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Schlüsselwörter der Wendezeit
Kapitel 12
Bezeichnungen, mit denen eine kritische Einstellung zur Art und Weise der Behandlung der DDR-Bürger durch das alte DDR-System und durch die Bundesrepublik ausgedrückt wird
bevormunden, Bevormundung
gängeln, Gängelung, Gängelei
entmündigen, Entmündigung
hineinreden, reinreden
fremdbestimmen, Fremdbestimmung
fernsteuern, Fernsteuerung
vereinnahmen, Vereinnahmung
einverleiben, Einverleibung
Kolonie , kolonial, Kolonialisierung, Kolonialismus
Sieger , Besiegter, Verlierer

Gesamtinterpretation

Die Ereignisse im Sommer und im Herbst 1989 machten deutlich, daß viele DDR-Bürger nicht mehr bereit waren, ihr Leben so weiterzuführen wie bisher. Ihrer jahrzehntelangen als Bevormundung empfundenen Behandlung durch die herrschenden Kräfte überdrüssig, verließen viele Menschen das Land, während viele der im Land Geblichenen sich für die demokratische Umgestaltung der DDR einsetzten. DDR-Bürger kritisierten - auf Demonstrationen, im Zuge der fortschreitenden politischen Veränderungen dann auch verstärkt in den Medien - öffentlich das alte DDR-System. Sie gaben ihrer Meinung Ausdruck, 40 Jahre lang bevormundet und in ihren Freiheiten beschränkt worden zu sein und äußerten ihren Willen, diese Beschränkungen nicht länger hinzunehmen.

In dem Maße, wie im Laufe des Jahres 1990 die DDR ihre politische und wirtschaftliche Selbständigkeit einbüßte und ihr Beitritt zur Bundesrepublik absehbar wurde, veränderte sich die Situation. Viele DDR-Bürger hatten nun, durch Begleiterscheinungen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik ausgelöst, das Gefühl, einer neuen, wenn auch andersgearteten Bevormundung und später auch einer Vereinnahmung durch die Bundesrepublik ausgesetzt zu sein.

Die Äußerung kritischer Einstellung zur Art und Weise der Behandlung der DDR-Bürger ist dementsprechend - und die WK-Texte zeigen das - ein wesentlicher kommunikativer Aspekt der gesamten Wendezeit.

Die dafür vor allem in Frage kommenden Lexeme sind nicht neu. Auffallend für die Wendezeit ist aber ihr häufiges Auftreten.

In den Fällen, in denen neben dem Verb ein Handlungssubstantiv steht, wird gegebenenfalls die Bedeutung nur für das Verb angeführt; für das entsprechende Substantiv ist die Verbbedeutung zugrunde zu legen.

Als Bevormundung kann sowohl die Behandlung der DDR-Bürger durch das alte DDR-System als auch die Behandlung der DDR-Bürger bzw. der DDR durch die Bundesrepublik gesehen werden. In den WK-Texten finden in diesem Zusammenhang folgende Lexeme Verwendung:

  • bevormunden, Bevormundung
  • gängeln, Gängelung, Gängelei
  • entmündigen, Entmündigung
  • entmündigen, Entmündigung
  • fremdbestimmen, Fremdbestimmung
  • fernsteuern, Femsteuerung

Als Vereinnahmung kann die Behandlung der DDR-Bürger bzw. der DDR durch die Bundesrepublik gesehen werden.

In den WK-Texten finden in diesem Zusammenhang folgende Lexeme Verwendung:

  • vereinnahmen, Vereinnahmung
  • einverleiben, Einverleibung

In denselben Zusammenhang stellen sich auch folgende Lexeme, obwohl sie selbst keine Vereinnahmung bezeichnen:

  • Kolonie, kolonial, Kolonialisierung, Kolonialismus
  • Sieger; Besiegter, Verlierer

Allen hier behandelten Lexemen ist gemeinsam, daß sie eine kritische Einstellung ausdrücken. Sie unterscheiden sich aber in Hinblick darauf, wie sie diese kritische Einstellung transportieren. Bei den Lexemen

  • bevormunden, Bevormundung
  • gängeln, Gängelung, Gängelei
  • entmündigen, Entmündigung
  • hineinreden, reinreden
  • fernsteuern, Fernsteuerung
  • fremdbestimmen, Fremdbestimmung
  • vereinnahmen, Vereinnahmung
  • einverleiben, Einverleibung
wird die kritische Einstellung über die usuellen Bedeutungen, die negative Wertungselemente enthalten, vermittelt. Bei den Lexemen
  • Kolonie, kolonial, Kolonialisierung, Kolonialismus
  • Sieger; Besiegter, Verlierer
wird die kritische Einstellung dadurch vermittelt, daß die Lexeme, die negative Wertungselemente enthalten können, abweichend von ihrem regulären Gebrauch verwendet werden.

Zu fragen ist nun, wie die behandelten Lexeme in den Texten von WK verwendet werden.

Zunächst werden die typischen Verwendungen betrachtet, die sich auf eine Bevormundung der DDR-Bürger durch das alte DDR-System beziehen.

Von den in den Texten vorkommenden Kollokationen, in denen die bevormundende Seite benannt wird, seien folgende angeführt s. Belege 13, 24:

  • die Staatsführung, das Staatssystem hat die Bürger entmündigt
  • vom Staat bevormundet, vom SED-Staat gegängelt, von der SED entmündigt worden sein
  • Bevormundung, Gängelung durch den Staat, durch die SED
  • Entmündigung durch übergeordnete Instanzen, durch ein diktatorisches Herrschaftssystem
  • Bevormundung, Gängelei von oben

Von den in den Texten vorkommenden Kollokationen, in denen die bevormundete Seite benannt wird, seien folgende angeführt s. Belege 24-26:

  • die Bürger wie Kinder bevormunden
  • gegängelte Künstler, Schriftsteller, Forscher
  • Gängelung der Forschung
  • Bevormundung und Gängelung von Kultur und Kunst
  • der Rundfunk wurde bevormundet
  • gegängelte, entmündigte Blockparteien

Als betroffen benannt sind entweder DDR-Bürger oder auch spezifische gesellschaftliche Bereiche, in denen DDR-Bürger tätig sind. Die DDR-Bürger können dabei unter einem ihnen gemeinsamen Aspekt jeweils als Gruppe gefaßt sein, beispielsweise unter dem des gemeinsamen Berufes (s.o.: Künstler, Schriftsteller, Forscher). Unter den gesellschaftlichen Bereichen dominieren solche, denen die entsprechenden Berufsgruppen zugehören (s.o.: Kunst, Kultur, Forschung).

Häufig finden sich Adjektivattribute, die Hinweise auf die inhaltliche Ausrichtung, die Art und Weise und das Ausmaß der mit den Lexemen bezeichneten Bevormundung geben, z.B. s. Belege 3, 27:

  • ideologische Bevormundung, Gängelung
  • politisch-ideologische Bevormundung
  • politische Entmündigung
  • administrativ-bürokratische Fremdbestimmung
  • bürokratische Gängelung, Gängelei
  • ständige, tägliche, erniedrigende, rigide Bevormundung
  • allgegenwärtige Entmündigung
  • laufendes Hineinreden

Oft bezeichnen Kollokationspartner die Dauer der Bevormundung der DDR-Bürger durch das alte DDR-System, die mit der Dauer des Bestehens der DDR gleichgesetzt sein kann, z.B. s. Beleg 4:

  • nach Jahrzehnten der Unfreiheit und der Bevormundung, der Entmündigung
  • jahr(zehnt)elange Bevormundung, Gängelung
  • Jahrelang bevormundet worden sein
  • die lange Jahre bevormundete Bevölkerung
  • die lange Jahre bevormundete Bevölkerung
  • 40 Jahre Bevormundung

In WKD-Texten von oppositionellen Kräften, die aus den Phasen 1 und 2 stammen, wird zum Ausdruck gebracht, daß die staatliche Bevormundung in Zukunft nicht mehr hingenommen wird, z.B. s. Belege 1, 5:

  • wir lassen uns nicht mehr bevormunden
  • wir wollen keine Bevormundung
  • die Möglichkeit erhalten müssen, sich frei und ohne Gängelung zu entfalten
  • es leid sein, bevormundet und gegängelt zu werden

Daß die Kritik zunehmend an Schärfe gewann, zeigt sich in Phase 2, in der die genannten Lexeme in Forderungen nach der Beendigung der Bevormundung auftreten, z.B. s. Beleg 6:

  • Schluß mit der Bevormundung!
  • Freiheit statt Entmündigung!
  • Die Entmündigung beenden!

In Phase 2 äußern sich erstmals auch Vertreter des alten DDR-Systems selbstkritisch zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen der Bevormundung. Sie räumen ein, daß es in der DDR Bevormundung gab. Allerdings wird diese nicht alte Systemeigenschaft, sondern als bloßer bürokratischer Auswuchs dargestellt, so von Egon Krenz, wenn er in seiner Fernsehansprache Anfang November 1989 von „bürokratischer Gängelei" spricht s. Beleg 23.

Mehrfach treten in den Belegen Lexeme, mit denen sich Sprecher auf die Bevormundung der DDR-Bürger durch das alte DDR-System beziehen, auch kombiniert auf, womit der Sprecher seiner Kritik Nachdruck verleiht s. Belege 26, 27, 29. Es handelt sich überwiegend um die Verbindung der Lexeme Bevormundung und Gängelung/Gängelei s. Belege 26, 27.

Das Vorkommen der WK-Belege hat seinen Schwerpunkt in den Phasen 2 und 3, also der Zeit, in der in Ost und West die Diskussion über die Art undy Weise der Machtausübung der herrschenden Kräfte der DDR besonders inten- siv geführt wurde. In den den beiden ersten Phasen zugehörigen WKD-Texten sind die Sprecher in der Mehrzahl oppositionelle Kräfte, in späteren Phasen besonders Politiker und Journalisten.

Von der Zeit an, in der sich die staatliche Vereinigung abzeichnete, stand nicht mehr allein die Bevormundung der DDR-Bürger durch das alte DDR-System im Mittelpunkt der Diskussion, sondern zunehmend wurde der Bundesrepublik eine Bevormundung und außerdem eine Vereinnahmung der DDR-Bürger bzw. der DDR angelastet.

Im folgenden werden die typischen Verwendungen betrachtet, die sich auf eine Bevormundung bzw. Vereinnahmung durch die Bundesrepublik beziehen.

Von den in den Texten vorkommenden Kollokationen, in denen die bevormun-dende bzw. vereinnahmende Seite benannt wird, seien folgende angeführt s. Belege 40, 41, 44:

  • Bevormundung von Seiten der Bundesrepublik
  • Vereinnahmung (der DDR) durch die BRD
  • von der Bundesrepublik vereinnahmt werden
  • die DDR wird durch die Bundesrepublik vereinnahmt
  • Versuch der BRD-Wirtschaft, die DDR zu vereinnahmen

Einige Male erscheint ein lokales Attribut, das im politischen Sinne zu interpretieren ist, z.B. s. Beleg 19:

  • Bevormundung aus Bonn
  • Bevormundung, Fernsteuerung aus dem Westen

Von den in den Texten vorkommenden Kollokationen, in denen die bevormundete bzw. vereinnahmte Seite benannt wird, seien folgende angeführt s. Belege 11, 15, 28, 45:

  • die DDR, die Bewohner der DDR einverleiben
  • Vereinnahmung der DDR, der DDR-Bürger
  • Einverleibung der DDR, des DDR-Fernsehfunks
  • die Vereinnahmung von DDR-Unternehmen
  • die LDP vereinnahmen
  • den Deutschen in der DDR hineinreden
  • die Entmündigung der Volkskammer
  • Volkskammer und Regierung der DDR werden entmündigt

Als betroffen benannt sind entweder DDR-Bürger, spezifische gesellschaftliche Bereiche, in denen DDR-Bürger tätig sind, und - besonders oft - der Staat DDR.

Häufig geben Kollokationspartner Hinweise auf die inhaltliche Ausrichtung, die Art und Weise und das Tempo der Vereinnahmung, z.B. s. Beleg 41:

  • währungspolitische Vereinnahmung
  • schnelle, übereilte, rasche, einseitige, vollständige, großkotzige Vereinnahmung
  • (die DDR, die DDR-Bürger) auf kaltem Wege, auf die kalte Tour vereinnahmen

In einigen Belegen wird die Bevormundung durch die Bundesrepublik als eine Art Fortsetzung der Bevormundung durch das alte DDR-System gesehen. Das zeigen z.B. folgende Kollokationen s. Belege 7, 14:

  • die eine Bevormundung durch eine andere ersetzen, ablösen
  • die Bürger werden nach wie vor entmündigt
  • (die Menschen) ein weiteres Mal entmündigen
  • neuerliche Bevormundung
  • abermals Bevormundung

Die Belege für die behandelten Lexeme, in denen von einer Bevormundung bzw. einer Vereinnahmung durch die Bundesrepublik gesprochen wird, treten in WKD und WKB etwa gleich häufig auf. Das Vorkommen der Belege hat seinen Schwerpunkt in den Phasen 3 und 4, die dadurch gekennzeichnet sind, daß sich der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik abzeichnete (Phase 3) und die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen dafür ausgehandelt wurden (Phase 4).

Sprecher sind in den Texten von WKD besonders Politiker und Journalisten, die sich ungeachtet unterschiedlicher politischer Grundeinstellungen einig waren in der Ablehnung bestimmter Verfahrensweisen der Bundesrepublik bei der Verwirklichung der staatlichen Einheit.

Die wenigen in WK belegten Wortbildungskonstruktionen mit den behandelten Lexemen sind in der Regel okkasionelle Bildungen, die weder in den Vergleichswörterbüchern noch im Vergleichskorpus vorkommen.

Einzelinterpretationen

bevormunden, Bevormundung

Die in der frühen Wendezeit (Phase 2) erhobene Forderung nach Beendigung der Bevormundung durch das alte DDR-System (s. S. 358) wird schon in mehreren WK-Belegen der Phase 3 als erfüllt dargestellt s. Beleg 8:

  • die Bevormundung von oben ist weg
  • das Ende der Bevormundung geht einher, fällt zusammen mit ...
  • sich von der Bevormundung befreit haben

Erste Belege für die Lexeme bevormunden/Bevormundung, die sich auf eine Bevormundung durch die Bundesrepublik beziehen, sind WKB-Belege aus den Phasen 1 und 2, sie stammen aus Bundestagsprotokollen. In ihnen wird vor der Gefahr einer Bevormundung der DDR durch die Bundesrepublik gewarnt s. Beleg 2.

Wortbildung

In wenigen singular belegten Zusammensetzungen tritt Bevormundung als Bestimmungswort auf. In den entsprechenden Belegen erscheint teils das alte DDR-System (Bevormundungssystem; s. Beleg 9), teils die Bundesrepublik (Bevormundungsrolle) als bevormundende Seite.

gängeln, Gängelung, Gängelei

Diese Lexeme treten nur in Belegen auf, in denen das alte DDR-System als die bevormundende Seite erscheint.

Zu ihnen stellen sich auch eine bildliche und eine phraseologische Wendung mit der Zusammensetzung Gängelband: das Gängelband der Planwirtschaft, am Gängelband der SED hängen.

entmündigen, Entmündigung

Das Lexem entmündigen wird in den Texten von WK in der Bedeutung 'jmdn. daran hindern, eigenverantwortlich zu handeln' verwendet, die von der in den Vergleichswörterbüchern verzeichneten juristischen Bedeutung (s. z.B. DUW, Stichwort entmündigen: 'jmdm. durch Gerichtsbeschluß das Recht entziehen, bestimmte juristische Handlungen vorzunehmen') übertragen ist. Diese übertragene Bedeutung wird in DUW nicht, in HDG in der Form eines Verwendungsbeispiels (Volksmassen entmündigen) berücksichtigt, im Vergleichskorpus ist sie belegt s. Beleg 49.

Fast drei Viertel aller WK-Belege mit entmündigen/Entmündigung, in denen teils das alte DDR-System, teils die Bundesrepublik als die bevormundende Seite erscheint, stammen aus WKD vgl. Belege 13, 15, 16. Einen besonderen Aspekt trägt die Wortverbindung sich selbst entmündigen bei, die Bezug nimmt auf eine bestimmte kritisch gesehene Verhaltensweise von DDR-Bürgern.

Wortbildung

Belegt ist die Zusammensetzung Selbstentmündigung, für die das zu sich selbst entmündigen Gesagte gilt s. Beleg 17.

fremdbestimmen, Fremdbestimmung

In HDG ist keines der beiden Lexeme, in DUW ist nur das Substantiv verzeichnet (DUW, Stichwort Fremdbestimmung: 'das Bestimmtsein durch andere, von denen der Betreffende abhängig ist'). Wenn sich auch in WK nicht ausschließlich Belege für das Substantiv finden, so dominieren sie doch gegenüber den Verbbelegen. Die WK-Belege zeigen, daß mit Fremdbestimmung nicht nur ein durch eine Handlung bewirktes Ergebnis (vgl. DUW) bezeichnet wird, sondern auch diese Handlung selbst.

In den WK-Belegen erscheint teils das alte DDR-System s. Beleg 20, teils die Bundesrepublik s. Beleg 21 als die bevormundende Seite.

Mit den Lexemen fremdbestimmen/Fremdbestimmung wird - durch den ersten Bestandteil - der Aspekt betont, daß die Bevormundung der DDR-Bürger von außerhalb ihrer Sphäre liegenden Kräften ausgeht.

Dem Lexem Fremdbestimmung steht als Antonym das Lexem Selbstbestimmung gegenüber; in den Belegen 21 und 22 kommen diese beiden Lexeme gemeinsam vor.

fernsteuern, Fernsteuerung

Im gegebenen Zusammenhang relevant ist die in den Vergleichswörterbüchern unter dem Stichwort fernsteuern fehlende Bedeutung 'aus der Ferne mittels seiner Macht jmds. (politisches) Handeln beeinflussen', die von der in den Vergleichswörterbüchern ausschließlich verzeichneten technischen Bedeutung (s. z.B. HDG, Stichwort fernsteuern: 'bes. eine technische Anlage von einem entfeinten Standort aus elektronisch steuern') übertragen ist. Gleichwohl handelt es sich nicht um eine wendezeitspezifische Neubedeutung. So ist das Lexem fernsteuern in dieser Bedeutung im Vergleichskorpus belegt, freilich in anderem Zusammenhang s. Beleg 50.

In den WK-Belegen für fernsteuern/Fernsteuerung erscheint ausschließlich die Bundesrepublik als die bevormundende Seite s. Belege 18, 19, was mit der Bedeutung des ersten Bestandteils der Lexeme zusammenhängt.

vereinnahmen, Vereinnahmung

Im gegebenen Zusammenhang relevant ist die im Vergleichskorpus belegte s. Beleg 51, in den Vergleichswörterbüchern so nicht verzeichnete Bedeutung 'jmdn., etw. auf Kosten von dessen Selbständigkeit in seinen Einflußbereich bringen', die von der in den Vergleichswörterbüchern enthaltenen kaufmannssprachlichen Bedeutung (s. z.B. DUW, Stichwort vereinnahmen: 'einnehmen') übertragen ist.

In den WK-Belegen für vereinnahmen/Vereinnahmung erscheint die Bundesrepublik als die vereinnahmende Seite. In beiden Teilkorpora finden sich Belege, in denen die Bundesrepublik bzw. deren Vertreter ironisch benannt werden als: der große Bruder BRD s. Beleg 44, der große Westbruder, diese Heuschrecken aus Bonn s. Beleg 42. Mit großer Bruder BRD und großer Westbruder wird angespielt auf die in der Vor-Wendezeit im nichtöffentlichen DDR-Sprachgebrauch übliche ironische Bezeichnung großer Bruder für den übermächtigen politischen Bündnispartner der DDR, die Sowjetunion.

In der Mehrzahl der Belege werden die Lexeme vereinnahmen/Vereinnahmung mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik in Verbindung gebracht s. Belege 43, 45, 46, der dadurch als von starkem Eigeninteresse geprägte Inbesitznahme durch die Bundesrepublik umgedeutet wird. Nicht nur Verteidiger des alten DDR-Systems, sondern auch solche oppositionellen Kräfte in der DDR, die einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten kritisch gegenüberstanden s. Beleg 47, verwendeten die Lexeme.

Wortbildung

Vereinnahmung tritt in der hier relevanten Bedeutung einige Male als Bestimmungswort von Zusammensetzungen auf, die singulär belegt sind, z.B.: Vereinnahmungspolitik, Vereinnahmungsprozeß s. Beleg 48, Vereinnahmungsstrategie, Vereinnahmungsversuch (WK nur Pl.).

einverleiben, Einverleibung

Aus den Belegen des Vergleichskorpus s. Beleg 52 geht hervor, daß diese Lexeme im offiziellen DDR-Sprachgebrauch der Vor-Wendezeit verwendet wurden, um die Bundesrepublik hinsichtlich ihrer Wiedervereinigungsbestrebungen zu diskreditieren.

In den WK-Belegen für einverleiben/Einverleibung erscheint die Bundesrepublik als die vereinnahmende Seite. In ihnen werden die Lexeme stets mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik in Verbindung gebracht, der dadurch als von starkem Eigeninteresse geprägte Inbesitznahme durch die Bundesrepu-blik umgedeutet wird. Diese Lexeme wurden zum einen von Personen, die das Weiterbestehen einer - demokratisierten - DDR befürworteten s. Beleg 10, zum anderen von Personen, die eine staatliche Vereinigung zwar befürworteten, der Art ihrer Realisierung aber kritisch gegenüberstanden s. Beleg 11, verwendet.

Wortbildung

In WK singulär belegte Zusammensetzungen sind Einverleibungsbestimmung, Einverleibungspolitik und Einverleibungsvertrag. Einverleibungsbestimmung bezieht sich auf Artikel 23 des Grundgesetzes, Einverleibungsvertrag auf den Einigungsvertrag.

In Beleg 12 werden die Lexeme Beitrittsbestimmung und Einverleibungsbestimmung einander gegenübergestellt, durch deren erste Bestandteile zwei grundsätzlich verschiedene Sichtweisen auf die Rolle der DDR in Hinblick auf die Herstellung der Einheit Deutschlands zum Ausdruck kommen: die DDR als aktiver bzw. als passiver Teil (vgl. Kapitel 15).

Kolonie, kolonial, Kolonialisierung, Kolonialismus

Die Wendezeitrelevanz dieser Lexeme besteht in der Tatsache ihres übertragenen Gebrauchs in bezug auf die Behandlung der DDR durch die Bundesrepublik s. Belege 30-36. Mit der Wahl dieser Lexeme unterstellt der Sprecher, daß es sich bei der DDR um eine gewissermaßen herrenlos gewordene Besitzung handelt, über die die Bundesrepublik frei verfügen kann. Vereinzelt sind die Lexeme mit Anführungszeichen versehen, wodurch der Sprecher signali-siert, daß er sich der Drastik seiner Ausdrucksweise bewußt ist s. Belege 34, 35.

Zweimal belegt ist die Bildung Kohlonie, in deren graphischer Form spielerisch das Lexem Kolonie mit dem Namen Kohl kombiniert ist, womit der Sprecher Bundeskanzler Kohl als verantwortlich für die unterstellte Kolonialisierung der DDR charakterisiert. So heißt es in einer Losung:

Gegen Kohlonie DDR
W3D Vereinigte Linke, Wahl aktuell, März 1990, 4

Wortbildung

Kolonial ist belegt als Grundwort von Zusammensetzungen (quasi-kolonial, s. Beleg 31) und als Bestimmungswort von Zusammensetzungen (z.B. Kolonialherr [WK nur Pl.; s. Beleg 32], ein Lexem, das seinerseits als Bestimmungswort in der Zusammensetzung Kolonialherrenart belegt ist).

Als Grundwort kommt Kolonie in WK in den Zusammensetzungen Armenkolonie und Wirtschaftskolonie s. Beleg 36 vor.

Sieger, Besiegter, Verlierer

Die Wendezeitrelevanz dieser Lexeme besteht darin, daß sie der Bezeichnung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik und den DDR-Bürgern bzw. dem Staat DDR dienen. Der Sprecher interpretiert mit ihrer Wahl das historische Geschehen der Wendezeit als Kampf, aus dem die Bundesrepublik siegreich (Sieger; s. Belege 37, 38), die DDR bzw. die DDR-Bürger als Unterlegene (Besiegter, Verlierer; s. Belege 37, 39) hervorgegangen sind.

Die - nicht sehr zahlreichen - Belege stammen überwiegend aus Phase 3, der Zeit, in der sich deutlich abzeichnete, daß auch eine demokratisierte DDR nur noch kurze Zeit bestehen würde.

Resümee

Es wurden Bezeichnungen, mit denen eine kritische Einstellung zur Art und Weise der Behandlung der DDR-Bürger durch das alte DDR-System und durch die Bundesrepublik ausgedrückt wird, behandelt. Die Art und Weise der Behandlung der DDR-Bürger wird zum einen als Bevormundung durch das alte DDR-System bzw. als Bevormundung durch die Bundesrepublik gesehen - wobei in der Mehrzahl der Belege der Bezug auf das alte DDR-System gegeben ist -, zum anderen wird sie als Vereinnahmung durch die Bundesrepublik gesehen.

Die Lexeme treten in wendezeitspezifischen Kollokationen auf.

Belege: Wendekorpus

bevormunden, Bevormundung

zu bevormunden

1.
Die Regierung hat auf das Volk zu hören und nicht das Volk auf die Regierung. Wir lassen uns nicht mehr bevormunden. W2D „Wir sind das Volk!"; (Reden Alexanderplatz 04.11.1989), 212
2.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch eindringlich davor warnen, sich ... als Richter über jene aufspielen zu wollen, die sich dafür entschieden haben, aus der DDR zu uns zu kommen, oder über jene, die sich entschieden haben, dort zu bleiben. Wir sollten unsere Landsleute nicht bevormunden, sondern wir sollten die Entscheidung jedes einzelnen respektieren. W2B Bundestagsverhandl.; 174. Sitzung am 09.11.1989, Bd. 151, 13147

zu Bevormundung

3.
Aber das ändert nichts daran, daß die Mittel, mit denen die sozialistische Gesellschaft aufgebaut wurde, den Zweck, den real existierenden Sozialismus, nachhaltig verdarben. Aus dem Geburtsfehler erwuchs das chronische Mißtrauen der Regierung gegenüber dem Volk, die Bespitzelung durch die Stasi, die totale Kontrolle durch den Apparat, die politisch-ideologische Bevormundung, die Lähmung freier Initiative und die Erstickung alles Spontanen. W2D Opp. in der DDR; (Aufsatz, Mitte Nov. 1989), 220
4.
Nach Jahrzehnten der Unfreiheit und der Bevormundung haben sie [unsere Landsleute in der DDR] in einer friedlichen Weise, aber mit dem klaren Willen zur Freiheit, Mauern und Grenzsperren überwunden. W3B Kohl zur Deutschlandpolitik; (Rede: Bonn, 21.12.1989), 144
5.
Wir wollen geordnete Verhältnisse, aber keine Bevormundung. W1D Neues Forum, Gründungsaufruf <Handz.>, Sept. 1989, 1
6.
Schluß mit Bevormundung und Bespitzelung in der Schule, im Beruf! W2D Demontagebuch; (Montagsdemo am 20.11.1989), 119
7.
Im Rahmen seiner Möglichkeiten hat bisher der Bundespräsident vor überstürztem Handeln und neuerlicher Bevormundung unserer Landsleute gewarnt. W4B Zeit, 11.05.1990, 71b
8.
Vielmehr scheint die Hoffnung auf das - jahrzehntelang unterdrückte - politische Partizipationsinteresse der DDR-Bürger nach der kurzen Revolte schon wieder ins Leere zu laufen. Das Ende der Bevormundung fällt zusammen mit wachsender Verunsicherung und Desorientierung. W3B taz DDR-Journal 2, 137 (16.03.1990)

zu Bevormundungs-

Bevormundungssystem

9.
Das Risiko besteht auch darin, daß uns die Mängel und Unzulänglichkeiten unserer eigenen Gesellschaftsordnung, die es ja bei allen Vorzügen ge genüber dem zusammengebrochenen Bevormundungs- und Kommandosystem der DDR auch gibt, ans dem Blick geraten, daß wir in Selbstzufriedenheit, ja, in triumphierende Selbstgerechtigkeit verfallen W3B Bundestagsverhandl.; 197. Sitzung am 15.02.1990, Bd. 152, 15115

einverleiben, Einverleibung

zu Einverleibung

10.
Nein zur Einverleibung der DDR! W3D Demontagebuch; (Montagsdemo am 04.12.1989), 141
11.
Die Einverleibung der DDR in die Bundesrepublik - und ein anderes Szenario kann ich mir [Wüppesahl, fraktionslos] nach dem augenblicklichen Stand nicht mehr vorstellen - nach Art. 23 ist eine wirkliche Wildwest-Manier. Sie wissen, ich habe mich auch von dieser Stelle erklärt, daß ich dafür bin, eine Vereinigung zwischen der DDR und der Bundesrepublik herbeizuführen - aber nicht mit dieser Methodik, mit der völligen Beseitigung jeglicher Einflußmöglichkeiten der Menschen in der DDR auf den Ablauf dieses Vorganges. W3B Bundestagsverhandl.; 197. Sitzung am 15.02.1990, Bd. 152, 15144

zu Einverleibungs-

Einverleibungsbestimmung

12.
Art. 23 ist eine Beitritts-, aber nicht eine Einverleibungsbestimmung unserer Verfassung. Die Entscheidung über seine Anwendung liegt nicht in der Hand der Bundesrepublik Deutschland, sondern in der Hand der DDR. W4B Bundestagsverhandl.; 217. Sitzung am 21.06.1990, Bd. 153, 17157

entmündigen, Entmündigung

zu entmündigen

13.
Wir unterscheiden zwischen der SED und den Blockparteien. Wir wissen, diese haben viel, allzuviel mitgemacht und tragen mit an der Verantwortung der letzten vierzig Jahre. Aber auch sie, das müssen wir anerkennen, sind von der SED entmündigt und gedemütigt worden. W3D ExtraBlatt, Jan. 1990, 6
14.
Die SED hat eine Tabula rasa hinterlassen - kein Sozialsystem, keine Rechtsstrukturen, keine funktionierende Öffentlichkeit. Wer jetzt schon unter diesen Voraussetzungen Fakten schafft, die auch eine frei gewählte Regierung nach dem 18. März nur noch absegnen kann, entmündigt die Menschen in der DDR ein weiteres Mal. W3B taz DDR-Journal 2, 96 (16.02.1990)

zu Entmündigung

15.
Die Entmündigung der Volkskammer bei der Aushandlung des Staatsvertrages, wo uns zugesagt worden ist, daß Nachbesserungen möglich sind, ist offensichtlich. W4D Volkskammer der DDR; 15. Tagung am 17.06.1990, 536
16.
In allen denkbaren Fragen entscheiden bestallte Behörden unsere eigenen Angelegenheiten und maßen sich gesetzlich an, ihre Beweggründe geheimzuhalten. Die ungebrochene Selbstherrlichkeit der beamteten Bürokratie gipfelt in ihrer Erklärung, unsere Entmündigung erfolge in unserem eigenen Interesse, weil nur sie wüßten, was für uns gut und was dagegen schädlich sei! W1D „Wir sind das Volk!"; Vereinigte Linke (Erklärung, 13.10.1989), 128

zu -entmündigung

Selbstentmündigung

17.
[Friedrich Schorlemmer in einem Gespräch:] Eigentlich ist das eine neue Form der Selbstentmündigung, was gerade passiert. Wir sind nichts, und ihr seid alles - die Selbstwertkränkung des DDR-Bürgers über Jahrzehnte bricht sich so Bahn. W3D Berliner Ztg., 27.01.1990, 9

fernsteuern, Fernsteuerung

zu fernsteuern

18.
Alles käme aus Bonn, so war zu vernehmen, der Vereinigungsdruck, das Tempo, die ganze Kursbestimmung. Aber: Zu den Wahlen konnten unmöglich ...zig Millionen Wähler ferngesteuert werden. Sie entscheiden sich freiwillig für Einheit und Tempo. W4D Berliner Ztg., 30.07.1990, 2

zu Fernsteuerung

19.
Die Anhänger freier, nichtstaatlicher Schulen sammeln sich, kein Zufall, im einzigen DDR-Lehrerverband, der gänzlich ohne Fernsteuerung aus dem Westen auskommt: im Unabhängigen Interessenverband Demokratische Bildung und Erziehung. W4B Spiegel, 14.05.1990, 44

fremdbestimmen, Fremdbestimmung

zu Fremdbestimmung

20.
Wie war das eigentlich im - längst vergessenen - November 1989? Hatten sich nicht viele Menschen dieses Landes, das noch DDR heißt, endlich losgesagt von Überlenkung und Fremdbestimmung und sich auf den Weg zu sich selbst gemacht? W4D Wochenpost, 13.04.1990, 3
21.
Es vergeht praktisch kein Tag, an dem von BRD-Politikern nicht vollmundig die Forderung nach „Selbstbestimmung des Volkes" erhoben wird. Was aus München zu hören ist, klingt allerdings mehr nach F r e m d bestimmung. W3D ND, 19.12.1989, 2
22.
Die Vereinigte Linke forderte auf Flugblättern vor der Demonstration Selbstbestimmung statt Fremdbestimmnng. W3D Leipz. Volksztg., 09.01.1990, 1

gängeln, Gängelung, Gängelei

zu Gängelei

23.
Wir nehmen die Unzufriedenheit der Bürger mit zahlreichen Mängeln in der Versorgung, mit der ungenügenden Kontinuität der Produktion und ausufernder bürokratischer Gängelei sehr ernst. Das Zentralkomitee wird sich mit Sofortmaflnahmen für Verbesserungen im Alltag beschäftigen. W2D ND, 04.11.1989, 1

zu gängeln

24.
Die von der SED bisher gegängelten Blockparteien unternehmen Befreiungsversuche, aber auch sie sind korrumpiert, verwoben in eine politische Struktur, die sie jahrzehntelang hingenommen haben. W2D Opp. in der DDR; (Einleitung, Ende Nov. 1989), 7
25.
Ist es also Sinnestäuschung, daß im Ost-Berliner Haus der jungen Talente ... die jahrelang gegängelten Schriftsteller Stefan Heym und Christoph Hein neben ihren Ober- Zensoren sitzen, Vize-Kulturminister Hartmut König und dessen Staatssekretär Dietmar Keller? W2B Spiegel, 30.10.1989, 28

zu Gängelung

26.
Hager, der jahrzehntelang für die Gängelung und Bevormundung von Kultur und Kunst, für die Kujonierung von Künstlern und Schriftstellern verantwortlich war, der jede neue und freie Regung auf dem Felde der Kultur im Keim zu ersticken versuchte, macht es sich da doch wohl zu einfach. W2B FAZ, 13.11.1989, 33

hineinreden, reinreden

zu hineinreden

27.
Dazu [zu den Ursachen für die krisenhafte Entwicklung] gehören ebenso die ungenügende demokratische Einbeziehung der Bürger in Entscheidungen, ihre ständige Bevormundung und Gängelei, das laufende Hineinreden in die Leitung von Staat und Wirtschaft und der immer mehr wachsende Bürokratismus. W2D Parlaments-Szenen; (Volkskammertagung am 13.11.1989), 81
28.
Wir sollten der Versuchung widerstehen, ihnen [den Deutschen in der DDR] hineinzureden. Es würde den schweren Weg, der wahrlich vor ihnen hegt, noch schwerer machen. W2B Bundestagsverhandl.; 176. Sitzung am 16.11.1989, Bd. 151, 13364

zu reinreden

29.
seitens des Ministeriums für Kultur wurde bereits vor einem Jahr auf die Einreichung von Manuskripten verzichtet - der letzte Schritt weg von der Genehmigungspflicht und hin zur voll wahrgenommenen eigenständigen Verantwortung von Autor und Verlag für die Publikation. Andererseits stellen die Praktiken des Bevormundens, Reinredens, Be- und Verhinderns ein schweres Erbe dar, das bis auf den Grund abgetragen werden muß W3D ND, 29.12.1989, 4

Kolonie, kolonial, Kolonialisierung, Kolonialismus

zu kolonial

30.
Abschaffen der „Obhutspflicht" oder Vervollständigung der „Obhutspflicht", eines von beiden müßte sein, sonst bleibt es eine koloniale Geste, daß ich die Leute raushole, die ich brauche. W2D Junge Welt, 03.11.1989, 7

zu -kolonial

quasi-kolonial

31.
andere kritisierten die Leichtfertigkeit, mit der davon ausgegangen werde, daß der DDR gar kein anderer Weg als in die quasi-koloniale Abhängigkeit von der BRD übrigbleibe. W2B taz DDR-Journal 1, 137 (17.11.1989)

zu Kolonial-

Kolonialherr

32.
Die neuen Kolonialherren ziehen ein und finden in Gestalt von Betriebsdirektoren, vormals der SED hörig, beflissene Zuarbeiter. W4D Wochenpost, 01.06.1990, 15

zu Kolonialisierung

33.
Der Grünen-Abgeordnete Gerald Hafner sprach sich für einen Volksentscheid über die Zukunft der beiden deutschen Staaten aus. Er sagte, es habe bereits eine „ökonomische Kolonialisierung der DDR" begonnen. W3B Frankf. Rundschau, 09.02.1990, 2

zu Kolonialismus

34.
Der Hintergedanke: Bei dieser Aufteilung stünden am ehesten DDR-Frequenzen für Privatsender zur Verfügung. ARD-Chef Keim empörte sich über Doetz' „medienpolitischen Kolonialismus" W4B Spiegel, 16.04.1990, 112

zu Kolonie

35.
Und schon werden wir insgeheim verachtet, weil wir so wehrlos sind. Schon gibt es Leute, die sprechen hinter der Hand von der „Kolonie". W6D ND, 30.11.1990, 2

zu -kolonie

Wirtschaftskolonie

36.
die Verwandlung der DDR in eine Wirtschaftskolonie der BRD ... mag zwar die Geschäftsbedingungen des Kapitals im Billiglohnland DDR sehr attraktiv erscheinen lassen, läßt aber die Fragen der Perspektiven noch offen. W3D Vereinigte Linke, Wahl aktuell, März 1990, 4

Sieger; Besiegter, Verlierer

zu Besiegter

37.
Bei den Gesprächen zwischen Kohl und Modrow wurde nun die bedingungslose Kapitulation verlangt. Der Sieger diktiert dem Besiegten die Bedingungen. W3B taz DDR-Journal 2, 96 (16.02.1990)

zu Sieger

38.
Die Forderungen des Runden Tisches, das mußten die Ost-Berliner lernen, zählen in Bonn wenig, wenn sie von den Vorstellungen der Bundesregierung abweichen. Eine weitere Erfahrung für Modrow und seine Minister: Es waren zwar die Menschen in der DDR, die die Revolution gemacht haben, aber als Sieger fühlen sich die Regierungspolitiker in Bonn. Und sie führten sich auch so auf. W3B Frankf. Rundschau, 15.02.1990, 3

zu Verlierer

39.
[Thomas Klein, Vereinigte Linke]: Die heutige Aussprache über diesen Vertrag sollte auch für die Abgeordneten dieses Hauses ein weiterer Anlaß sein, darüber nachzudenken, wer in den vergangenen Jahren stets Opfer von Politik war und warum. Wo heute die Verlierer der gegenwärtigen politischen Umwälzung zu finden sein werden, wollen nur die nicht namhaft machen, die noch immer behaupten, es würde nun allen besser gehen. W5D Volkskammer der DDR; 35. Tagung am 13.09.1990, 1662

vereinnahmen, Vereinnahmung

zu vereinnahmen

40.
... wir müssen dulden, daß, veranlaßt durch starke ökonomische Zwänge und durch unzumutbare Bedingungen, an die einflußreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik ihre Hilfe für die DDR knüpfen, ein Ausverkauf unserer materiellen und moralischen Werte beginnt und über kurz oder lang die Deutsche Demokratische Republik durch die Bundesrepublik Deutschland vereinnahmt wird. W3D Wochenpost, 08.12.1989, 2
41.
Werbend schrieb die Redaktion [der Satire-Zeitschrift 'Titanic'] an von Schnitzler [SED-Chefkommentator], er dürfe Stellung beziehen gegen das „zunehmende Wiedervereinigungsgeschrei" und die „Versuche der BRD-Wirtschaft, die DDR auf kaltem Wege zu vereinnahmen". W3B Spiegel, 18.12.1989, 199
42.
Wie lange will er [Ibrahim Böhme] noch weismachen, er fühle weder sich noch seine Partei vereinnahmt von diesen Heuschrecken aus Bonn? Sogar eine energische Sekretärin und Klarsichthüllen für die Türschilder in der Ostberliner Parteizentrale hat die Bonner Baracke expediert. W3B taz DDR-Journal 2, 120 (19.02.1990)
43.
Nicht wir wollen die DDR im Weg eines „Anschlusses" vereinnahmen, sondern es ist die Bevölkerung der DDR, die sich mit uns vereinigen will. Die Mehrheit der Bevölkerung - es waren drei Viertel - hat am 18. März für Parteien votiert, die sich ganz klar für das Ziel der Einheit' eingesetzt haben. W4B Bundestagsverhandl.; 207. Sitzung am 26.04.1990, Bd. 153, 16332

zu Vereinnahmung

44.
Schon im Dezember aber legte sich der Sturm. Der schleichende Zerfall der Bürgerbewegung, die mähliche Vereinnahmung der DDR durch den großen Bruder BRD begann. W4B Zeit, 27.07.1990, 2
45.
Der deutsch-deutsche Einigungsvertrag ist in Gefahr. Das Gespenst eines Überleitungsgesetzes rückt näher, was einer Vereinnahmung der 16 Millionen DDR- Bürger hierzulande gleichkäme. W4D Berliner Ztg., 18.08.1990, 1
46.
Einen Anschluß der DDR an die Bundesrepublik Deutschland oder eine Vereinnahmung seines Landes lehnte Modrow, der seine Rede auch als Empfehlung an die künftige Regierung bezeichnete, strikt ab. W3B Frankf. Rundschau, 08.03.1990, 2
47.
Es bedarf souverän praktizierter Offenheit, die in der Souveränität der Bürger gegenüber ihrem eigenen Staat ihre Grundlage hat. Wird ein solcher Weg nicht erfolgreich gegangen, so kann langfristig eine Vereinnahmung der DDR durch die BRD im Rahmen neuer internationaler Regelungen nicht ausgeschlossen werden. W1D Temperamente; (Abhandlung, 08.10.1989), 109

zu Vereinnahmungs-

Vereinnahmungsprozeß

48.
Das weitverbreitete internationale Mißtrauen gegen die Vereinigung von BRD und DDR wird durch dieses offene Vorherrschaftsstreben in Bonn natürlich nicht germger. Die Tatsache, daß die meisten Nachbarn inzwischen die Hoffnung aufgegeben haben, den Vereinigungs- und Vereinnahmungsprozeß durch ihre Bedenken noch verhindern oder wesentlich verlangsamen zu können, ändert nichts an der traurigen Erkenntnis, daß ein solcher Prozeß ganz Eu-ropa wesentlich beeinflussen, ja, erschüttern wird. W3B Bundestagsverhandl.; 197. Sitzung am 15.02.1990, Bd. 152, 15143
Belege: Vergleichskorpus
49.
Zu einer Zeit, da die unterste politische Ebene immer abhängiger von Zuschüssen aus Land und Bund wird, sichert die Gewerbesteuer noch als letzte stabile Säule das Fundament der Selbstverwaltung. Würde sie als unabhängige Finanzquelle den Gemeinden verstopft, so gerieten diese endgültig in die Abhängigkeit der Landes- und Bundespolitiker. Eine solche Entmündigung kann nicht ernsthaft gewollt sein. Mannh. Morgen, 22.07.1987, 2
50.
Es ist wohl so hierzulande: Wann immer einer aus der Reihe tanzt, so wird zuerst einmal die Vermutung laut, er werde aus Moskau ferngesteuert. Zeit, 20.12.1985, 1
51.
Ende Oktober jährt sich zum dreißigsten Male der Tag der Volksabstimmung über die Rückkehr des - nach Kriegsende von Frankreich vereinnahmten - Saarlandes in den verbliebenen westlichen Teilstaat des einstigen Deutschen Reiches. Zeit, 16.08.1985, 4
52.
Kissinger [propagiert] ... die Einverleibung der DDR in den Bonner Staat und das Vorrücken der NATO bis zur Oder als Wiedervereinigungskonzeption der NATO. ND, 26.08.1959, 2