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Instrument der Macht - DER SPIEGEL
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FRANKREICH Instrument der Macht

Vom Immigrantenkind zur Justizministerin - der steile Aufstieg macht Rachida Dati zur Symbolfigur im Kabinett von Nicolas Sarkozy. Unter ihren Beamten wächst jedoch der Unmut.
aus DER SPIEGEL 40/2007

Sie lächelt. Der mattbraune Teint leuchtet, die Augen funkeln tiefschwarz. Sie strahlt. Das Gesicht unter den kurzen, modisch verstrubbelten Haaren signalisiert feminine Einfühlsamkeit. Rachida Dati wirft den Kopf zurück und knipst ihren Charme an, eine emotionale Kernschmelze.

An diesem Morgen versprüht die Justizministerin solchen Reiz in Nantes. Sie federt, schwarze Hose, weißes Leinenjackett, durch den Hof des Heims für alleinerziehende minderjährige Mütter: Ortstermin in der Anstalt Anjorrant, einst betrieben von den Schwestern des Ordens Christus Erlöser. Odile, 15, ihren acht Monate alten Sohn auf dem Arm, fremdelt nur eine Sekunde lang, bevor Datis Ausstrahlung sie überwältigt. Zuvor hat schon Madame Faivre, die gestrenge Direktorin des Heims, kapituliert. Und kaum zwei Stunden später, im nüchternen Zentrum des nationalen Strafregisters, bringt Dati mit ihrer gewinnenden Art auch dessen Funktionäre handstreichartig auf ihre Seite.

So geht das überall: Eine Woche später wird die Frau mit der schlanken Silhouette von den Beamten des Oberlandesgerichtes Colmar fleißig beklatscht, sogar Frankreichs bedeutungsbewusste Gerichtspräsidenten, die sie Anfang September in ihrer Kanzlei an der Pariser Place Vendôme empfängt, sind von ihrer Erscheinung beeindruckt. Jung, dynamisch, attraktiv: Rachida Dati ist der unangefochtene Star im Kabinett Sarkozy.

Vor acht Monaten so gut wie unbekannt, zählt die Justizministerin bei den Wählern des Präsidenten zu den populärsten Politikern der Ministerriege. Die 41-Jährige verkörpert nicht nur den Generationswechsel; die politische Seiteneinsteigerin steht zugleich für die »rupture« - den Bruch mit den bleischweren Traditionen der V. Republik.

So liebt es Sarkozy: Der imponierende Aufstieg Datis beweist nicht nur die soziale Mobilität unter dem neuen Regime, sie verkörpert geradezu seine »Botschaft an ein vielfältiges Frankreich: Jeder hat eine Chance«. Die Berufung der Maghrebinerin in das Ministeramt ist der Beleg für die gelungene Integration einer Immigrantentochter und der Beweis, »dass es in Frankreich für alle Bürger nur eine Gerechtigkeit gibt«.

Das ist die eine Seite von Madame Dati, die, die sie in der Öffentlichkeit sorgsam ausstellt.

Doch es gibt noch eine andere: Seit ihrem Amtsantritt hat sich die Chefin über 8300 Richter, 21 300 Justizfunktionäre und 30 000 Strafvollzugsbeamte den Ruf als gnadenlose Vorgesetzte erworben. Berater und Beamte, die Einwände erheben, kanzelt sie mit einem vernichtenden »unter Niveau« ab, insgesamt acht ihrer engsten Mitarbeiter kündigten binnen Wochen nach ihrer Amtsübernahme oder wurden von der cholerischen Chefin vor die Tür gesetzt. »Eiserne Dame«, mokierte sich der »Nouvel Observateur«.

Es geht längst nicht mehr nur um ihren Führungsstil. Dati versteht sich als Stimme ihres Herrn, sie drückt durch, was der Elysée diktiert. Das Gesetz, das Mindeststrafen für jugendliche Wiederholungstäter festschreibt, ließ sie trotz der Einwände von Fachleuten im Parlament absegnen. Der harte Kurs gegen kriminelle Kids gehörte zu den Wahlkampfversprechen des Präsidenten. Wenn Sarkozy für Pädophile schärfere Strafen fordert oder die Verurteilung von unzurechnungsfähigen Tätern, wird Dati zur loyalen Vollstreckerin des präsidialen Willens.

Wer aufmuckt, bekommt den Ärger der Ministerin zu spüren. Ein Staatsanwalt aus Nancy, der angeblich gewagt hatte,

das neue Paragrafenwerk zu kritisieren ("Justizbeamte sind nicht die Instrumente der Macht"), wurde umgehend zum Rapport nach Paris einbestellt. In einer TV-Runde stellte sie klar: »Ich bin die Chefin der Staatsanwälte«, und die seien dazu da, das Gesetz im Namen von Nicolas Sarkozy anzuwenden.

Mit solchem monarchistischen Rechtsverständnis sorgt sie nicht nur bei der Opposition und den Gewerkschaften, sondern auch bei Juristen für Kopfschütteln und Widerspruch. »Wenn sich die Justizministerin damit begnügt, die ausführende Hand des Präsidentenwillens zu sein«, so Philippe Bilger, Staatsanwalt am Pariser Appellationsgericht, »missversteht sie ihre Rolle.«

Dati ficht das nicht an. Sie erfüllt ihr Amt genau so wie der Präsident seines: »PR-Arbeit gehört zum Handeln.« Schon die erste Nacht nach ihrer Amtseinführung verbrachte die Ministerin publikumswirksam in einem Gefängnis an der Pariser Peripherie. Da muss sich Sarkozy schon mühen, mitzuhalten.

Und die Kritiker der Ministerin? Missgünstige Machos oder reformunwillige Bremser eines verknöcherten Apparats, dessen Strukturen auf napoleonische Zeiten zurückgehen, sagen ihre Helfer an der Place Vendôme.

Und sicher ist: Trotz ihrer wiederholten Missgriffe umgibt die Justizministerin noch immer eine Aura aus Erfolg und Eleganz. Ihre faszinierende Biografie umweht sie wie ein Parfum - ein französischer Traum.

»Macht aus meinem Leben keinen Roman«, wehrt sich Dati gegen den ständigen Bezug auf ihre Vergangenheit, doch das ist fast unmöglich.

Ihr Leben ist die Geschichte einer Befreiung aus der provinziellen Enge des Burgund, wo sie in Saint-Rémy als älteste Tochter von zwölf Kindern 1965 geboren wird. Der Vater, ein Maurer aus Marokko, die Mutter, eine algerische Hausfrau und Analphabetin, haben sich zwei Jahre zuvor in der Gemeinde unweit von Chalon-sur-Saône niedergelassen. Der Vater schickt seine Tochter auf eine katholische Schule: »Le Devoir«, die Pflicht, heißt die von Nonnen geführte Institution. An der Haustür hängt ein Schild »Zurück vor 20.30 Uhr«.

Das Geld ist knapp, schon mit 14 Jahren verhökert Dati Kosmetika von Tür zu Tür und steigt bald zur besten Avon-Beraterin der Region auf. Zwei Jahre später findet sie einen Job als Nachtschwester, um sich in Dijon ihr Wirtschaftsstudium zu finanzieren. In diese Zeit zwischen Schule und Universität fällt offenbar auch eine kurze,

unglückliche und schnell annullierte Ehe - eine jener Episoden ihres Lebens, die die Ministerin heute nur noch diskret umschreibt: »Es ging nicht ohne Schmerzen, Sorgen und Verwundungen ...«

Den Grundstein für ihre politische Karriere legt Dati 1987. Bei einem Empfang der algerischen Botschaft trifft sie auf den damaligen Justizminister Albin Chalandon und hinterlässt bei ihm den Eindruck einer »kleinen Person mit formidablem Durchsetzungsvermögen«.

Dati lässt nicht mehr locker. Beinahe wöchentlich bringt sie sich mit Briefen bei ihrem Mentor in Erinnerung. Chalandon verschafft ihr ein Praktikum bei der Finanzdirektion des Ölmultis Elf-Aquitaine, während die Studentin zugleich systematisch ihr Beziehungsnetz ausbaut. Sie sucht Kontakte zu Rechten und Reichen, zu Mächtigen und Managern.

Alle sind sie hingerissen: Unternehmer Jean-Luc Lagardère, der die »erstaunliche Frau« 1990 für das Telekommunikationsunternehmen Matra einstellt; Jacques Attali, Berater und Intimus von François Mitterrand, der Dati einen Posten bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau in London verschafft, lobt sie als »dynamisch, genau, ernsthaft, eigenwillig, perfektionistisch, anspruchsvoll«. Und Simone Veil, damals Ministerin für Gesundheit und Soziales, gibt sich geradezu überwältigt vom »Blick und der Menschlichkeit«, nachdem sie Dati 1993 kennenlernt. »Ich habe gleich gesehen, dass sie eine Perle ist.« Für die Grande Dame der französischen Politik wird die junge Frau »zur Freundin fürs Leben.«

Veil rät Dati zur Konzentration auf eine Justizkarriere und leiht ihr die eigene Robe, als Dati nach zweijähriger Ausbildung an der Richterschule die Examensansprache halten muss. Zur juristischen Kärrnertour gehören Einsätze als Jugend-, Familien- oder Untersuchungsrichterin in der Provinz; in Evry, einem unterbesetzten Gericht in einer der explosiven Vorstädte von Paris, übernimmt Dati in ihrer regulären Arbeitszeit Finanz- und Wirtschaftsfälle, am Wochenende und in den Ferien bearbeitet sie den kriminellen Alltag der Banlieue. Noch heute ist sie dort als »fleißiges Arbeitstier« bekannt.

Dati will mehr, will mitarbeiten an der Formulierung von Gesetzen. Im September 2002 verschafft sie sich einen Termin bei Innenminister Sarkozy; kennengelernt hatte sie ihn bereits sechs Jahre zuvor - als Nachwuchspolitiker und Bürgermeister des Pariser Vororts Neuilly. Jetzt bietet Dati dem umtriebigen Sarkozy ihre Mitarbeit bei dessen Feldzug gegen die Kriminalität an. Sie will Präventivmaßnahmen formulieren und überschüttet den Minister mit Argumenten, lässt ihn gar nicht zu Wort kommen, sie will den Job. »Wenn er den Mund aufmacht, will ich, dass er ja sagt.«

Sarkozy sagt ja. Vielleicht spürt er den Erfolgswillen, die Durchsetzungskraft. Fortan tourt Dati durch Frankreich, sucht Gleichgesinnte unter den Migranten aus Nord- und Schwarzafrika und verschafft dem Wahlkämpfer Sarkozy die nötigen Kontakte zu den Wählern der Vorstädte - zu Jugendlichen, vorbildlichen Unternehmern oder Prominenten. Ihr Boss dankt es ihr. Am 14. Januar 2007, dem Tag, an welchem sich Sarkozy zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten küren lässt, macht er Dati zu seiner Sprecherin.

Die Ernennung der eloquenten Maghrebinerin stellt sich als publizistischer Geniestreich heraus: Dati, die sich bald geschickt durch Talkshows und Polit-Debatten argumentiert, wird zum modernen Gesicht der Konservativen von der UMP. Die politischen Konkurrenten verhöhnen sie zunächst als »Sarkozys Alibi-Araberin«; dennoch erscheint der UMP-Boss, sonst berüchtigt für seine kalkulierten Entgleisungen gegen das jugendliche »Gesindel« der Vorstädte oder die muslimischen Zuwanderer, die »ihre Hammel in der Badewanne schlachten«, als ein Vorkämpfer gesellschaftlicher Gleichstellung.

Hinter der Berufung von Dati steckt freilich Sarkozys Frau Cécilia. »Rachida verkörpert, was Frankreich heute ausmacht«, hatte sie ihrem Mann klargemacht und damit für die Beförderung ihrer engen Freundin gesorgt.

Dati hatte schnell erkannt, welch großen Einfluss das ehemalige Mannequin auf die Entscheidungen ihres Mannes hat. Und als die Beziehung der Sarkozys durch eine Affäre Cécilias 2005 in Schieflage geriet, war es Dati, die telefonisch Kontakt hielt. Während die Mitarbeiter des Innenministers auf Distanz zur untreuen Ehefrau achten, klingelt Rachida ein-, zweimal die Woche bei Cécilia an und berichtet von der emotionalen Achterbahnfahrt des unglücklichen Ehemanns.

»Als ich nicht sehr beliebt war, stand sie zu mir«, erinnert sich Cécilia später, nach der Aussöhnung des Ehepaares Sarkozy. »Sie ist für mich mehr als eine Freundin, sie ist meine Schwester - ich werde sie nie im Stich lassen.«

An der innigen Freundschaft ("von Rachida habe ich die schönsten Dinge gehört, die man mir je in meinem Leben sagte") hat auch der Einzug in den Elysée nichts geändert: Dati zählt zum innersten Zirkel der Sarkozys, begleitet die Präsidentengattin beim Einkaufsbummel in Cannes und besucht die Familie beim Luxusurlaub im amerikanischen Ferienort Wolfeboro.

Zurück in Paris überdauert die belastbare Verbindung zwischen Dati und Sarkozy sogar die wachsende, parteiinterne Verärgerung über den autoritären Stil der Justizministerin. Sarkozy, der sonst ohne Scheu Minister wie Mitarbeiter öffentlich als »Idioten« abkanzelt und für Anfang des Jahres eine Kabinettsumbildung plant, steht zu ihr.

Noch immer gilt, was Cécilia Anfang Juli über das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und seiner Justizministerin berichtete: »Mein Mann vertraut ihr. Er ist stolz auf sie. Sie wird keinen Bock schießen, sie macht nie Mist. Und außerdem ist sie schön.« STEFAN SIMONS

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