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Schlüsselwörter der Wendezeit
Kapitel 15
Die Bezeichnung Beitritt für das Beitreten der DDR zur Bundesrepublik und Bezeichnungen, mit denen eine kritische Einstellung zum Beitreten der DDR zur Bundesrepublik ausgedrückt wird
Beitritt (beitreten)
Anschluß
Angliederung
Übernahme
Vereinnahmung
Einverleibung
Annexion

Interpretation

Die beiden zentralen Lexeme dieses Feldes sind Beitritt und Anschluß. Für sie ergibt sich in den Vergleichswörterbüchern das folgende Bild:

HDG:
Beitritt, der: der B. zu einer Partei; seinen B. erklären
DUW:
Beitritt, der 1. das Beitreten (a-c): er erklärte seinen B. - vgl. beitreten a) sich einer Abmachung, einem Übereinkommen, Vertrag o.ä. anschließen: einem Pakt b.
HDG:
vgl. anschließen 3. etw. einer Sache angliedern: der Schule wird ein Internat angeschlossen
DUW:
Anschluß, der 4. Angliederung, politische Vereinigung: der A. des Saargebiets; den A. eines Gebietes [an ein Land] betreiben

Sowohl unter nationalem als auch unter internationalem Aspekt ist die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands das gravierendste und folgenreichste Ergebnis der Wende, mit dem die Wendezeit - nach der hier zugrundegelegten Bestimmung dieses Zeitraums - zu Ende geht.

Denkbare Wege in Richtung auf dieses - zuerst nur in größerer zeitlicher Ferne vorstellbare - Ziel waren bereits seit November 1989 Gegenstand der öffentli-chen Erörterung. Bei der innen- und außenpolitischen Brisanz und der emotionalen Geladenheit dieses Themas verwundert es nicht, daß der öffentliche Meinungsbildungsprozeß durch eine Fülle unterschiedlicher, kontroverser, vom jeweiligen politischen Standort geprägter Äußerungen gekennzeichnet ist, in denen zum Teil erbitterte Bezeichnungskämpfe deutlich werden. Das betrifft nicht nur die Diskussionen um das Ziel selbst (vgl. Kapitel 14), sondern auch diejenigen um bestimmte zeitweilig erwogene Vor- und Zwischenstufen (vgl. Kapitel 13) sowie die um den einzuschlagenden konkreten verfassungsrechtlichen Weg der Vereinigung der beiden deutschen Staaten: durch Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes oder durch Inkrafttreten einer Verfassung, „die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist", gemäß Artikel 146.

Das hier beschriebene Feld umfaßt sieben substantivische Lexeme, denen Verben zugrunde liegen, die in der Interpretation weitgehend unberücksichtigt bleiben konnten, weil sie nicht eine ähnliche kommunikative Relevanz erreichten wie die Substantive. Das im Verfassungstext benutzte Lexem Beitritt benennt den staatsrechtlichen Vorgang sachlich, wertungs- und emotionsfrei und wird deshalb in diesem Kapitel als genereller beschreibungssprachlicher Aus-druck benutzt. Dem stehen sechs Lexeme gegenüber, denen gemeinsam ist, daß mit ihnen derselbe Sachverhalt aus einem anderen Blickwinkel bezeichnet wird: Der Sprecher drückt mit ihrer Verwendung eine negative Bewertung des Sachverhaltes aus, die je nach gewähltem Lexem mehr oder weniger emotional gefärbt und polemisch zugespitzt ist. Unter diesen Lexemen ist das Lexem Anschluß das weitaus am häufigsten verwendete; Angliederung, Annexion, Einverleibung, Übernahme und Vereinnahmung werden deutlich seltener gebraucht. Daher stehen die Lexeme Beitritt und Anschluß auch im Mittelpunkt der folgenden Interpretation.

Die Strukturen der hier relevanten Bedeutungen machen die unterschiedliche Sicht deutlich. Die Verbalsubstantive und die ihnen zugrundeliegenden Verben setzen in jedem Fall zwei an der mit ihnen bezeichneten Handlung Beteiligte voraus, nämlich die DDR und die Bundesrepublik. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß die Funktion des Agens mal von dem einen, mal von dem anderen Beteiligten ausgefüllt wird. Am einfachsten laßt sich dieser Unterschied anhand der zugrundeliegenden Verben bei Aktivgebrauch zeigen. Setzt man DDR = A und Bundesrepublik = B, so ergibt sich:

Beitritt:
A tritt B bei
Anschluß:
B schließt A an (= etw. anschließen)
A schließt sich (an) B an (= sich anschließen)
Angliederung:
B gliedert A an (= etw. angliedern)
A gliedert sich (an) B an (= sich angliedern)
Annexion:
B annektiert A
Einverleibung:
B verleibt sich A ein
Übernahme:
B übernimmt A
Vereinnahmung:
B vereinnahmt A

Es stehen sich Beitritt (A = DDR ist Agens, also aktiv handelnder Part) auf der einen Seite und Annexion, Einverleibung, Übernahme und Vereinnahmung (B = Bundesrepublik ist Agens und tut etwas mit A = DDR) auf der anderen Seite gegenüber. Nicht eindeutig einzuordnen sind die Lexeme Anschluß und Angliederung, die gewissermaßen Anteil an beiden Strukturen haben, je nachdem, auf welche der beiden J möglichen Verbverwendungen (transitiv, reflexiv) man sie zurückführt. Obwohl sich in WK Belege von Anschluß für die Lesart finden, der sich anschließen („A schließt sich [an] B an") zugrunde liegt s. Beleg 7, besteht ein Übergewicht der Belege von Anschluß, in denen von der Lesart etw. anschließen („B schließt A an") auszugehen ist.

Der Gebrauch des Lexems Beitritt in den Texten von WK basiert auf dem Gebrauch des Lexems in dem bis zur Herstellung der staatlichen Einheit gültigen Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik, der den Geltungsbereich des Grundgesetzes festlegt und der im Wortlaut heißt: „Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen." Beitritt wird hier in der Bedeutung 'das Beitreten' im Sinne der von DUW unter dem Stichwort beitreten a) verzeichneten Bedeutung ('sich einer Abmachung, einem Übereinkommen, Vertrag o.a. anschließen') verwendet. Mit dem Wort Beitritt wird der Vorgang des Beitretens sachlich und wertungsfrei bezeichnet, wodurch es für die Verwendung als Terminus in Gesetzestexten geeignet ist. Beim konkreten historischen Vorgang des Jahres 1990 war die DDR - gemäß Volkskammerbeschluß vom 23.8.1990 - der beitretende Teil und die Bundesrepublik der aufnehmende Teil.

Der Gebrauch des Substantivs Beitritt folgt dem Grundmuster

  • der Beitritt von A zu B;
die konkreten Äußerungen unterscheiden sich jedoch in bezug auf ihre diesbezügliche Explizitheit, und die sprachliche Realisierung von A und B kann variieren. Häufig wird entweder nur A (z.B. der Beitritt der DDR/der Länder der DDR) oder nur B (z.B. der Beitritt zur Bundesrepublik/zum Geltungsbereich des Grundgesetzes) explizit genannt; oft wird auch nur die grundgesetzliche Voraussetzung erwähnt (z.B. der Beitritt nach Artikel 23/gemäß Artikel 23 GG). Diese drei Arten von Angaben können auch in Zweierkombinationen s. Beleg 6 oder zusammen s. Beleg 26 verwendet werden. Vielfach wird Beitritt auch ohne jede derartige Angabe benutzt, was vor allem in Texten der Phasen 4 und 5 begegnet, in denen dieses Thema anhaltend diskutiert wird und daher allen am Kommunikationsprozeß Beteiligten so geläufig ist, daß Mißverständnisse hinsichtlich des Bezuges nicht auftreten können s. Beleg 27.

Neben dem Substantiv Beitritt ist das Verb beitreten in der Bedeutung 'den Beitritt vollziehen' häufig belegt s. Beleg 25.

Innerhalb des betrachteten Feldes ist das Lexem Beitritt das am häufigsten und mit der größten Zahl unterschiedlicher Kontextpartner gebrauchte Lexem. Es ist das bevorzugte Lexem in emotional nicht engagierter Rede und enthält keine negative Bedeutungskomponente, wie sie den anderen Lexemen zukommt, sieht man von den Lexemen Anschluß und Angliederung in den wenigen Verwendungen ab, die sich auf reflexiven Verbgebrauch zurückführen lassen. Deshalb verwenden Befürworter dieses Weges zur Einheit, die in erster Linie aus den Reihen der Regierungsparteien der Bundesrepublik und der DDR und aus ihnen nahestehenden publizistischen Kreisen kommen, aus-schließlich dieses Lexem s. Belege 28, 30, 31, 33.

Wer für den offiziell mit Beitritt bezeichneten Vorgang die anderen Bezeichnungen, denen transitive Verben zugrunde liegen, verwendet, gibt seiner kritisch-distanzierten Haltung zu dem Vorgang Ausdruck. Die Bedeutungen dieser Gruppe von Lexemen drücken - ganz allgemein gesprochen - einen Aneignungsprozeß aus, in dem im hier erörterten Zusammenhang die Bundesrepublik als Agens fungiert:

  • B eignet sich A an.

Der Vorgang wird von den Verwendern dieser Lexeme also nicht als selbstbestimmte Handlung der DDR gesehen, sondern als kritikwürdiger und abzulehnender Akt, bei dem sich die große, starke Bundesrepublik die kleine, schwache DDR gleichsam aneignet. Die von den Kritikern des Beitritts gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes vorgebrachten Einwände sind, daß dieses Verfahren zur Herstellung der staatlichen Einheit die Interessen der DDR-Bevölkerung nicht genügend berücksichtigt s. Beleg 4, vielmehr zu deren Lasten geht, und daß die Eile, mit der es betrieben wird, dem Zusammenwachsen der Deutschen abträglich ist.

Die dem Lexem Beitritt gegenüberstehende Gruppe von Lexemen, die aufgrund ihrer zur Artikulierung von Kritik geeigneten semantischen Grundstruktur miteinander verbunden sind, ist nicht völlig homogen. Im Unterschied zu den Wörtern Angliederung, Übernahme und auch Anschluß, die einen Aneignungsprozeß allgemein bezeichnen, charakterisieren die anderen Wörter einen Aneignungsprozeß spezifisch, nämlich als von starkem Eigeninteresse geleitet (Vereinnahmung, Einverleibung) oder als gewaltsam (Annexion). Ein besonderer Fall ist Anschluß. Mit diesem Lexem wird das politische Schlagwort assoziiert, das für die Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland 1938 steht. Wohl aus ebendiesem Grund ist das Wort Anschluß der von den Kritikern des Beitritts bevorzugte Ausdruck. In metakommunikativen Äußerungen von Befürwortern des Beitritts dagegen wird ebendeshalb gerade an seiner Verwendung Kritik geübt, das Wort als unangemessen, falsch, demagogisch, böse u.a. bezeichnet und seine Reaktivierung der SED/PDS angelastet s. Beleg 8; solche Kritik kann wiederum von Gegnern des Beitritts kritisch reflektiert werden s. Beleg 9.

Das Spektrum derer, die Anschluß und seine bedeutungsverwandten Lexeme verwenden, um ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Beitritt gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes auszudrücken, umfaßt Politiker, Abgeordnete und Sprecher vor allem von linken Parteien und von Bürgerrechtsgruppierungen aus Ost und West sowie Journalisten von nahezu allen in WK vertretenen DDR- und linken bundesdeutschen Zeitungen s. Belege 9-13, 44, 48.

Die Belege von Anschluß und die wenigen für die übrigen Lexeme stammen zu nahezu gleichen Teilen aus WKD und WKB (Schwerpunkt: Phasen 3 bis 5), wobei aber zu beachten ist, daß in den WKB-Belegen überwiegend Äußerungen aus der DDR referiert oder zitiert werden. Relativ häufig erscheinen die genannten Wörter in WKB-Texten zum Zeichen dessen, daß sich der Sprecher von ihrem Gebrauch distanziert, in Anführungszeichen s. Beleg 8.

Es ergeben sich Gruppen jeweils häufig vorkommender wendezeitspezifischer Kollokationen:

Kollokationen, die sich auf Aspekte der Realisierung des Beitritts beziehen, z.B. s. Belege 1, 12, 13, 28-30, 43:

  • Modalitäten, Bedingungen des Beitritts
  • die Möglichkeit, der Weg des/eines Beitritts
  • die Form, der Weg des Anschlusses
  • die Form der Angliederung
  • den Beitritt/Anschluß beschließen, realisieren, vollziehen
  • den Beitritt erklären; die Erklärung des Beitritts
  • den Beitritt ins Werk setzen
  • der Beitritt erfolgt, wird wirksam
  • ein geordneter, geregelter, offizieller Beitritt
  • ein möglicher, erwarteter, unmittelbarer Anschluß
  • die Konsequenzen, ökonomischen Folgen, Finanzierungskosten, sozialen Kosten des/eines Anschlusses

Kollokationen, die unter diesem Aspekt zusammengefaßt werden können, machen den Hauptteil aller Verwendungen aus. Sie thematisieren Bedin-gungen, Procedere, Status, Resultat und Folgen des Beitritts. Es überrascht nicht, daß Beitritt das am häufigsten und mit der größten Zahl unterschiedlicher Kontextpartner gebrauchte Lexem dieser Gruppe von Kollokationen ist, weil die Erörterung der genannten konkreten Teilaspekte zumeist die Verwendung des verfassungstextkonformen Ausdrucks erwarten läßt. Die mit Abstand am häufigsten belegte Wortverbindung ist den Beitritt erklären s. Beleg 28, die besonders in Texten der Phasen 4 und 5 vorkommt. Kollokationen, die sich speziell auf die Folgen, Konsequenzen und Kosten des Beitritts beziehen, sind vor allem mit dem Lexem Anschluß belegt; die Beitrittsgegner machen in den entsprechenden Texten zumeist warnend auf zu erwartende negative Folgeerscheinungen des Beitritts aufmerksam s. Beleg 13.

Kollokationen, die sich auf zeitliche Aspekte des Beitritts beziehen, z.B. s. Belege 2, 13, 14, 31, 32, 49:

  • der Tag, der Termin, der Zeitpunkt des Beitritts
  • der Augenblick des Anschlusses
  • die Beschleunigung des Anschlusses
  • ein sofortiger, rascher, schneller, baldiger, früher Beitritt/Anschluß
  • der frühestmögliche, raschestmögliche, schnellstmögliche Beitritt
  • ein hastiger, hektischer, übereilter Anschluß
  • eine schnelle, vorschnelle, übereilte Vereinnahmung
  • eine schnelle Angliederung

Der richtige Zeitpunkt der staatlichen Vereinigung und das einzuschlagende Tempo der entsprechenden Vorbereitungen waren zentrale Punkte kontroverser Auseinandersetzungen in der Politik und in den Medien. Auffallend ist, daß in den Kollokationen in diesem Zusammenhang ausschließlich sprachliche Mittel (vor allem Adjektive) verwendet werden, die ein hohes Tempo bzw. einen frühen Zeitpunkt ausdrücken. Einige der verwendeten Adjektive enthalten zusätzlich das negative Bedeutungsmerkmal <allzu> (z.B. hastig, hektisch, übereilt, vorschnell). Sie treten nur in Verbindung mit Anschluß und Vereinnahmung auf und ergänzen die diesen substantivischen Lexemen immanente Kritik am Beitritt um den Aspekt der Kritik am zu hohen Tempo der Herbeiführung des Beitritts bzw. am zu frühen Zeitpunkt des Beitritts.

Kollokationen, in denen die Kollokationspartner der behandelten Lexeme Zustimmung oder Ablehnung in bezug auf den Beitritt bezeichnen;

Zustimmung, z.B. s. Belege 31, 33
  • :Verfechter, Befürworter des Beitritts
  • für den Beitritt sein, plädieren
  • für den Beitritt stimmen, dem Beitritt zustimmen
  • den Beitritt verlangen
  • den Anschluß wollen, befürworten, verlangen, vorantreiben
Ablehnung, z.B. s. Belege 34, 50
  • : Ablehnung des Beitritts
  • Gegner des Anschlusses
  • gegen den Beitritt sein
  • gegen eine Vereinnahmung der DDR demonstrieren
  • sich gegen eine Vereinnahmung der DDR wehren
  • den Beitritt torpedieren, zu verzögern suchen
  • eine Vereinnahmung ablehnen
  • vor Vereinnahmung und Anschluß warnen

attributive Adjektive enthaltende Kollokationen, die eine negative Bewertung des Beitritts zum Ausdruck bringen, z.B. s. Belege 3, 51:

  • einseitiger, bedingungsloser Beitritt
  • bedingungslose Angliederung s. Beleg 3
  • chaotischer, bloßer, kalter Anschluß
  • einseitige s. Beleg 51, großkotzige Vereinnahmung

In Verbindung mit denjenigen Bezeichnungen für den Beitritt, die aufgrund ihrer Bedeutung den Vorgang per se negativ bewerten, verstärken negativ wertende Adjektive diese Bewertung unter jeweils spezifischem Aspekt (s. auch die oben genannten Adjektive mit dem Bedeutungsmerkmal <allzu>).

Die negative Bewertung des Beitritts kommt außer in den genannten Kollokationen emotional besonders nachdrücklich in einigen Losungen - Gegen die Annexion der DDR s. Beleg 5, Nein zur Einverleibung der DDR! s. Beleg 45 - zum Ausdruck. Witzigironisch formuliert ist die Ablehnung in dem in Phase 4 auftauchenden Slogan Artikel 23 - kein Anschluß unter dieser Nummer!, dessen zweiter Teil auf den Artikel des Grundgesetzes zum Beitritt Bezug nimmt und in Gestalt einer bekannten formelhaften Telefonansage mit zwei Bedeutungen von Anschluß ('telefonische Verbindung', 'Angliederung') spielt s. Beleg 16.

Eine Gruppe besonderer Art bilden jene Kollokationen, die nicht auf die Herstellung der Einheit im Sinne der Bildung eines deutschen Staates, sondern auf die Herstellung der Einheit hinsichtlich bestimmter gesellschaftlich relevanter Bereiche Bezug nehmen, z.B.

  • der wirtschaftliche, währungspolitische, monetäre Anschluß
  • die wirtschaftspolitische und währungspolitische Übernahme
  • eine währungspolitische Vereinnahmung s. Beleg 52
  • die politische Annexion

Die mit den Kollokationen gefaßten Sachverhalte müssen nicht an das Beitrittsdatum des 3. Oktober 1990 gebunden sein, sondern können - wie z.B. die Währungsunion - auf dem Weg zur staatlichen Einheit angesiedelt sein. Kollokationen mit Beitritt fehlen in dieser Gruppe, weil Beitritt als Verfassungsterminus nur das Beitreten des gesamten Staates DDR bezeichnen kann.

Wortbildung

Wendezeitrelevante Wortbildungskonstruktionen sind in größerer Zahl nur mit den Lexemen Beitritt und Anschluß belegt, vereinzelt mit Einverleibung und Vereinnahmung. Zum überwiegenden Teil handelt es sich um okkasionelle Bildungen.

Beitritt und Anschluß als letzter Bestandteil von Wortbildungskonstruktionen:

Die in den Zusammensetzungen als Grundwörter auftretenden Lexeme Beitritt und Anschluß werden durch die Bestimmungswörter unter verschiedenen Aspekten charakterisiert.

In vier der elf belegten Zusammensetzungen erfolgt die Charakterisierung unter dem Zeitaspekt. Die Bestimmungswörter bezeichnen kritisch-distanziert das übereilte Tempo der Herbeiführung des Beitritts (Blitzanschluß, Schnellanschluß, Sofortanschluß, Sturzbeitritt), wobei die Bestandteile Blitz- und Sturz- die ablehnende Einstellung betont expressiv ausdrücken s. Belege 17, 36.

Aus unverkennbar kritischer Haltung heraus sind auch die Zusammensetzungen D-Mark-Anschluß, West-Anschluß, Unterwerfungsanschluß (s. Beleg 18 mit einer Äußerung von Gregor Gysi) gebildet, deren Bestimmungswörter aus der Sicht des Sprechers die bestimmende Orientierung des Beitritts (D-Mark, Westen) bzw. die vom Sprecher abgelehnte Art seines Zustandekommens (Unterwerfung) bezeichnen.

Wertungs- und emotionsfrei sind weitere drei Zusammensetzungen, deren Bestimmungswort den beitretenden Teil (DDR-Beitritt; s. Beleg 35), die verfassungsmäßige Grundlage (Artikel-23-Beitritt) oder die bloße Negation (Nicht-Beitritt) bezeichnet.

Beitritt, Anschluß, Einverleibung und Vereinnahmung als erster Bestandteil von Wortbildungskonstruktionen:

Zusammensetzungen, die sich auf Aspekte der Realisierung des Beitritts beziehen, z.B. s. Belege 22, 24, 37, 40, 42, 46, 47, 53:

  • Beitrittsartikel, Beitrittsbestimmung, Beitrittsparagraph, Anschluß-Artikel, Anschlußparagraph, Einverleibungsbestimmung (= Artikel 23 des Grundgesetzes)
  • Beitrittsvertrag, Anschlußvertrag, Einverleibungsvertrag (= Einigungsvertrag)
  • Beitrittsbedingung (WK nur Pl.), Beitrittsbeschluß, Beitrittserklärung, Beitrittsformulierung (WK nur Pl.), Beitrittsmodalität (WK nur Pl.), Beitrittsprojekt, Beitrittsübergangsparlament, Beitrittsverfahren, Beitrittsvollzug, Beitrittsweg, Beitrittsfolge (WK nur Pl.)
  • Anschlußbestrebung (WK nur Pl.)
  • Anschlußpolitik, Anschlußvariante, Anschlußverfahren, Anschluß-Votum
  • Einverleibungsplan (WK nur Pl.), Einverleibungspolitik
  • Vereinnahmungsprozeß

Die Grundwörter dieser Zusammensetzungen sind sämtlich wertungsneutral. Es dominiert als Bestimmungswort Beitritt, was ebensowenig verwundert wie die Dominanz von Beitritt bei inhaltlich vergleichbaren Kollokationen, da die Bezeichnung der konkreten Verfahrensmodalitäten des Beitritts die Verwendung des verfassungstextkonformen Ausdrucks erwarten läßt. Die anderen, den Beitritt negativ bewertenden Bestimmungswörter geben der Zusammensetzung insgesamt eine negative Bewertung.

Die beiden am häufigsten belegten Zusammensetzungen in dieser Gruppe sind Beitrittserklärung und Anschlußpolitik. Mit Beitrittserklärung wird die in einer Sondersitzung der Volkskammer der DDR nach heftigen Debatten am 23.8.1990 erfolgte Erklärung des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik bezeichnet.

Zusammensetzungen, die sich auf den Zeitpunkt des Beitritts beziehen, z.B. s. Beleg 41:

  • Beitrittsdatum, Beitrittstag, Beitrittstermin

Als Beitrittstermin wurde nach langem Hin und Her in der Volkskammer schließlich der 3. Oktober 1990 festgelegt. Für die Bezeichnung dieses Zeitpunktes sind nur Zusammensetzungen mit der verfassungstextkonformen Bezeichnung Beitritt belegt. Negativ bewertende Bezeichnungen werden in den Diskussionen über das konkrete Datum des historischen Vorgangs sichtlich nicht verwendet.

Beitrittstermin ist von allen in diesem Kapitel behandelten Zusammensetzungen die am häufigsten belegte.

Keiner dieser drei Gruppen sind die folgenden Lexeme zuzuordnen, die mit Ausnahme von Beitrittsgebiet nur vereinzelt belegt sind:

  • Beitrittsbefürworter (WK nur Pl.), Beitrittsgebiet s. Beleg 38, Beitrittskuschelmuschel, Beitrittsthema, Beitrittswilliger (WK nur Pl.)
  • Anschlußdrama, Anschlußeuphorie, Anschlußfrage (WK nur Pl.; s. Beleg 20), Anschlußgedanke (WK nur Pl.), Anschlußgerede, Anschlußmentalität s. Beleg 21
  • beitrittsbedingt (beitrittsbedingte Grundgesetzänderungen)
  • anschlußreif (die DDR anschlußreif reden; s. Beleg 23)

Beitrittsgebiet s. Beleg 38 wurde als verwaltungssprachliche Bezeichnung für das Gebiet der neuen Bundesländer geprägt; alle Belege stammen aus Phase 6, d.h. der Zeit nach der staatlichen Vereinigung. Die Bedeutung der Bildung Anschlußfrage ist nur im Textzusammenhang zu verstehen; sie läßt in der Formulierung des Kongreß-Themas Anschluß der DDR - Anschlußfragen der Linken s. Beleg 20 bewußt sowohl die Lesart 'Fragen zum Anschluß' als auch die Lesart 'Fragen im Anschluß an ...' zu.

Resümee

Die behandelten Lexeme beziehen sich wendezeitspezifisch auf den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes. Mit ihnen wird teils sachlich, wertungs- und emotionsfrei (Beitritt), teils kritisch-distanziert oder emotional-ablehnend (Angliederung, Annexion, Anschluß, Einverleibung, Übernahme, Vereinnahmung) auf den Beitritt Bezug genommen.

Mehrere der Lexeme treten besonders als erster Bestandteil von Wortbildungskonstruktionen auf.

Belege: Wendekorpus

Angliederung

1.
Sie [die Vereinigte Linke] erklärt sich für die Verteidigung der Souveränität der DDR gegenüber allen Forderungen nach schneller Vereinigung beider deutscher Staaten in Form der Angliederung an die BRD. W0D Parteien/Bewegungen der DDR; Vereinigte Linke, 80
2.
Die notwendige wirtschaftliche Sanierung unseres Landes erfordert nicht eine schnelle Angliederung an die Bandesrepublik, wie viele glauben, sondern bedarf schnell der Einsetzung einer demokratisch gewählten Regierung. W3D Wir sind das Volk (mdv); SDP (Erklärung, 03.12.1989), 81
3.
Es scheint so, als ob unser Volk auf eine neue Spaltung zutreibt - in die, die für eine bedingungslose Angliederung der DDR an den großen westlichen Nachbarn sind, und jene, welche die Eigenständigkeit unseres Landes bei allen engen Formen der Zusammenarbeit bewahren wollen. W3D Junge Welt, 21.12.1989, 2

Annexion

4.
[Hafner, GRÜNE:] Es wäre, wie gesagt, ein Anschluß, eine Art Annexion, nicht ein Zusammengehen von zwei Staaten. Das würde auch nicht dem demokratischen Anspruch und Aufbrach in der DDR entsprechen, wo die Menschen mit dem Ruf „Wir sind das Volk" auf die Straße gegangen sind. W3B Bundestagsverhandl.; 197. Sitzung am 15.02.1990, Bd. 152, 15149
5.
Die Boulevards waren gefüllt. Kurz vor Ladenschluß gab es noch rasch eine Kundgebung linker Gruppen: „Gegen die Annexion der DDR". Eine japanische Reisegruppe ließ sich die Transparente erklären. W5D Wochenpost, 10.10.1990, 4
6.
Die Volkskammer möge diesen Antrag entgegennehmen und beschließen: Beschluß zum Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland mit dem heutigen Tag. (Pfui-Rufe - Zuruf: Annexion wollen Sie!) W4D Volkskammer der DDR; 15. Tagung am 17.06.1990, 534

Anschluß

zu Anschluß

7.
Der Ruf vieler nach Anschluß an die Bundesrepublik und Übergabe der Geschälte an die hoffentlich fähigeren Minister in Bonn wird immer lauter. W5D Wochenpost, 24.08.1990, 3
8.
Wer ... den Beitritt gemäß Art. 23 als „Anschluß" der DDR diskriminiert, folgt der Argumentationslinie der SED/PDS; denn die Bezeichnung „Anschluß" wurde gerade von der SED zuerst und gezielt verwendet. Diese Bezeichnung ist für uns Deutsche eine Zumutung ... da der Begriff „Anschluß" bewußt benutzt wird, um eine Analogie zum Anschluß Österreichs 1938 herzustellen. W4B Bundestagsverhandl.; 207. Sitzung am 26.04.1990, Bd. 153, 16329
9.
Der letzte Ausdruck dieser gelebten Demokratie war wohl ein Verfassungsentwurf, den federführend Mitglieder des Neuen Forum und der Gruppierung Demokratie Jetzt der frischgewählten Volkskammer vorgelegt haben. Kaum diskutiert wurde er und dann weggewischt von den notorischen Rechthabern. Nur noch um Anschluß ging es, der nicht Anschluß heißen darf. W4D Wochenpost, 01.06.1990, 14
10.
In einer rechtspolitischen Debatte wandten sich am Donnerstag die Grünen gegen einen bloßen „Anschluß" der DDR an die Bundesrepublik und forderten einen Volksentscheid über die Einheit in beiden deutschen Staaten. W3B Frankf. Rundschau, 09.02.1990, 2
11.
DIE NELKEN sind keine Gegner nationaler Einheit, wohl aber Gegner eines Anschlusses, der die DDR zum deutschen Hinterhof macht. Vereinigung kann nur aus der Einigung zweier souveräner Staaten hervorgehen. W0D Parteien/Bewegungen der DDR; Nelken, 62
12.
Die Bürgerbewegung DEMOKRATIE JETZT lehnt ab, die beiden deutschen Staaten durch Wiedervereinigung in Form des Anschlusses der DDR an die Bundesrepublik zusammenzuführen. W3D Parteien/Bewegungen der DDR; Demokratie Jetzt (Satzung/Programm, Jan. 1990), 19
13.
Es wird offenbar bewußt kalkuliert, daß die gewaltigen sozialen Kosten eines raschen Anschlusses dem alten System angelastet werden können. W3B taz DDR-Journal 2, 87 (14.02.1990)
14.
Die sowjetische Regierung äußerte sich unterdessen besorgt über eine mögliche Destabilisierung durch einen übereilten Anschluß der DDR an die Bundesrepublik. W3B Mannh. Morgen, 08.03.1990, 4
15.
Die SPD sieht vier Schwerpunkte für die Entwicklung zur deutschen Einheit: die Koordinierung der Vereinigung mit den Prozessen in Europa; die Schaffung gesamtdeutscher Institutionen, damit die Vereinigung nicht zum chaotischen Anschluß mit allen negativen Folgen für uns wird; W3D Berliner Ztg., 22.02.1990, 3
16.
Gysi: „Also die Marktwirtschaft bringt ja unter anderem Geld ... (Gelächter) ... und da muß man eben dafür sorgen, daß das gerecht verteilt wird!". Am Ausgang werden Plakate verteilt: „Artikel 23 - kein Anschluß unter dieser Nummer!" W4B stern, 22.03.1990, 45

zu -anschluß

Blitzanschluß

17.
Man muß nunmehr mit allem rechnen. Wenn Sie diese Zeilen lesen, die am heißen ersten Augustsonntag zu Papier gebracht werden, sind wir vielleicht schon alle Bürger der Bundesrepublik Deutschland, weil die Volkskammer während ihrer Sondersitzung zu Wochenmitte mit der Mehrheit der Koalition dem Blitzanschluß der DDR zugestimmt hat. W4D Wochenpost, 10.08.1990, 3

Unterwerfungsanschluß

18.
[Gysi, PDS:] Der Zentrale Runde Tisch und die Allparteienkoalition in der Regierung unter Hans Modrow standen für den Versuch, die deutsche Einheit sozial, wirtschaftlich und psychologisch vertretbar als europäischen Prozeß mit klarer Abrüstungs- und Entmilitarisierungsperspektive zu gestalten. Die neue Regierung und die Mehrheit dieses Parlaments stehen für einen Unterwerfungsanschluß allein nach den Vorstellungen Kohls. W5D Volkskammer der DDR; 36. Tagung am 20.09.1990, 1746

zu Anschluß-, anschluß-

Anschlußdrama

19.
Wir Grünen müssen nicht in Panik oder Depressionen fallen, wenn wir im deutsch-deutschen Anschlußdrama nicht in der Lokomotive sitzen. Wir wollten das nicht, und das war gut so. W3B taz DDR-Journal 2, 78 (06.02.1990)

Anschlußfrage

20.
An dem von Initiatoren einer Linken Liste/PDS veranstalteten Kongreß „Anschluß der DDR - Anschlußfragen der Linken", der am 28./29. Juli in Köln stattfand, beteiligten sich Bürgerrechtler aus der DDR, die PDS, Grüne und Gewerkschafter. W5D Berliner Ztg., 15.09.1990, 3

Anschlußmentalität

21.
Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz (SPD), hat vor einer „Anschlußmentalität" gegenüber der DDR gewarnt. W4B Frankf. Rundschau, 24.04.1990, 4

Anschlußpolitik

22.
„Für eine deutsch-nationale Anschlußpolitik, die selbst die Verfassung als Verfügungsmasse der Regierung betrachtet", stehe die SPD nicht zur Verfügung, sagte Ehmke. W4B Frankf. Rundschau, 17.04.1990, 4

anschlußreif

23.
[Dreßler, SPD:] Glaubt der Bundeskanzler wirklich, er werde seiner historischen Aufgabe gerecht, wenn seine Regierung und seine Berater die DDR sturmreif, anschlußreif reden? W3B Bundestagsverhandl.; 197. Sitzung am 15.02.1990, Bd. 152, 15141

Anschlußverfahren

24.
In der praktischen Politik verübelt Gysi der SPD von Herzen, „daß die bei diesem würdelosen Anschlußverfahren nutgemacht haben". W5B Zeit, 21.09.1990, 6

Beitritt (beitreten)

zu beitreten

25.
Die DDR werde einfach der Bundesrepublik komplett beitreten - ohne Verhandlungen zweier souveräner Regierungen W3B stern, 08.03.1990, 201

zu Beitritt

26.
Voraussichtlich wird der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 noch vor gesamtdeutschen Wahlen am 2. Dezember erfolgen. W4D Berliner Ztg., 01.08.1990, 1
27.
[Thierse, SPD:] Wir müssen nicht die Illusion haben oder die Erwartung haben, daß in dem Einigungsvertrag alles geregelt werden kann. Ich bin sicher, der Beitritt wird nicht Wunder bewirken W4D Volkskammer der DDR; 30. Tagung am 22.08.1990, 1381
28.
[Kamm, CDU/DA:] Die DDR erklärt den Beitritt, und der Adressat ist die Bundesrepublik Deutschland. W4D Volkskammer der DDR; 27. Tagung am 22.07.1990, 1247
29.
[Gysi, PDS:] Natürlich können im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der DDR Bedingungen für einen Beitritt ausgehandelt werden. Diese Bedingungen kann aber nur die Regierung der DDR mit der Bundesregierung der BRD vereinbaren. Mit dem vollzogenen Beitritt ist dann die DDR und damit auch der Vertragspartner der Regierung der BRD untergegangen. W4D Volkskammer der DDR; 4. Tagung am 20.04.1990, 75
30.
[Becker, CDU:] Das Wählervotum am 18. März war ein Votum für die deutsche Einheit, und zwar für die schnell zu vollziehende. Verfassungsrechtlich bietet sich der Weg des Beitritts nach Art. 23 des Grundgesetzes der BRD als der direkte Weg an. W4D Volkskammer der DDR; 3. Tagung am 19.04.1990, 57
31.
[Bötsch, CDU/CSU:] Wir haben immer einen möglichst baldigen Beitritt für richtig gehalten, schon um keine Unsicherheit entstehen zu lassen, bereits zu einem Zeitpunkt, als Sie noch von übereilt, von hastig, von Stolpern und ähnlichem gesprochen haben. Insofern begrüßen wir die jüngsten Ankündigungen und Erklärungen ans Ost-Berlin ausdrücklich und unterstützen den Willen zum raschen Beitritt. W4B Bundestagsverhandl.; 219. Sitzung am 08.08.1990, Bd. 154, 17371
32.
Nationalfeiertag des vereinigten Deutschland soll nach dem Willen von Bundesregierung und Bundesländern der 3. Oktober, der Tag des Beitritts der DDR zur Bandesrepublik, werden. W5B Mannh. Morgen, 30.08.1990, 1
33.
[Schwanitz, SPD:] Spätestens seit der Volkskammerwahl am 18. März besteht Klarheit darüber, daß die Bürger dieses Landes sich für den Beitritt zur Bundesrepublik nach dem Artikel 23 entschlossen haben. W4D Volkskammer der DDR; 28. Tagung am 08.08.1990, 1331
34.
[Heuer, PDS:] Sie wissen: Wir waren und sind gegen den Beitritt nach Artikel 23 und für Artikel 146. Damals wurde uns immer wieder erklärt, daß auch ein Beitritt eine gleichberechtigte Diskussion ermöglichen würde. Wenn wir uns jetzt aber den ersten Entwurf des sogenannten Einigungsvertrages ansehen, dann zeichnet er sich dadurch aus, daß er vieles Entscheidendes nicht enthält, daß er in vielen Punkten hinter früheren Erklärungen zurückbleibt. W4D Volkskammer der DDR; 28. Tagung am 08.08.1990, 1312

zu -beitritt

DDR-Beitritt

35.
[Unruh, fraktionslos:] Der DDR-Beitritt am 3. Oktober 1990 erfordert selbstverständlich, daß unsere Verfassung mit den Lebenswirklichkeiten hier bei uns in der BRD sofort gleichberechtigt in der DDR in Kraft tritt. W5B Bundestagsverhandl.; 221. Sitzung am 23.08.1990, Bd. 154, 17459

Sturzbeitritt

36.
[Thierse, SPD:] Die DSU beantragte in unschöner Regelmäßigkeit einen Sturzbeitritt zur Bandesrepublik ohne Regelung der Rechtsangleichung. W5D Volkskammer der DDR; 35. Tagung am 13.09.1990, 1643

zu Beitritts-

Beitrittsbestimmung

Beitrittserklärung

37.
Die Koalition war sich am 17. Juni einig, daß es bestimmter Voraussetzungen für die Beitrittserklärung, so wie wir sie jetzt vorschlagen, bedarf, nämlich der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, der Schaffung weiterer Rahmenbedingungen in einem zweiten Staats- bzw. Einigungsvertrag, der Bildung von Ländern und der verbindlichen Regelung aller äußeren Aspekte des Einigungsprozesses. Alle diese Voraussetzungen sind bereits gegeben oder werden nach menschlichem Ermessen am l. Dezember 1990 gegeben sein. W4D Volkskammer der DDR; 26. Tagung am 20.07.1990, 1129

Beitrittsgebiet

38.
In der Tat: Die Nachfrage im Beitrittsgebiet boomt. Die Statistik belegt es. W6D Sachsen-Spiegel, 30.11.1990, 6

Beitrittskuschelmuschel

39.
So säuft und frißt unser Michel den alltäglichen Frust in sich hinein...und ist ansonsten zufrieden mit der frischgewählten Micheldemokratie und Lothars Laienspielschar. Ansonsten wäre ihm zumindest eines sehr sauer aufgestoßen, wenn er schon beim Wahlrechtshickhack und Beitrittskuschelmuschel müde abgewinkt hat, daß nämlich die Herren Michel Volksvertreter, insbesondere der Regierungskoalition, wie im realen Sozialismus üblich, schlicht und einfach ihre Arbeitszeit nicht einhalten, somit ihre Arbeit nicht machen und dafür den anderen Michels noch tief in deren ohnehin kleines Deutschmarksäckel fassen. W4D Leipz. Andere Ztg., 16.08.1990, 2

Beitrittsparagraph

40.
Trotz anderslautender Beteuerungen der Unterhändler gehen viele Menschen mit dem Gefühl der Kapitulation auf diesen Tag der Einigung zu. Schlucken mit saurer Miene den noch vor einem halben Jahr allgemein als anmaßend gebrandmarkten Beitrittsparagraphen. Sehen wehmütig Bewährtes, von Krause & Co. zum Teil schlecht Verwaltetes von einem Tag zum anderen für immer schwinden. W5D Wochenpost, 19.09.1990, 3

Beitrittstermin

41.
Die Koalition in der DDR steht nach tagelangem Tauziehen um den Beitrittstermin kurz vor dem Auseinanderbrechen. W4D Berliner Ztg., 24.07.1990, 1

Beitrittsverfahren

42.
Erfreulicherweise scheint man sich inzwischen weithin auf das Beitrittsverfahren (Artikel 23 des Grundgesetzes) eingestellt zu haben, um die Vereinigung Deutschlands zustande zu bringen. W4B FAZ, 27.04.1990, 10

Beitrittswilliger

43.
Da gibt es Art. 23 des Grundgesetzes, der es „anderen Teilen Deutschlands" (also sowohl der DDR wie den dort vielleicht reanimierten Ländern) freistellt, ihren Beitritt zu erklären. Die Entscheidung hierüber liegt allein bei den Beitrittswilligen, so daß man sagen kann, dieser Weg komme dem Selbstgefühl und dem Streben nach Eigenverantwortlichkeit der DDR-Bewohner am meisten entgegen. W3B Rhein. Merkur, 09.03.1990, 3

Einverleibung

zu Einverleibung

44.
[Wüppesahl, fraktionslos:] Die Einverleibung der DDR in die Bundesrepublik - und ein anderes Szenario kann ich mir nach dem augenblicklichen Stand nicht mehr vorstellen - nach Art. 23 ist eine wirkliche Wildwest-Manier. Sie wissen, ich habe mich auch von dieser Stelle erklärt, daß ich dafür bin, eine Vereinigung zwischen der DDR und der Bundesrepublik herbeizuführen - aber nicht mit dieser Methodik, mit der völligen Beseitigung jeglicher Einflußmöglichkeiten der Menschen in der DDR auf den Ablauf dieses Vorganges. W3B Bundestagsverhandl.; 197. Sitzung am 15.02.1990, Bd. 152, 15144
45.
Ja zur Volksherrschaft, Nein zur Einverleibung der DDR! W3D Demontagebuch; (Montagsdemo am 04.12.1989), 141

zu Einverleibungs-

Einverleibungsbestimmung

46.
[Genscher, FDP:] Art. 23 ist eine Beitritts-, aber nicht eine Einverleibungsbestimmung unserer Verfassung. Die Entscheidung über seine Anwendung liegt nicht in der Hand der Bundesrepublik Deutschland, sondern in der Hand der DDR. W4B Bundestagsverhandl.; 217. Sitzung am 21.06.1990, Bd. 153, 17157

Einverleibungspolitik

47.
[Ortleb, FDP:] Die linke Opposition wirft uns Einverleibungspolitik und Kapitulation vor. Abgesehen davon, daß man nur vor Feinden kapitulieren kann, sollte jede Opposition, auch im wohlverstandenen Interesse ihrer Wähler, einzusehen versuchen, daß das meiste von dem, was sie in der DDR für bewahrenswert hält, nicht mit Realitätssinn bewahrt werden kann. W5D Volkskammer der DDR; 35. Tagung am 13.09.1990, 1651

Übernahme

48.
[Hoss, GRÜNE:] Der Herr Bundeskanzler erweist sich mit seiner Strategie der hastigen Einführung der Währungsunion, die einer Übernahme der DDR gleichkommt, als Sachwalter von Kapitalinteressen. Und die kleinen Leute gucken in die Röhre. W3B Bundestagsverhandl.; 197. Sitzung am 15.02.1990, Bd. 152, 15119

Vereinnahmung

zu Vereinnahmung

49.
Auch der Ost-Berliner Regierungssprecher Wolfgang Meyer äußerte den Verdacht, es solle „von Bonner Seite eine unkontrollierte Beschleunigung des Vereinigungsprozesses herbeigeredet werden, um auf diesem Weg die Bedingungen für eine schnelle Vereinnahmung der DDR zu schaffen". W3B Mannh. Morgen, 13.02.1990, 1
50.
Indes, obwohl die Regierung Modrow in den letzten Wochen mehr und mehr zurückgewichen ist und sich nicht energisch genug gegen eine Vereinnahmung der DDR wehrte: Sie weiß immerhin um die Gefahren, auf die auch besonnene Kräfte im Westen hinweisen. W3D Junge Welt, 19.02.1990, 2
51.
Die den alten Kadern durch gemeinschaftliches Handeln der Bürgerbewegung abgerungene Macht liefe Gefahr, in der einseitigen Vereinnahmung der DDR-Bevölkerung verlorenzugehen. Jedenfalls würde sie übertragen auf Experten für Rechtsangleichung, für ökonomische und ökologische Sanierung. W4B Frankf. Rundschau, 03.04.1990, 6
52.
[Waigel, CDU/CSU:] Es handelt sich bei diesem Modell [dem einer Währungsunion], meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht um den Versuch einer währungspolitischen Vereinnahmung der DDR. Es handelt sich um ein Angebot, das den Menschen in der DDR Zukunftsperspektiven eröffnet, um ein psychologisches Signal für die Freisetzung unternehmerischer Kräfte in der DDR mit dem klar ausgesprochenen Ziel, innerhalb der EG der staatlichen Vereinigung Deutschlands näherzukommen. W3B Bundestagsverhandl.; 193. Sitzung am 07.02.1990, Bd. 152, 14853

zu Vereinnahmungs-

Vereinnahmungsprozeß

53.
[Beer, Grüne:] Vor allem wirtschaftlich und friedenspolitisch sind die Auswirkungen des angestrebten Vereinnahmungsprozesses heute noch gar nicht abschätzbar. W3B Bundestagsverhandl.; 197. Sitzung am 15.02.1990, Bd. 152, 15143