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Partien zugleich: 10 Sekunden pro Zug - DER SPIEGEL
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31 Partien zugleich: 10 Sekunden pro Zug

Das Simultanspiel des WM-Herausforderers Garri Kasparow gegen Prominente und Klubspieler *
aus DER SPIEGEL 24/1985
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Der eine stümperte sich zum Matt: Er verlor im siebten Zug den einen Springer, im 13. Zug den anderen, im 23. einen Läufer, im 24. einen Turm und war mit dem 25. ganz am Ende. Abgesehen von einem Springer standen da die Figuren des WM-Herausforderers Garri Kasparow noch immer allesamt auf dem Brett.

Der andere - Kurt Voelzke, 19 - spielte sechs Züge lang buchstäblich wie Kasparow, denn er hatte dessen Partien studiert und sich einige Eröffnungen eingeprägt. Und auch als der Schüler aus Kiel sich eigene Züge ausdachte, konnte er mit seinem Gegner mithalten. Der bot ihm nach 24 Zügen Remis an, und Schleswig-Holsteins bester Jugendspieler nahm an.

So weit klafften Schachkenntnisse und Spielstärke der 31 Gegner auseinander, die Kasparow am Mittwoch vergangener Woche in einer Simultanveranstaltung hatte.

Es waren entweder Männer des öffentlichen Lebens, die in ihrer meist kargen Freizeit Schach spielen - darunter Politiker wie Klaus von Dohnanyi, Manager wie Herbert Singer, Chef der Albingia-Versicherungen, der Medizinprofessor Walter Bleifeld, Fußballspieler Felix Magath und Schauspieler Ulrich Wildgruber.

Oder es waren Klubspieler, meist unter 20 Jahren, die durchweg schon Meistertitel erkämpft hatten. Hinzu kamen einige Journalisten und ein Landsmann Kasparows, der in Hamburg tätige Konsul Walentin Kulkow.

In seinem Sechs-Partien-Match gegen Hübner hatte Kasparow im Schnitt knapp vier Minuten Zeit pro Zug, bei der Simultanveranstaltung brauchte er nur zehn Sekunden pro Zug, insgesamt knapp dreieinhalb Stunden. An einigen Brettern mit schwachen Gegnern zog er vorbei, fast ohne stehenzubleiben, weil er an anderen gelegentlich zwei oder drei Minuten verharrte.

Viel Zeit kosteten ihn die Partien gegen die vier Schwestern Susanne, Barbara, Isabel und Dorothee Hund aus Leverkusen.

Die vier Schach-Schwestern sind über die deutschen Grenzen hinaus bekannt. Barbara, 25, ist sogar Großmeisterin, beste deutsche Schachspielerin, selbst Simultanspielerin und Autorin eines Buches »Mein Weg zum Erfolg«.

Die vier Hunds spielten gegen Kasparow alle so, als seien sie bei diesem Angriffs- und Kombinationsspieler in die Schule gegangen. Sie unterlagen erst nach hartnäckigem Kampf.

Barbara opferte im achten Zug einen Bauern, im 15. sogar einen Springer, aber ihr Angriff auf Kasparows König blieb zu schwach, und mit eigenen Opfern erzwang der Gast aus Baku die Wende.

Isabel, 22, nahm Kasparow einen Bauern ab und war ihm in seiner besten der 31 Partien über weite Strecken eine beinahe gleichwertige Gegnerin. Dorothee, 18, vergab im 42. Zug - als die meisten Partien schon zu Ende waren - eine Remis-Chance, und Susanne, 26, gab viel zu früh auf, wie Kasparow ihr sogleich auf dem Brett vorführte.

Auf den 31 Brettern zeigte Kasparow alle Spielarten seiner Schachkunst, aber es unterliefen ihm - wie allen anderen Simultanspielern - auch Schnitzer. Die Profis sind bei solchen Schaukämpfen erfolgreich dank ihres blitzschnellen Blicks, mit dem sie die Situation auf den 20, 30 oder 40 Brettern erfassen, und dank ihres Gedächtnisses: Sie haben alle Partien im Kopf und können die meisten noch am nächsten Tag Zug für Zug rekapitulieren.

Drei Partien verlor der SPIEGEL-Gast aus Baku. Als erster bezwang ihn der »Zeit«-Redakteur Wolfram Runkel. Er entschied die Partie, als er einen Bauern opferte, der sich als »vergiftet« erwies: Schon wenig später verlor Kasparow einen Läufer.

Der Hamburger Bundesligaspieler Rainer Grünberg hatte den amtsgeschäftigen Bürgermeister von Dohnanyi nach dessen sechsten Zug abgelöst. Grünberg ("Nachfolger der SPD treten oft ein schweres Erbe an") gewann, weil Kasparow zwar zwei Türme für seine Dame eintauschte, aber die Folgen nicht weit genug berechnete und Grünbergs Bauern auf dem Damenflügel zu gefährlich wurden.

Den dritten Sieg erkämpfte der Hamburger Meister Martin Fette. Er wählte eine Eröffnung ("Caro-Kann"), über die Kasparow ein Buch geschrieben hat. Der Leser kam besser ins Spiel als der Autor. Fette gewann im 16. Zug einen Bauern und entschied mit dem 34. Zug die Partie für sich, als er Kasparows Bauernstellung schwächte.

Kasparow war mit 25 Siegen in 31 Partien nicht zufrieden, und in der Tat gibt es in Simultanveranstaltungen deutscher Großmeister auch nicht mehr Verlust- und Remis-Partien.

Einen Tag später trat er gegen 32 Computer an, damit begann ein Computertest des SPIEGEL (über den im nächsten Heft berichtet wird). Diesmal brauchte Kasparow noch länger (fünf Stunden), aber das Ergebnis war besser. Er besiegte alle 32 Computer.

Kasparow war ehrlich genug zuzugeben, daß etliche Computer ihre Chancen erst in den allerletzten Zügen verloren: »Im Endspiel sind sie schwach.« _(Susanne, Barbara, Isabel, Dorothee. )

Susanne, Barbara, Isabel, Dorothee.

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