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Bazille im Tornister - DER SPIEGEL
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MÜCKEN Bazille im Tornister

Mit einem Bio-Präparat bekämpfen rheinische Kommunen die alljährliche Stechmücken-Invasion - ein Verfahren, das weltweit nachgeahmt wird. *
aus DER SPIEGEL 19/1987

In seinem Werk »Dichtung und Wahrheit« erinnert sich Johann Wolfgang von Goethe an ein gestörtes Schäferstündchen am elsässischen Rheinufer. Die von ihm hofierte Pfarrerstochter Friederike Brion hätte sich mit dem Dichter in der Flußniederung »vielleicht mehr als billig angesiedelt, hätten uns nicht die entsetzlichen Rheinschnaken nach einigen Stunden wieder weggetrieben«.

Goethe empfand die Quälgeister als »unerträgliche Störung einer der schönsten Lustpartien, wo sonst alles glückte«. Doch auch noch heute, gut 200 Jahre später, piesacken die gemeinen Stechmücken, mundartlich Schnaken, die Menschen am Oberrhein, vor allem zwischen Kehl und Ludwigshafen.

Erst in jüngster Zeit hat die Mückenplage einen Teil ihres Schreckens verloren - dank einer Bekämpfungsstrategie, die weltweit Beachtung findet: Wo bis vor wenigen Jahren die Leute bei Volks- und Fischerfesten scharenweise vor den Schnaken davonrannten, wo Spaziergänger bis zu achthundertmal innerhalb von zwei Minuten von den Blutsaugern angeflogen wurden, wird das Übel nun im Keim erstickt.

Die Initiative hat eine eigens gegründete »Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage

e.V.« (KABS) ergriffen, zu der sich vier Landkreise, zehn Städte und 28 Gemeinden in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zusammengeschlossen haben. Gemeinsam versuchen die KABS-Mitglieder, den blutgierigen Biestern den Garaus zu machen, die überall an Gewässern heimisch sind und den Besuchern von Campingplätzen und Gartenwirtschaften ebenso zusetzen wie Badegästen, Wanderern und Waldarbeitern.

Zahlreiche Versuche zur Eindämmung der Schnakenplage, zum Teil mit umweltschädlichen Insektiziden, waren über Jahrzehnte hinweg weithin erfolglos geblieben. Die Stechmückenbrut entwickelte sich jedes Frühjahr aufs neue - bis Chemiker und Biologen erkannten, daß sich die Bekämpfungsstrategie gegen die im Wasser lebenden Entwicklungsstufen der Schnaken richten müsse, nicht erst gegen das fliegende Insekt.

Daß die Schnakenplage seit einigen Jahren abnimmt, ist einer Bekämpfungsmethode zu verdanken, die inzwischen in vielen Ländern der Welt studiert und kopiert wird, von Ungarn bis Sri Lanka, von Frankreich bis China: dem Einsatz eines winzigen Lebewesens, des Bacillus thuringiensis israelensis (BTI), den der israelische Wissenschaftler Joel Margalit 1976 in der Negev-Wüste entdeckt und isoliert hat.

Wie jedes Jahr im Mai schwärmen in den nächsten Tagen mehr als 150 Gemeindeangestellte und 50 Studenten der Universitäten Heidelberg und Karlsruhe im KABS-Bereich aus. Eingewiesen werden sie von kommunalen ,"Schnakenobmännern«. Ausgerüstet sind die Mückenbekämpfer mit Tornisterspritzen, die je fünf Liter BTI-Konzentrat enthalten, das in den Brutgewässern versprüht wird. Folge: Die vom BTI-Bazillus gebildeten Eiweißkörper werden von den Stechmückenlarven gefressen, deren Darmzellen sie rasch zum Platzen bringen - die Brut stirbt innerhalb weniger Stunden.

Ökologen hatten die Bekämpfungsaktion zunächst mit Mißtrauen beobachtet. So fragte das Institut für Ökologie und Naturschutz der baden-württembergischen Landesanstalt für Umweltschutz, was bei einer solchen Aktion »an biologischen und ökologischen Werten vernichtet wird«. Und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland warnte: »Wir können nicht Frösche schützen und ihnen gleichzeitig mit einer Vernichtungsaktion gegen die Mückenlarven die Nahrung wegnehmen.«

Inzwischen eilt als gesichert, »daß BTI hundertprozentig selektiv und somit allen anderen Insektiziden überlegen ist«, wie Norbert Becker, wissenschaftlicher Leiter der KABS, erklärt: Andere Organismen würden nicht geschädigt. Auch werde die Nahrungsgrundlage von Vögeln nicht beeinträchtigt, ebensowenig seien durch den begrenzten und gezielten Einsatz andere Mückenarten betroffen - sie bleiben als Larven den Fischen und als Fluginsekten den Vögeln und Fledermäusen erhalten.

Delegationen aus vielen Ländern haben sich schon über die Schnakenbekämpfung am Oberrhein informiert. Und für den Herbst dieses Jahres wird ein Kooperationsprogramm der KABS, der Universität Heidelberg und der Universität Wuhan zum BTI-Einsatz in der chinesischen Provinz Hubei vorbereitet.

Hubei, mit 186000 Quadratkilometern so groß wie die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zusammen, liegt im fruchtbaren Schwemmland des Flusses Jangtsekiang. Die Reisfelder in dieser Region sind riesige Brutplätze speziell der Fiebermücke Anopheles.

Zwanzig Millionen Chinesen sind dort von dem Malaria-Erreger bedroht, alljährlich erkranken mehr als 145000 Menschen. Der Einsatz von Chemiegiften ist wegen der zunehmenden Resistenz der Stechmücken nahezu aussichtslos geworden - das KABS-Rezept soll nun als Wunderwaffe wirken.

In Sri Lanka werden die Stechmücken bereits nach dem Vorbild der deutschen KABS bekämpft, auf kommunaler Basis und mit BTI. Bei einer Tagung in Sri Lanka erörterten im letzten November Wissenschaftler der Weltgesundheitsorganisation sowie Forscher aus zahlreichen Staaten Möglichkeiten, die Malaria nach dem KABS-Modell in längerfristiger Zusammenarbeit einzudämmen.

Krönung der KABS-Initiative wird eine Veranstaltung sein, zu der die KABS für August dieses Jahres geladen hat: ein internationaler Schnakenkongreß in Heidelberg. KABS-Vorsitzender Paul Schädler, Regierungspräsident von Rheinhessen-Pfalz, ist sicher:"Man muß Schnaken nicht mehr als gottgewolltes Übel hinnehmen.«

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