persönlicher Erniedrigung und Entwürdigung" (Kogon 1946a, S. 385), dem die KZ-Häftlinge ausgesetzt waren. Den entindividualisierten, entpersönlichten und namenlos gemachten Häftling ordnet die Zahl ein in eine unterschiedslose Masse. Adler erklärt die Nummer als Symbol nationalsozialistischen materialistischen Denkens und schleift dieses Denken durch die Kontextualisierung mit den beinahe relativierenden Erklärungskategorien abendländische Kulturkrise und Verwaltung moderner Staaten ein (s. Adler 1955, S. 628). Jean Améry beschreibt die Nummer als Zeichen des Wandels jüdischer Identität nach Auschwitz, die zuvor durch Pentateuch und Talmud, die religiösen Grundtexte des Judentums, repräsentiert wurde, von der religiösen zur Leidensidentität: "Ich trage auf meinem linken Arm die Auschwitz-Nummer; die liest sich kürzer als der Pentateuch oder der Talmud und gibt doch gründlicher Auskunft. Sie ist auch verbindlicher als Grundformel der jüdischen Existenz. Wenn ich mir und der Welt einschließlich der religiösen und nationalgesinnten Juden, die mich nicht als einen der Ihren ansehen, sage: ich bin Jude, dann meine ich damit die in der Auschwitznummer zusammengefaßten Wirklichkeiten und Möglichkeiten." (Améry 1977, S. 146) Ähnlich deutet Primo Levi die Nummer als Teil jüdischer Identität nach Auschwitz: "Mein Name ist 174517; wir wurden getauft, und unser Leben lang werden wir das tätowierte Mal auf dem linken Arm tragen." (Levi 1958/2002, S. 29) Auch Levi stellt der Auschwitz-Identität die religiöse Identität gegenüber: Er verliert sie beim Akt der Taufe, der ihm den Nummern-Namen verleiht - ein getaufter Jude ist kein Jude mehr.

Belege (6)
 
Was allein feststeht (in den meisten Fällen in Form einer Tätowierung) .. ist die Häftlingsnummer. Keinem Wachtposten oder Aufseher würde es einfallen, wenn er einen Häftling "zur Meldung bringen" will, .. seinen Namen abzuverlangen. (Frankl 1945, S. 17f.)
 
Gegen die Kleidung .. bekam man eine Nummer. Von da ab war man für die SS-Lagerführung und jeden einzelnen SS-Mann nur noch Nummer. (Eiden 1946, S. 214)
 
Bald werden .. wir aufgehört haben, Menschen zu sein .. Dann sind wir Nummer X oder Schwein Y. (Schifko-Pungartnik 1946, S. 10)
 
nie werde ich meine wilde Empörung vergessen können beim Anblick der tätowierten Nummer auf dem Unterarm eines Auschwitzer Häftlings. In ihr enthüllte sich wirklich mit beißender Schamlosigkeit die ganze satanische Frechheit dieser bis zum Wahnsinn gesteigerten Macht- und Besitzgier, die über die Arbeitskraft des Menschen hinaus auch seinen Leib mit Beschlag belegt, mit seinem Brandzeichen versieht, das den ganzen Menschen als Staatseigentum deklariert. (Vermehren 1946, S. 89)
 
Die Macht selbst wurde materiell aufgefaßt und jedes organische Gefüge mit dem Instrument eines technischen Verwaltungsapparates ergriffen. So wurde das als "vorhanden" doch nicht wegzuleugnende Leben als zu "erfassende Masse" zum Objekt der Verwaltung, das man einmal "einsetzt", dann "betreut" und auf jeden Fall durch "Maßnahmen behandelt". Gewiß entsprach das dem Denken in der allgemeinen abendländischen Kulturkrise .. Die Konsequenz, jeden Menschen zu einer Nummer zu machen, die ein "Stück" bezeichnet, ist naheliegend, wenn das Leben zu einer Sache wird, wie es in der Verwaltung moderner Staaten zur fast unwidersprochenen Praxis geworden ist. (Adler 1955, S. 628)
 
Dann bekamen wir Nummern, eingebrannt in den linken Unterarm und angenäht an die Kleider, mit einem dreieckigen Winkel, dessen Farbe den Häftling charakterisierte. Wir waren ausgeschieden aus der Welt dort draußen, entwurzelt aus unserem Land, losgerissen von unserer Familie, eine bloße Nummer, einzig von Bedeutung für die Schreibstube. (Adelsberger 1956, S. 27)