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EU-Sanktionen nach Giftanschlag auf Alexej Nawalny: Diese Putin-Vertrauten trifft es - DER SPIEGEL
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EU-Sanktionen nach Nawalny-Giftanschlag Diese Putin-Vertrauten trifft es

Moskau leugnet weiterhin eine Beteiligung an dem Giftanschlag auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny. Jetzt belegt die EU ausgewählte russische Offizielle mit Strafmaßnahmen. Wer sind die sechs Männer aus Putins Umfeld?
Von Christina Hebel, Moskau
Alexej Nawalny: Nach dem Anschlag auf ihn verhängt die EU neue Sanktionen gegen russische Offizielle

Alexej Nawalny: Nach dem Anschlag auf ihn verhängt die EU neue Sanktionen gegen russische Offizielle

Foto:

Anadolu Agency / Getty Images

Es sind wohldosierte Strafmaßnahmen, die nach Auffassung der Vertreter der Europäischen Union gezielt diejenigen treffen sollen, die für den Mordversuch an dem Kremlkritiker Alexej Nawalny verantwortlich sein könnten.

Der russische Oppositionelle war mit dem international verbotenen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet und am 20. August während eines Inlandsflugs von Tomsk nach Moskau zusammengebrochen. Nawalny vermutet, dass der russische Präsident Wladimir Putin hinter dem Giftanschlag auf ihn steckt. Der Kreml weist weiterhin jegliche Beteiligung von sich.

In ihrer Sanktionsliste  betont die EU nun explizit, dass die Verwendung von Nowitschok die Schlussfolgerung zulasse, "dass die Vergiftung von Nawalny nur mit der Zustimmung des Präsidialamtes möglich war". Die Strafmaßnahmen zielen der Erklärung zufolge auf Einzelpersonen ab, "die aufgrund ihrer offiziellen Funktion als verantwortlich für dieses Verbrechen [...] gelten, sowie auf eine Einrichtung, die in das Nowitschok-Programm eingebunden ist".

Mit Einreiseverboten und Kontensperren belegt sie sechs russische Offizielle, darunter zwei enge Vertraute von Kremlchef Putin, der jedoch selbst nicht erwähnt wird. Wer sind die Betroffenen?

  • Der Chef des mächtigen Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow: Nawalny hatte ihn im Gespräch mit dem SPIEGEL  als einen von drei möglichen staatlichen Vertretern erwähnt, die den Befehl geben können, Nowitschok einzusetzen. Bortnikow führt für Putin jenen Dienst, in dem der Kremlchef seine Karriere begann, damals hieß er noch KGB. Der Geheimdienst ist seit Jahren damit beschäftigt, Nawalny und sein Team zu beschatten und zu verfolgen, so auch in Tomsk, wie Mitarbeiter des FSB selbst streuten, was auch die EU in ihrem Beschluss  nun betont. Immer wieder gab es zudem Durchsuchungen in den Büros Nawalnys sowie Ermittlungen gegen den Oppositionellen, an denen auch der FSB beteiligt war.

Alexander Bortnikow, Chef des mächtigen Inlandsgeheimdienstes FSB

Alexander Bortnikow, Chef des mächtigen Inlandsgeheimdienstes FSB

Foto: Alexei Nikolsky / imago images/ITAR-TASS
  • Der für Putins Innenpolitik in der Kreml-Verwaltung zuständige Vizechef, Sergej Kirijenko: Kirijenko gilt als sehr einflussreich, hält seit 2016 die Schlüsselposition in der Präsidial-Administration inne. Er ist unter anderem verantwortlich für "politische Gruppen und Aktivitäten", wie die EU schreibt, womit auch die unabhängige Opposition gemeint sein dürfte. Kirijenko sicherte Putin seine haushohe Wiederwahl zum Präsidenten 2018 und organisierte in diesem Jahr die Verfassungsreformen mit, die Putin Amtszeiten über das Jahr 2024 ermöglichen. Nach Recherchen von Journalisten des unabhängigen Internetportals "Projekt"  war es Kirijenko, der mit dafür sorgte, dass Nawalny zuletzt nicht zu einer längeren Haftstrafe verurteilt wurde, sondern stattdessen immer wieder in Medien und sozialen Netzwerken gezielt diskreditiert wurde.

Sergej Kirijenko (l.) mit Wladimir Putin: Seit 2016 organisiert er für den Präsidenten die Innenpolitik

Sergej Kirijenko (l.) mit Wladimir Putin: Seit 2016 organisiert er für den Präsidenten die Innenpolitik

Foto: Mikhail Metzel / imago images/ITAR-TASS
  • Andrej Jarin, im Kreml für Innenpolitik zuständig: Jarin arbeitet eng mit Kirijenko zusammen, war immer auch mit Nawalny befasst. Wie der kremlkritische Sender "TV Rain" 2017 berichtete, war es Jarin, der persönlich die Kampagne gegen den Oppositionspolitiker führte, was auch die EU nun erwähnt. Das geschah, nachdem Nawalny mit seinem Film über die Besitztümer des damaligen Premiers Dimitrij Medwedew Millionen erreichte. Bis heute wurde das Video 36 Millionen Mal angeklickt.

  • Vizeverteidigungsminister Pawel Popow: Der General ist seit 2013 im Amt, beaufsichtigt die Forschungen in den militärischen Einrichtungen. Er trat öffentlich in Erscheinung, als er Polen und Bulgarien kritisierte, die sowjetische Denkmäler entfernen ließen.

  • Vizeverteidigungsminister Alexej Kriworutschko: Seinen Posten hat er erst seit 2018, zuvor war er Generaldirektor des Kalaschnikow-Konzerns und Leiter des Transportunternehmens Aeroexpress. Nawalny hatte 2014 über Korruption im Moskauer Transportwesen berichtet, dabei fiel auch Kriworutschkos Name. Im Ministerium ist er nun für die Organisation und Entwicklung von Waffen sowie Spezialausrüstung für das Militär zuständig. Beide - Kriworutschko und Popow - wurden nun mit Sanktionen belegt, weil sie im Verteidigungsministerium nach EU-Angaben für die Zerstörung von Chemiewaffen aus der Sowjetunion zuständig sind, wozu das Nervengift Nowitschok zählt.

  • Putins Sibirien-Beauftragter Sergej Menjajlo: Er ist seit 2016 für jenes Gebiet zuständig, in dem Nawalny vergiftet wurde. Der Anschlag fand bei einem Besuch des Oppositionellen in Tomsk statt, die EU glaubt, dass Menjajlo involviert gewesen ist. Der war von 2009 bis 2011 stellvertretender Kommandeur der Schwarzmeerflotte und von 2014 bis 2016 Putins Gouverneur in Sewastopol nach der Annexion der Krim.

Zudem steht auch der Putin-Vertraute Jewgenij Prigoschin auf der EU-Sanktionsliste. Dem Milliardär, der "Putins Chefkoch" genannt wird, weil er als Gastronom auch Banketts für Putin ausrichtete, werden offiziell Verstöße gegen das Uno-Waffenembargo gegen Libyen vorgeworfen. Prigoschin hat Nawalny und sein Team mit Klagen überzogen. Die Oppositionellen werfen dem Vertrauten Putins korrupte Machenschaften vor, womit sie sich den einflussreichen Unternehmer zum mächtigen Feind gemacht haben.

Weiterentwicklung von Nowitschok

Die EU-Staaten setzten auch das staatliche russische Forschungsinstitut für organische Chemie und Technologie auf die Sanktionsliste. Offiziell betreibt es zivile Forschung, war in der Sowjetunion aber nach Einschätzung westlicher Geheimdienste verantwortlich für die Entwicklung chemischer Kampfstoffe, darunter Nowitschok. Darüber haben auch ehemalige Mitarbeiter wie Wladimir Ugljow berichtet.

Mehrere Labore und die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hatten in Proben von Nawalnys Blut und Urin einen Stoff aus der Nowitschok-Gruppe nachgewiesen. Dabei handelt es sich deutschen Sicherheitsbehörden zufolge um eine Weiterentwicklung des Gifts, das auch beim Anschlag auf den ehemaligen russisch-britischen Doppelagenten Sergej Skripal nachgewiesen worden war.

Reaktion aus Moskau: "Unfreundlicher Schritt gegen Russland"

In Moskau drohte Außenminister Sergej Lawrow schon vor Verkündung der neuen EU-Sanktionen nicht nur mit gleichwertigen Gegensanktionen, sondern dachte auch gleich laut über ein Ende des Dialogs mit ihr nach: Die für die EU-Außenpolitik Verantwortlichen verstünden nicht die Notwendigkeit eines von gegenseitiger Wertschätzung geprägten Gesprächs, grollte er diese Woche auf einem Treffen des "Waldaj-Clubs", einem Kreis handverlesener russischer und ausländischer Politikwissenschaftler. "Vielleicht sollten wir für eine Zeit einfach aufhören, mit ihnen zu sprechen", sagte er.

"Einen bewusst unfreundlichen Schritt gegen Russland", nannte der Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow die EU-Sanktionen. Die Entscheidung, die Beziehungen zwischen der EU und Moskau von einem Mann abhängig zu machen, "der als Führer einer gewissen Opposition in Europa gilt", sei "natürlich nur bedauerlich", ergänzte Peskow, der damit wieder nicht den Namen Nawalny in den Mund nahm. Es ist davon auszugehen, dass der Kreml nun schnell Gegenstrafmaßnahmen verkünden wird.

Darüber hinaus versucht Moskau weiterhin, sich als Opfer zu inszenieren. Offizielle zeichnen ihre eigene Realitäten, sprechen von einer großen Verschwörung gegen Russland - ein Versuch einer Verteidigung, die groteske Züge annimmt. Peskow ging sogar so weit zu behaupten, dass der US-Geheimdienst CIA hinter dem Mordversuch stecke und Agenten des Dienstes mit Nawalny zusammenarbeiteten. Der Oppositionspolitiker will gegen diese Aussage gerichtlich vorgehen.

Es ist nicht die einzige Äußerung, die derzeit für Verwunderung sorgt. Als Lawrow eine Unterbrechung des Dialogs mit der EU ins Spiel brachte, erwähnte der Außenminister explizit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die hätte gesagt, mit dem gegenwärtigen russischen Apparat gelänge eine geopolitische Partnerschaft nicht.

Dazu sagte ein Sprecher der EU-Kommission dem SPIEGEL nur: "Wir haben keine Ahnung, auf welche Aussage er sich damit bezieht."

Mitarbeit: Markus Becker, Brüssel; Alexander Chernyshev, Moskau