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Planetarische Trauer - DER SPIEGEL
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FRANKREICH / DE GAULLE Planetarische Trauer

aus DER SPIEGEL 47/1970

Er war ein Mann der großen Gesten, betrachtete sich als Inkarnation Frankreichs und wurde grandios zu Grabe getragen.

Als der Brigadegeneral Charles Andre Joseph Marie de Gaulle am Montag vergangener Woche starb, 13 Tage vor seinem 80. Geburtstag, verloren die Söhne und Töchter Frankreichs angeblich ihren Vater (so der gaullistische Abgeordnete Marc Jacquet), wurde la France angeblich Witwe (so Staatschef Georges Pompidou).

Die Witwe Frankreich schien ein wenig ernster als gewöhnlich, auch trauriger, aber nicht schockiert. Die Franzosen waren bewegt, auch gerührt, aber nicht erschüttert. Nur das Frankreich der Patrioten und Conelergen weinte. Die anderen Franzosen trennten sich von ihrem Vater gemessen, mit leichtem Pathos zwar, aber dezent.

Wie immer war de Gaulle am Montagnachmittag im Park seines Landsitzes in Colombey-les-Deux-Églises, den er vor 37 Jahren erworben hatte, spazierengegangen. Wie immer in den vergangenen Wochen arbeitete er anschließend am zweiten Band seiner Memoiren. Er legte sich eine Patience und wartete -- wie immer -- auf die abendliche Fernseh-Tagesschau. Doch er sah sie nicht mehr.

Um viertel nach sieben fiel er -- nach einem Herzanfall -- vornüber auf den Kartentisch und stöhnte: »Was habe ich denn da?« Um halb acht war Charles de Gaulle tot.

Wie bei einem längst vergessenen Politiker im Exil wurde sein Tod erst einen halben Tag später bekannt, feierte und tanzte Paris noch in der Nacht, als der Monarch im Ruhestand schon seit Stunden tot war.

Charles de Gaulle hatte es den Franzosen nie leichtgemacht -- auch nicht nach seinem Tod. Er trieb keine Politik, er zelebrierte sie. Er empfing Dutzende Staatschefs in Paris, besuchte seit 1958 37 Länder, reiste rund 300 000 Kilometer. Seine große, füllige Gestalt dominierte bei den pompösen Totenfeiern für Churchill und Eisenhower, für Kennedy und Adenauer. Sich selbst aber wollte er in fast provozierender Einfachheit verabschiedet sehen.

»Weder Präsidenten noch Minister, weder Parlamentsabordnungen noch Behörden«, bestimmte Charles de Gaulle in seinem Testament, »dürfen offiziell an den Trauerfeierlichkeiten teilnehmen. Keine Rede darf gehalten werden, weder in der Kirche noch anderswo.«

Im Champagne-Dörfchen Colombeyles-Deux-Églises und nicht in Paris wollte Frankreichs Ex-Präsident beerdigt werden, unter einem Grabstein mit der Aufschrift: »Charles de Gaulle 1890 -- ...« und nicht unter der vergoldeten Kuppel des Invalidendoms, unter der Frankreichs größte Generäle liegen, so Napoleon sowie der Weltkrieg-I-Sieger Foch und der Kolonialkrieger Lyautey.

In seiner khakifarbenen Generalsuniform lag Charles de Gaulle im großen Salon seines Landsitzes aufgebahrt -- in den Händen einen Rosenkranz von Papst Paul VI., an der Brust allein das »Croix de la Libération«, die Insignie jenes gaullistischen Ritterordens, die nur an 1059 Würdige verliehen wurde.

Doch »die Männer und Frauen Frankreichs und anderer Länder der Welt können meinem Andenken die Ehre erweisen, meinen Leichnam bis zur letzten Ruhestätte geleiten, wenn sie es wollen«, erlaubte de Gaulle in seinem Letzten Willen.

Er hatte das Testament bereits am 16. Januar 1952 verfaßt -- obwohl er, ein früh gescheiterter Politiker der Vierten Republik, noch nicht damit hatte rechnen können, daß Präsidenten und Minister aus aller Welt zu seiner Beerdigung herbeiströmen würden.

Es war nicht im Sinne de Gaulles, daß Staatschef Pompidou den Tag der Beisetzung als nationalen Trauertag deklarierte und die Trikoloren für den ganzen Monat November auf halbmast setzen ließ. Aber die Söhne Frankreichs, die ihn vor zwei Jahren gekränkt und vor einem Jahr verstoßen hatten, fühlten sich in seiner Schuld.

In der gotischen Kathedrale von Notre-Dame de Paris feierte das offizielle Frankreich ein Requiem -- ohne den Toten. Kommunisten, Demokraten und Diktatoren, 38 Staatsoberhäupter und 2300 Repräsentanten -- mehr als bei der Beerdigung von Kennedy und Churchill, Adenauer und Nasser -- eilten am Donnerstag letzter Woche nach Paris zur »planetarischen Trauer« ("Le Monde"). Chinas Mao, Herr über 750 Millionen Menschen, schickte acht Kränze.

500 Millionen Fernseher in aller Welt sahen zu, als de Gaulle beerdigt wurde. Amerikas Nixon und Rußlands Podgorny plauderten nach der Trauerfeier zehn Minuten lang miteinander.

So erhielt de Gaulle doch noch das wahrscheinlich grandioseste Leichenbegängnis der Geschichte. Einen Tag lang war sein Paris, laut französischem Radio, was de Gaulle immer ersehnt, aber nie erreicht hatte: das politische Zentrum der Welt.

Das sentimentale Zentrum Frankreichs aber war ein 250 Kilometer entferntes Dorf: Colombey-les-Deux-Églises.

* Rechtes Bild v. l.: Makarios (Zypern), Kekkonen (Finnland), Baudouin (Belgien), Rainier (Monaco), Juliana (Niederlande), Resa (Persien), Harald (Norwegen), Charles (Großbritannien).

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